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Volksparteien ohne Volk?

Wo fängt eine Volkspartei an, wo hört sie auf? Darauf werden wir gleich noch näher eingehen, zunächst einmal jedoch unser Korrespondentenbericht aus der einst uneinnehmbaren Festung in München. Barbara Roth zeichnet ein ziemlich orientierungsloses Stimmungsbild einer Partei, die nicht recht weiß, wohin ihr Weg künftig führen soll.

Eine Sendung von Barbara Roth und Wolfram Stahl, Moderation: Hans-Jürgen Bartsch |
    Die Ohrfeige des Wählers fällt kräftig aus. Unzufriedenheit paart sich mit Enttäuschung. Über Edmund Stoibers knallharte Reformpolitik, den holprigen Start seiner Nachfolger Beckstein und Huber und den schwindenden Einfluss der CSU in der Großen Koalition. Hochmut, Überheblichkeit, Arroganz der Macht - verzeihen die Bürger der CSU nicht.

    "- Sie meinen, sie haben die Herrschaft über uns Bayern gepachtet. Und das eben seit 46 Jahren. Sie lassen sich halt auf keine Diskussion ein. Und irgendwann gehört eben ein kleiner Dämpfer her.
    - Da gehört Bewegung rein und Ansporn. Ich denke, sie sollen sich mal wieder ein bisschen bemühen.
    - Ich denke, dass es herausgefordert wurde dieses Ergebnis mit dieser Politik. Man hat sich nicht um die Wähler bemüht. Und das rächt sich natürlich."

    Das Tandem angeschlagen. Huber und Beckstein lehnen es jedoch ab, politische Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen Schuldzuweisungen - in Richtung Edmund Stoiber.

    "Aber es ist klar, dass es ist eine ganze Fülle von Einflüssen gibt, die sich über fünf Jahre erstrecken. Es ist nicht ein Ergebnis von wenigen Monaten des Wahlkampfes oder von einem Jahr. Es ist mit Sicherheit eine Summe über fünf Jahre hinweg.

    Parteifreunde springen ihnen bei, zeigen auf den Ex-Ministerpräsidenten. Der niederbayerische Bezirkschef Manfred Weber:

    Wir müssen wieder mehr zuhören. In den letzten fünf Jahren, in der gesamten Legislaturperiode, ist uns die Zwei-Drittel-Mehrheit zu stark zu Kopf gestiegen..."

    Der Parteichef klammert sich an seinen Stuhl. Günther Beckstein lässt sich überreden, als Übergangsministerpräsident die Partei von der Allein- in eine Koalitionsregierung zu führen. Favorit ist die FDP.

    "Ich habe erklärt, dass ich auch für eine Koalition zur Verfügung stehe, wenn ich auch nicht an all meinen Ämtern oder meinem Amt klebe."

    Erst nach der Bundestagswahl soll Beckstein den Stab an einen Jüngeren übergeben. Krisensitzung bis morgens um Drei. Seehofer steht als Huber-Nachfolger parat. Putschgerüchte machen die Runde. Doch Horst Seehofer muss gerufen werden. Innenminister Joachim Herrmann:
    "Wir reden vernünftig miteinander."

    8.30 Uhr heute morgen. Nächste Krisensitzung. Aus dem ganzen Land sind die Bezirksvorsitzenden angereist. Sie melden miese Stimmung von der Basis.

    "- Bei fast 18 Prozent der Wähler, die sich uns dieses Mal verweigert haben, stellt sich die Frage, ob wir tatsächlich das Lebensgefühl der Menschen in unserer Arbeit auch ausreichend berücksichtigt haben.
    - Ich glaube, die Menschen haben uns eine ganze Menge übel genommen: den Zick-Zack-Kurs zum Beispiel bei der Pendlerpauschale, das haben wir nicht mehr darstellen, das hat keiner mehr vertreten können. Ich glaube, dass uns das Thema Rauchverbot gerade am Stammtisch große Sorgen bereitete. Die letzten fünf Jahre sind nicht optimal gewesen. Wir haben viele Dinge auch nicht vermitteln können."

    8:32 Uhr. Peter Ramsauer, der Landesgruppenchef im Bundestag, fährt vor, bleibt aber im Auto sitzen und telefoniert. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos ist schlecht gelaunt:

    "Lassen Sie uns beraten."

