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Volkswirt warnt EU-Länder vor übermäßigem Sparen

Nicht sparen, bis nationale Konjunkturen vollends abgewürgt sind - Klaus Busch empfiehlt dem Euroraum stattdessen einen vierfachen Krisenbekämpfungsansatz - damit die Euro-Skepsis nicht weiter wächst.

    Jasper Barenberg: Überrascht hat dieser Schritt niemand. Seit Monaten schon streuen Händler und Analysten an den Finanzmärkten Zweifel, ob Portugal seine hohen Schulden alleine wird schultern können. Zuletzt ist darüber auch der Ministerpräsident gestrauchelt, ein Sparpaket seiner Minderheitsregierung hat die Opposition im Parlament von Lissabon vor gut zwei Wochen durchfallen lassen. Socrates ist daraufhin zurückgetreten und ist seither nur noch geschäftsführend im Amt.
    "Die hätten schon viel früher Hilfe beantragen sollen!" Derart ungehalten reagierte heute Schwedens Finanzminister Anders Borg auf die Entscheidung von Lissabon. Und weiter: "Sie hat sich selbst und hat auch Europa in eine sehr schwierige Lage gebracht." Die EU-Kommission dagegen begrüßt den Antrag aus Portugal, allen voran Kommissionspräsident Barroso, einst selbst Regierungschef in Lissabon. Und auch andere Beteiligte scheinen gewillt, Portugal möglichst rasch zu helfen.
    Was Portugal an Einschnitten auf Druck von EU und vom Internationalen Währungsfonds möglicherweise noch vor sich hat, in Griechenland müssen die Menschen schon heute damit zurechtkommen. Gegen den rigiden Sparkurs der Regierung demonstrieren beispielsweise ab heute Journalisten in Athen und damit auch gegen Stellenstreichungen. Fernseh- und Radionachrichten sollen nicht ausgestrahlt, die Internet-Seiten von Zeitungen nicht mehr aktualisiert werden. Hilfskredite in Höhe von 110 Milliarden Euro hat Griechenland bisher erhalten, die Schuldenkrise ist dadurch aber noch lange nicht überwunden, im Gegenteil.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Klaus Busch, Volkswirtschaftler, ehemaliger Vizepräsident der Universität Osnabrück, im März gerade bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienen eine Studie mit dem Titel "Europa am Scheideweg. Wege aus der Krise". Schönen guten Tag, Herr Busch.

    Klaus Busch: Guten Tag, Herr Jasper Barenberg.

    Barenberg: Herr Busch, die Finanzspritze aus Brüssel, die absehbare für Portugal, in Ihren Augen ein Segen für Portugal oder doch eher ein Fluch?

    Busch: Die Hilfe an sich ist ein Segen, aber die damit verbundenen Sparauflagen sind natürlich als Fluch zu betrachten. Und ich denke, um die Problematik ein bisschen grundsätzlicher zu betrachten, muss man zunächst mal über die Ursachen dieser starken Verschuldung dieser Länder sprechen. Und da haben wir ja in Deutschland auch sehr stark häufig das Vorurteil, dass die Länder über ihre Verhältnisse gelebt hätten, eine laxe Ausgabenpolitik betrieben hätten und jetzt sozusagen dafür büßen müssten durch harte Sparpolitik. Wenn man sich die Entwicklung bis zur Weltwirtschaftskrise 2008 anschaut, 2008/9, dann war es ja im Gegenteil so, dass etwa Spanien und Irland, weil sie ein sehr gutes Wirtschaftswachstum hatten, überdurchschnittlich gespart haben, ihre gesamte Sparschuldenquote überdurchschnittlich zurückführen konnten, und dann zum Eintritt 2007 bessere Daten hatten als Deutschland. Spanien hatte eine Schuldenquote von 36 Prozent, Irland 25, Deutschland hatte 65 Prozent, also wesentlich mehr. Was dann passierte war, dass aufgrund des unverantwortlichen Verhaltens von Banken und Versicherungen die Weltfinanzkrise ausbrach, die Staaten einerseits die Konjunktur stabilisieren mussten, dafür sich verschulden mussten, gleichzeitig Banken und Versicherungen retten mussten, und darüber ist dann die Staatsverschuldung insbesondere in diesen Ländern dramatisch gestiegen. Aber man muss sehen, dass die eigentliche Ursache eben in der Weltwirtschaftskrise und im Verhalten der Weltfinanzmärkte lag. Das ist das Erste, was wir erkennen müssen.
    Wir können auch erkennen, dass es sinnvoll ist, Schulden abzubauen am besten, wenn man ein gutes Wirtschaftswachstum hat. Das hatten Irland und Spanien in dem Jahrzehnt vor der Krise und haben sehr gut Schulden abbauen können.

