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Volkskrankheit Depression
Erhöhtes Risiko für Leistungsstarke

Depression erwische nicht die Schwachen, sondern bevorzugt jene, die ganz besonders viel von sich forderten, sagte der Neurowissenschaftler Joachim Bauer im Dlf. Die große Gefahr sei, nicht darüber zu reden. Für viele Männer beispielsweise passe Schwäche nicht zum Selbstbild.

Joachim Bauer im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Ein einsamer Mann an der Töölönlahti Bucht in Helsinki
    Auch schwere Depression sei heute gut zu behandeln, meist mit einer Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie, so der Neurowissenschaftler Joachim Bauer im Dlf (picture alliance / dpa / Mikko Stig)
    Benedikt Schulz: Depression ist eine Volkskrankheit – zu diesem Befund kommen inzwischen einige Studien, seit einigen Jahren. Eigentlich liegt der Fall klar – Depression ist eine Krankheit und nicht nur "so eine Stimmung". Und trotzdem haben es Betroffene in unserer Gesellschaft schwer, dass ihre Krankheit auch als solche anerkannt wird von ihrem Umfeld. Wer eine Depression erleidet, also depressiv ist, der gilt als nicht leistungsfähig, nicht belastbar, als schwach, wenig willensstark. Braucht es noch eine Studie, um das Problem zu verdeutlichen, vor dem eben nicht nur die Betroffenen stehen, sondern eigentlich auch unsere Gesellschaft als Ganzes? Wie es scheint, ja, die Stiftung Deutsche Depressionshilfe stellt in den kommenden Tagen eine groß angelegte deutschlandweite Studie dazu vor, mit dem Untertitel "So denkt Deutschland" – über das Thema Depression in unserer Gesellschaft. Fragen an Joachim Bauer - Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und außerdem Neurowissenschaftler in Freiburg und Berlin und Autor mehrerer auch allgemein verständlicher Sachbücher. Meine erste Frage: Depression als Volkskrankheit - Krebs gilt auch als Volkskrankheit, wir gehen regelmäßig zur Krebsvorsorge - brauchen wir eine regelmäßige, psychotherapeutische Depressionsvorsorge?
    Joachim Bauer: Das würde sicher keinen Sinn machen. Aber es ist richtig, dass die depressive Erkrankung immer noch nicht richtig ernst genommen wird von vielen Menschen. Eine Depression zu haben, ist nicht irgendwie mal ein bisschen traurig zu sein. Das hat jeder Mensch mal. Wir haben mal schlechte Tage, wo wir schlecht drauf sind. Das hat mit einer Depression nichts zu tun, sondern bei einer depressiven Erkrankung handelt es sich um ein über viele Tage, meistens über viele Wochen gehendes Geschehen, wo Menschen plötzlich die innere Kraft verlieren, ihren Antrieb verlieren, plötzlich anfangen, schlecht zu schlafen, und zwar über viele Nächte hinweg schlecht zu schlafen, morgens früh aufwachen so um drei Uhr, vier Uhr und dann nicht mehr wieder einschlafen können, ständig mit negativen Gedanken beschäftigt sind, oft so eine innere Leere in sich spüren und oft auch dann kognitive Probleme entwickeln. In einer schweren Depression kann es sein, dass Symptome auftreten, dass man richtig Angst bekommt, man hätte vielleicht eine Demenz.
    Wenn die Depression dann allerdings gut behandelt ist, können alle diese, von mir gerade genannten Symptome wieder vollständig verschwinden, also remittieren.
    Veränderungen in der Mixtur der Botenstoffe im Gehirn
    Schulz: Eine Depression ist ein Phänomen irgendwo zwischen Biologie und Psychologie. So ganz klar ist das Zusammenspiel bis heute, soweit ich weiß, noch nicht. Wie bekomme ich eigentlich eine Depression?
    Bauer: Eine Depression ist eine Erkrankung, bei der psychische und biologische Veränderungen miteinander einhergehen. Alles was wir im sozialen Feld und psychisch erleben, wird immer auch begleitet von Veränderungen in unserem Gehirnstoffwechsel. Deswegen kann man nicht sagen, entweder oder, entweder psychisch oder biologisch, sondern beides geht immer Hand in Hand. Und wir wissen heute, wenn Menschen eine schwere Depression entwickeln, dass dann bestimmte Neurotransmitter, also Botenstoffe, mit denen die Nervenzellen Signale untereinander austauschen, dass da Veränderungen in der Mixtur der Botenstoffe vorkommen. Die Behandlung der Depression, die ja entweder mit Psychotherapie, oder auch zusätzlich mit Medikamenten, mit antidepressiver Pharmakotherapie geschehen kann, sowohl die Psychotherapie als auch die Pharmakotherapie greifen hilfreich in diesen veränderten Depressions-Stoffwechsel ein und können ihn etwas wieder normalisieren.