    8.35 Uhr. Landtagsfraktionschef Georg Schmid rät in Sachen Huber zu einer Entscheidung. Man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

    "Es ist die Frage, die seit gestern abend intensivst gestellt wird. Die Frage müssen wir schnell klären und schnell entscheiden, damit die Menschen wissen, wie es weitergeht. Und auch unsere Freunde in der Partei brauchen eine klare Richtung. Das muss entschieden werden - schnell, sehr schnell."

    8:37 Uhr. Europaminister Markus Söder lässt sich über die Tiefgarage chauffieren, um lästigen Fragen aus dem Weg zu gehen. Markus Ferber, CSU-Chef in Schwaben, will die Basis mehr einbinden:

    "Es wird nicht ausreichen, in Hinterzimmern im Landtag Konsequenzen zu formulieren, sondern es muss breit die Basis eingebunden werden."

    8:40 Uhr. Ramsauer telefoniert immer noch. Landtagspräsident Alois Glück mahnt zur Gelassenheit. Bis 20. Oktober ist Zeit, spätestens dann muss sich der Landtag konstituieren.

    "Die Dinge müssen so entschieden werden, dass sie für die Menschen glaubwürdig sind, aber auch, dass die Menschen erleben, die CSU versteht das Ergebnis, zieht Konsequenzen daraus, aber sie ist nicht in Panik."

    8.50 Uhr. Horst Seehofer kommt - zu Fuß. Mit dem oberbayerischen Bezirkvorsitzenden Siegfried Schneider an seiner Seite. Es gibt tumultartige Szenen - der Vize-Parteichef ist vom schlechten Wahlergebnis sichtlich getroffen.

    "Das hat noch das Jahr 1998 übertroffen. Das war ja die Abwahl der Regierung Kohl, der ich angehörte. Aber die Dimension der Katastrophe diesmal ist deutlich höher."

    Eine halbe Stunde später: Sitzung des Landesvorstands. Der Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber - der gestern an seinem 67. Geburtstag noch schwieg - ist äußerlich gefasst, innerlich aufgewühlt. In seinem Oberbayern brach die CSU um mehr als 20 Prozent der Stimmen ein, weil der Stoiber-Bonus fehlte. Strauß-Tochter Monika Hohlmeier verliert ihr Mandat.

    "Für mich war der gestrige Abend nach 30jähriger Führungsverantwortung in und für die CSU der bitterste Moment in meinem politischen Leben. Entscheidend ist natürlich jetzt, dass wir vor allen Dingen aber auch in die Partei hineinhören."

    Aus dem CSU-Bezirk München wird der erste Rücktritt gefordert. Generalsekretärin Christine Haderthauer müsse gehen. Sekunden später das Dementi. Ihr Rücktrittsangebot hat der Parteichef abgelehnt, erklärt er später.

    "Weil wir nicht ein Bauernopfer wollen. Weil aus meiner Sicht Solidarität nicht darin bestehen kann, dass man eine Person oder mehrere zu Sündenböcken macht."

    Stefan Müller, Chef der Jungen Union, bleibt dabei, er will den Neufang - den Generationswechsel. Huber und Beckstein sollen gehen.

    "Erneuerung bedeutet Partei- und Staatsregierung."

    14.30 - die vierstündige Vorstandssitzung bleibt ohne personelle Konsequenzen. Seehofer findet nicht genügend Unterstützer - noch nicht. Die Analyse der Wahlschlappe aber dauert an. Diskutiert wird in allen Parteigliederungen - die nächsten vier Wochen - bis zu einem Sonderparteitag am 25. Oktober. Parteichef Huber will dann inhaltliche Fehler und personelle Fragen geklärt wissen.

    "Ich klebe auch nicht an Ämtern, aber eines ist auch klar: Eine Flucht irgendwie aus der Verantwortung kann es nicht geben."

    Beckstein wird mit Sondierungsgesprächen beauftragt. Eingeladen werden FDP und Freie Wähler. SPD und Grüne nicht.
    Fast wird über das Leid der einstmals großen CSU vergessen, dass die SPD schon seit Jahrzehnten einen Dauerkater in Bayern verspürt. Oder doch nicht? Die Sozialdemokraten machen in bester Laune. Trotz des schlechtesten Ergebnisses überhaupt bei bayerischen Landtagswahlen.
    Warum, darüber mehr von Wolfram Stahl aus Berlin.
    Die Fahne auf dem Dach des Willy-Brandt-Hauses in Berlin-Kreuzberg hängt ziemlich lasch an der Stange. Das flaue Lüftchen aus dem Süden trägt kaum.

    Vor dem Eingang ins Gebäude stehen die Journalisten Spalier, warten auf sozialdemokratische Spitzenpolitiker am Tag nach der Bayern-Wahl.