    Barenberg: Und wenn wir, Herr Busch, nach Deutschland blicken, in der Krise sparen, Sie sagen, das könnte ein Holzweg sein. Ist Deutschland geradezu ein Beispiel dafür, wo wir jetzt gerade erleben, wie wir von den enormen Schulden, die es auch bei uns gibt, herunterkommen, je besser die Wirtschaft läuft, je besser die Wirtschaft brummt?

    Busch: Genau, exakt. Wir stehen ja besser da. Wir standen vor der Krise schlechter da als ein Großteil dieser Länder. Wir stehen jetzt besser da, weil wir sehr gut aus der Krise herausgekommen sind. Wir haben profitiert insbesondere vom Boom in den Schwellenländern, hohes Wirtschaftswachstum, über drei Prozent im letzten Jahr, auch jetzt wird wieder drei Prozent erwartet, und dann ist es leicht: Man generiert höhere Steuereinnahmen und kann dann eben weniger ausgeben und auf diese Art und Weise sparen. Das ist viel, viel leichter für Deutschland im Moment als für diese Länder.
    Umgekehrt in der Krise zu sparen – und das erleben wir jetzt ja bei Griechenland, Irland, Portugal -, verschärft die Problematik. Sie haben jetzt seit Jahren negatives Wirtschaftswachstum, weniger Steuereinnahmen, und die Problematik wird stärker. Und es kommt hinzu, dass sie aufgrund der Sparpolitiken, die ihnen aufoktroyiert werden, ja insbesondere die breite Mehrheit der Bevölkerung zur Kasse bitten - all das ist ja in den Beiträgen eben deutlich geworden -, die breite Mehrheit der Bevölkerung, die nicht verantwortlich ist für diese Krise. Das heißt, die breite Bevölkerung hatte erstens zu leiden unter der Weltwirtschaftskrise, für deren Ursachen sie nicht verantwortlich ist, und hat jetzt zu leiden unter der Bekämpfung der Staatsschulden, für die sie auch nicht ursächlich verantwortlich ist. Das ist im Grunde ein Riesenproblem, was auch nicht gerade, denke ich mal, die Legitimation der Europäischen Union in diesen Ländern steigern wird, weil wir eine große Europa-Skepsis und Europa-Ablehnung in diesen Ländern zunehmend erleben aufgrund dieser Politik.

    Barenberg: Auf der anderen Seite, Herr Busch, haben wir es mit dem Umstand zu tun, dass Länder wie Portugal und Länder wie Griechenland hoffnungslos überschuldet sind.

    Busch: Ja.

    Barenberg: ... , dass viele Ausgaben einfach sonst nicht mehr getätigt werden können. Was ist also die Alternative zur Rückkehr zu einer soliden Haushaltspolitik und damit zum Sparen?

    Busch: Ja, das ist eine schwierige Frage und es bedarf da vieler Schritte. Ich denke zunächst mal, dass wir eine gesamteuropäische Wachstumsstrategie brauchen, einerseits einen europäischen Wachstumsstimulus auf der europäischen Ebene. Wir sollten, insbesondere Deutschland, was ja ein Überschussland ist, was die Leistungsbilanz anbelangt, sollte sozusagen noch mehr versuchen, das binnenwirtschaftliche Wachstum zu stärken, nicht nur auf die Exporte zu setzen, also Löhne zu steigern, im Bereich der staatlichen Dienstleistung mehr zu investieren, Bildung, Gesundheit, um darüber Importe zu generieren aus diesen Ländern, sie darüber ein Stück weit zu entlasten. Und wir müssten mit der Sparpolitik in diesen Ländern aufhören, um dieses Negativwachstum zu vermeiden. Dann ist aber auch nötig – das wäre nur der erste Schritt -, dass wir eine andere wirtschaftspolitische Architektur in der EU brauchen. Wir brauchen eine europäische Wirtschaftsregierung. Im Moment haben wir immer noch nationale Wirtschaftskompetenz in der Fiskalpolitik. Das hat auch zu diesem Problem stark beigetragen. Wir brauchen eine Abstimmung der europäischen Lohnpolitik, weil Deutschland sehr stark durch überdurchschnittliche Moderierung profitiert hat, deswegen hohe Leistungsbilanzüberschüsse hat, die anderen Länder haben da starke Defizite. Das muss durch eine lohnpolitische Koordinierung überwunden werden. Und wir bräuchten auch, glaube ich, andere Regeln für die Finanzierung der Staatsschulden, also auch da mehr europäische Solidarität, Stichwort Euro-Bonds etc. Also ein vierfacher Ansatz, sehr komplex, den ich jetzt nicht im Detail erläutern kann. Das wäre aber, glaube ich, eine gute Grundlage, um den Ländern in alternativer Sicht zu helfen.

    Barenberg: All das Alternativen zum rigiden Sparkurs. Das ist die Meinung von Klaus Busch, dem Volkswirtschaftler, dem ehemaligen Vizepräsidenten der Universität Osnabrück. Herr Busch, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Busch: Ja, ich danke Ihnen, Herr Jasper Barenberg.

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