    "Die sich sehr stark selber unter Leistungsdruck stellen"
    Schulz: Warum wird denn das Thema Depression weiterhin so tabuisiert? Oder anders formuliert: Warum hat es diese Depression so schwer, als echte, medizinisch anerkannte Krankheit ernst genommen zu werden?
    Bauer: Sie haben ja in Ihrer Anmoderation darauf hingewiesen, dass viele glauben, eine Depression zu haben, sei ein Zeichen von Schwäche. Wir wissen aufgrund von Studien, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Ein erhöhtes Risiko für Depressionen haben Menschen, die ganz stark und viel leisten, die sich sehr stark selber auch unter Leistungsdruck stellen. Und dieser hohe Leistungsdruck, der ja auch einen Teil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens ausmacht – wir leben ja in einer Gesellschaft, wo immer mehr verdichtet wird, wo immer mehr in immer kürzerer Zeit geleistet werden muss, wo immer weniger Zeit für Muße ist -, dieser hohe Druck, der erhöht das Risiko, dass Menschen dann auch einbrechen können und dass die Leistungssysteme, die wir in unserem Körper haben, vor allem in unserem Gehirn haben, die sogenannten Motivationssysteme, dass die dann einbrechen und dass es dann zu dieser Erkrankung kommt. Depression erwischt nicht die Schwachen, sondern Depression kann jeden erwischen und bevorzugt auch die, die ganz besonders viel von sich fordern.
    "15 Prozent erleiden einmal eine schwere Depression"
    Schulz: Wenn wir jetzt bei der Depression schon dezidiert von einer Volkskrankheit sprechen, die ja unsere Gesellschaft in hohem Maße betrifft, dann müsste doch eigentlich auch die Ursachenforschung für das Thema Depression weniger auf der individuellen, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene stattfinden. Was ist da los mit unserer Gesellschaft?
    Bauer: Wir sind eine Gesellschaft, die in einer fast schon verrückten Weise in einem hohen Takt permanent arbeitet, wuselt, unterwegs ist, und wir kommen ja kaum noch zur Ruhe. Die meisten Menschen sind dermaßen unter Druck und Stress, dass sie während des Alltags kaum noch mal zu sich finden, mal zur Ruhe kommen innehalten. Das ist natürlich etwas, das ist ein Lebensstil, der das Risiko erhöht, dass dann immer mehr Menschen auch einbrechen. Wir müssen uns angesichts der großen Zahl von depressiven Erkrankungen – etwa 15 Prozent der Allgemeinbevölkerung in unseren westlichen Ländern erleidet mindestens einmal im Leben eine schwere Depression -, angesichts dieser Zahlen müssen wir uns tatsächlich auch Gedanken machen, wo ist eigentlich unsere Gesellschaft unterwegs und wollen wir wirklich so leben, dass wir überhaupt keine Mußeräume mehr haben, Räume, wo wir uns mal zurückziehen können und wo wir sozial miteinander unterwegs sind, oder wo wir mal miteinander künstlerisch aktiv sind, wo man mal die Musik stattfinden lässt oder mal in Ruhe ein Buch liest oder mal rausgeht in die Natur oder Sport macht. Diese Dinge, die kommen alle zu kurz.
    Übrigens bei der Therapie der Depression, da werden diese Dinge eingesetzt. Soziale Unterstützung ist sehr wichtig, damit Menschen, die in einer Depression sind, wieder rauskommen aus der Depression. Auch Sport ist sehr wichtig. Wir wissen auch von Studien, dass die sogenannte Achtsamkeitsmeditation oder auch das Yoga, dass das alles sehr gute Additive, hinzukommende Möglichkeiten sind, dass man zusätzlich zur Psychotherapie und oder Pharmakotherapie hier Menschen aus der Depression raushelfen kann.
    Schwere Schlafstörungen
    Schulz: Ein Problem ist, wenn man eine Depression erleidet, ist es erst mal A, sie sich einzugestehen, und B, in der Öffentlichkeit dann auch darüber zu sprechen. Vor allem Letzteres ist ja in unserer, auf eher Leistung bedachten Gesellschaft oder in unseren, auf Leistung bedachten Berufsumfeldern fast unmöglich, oder?