    Einzelne dunkle Limousinen fahren vor. Der Pulk von Journalisten formiert sich, zückt die Notizblöcke, richtet Kameras und Mikrofone aus.

    Die Journalisten, Kameramänner und Tontechniker sind entspannt. Für sie ist es ein gewohntes Ritual nach der Wahl, die Politiker sind gefragt.

    "Also erstens, ich finde es sehr schön, dass man wieder über die SPD reden möchte, das zeigt die Bedeutung der SPD. Aber ich glaube, die Botschaft ist nicht die Situation der SPD in Bayern, sondern der CSU."

    Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, beherrscht dieses "Sowohl-als-auch". Eigentlich haben die Sozialdemokraten mit ihren 18,6 Prozent in Bayern ja erneut Wählerstimmen verloren, aber das Problem haben die Anderen. Es scheint dies die allgemeine Sprachregelung in der Partei zu sein.

    "Das ist ein Desaster für Beckstein und Huber, eine richtige Katastrophe.

    Die Nachricht ist ja, die hohen Verluste der CSU.

    Also man sieht, dass auch eine Staatspartei verlieren kann und dass selbst in Bayern die politische Landschaft in Bewegung ist. Das ist trotz des nicht guten Ergebnisses für die SPD eine kräftige Hoffnung Wert."

    Wowereit, Ypsilanti und Thierse entschwinden mit dem gläsernen Fahrstuhl in die oberen Etagen der Parteizentrale.
    Wenigstens einer hatte tatsächlich eine wirklich gute Nachricht mitgebracht. Über das Wahlergebnis der SPD in Bayern wollte sich Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck deshalb auch gar nicht äußern.

    "Gestehen Sie mir bitte zu, wir hatten gestern Kommunalwahlen, dass ich mich darüber freue, dass wir in Brandenburg unser Wahlziel erreicht haben, nämlich wieder stärkste kommunalpolitische Kraft zu werden, von 18 Landkreisen zehn zu gewinnen. Von daher ist das heute für mich ein schöner Tag. Und dass die CSU so abgeschmiert ist, passt noch mal dazu. Danke!"

    Die langjährigen Beobachter der Sozialdemokraten in den Reihen der Journalisten wissen die Botschaften sehr wohl richtig einzuschätzen.

    "Natürlich wird die Partei jetzt jeden Hoffnungsschimmer nutzen, um, sagen wir mal, die eigene Situation auszuleuchten, das ist ja klar. Ich meine, die sind im Moment ziemlich am Hund, da ist jeder Strohhalm recht."

    Thomas Maron ist Berliner Korrespondent der Stuttgarter Zeitung. Er ist sich sicher, dass es in der gemeinsamen Sitzung von SPD-Präsidium, Parteivorstand und Parteirat darum gehen werde, die Sozialdemokraten stark zu reden und die CSU mit Häme zu überschütten.

    "Die werden sich im Wesentlichen darüber freuen, dass die CSU eingebrochen ist und hoffen, dass der Ball jetzt im Spielfeld der Union bleibt und dass jetzt die sich mal zerlegen und nicht immer nur die SPD."

    Der Journalist sagt zwar, dass die SPD im tiefen Tal sei, dass sie aber noch viel weiter unten wäre - der Münte-Steinmeier-Effekt habe die Verluste sicher noch etwas minimieren können.
    Kurz darauf stellt sich in der Aula der Parteizentrale SPD-Generalsekretär Hubertus Heil vor die Presse. Seine kurze Einleitung ist die:

    "Wir haben keinen Gegenwind mehr, der Gegenwind ist jetzt bei den anderen und wir wollen unsere Chance nutzen."

    Kein Gegenwind mehr - vielleicht. Rückenwind aber auch nicht. Hubertus Heil müht sich, die SPD gut zu verkaufen. Für ihn ist das Glas immer halbvoll.

    "Der SPD ist es mit gelungen, vielen Bayern klar zu machen, dass man die CSU nicht wählen muss, aus guten Gründen. Nicht nur des Filzes, sondern auch der Fehler wegen und wegen der Arroganz der Macht. Aber es ist noch nicht vollständig gelungen, die zu uns zu holen."

    Der Generalsekretär müht sich, weicht den Fragen aus, lenkt die Antworten auf Fakten, die die SPD gut aussehen lassen. Als Rettungsanker kommt ihm dabei auch das Ergebnis der letzten Bundestagswahl wie gerufen.

