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"Volksvernichtung" am Wiener Akademietheater
Bloß hässliche Menschen und Puppen

In Werner Schwabs „Fäkaliendramen“ behaupten sich hässliche Menschen nur mittels der Sprache in ansonsten recht gewalttätigen Spiel-Sujets. 25 Jahre nach seinem Tod wird der Dramatiker von verschiedenen Theatern wiederentdeckt - nicht immer mit gleichmäßigem Erfolg.

Von Michael Laages |
    Eine lebensgroße Puppe in einer roten Bluse, aus dem Stück Volksvernichtung , liegt auf einem Sofa und wird von einer Schauspielerin bespielt.
    "Volksvernichtung" oder "Meine Leber ist sinnlos" von Werner Schwab in Wien aufgeführt (Reinhard Werner/Burgtheater )
    Wie prächtig sich damals doch streiten ließ mit Verehrerinnen und Verehrern, Verächtern und Verächterinnen all dessen, was zum phänomenalen Hype um den Theater-Senkrechtstarter aus Graz gehörte. Vor allem diese ungeheuerliche Bühnensprache, die Werner Schwab - quasi die "neue Stimme Österreichs" - ja praktisch erfunden hatte: das "Schwabische", die "Sprachsprache", den "gesprochenen Spuk", wie der Autor selber die Wortkaskaden charakterisierte, die die plötzlich all überall gespielten Stücke von ihm prägten.

    "Das Leben ist lebenswert, weil es lebensförmig ist - und aus!"

    Vor allem Schauspielerinnen und Schauspieler waren Feuer und Flamme für diese Wort-Gewalt, in den Texten schien sich der Mensch an sich oft wie neu zu erfinden, in einer Art magischem Raum, einem Steinbruch von Syntax und Grammatik. Und getrieben wurden Schwabs Sprech-Maschinen von einer Art Rausch, vom Sog der Worte und Sätze, der ins Delirium führte. Inhaltlich war noch über etwas anderes zu streiten, weniger mit dem Personal auf der Bühne als mit den Regisseurinnen und Regisseuren: über Fragen von Realismus und Zerrbild, sprach hier das Unterbewusste des Volkskollektivs?

    "Ein einzelner Mensch muss solidarisch. Die Gemeinschaft ist der Sinn des Lebens."
    Wiederbelebung leider erfolglos
    Wie groß war die Verführung zur Karikatur? Nicht umsonst war zur Schwab-Zeit auch der grandios bösartige Zeichner Manfred Deix sozusagen "in Mode". An all das muss erinnert werden, um die beträchtliche Enttäuschung ermessen zu können angesichts der aktuellen Schwab-Beschwörung von Nikolaus Habjan, obwohl gerade er als Puppenspieler beste Voraussetzungen mitgebracht hat für eine Theater-Übung in "Neu-Schwabisch". Habjans Kreaturen, meist Oberkörper mit Klappmaul-Köpfen obendrauf sowie gut sichtbar von Spielern (hier Spielerinnen) geführt, schaffen Nähe und Distanz zugleich. Sie agieren wie Karikaturen, während die Schauspielerinnen dahinter "schwabisch" sprechen. Nur die Überfigur in der "Volksvernichtung", die mörderische Witwe Grollfeuer, die eine ganze widerwärtige Hausgemeinschaft einlädt zum Vergiftet-Werden, darf hier ein richtiger Mensch sein. Also ein richtiger Unmensch.
    Und trotz dieser ambitionierten Konstellation rauscht Schwabs Stück praktisch wirkungs- und berührungslos vorbei, wie ein Klassiker halt. Warum? Weil Habjan als Regisseur nicht die Spur von Gespür entwickelt für die Notwendigkeiten von Schwabs Spezial-Sprache im Wiener Akademietheater, wird so unerhört ordentlich und brav gesprochen, ja beinahe rezitiert, als wär’s ein Stück von Schnitzler oder Hofmannsthal. Nirgends die Ahnung von Sog, kein Rausch ist in Hörweite, keinerlei Delirium. Stattdessen beginnen Alexandra Henkel, Sarah Viktoria Frick und Dorothe Hartinger hinter den Puppen, ja sogar Barbara Petritsch als finster-wütige Volksvernichterin, den Worten und den Sätzen hinterher zu lauschen und die staunende Kundschaft muss feststellen, wie hohl und harmlos viele dieser sprachlichen Provokationen gestrickt, ja geradezu gehäkelt sind. Wut? Hass? Verachtung und Vernichtung? Nix da. Die Familien im Hause der Witwe mögen zwar den generell sehr vulgären Wortschatz detailliert ausbreiten im Gezeter um Eltern und Töchter, eine armselige Mutter und den verwirrt-verwüstet-verkrüppelten Sohn und Künstler Herrmann Wurm.

    "Aber Mama! Mein Bild versinkt ja ganz in seinen finsteren Farben, wenn ich in meinem Innenleben kein freundliches Feuer anzünde."
    Ein Schwab mit stumpfen Zähnen
    Über ein eher lustloses Kaffeekränzchen aber kommen sie nirgends und nie hinaus. Da ist kein Leiden und kein Lachen, und neben den Puppen wecken nur Jakob Brossmanns Bühne und die Kostüme von Cedric Mpaka echtes Interesse, weil die Spieler starke optische Kontraste bilden zu den wie hingefetzt wirkenden Puppen, und weil im einfachen Zwei-Etagen-Bau die Witwe oben und die Familien nicht nur unten, sondern auch in einer durchsichtigen Blase leben, in der Frau Grollfeuer sozusagen "die Luft ausschalten" kann. Das ist ein fast zu gutes Bild, denn auch dem Dramatiker Schwab ist hier alle Luft zum wilden, wüsten Atmen, Schreien und Alpträumen genommen. So gründlich wurde lange keine Chance vertan.