    Bauer: Ja. Das ist eine ganz große Gefahr, dass Menschen, die in eine Depression reinrutschen, die merken, dass sie ein, zwei Wochen und dann noch länger eine innere Leere haben, dass sie keinen Antrieb mehr haben, dass das Selbstwertgefühl völlig eingebrochen ist, dass schwere Schlafstörungen da sind, dass diese Menschen sich nicht an einen Arzt oder an einen anderen Experten, an eine Psychotherapeutin oder Psychotherapeuten wenden. Das ist eine große Gefahr, dass die, die eine Depression haben, nicht darüber reden und sich nicht an einen Experten oder an eine Expertin wenden.
    Ein besonderes Problem haben hier die Männer. Wir wissen aus vielen Studien, aber vor allem natürlich aus der alltäglichen ärztlichen Erfahrung, dass Männer, die eine Depression erleiden, glauben, das sei jetzt ein Zeichen für Unmännlichkeit oder für Schwäche, das passt nicht zum männlichen Selbstbild bei vielen Männern. Und dann tut man so, als wäre nichts, und kämpft sich da durch den Alltag durch, und das kann sehr fatale Folgen haben. Ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, aber denken Sie kurz an den Piloten von dem Germanwings-Absturz. Das war ein junger Mann, der hatte seit langer Zeit eine Depression und hat aber keine richtige Auszeit nehmen können, sich nicht behandeln lassen können, und das ist sehr, sehr wichtig, dass alle, die in eine depressive Situation hinein geraten, sich helfen lassen von Experten, vom Psychiater oder vom Arzt für psychosomatische Medizin, oder von einer Psychotherapeutin, und sich fachliche Hilfe holen. Weil wir können heute die Depression gut behandeln, sei es mit Psychotherapie oder auch und oder mit Medikamenten. Bei schweren Depressionen nimmt man meistens eine Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie und hat dann in aller Regel sehr, sehr gute Behandlungserfolge.
    "Respektieren, wenn jemand an Depression erkrankt ist"
    Schulz: Ein prominentes Beispiel ist ja der Torhüter Robert Enke, der sich das Leben genommen hat.
    Bauer: Ja, genau! Das war auch so ein Fall, ein männlicher Patient, und auch da sieht man: Wenn die Erkrankung nicht offengelegt wird, wenn die Betroffenen sich nicht helfen lassen, dann ist die große Gefahr, dass Unglücke passieren, Suizide passieren, obwohl eigentlich die Erkrankung hätte gut behandelt werden können. Das ist eigentlich tragisch, dass solche Fälle dann mit dem Tod auch enden können. Wir müssen die depressive Erkrankung ernst nehmen und dürfen, auch wenn wir im Umfeld, in der Familie oder am Arbeitsplatz Menschen haben, die hiervon betroffen sind, dass wir das auch so sein lassen und genauso anerkennen, wie wenn jemand einen Herzinfarkt oder einen Beinbruch hat. Da haben wir ja auch keine Probleme zu sagen, hier ist jemand krank geworden, wir respektieren das. Genauso müssen wir es respektieren, wenn jemand an einer Depression erkrankt ist.
    "Such Dir Hilfe, suche einen Arzt auf"
    Schulz: Trotzdem ist man ja in einem auf Leistung bedachten Umfeld wie dem Fußball, dem Leistungssport nach dem Selbstmord von Robert Enke irgendwie wieder zur Normalität übergegangen.
    Bauer: Ja! Das ist ein ständiges Argumentieren, dass wir immer wieder in der Bevölkerung – und deswegen ist es auch gut, dass wir hier jetzt im Rundfunk miteinander sprechen -, dass wir immer wieder in die Bevölkerung hinein die Information geben, eine Depression zu haben, ist keine Schande. Es kann jeden treffen, eine Depression zu haben, und wenn Du davon betroffen bist, dann such Dir Hilfe, suche einen Arzt auf. Als erste Adresse ist natürlich hier immer der Hausarzt gefragt, der aber dann, wenn eine schwere deutliche Depression vorliegt, gut daran tut, die betroffenen Patientinnen und Patienten an eine Expertin oder Experten zu überweisen. Das wäre dann ein Facharzt oder ein psychologischer Psychotherapeut oder Psychotherapeutin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.