    "Die SPD ist die stärkste Partei im Deutschen Bundestag, dann kommt die CDU und dann die CSU und zusammen bilden wir eine Koalition, die nach vorne arbeiten will und muss, weil die Probleme da sind."

    Optimistisch an die Sache herangehen, lautet die Devise der SPD. Realismus müsste bei schlechten Umfragewerten und einem Wahlergebnis von 18,6 Prozent in Bayern eigentlich anders aussehen. Öffentlich befasst man sich nicht mit der eigenen Situation, die Spitzen richten sich gegen die Union, die die Menschen für dumm verkaufen wolle, was Hubertus Heil so über die SPD natürlich nie sagen würde.

    Zwei große Parteien in der Misere, im Desaster, in der Krise. In einer Dauerkrise gar? Wir haben den Parteienforscher Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin nach seiner Einschätzung gefragt.

    Gero Neugebauer:
    In der Skala der Antworten der Wahlforschung, die bei fünf Prozent Veränderung von einem Erdrutsch spricht, ist das mehr als ein Erbeben. Das sind vielleicht ein Erdbeben und ein Tsunami zusammen.

    Hans-Jürgen Bartsch:
    Die CSU, wie Sie sagen, dramatisch abgewatscht - so heißt das ja in Bayern - die SPD kommt weder von der Stelle, geschweige denn sie gewinnt dazu. Haben die Wähler die Schnauze voll von den Großen?
    Gero Neugebauer:
    Ja und nein.
    Ja, weil sich gezeigt hat, dass insbesondere die Wanderungen der Wähler weg von der CSU ja nicht nur einfach darauf zurückzuführen sind, dass sie vergrätzt gewesen sind über die Politik, sondern dass auch viele bayerische Wähler sich gar nicht angesprochen gefühlt haben durch die Politik der CSU. Das gilt insbesondere für die vielen Wähler, die erst in den letzten Jahren nach Bayern gekommen sind - zum Teil eben ostdeutsche Wähler, die aber nicht dann CSU wählen, oder, wenn Sie nach München blicken, 50.000 Wähler mehr als beim letzten Mal - also, es findet eine Bewegung innerhalb der Wählerschaft statt, die von der CSU-Führung anscheinend nicht zur Kenntnis genommen ist.
    Nein, weil sie immer noch ziemlich viele Stimmen bekommen - zumindest für die CSU. Das Problem ist nur: Wo definieren wir die Volkspartei? Wenn ich mal sage: 35 Prozent plus das ist eine Volkspartei - dann ist die SPD ja auch schon keine mehr.
    Hans-Jürgen Bartsch:
    Nur noch fast jeder zweite, wir können das sogar in Zahlen ausdrücken, geht in Bayern überhaupt zur Wahl. Das war vor fünf Jahren nicht anders als gestern. Das Wort von der Politikverdrossenheit, Herr Neugebauer, geistert ja schon seit vielen, vielen Jahren durch die Medien. Was läuft da schlecht für die Volksparteien?

    Gero Neugebauer:
    Da wiederum gibt es einen ganzen Teil von Wählern, die sagen, es ändert sich sowieso nichts durch meine Entscheidung. Das heißt, die sind negativ gestimmt. Andere sagen, es ändert sich ja nichts, dann brauche ich auch nicht zu gehen. Die sind saturiert. Die, die unzufrieden sind und sagen: Die Parteien sind sich zu ähnlich. Da ändert sich nichts. Es ist egal, wen ich wähle, also muss ich gar nicht gehen. Und insofern ist das ein Nachweis einer mangelnden Fähigkeit, Wähler zu integrieren und Wählerinteressen so breit tatsächlich zu repräsentieren, dass sich viele angesprochen fühlen.

    Hans-Jürgen Bartsch:
    Und das alles hat ja durchaus Auswirkungen auf Berlin. Seit Angela Merkel Kanzlerin ist, haben CDU und jetzt auch die CSU bei zehn Landtagswahlen richtig Federn gelassen. Wie spurlos geht so etwas an der Kanzlerin vorbei?

    Gero Neugebauer:
    Die Kanzlerin ist ja in der Lage, keine Regungen zu zeigen - außer gelegentlich einmal. Ich denke, dass sie das zumindest irritieren muss. Ich pflege in der Hinsicht immer die Meinung, dass die Union da den ersten Fehler begangen hat, als sie ihr schlechtes Ergebnis von 2005 nicht ausreichend analysiert hat, dass sie dann angefangen hat in einer Art Reaktion, wir müssen mehr Wähler aus der Mitte holen, sozialdemokratische Politikfelder zu besetzen, insbesondere die Familienpolitik. Dann muss die Kanzlerin natürlich auch darauf achten, dass sie sagt: Ja was sind denn eigentlich sozialdemokratische und was sind christdemokratische Themen? Wir wissen ja, dass viele konservative Wähler nicht zufrieden sind mit dem Kurs der Union, dass der Wirtschaftsflügel nicht zufrieden ist mit dem Kurs der Kanzlerin. Das schärfste Instrument, das sie hat, ist, mit dem Verlust der Macht zu drohen. Und das ist eine Peitsche, die viele christdemokratische Wähler dann doch veranlasst, wieder Union zu wählen.

    Hans-Jürgen Bartsch:
    Jetzt befindet sie sich ja in der Koalition mit der SPD. Auch die hat sich gestern vor unseren Kameras und Mikrophonen gefreut, weil die CSU so stark eingebrochen ist. Aber was ist denn mit ihr los. Das schlechteste Ergebnis überhaupt in Bayern. Kann man da noch - Sie haben es eben versucht zu definieren - noch von Volkspartei sprechen bei 18 Prozent etwa?
    Gero Neugebauer:
    Also, man kann nicht von einer Volkspartei sprechen. Ich halte den Gebrauch des Wortes Volkspartei durch die großen Parteien ohnehin eher als Versuch einer zweifelhaften Legitimation. Bei der SPD kann man deshalb nicht davon sprechen, weil sie in der Tat bei dem Wahlergebnis gewiss noch Teile der bayerischen Bevölkerung oder des bayerischen Wahlvolkes repräsentiert, aber nicht so breit in allen Schichten - keine Ergebnisse beispielsweise in der Landwirtschaft -, dass sie wirklich nicht sagen kann: Ich bin eine Volkspartei, die für alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen und nach so vielen Jahren der Opposition keine Partei, die großen Optimismus ausstrahlt.

    Hans-Jürgen Bartsch:
    Da gibt es mittlerweile ja ein ganz anderes Beispiel. Was sagt uns das denn, wenn eine solche Wählervereinigung wie die Freien Wähler - das ist ja gar keine richtige Partei im klassischen Sinne - derart großen Zuspruch erlangt. Was verspricht sich der Bürger davon im Gegensatz zu den Etablierten?

    Gero Neugebauer:
    Dass er in seiner Politik Bürgernähe praktiziert - das ist einer der zentralen Vorwürfe hier an die CSU, dass sie mit ihrem Rauchverbot und anderen Sachen einfach vom Bürger weggerückt sei und dessen Bedürfnisse nicht mehr kenne -, dass das keine politische Klasse ist, die abgehoben lebt, die nicht mehr weiß, wie die Bevölkerung denkt und handelt. Und ich meine schon, wenn eine solche Wählervereinigung auf Landesebene einen solchen Zuspruch bekommt, dann ist das einerseits ein Zeichen dafür, die anderen konkurrierenden Parteien fangen nur wenig von dem Protest gegen die Regierungspartei auf, und zum anderen sind sie auch nicht in der Lage, diese Gefühle, diese Interessen auszudrücken, die in der Wählervereinigung ausgedrückt werden.

    Hans-Jürgen Bartsch:
    Nun beobachten wir alle schon seit geraumer Zeit in den anderen Bundesländern, dass so sehr der Stern der Großen untergeht gleichzeitig der junger oder neuer Parteien aufsteigt. Was will die Wählerin und der Wähler damit sagen?

    Gero Neugebauer:
    Die Gesellschaft wandelt sich. Die Leute gehören unterschiedlichen Milieus an. Ihre Interessen wandeln sich. Viele verzichten auf die Parteien als Vertreter ihrer politischen Interessen. Sie engagieren sich eher in Bürgerinitiativen oder engagieren sich gar nicht, sagen, sie kommen selbst durch. Das heißt, die Parteien sind mit ihren Organisationsformen noch einer Zeit verhaftet, wo es relativ leicht war, große Mitgliedermassen zu repräsentieren. Heute sind trotz des immer noch vorhandenen politischen Interesses immer weniger Leute bereit, in Parteien einzutreten. Die Parteien müssen sich daran gewöhnen, Projekte anzubieten, Schnuppermitgliedschaften, was ja manche auch schon tun, oder andere Formen der politischen Partizipation, das heißt, das Interesse an Politik lenken in Bahnen, in denen die Parteien eine Rolle spielen, in denen sie es aber nicht dominieren.