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Volkswirt zu Sondierung
"Der Katzenjammer kommt dann, wenn der Abschwung kommt"

Der Präsident des Münchner ifo-Instituts Clemens Fuest sieht im Sondierungspapier eine finanzpolitische Weichenstellung zu mehr Staat und höheren Steuern. Dabei hätte man gründlicher auf alte Ausgaben wie die Agrardiesel-Subvention oder Bausparprämien schauen müssen, bevor man neue beschließe, sagte der Volkswirt im Dlf.

Clemens Fuest im Gespräch mit Jessica Sturmberg |
    Der Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (ifo), Clemens Fuest
    Clemens Fuest vom ifo-Institut hätte mehr volkswirtschaftliche Gründlichkeit bei der Verhandlung der Koalitions-Sondierer für angebracht gehalten (dpa)
    Jessica Sturmberg: Wir wollen die Einigung aus wirtschaftspolitischer Sicht einordnen mit dem Präsidenten des Münchner ifo-Instituts, Professor Clemens Fuest, den wir kurz vor der Sendung im Zug erreicht haben. Als erstes haben wir über die Steuer- und Finanzpolitik gesprochen. Da gibt es nun weder die Anhebung des Spitzensteuersatzes, wie ihn die SPD wollte, noch eine große Entlastung, wie sie die Union wollte. Also ein typischer Kompromiss?
    Clemens Fuest: Ja, das ist ein Kompromiss, aber der geht schon in die Richtung, dass wir künftig einen größeren Staatssektor haben und höhere Steuerlasten. Man muss ja sehen: Die Steuereinnahmen steigen seit Jahren schneller als die Wirtschaftsleistung insgesamt. Das heißt, die Steuerquote steigt, und wenn man den Staatssektor konstant hätte halten wollen, den Anteil des Staates am gesamten Kuchen, dann hätte man jetzt Steuern senken müssen. Deshalb ist das hier eine Weichenstellung in Richtung größerer Staat und dadurch natürlich auch höhere Steuern.
    Sturmberg: Für wie problematisch halten Sie das?
    fuest: Das ist eine politische Bewertung letztlich: Wollen wir einen größeren Staat, dann müssen wir auch mehr Steuern zahlen, oder einen kleineren. Was ich problematisch finde ist, dass man sich überhaupt keine Mühe gegeben hat, mal zu fragen, brauchen wir denn all die Staatsausgaben, müssen wir wirklich jetzt jede Menge neue Ausgaben bekommen, ohne alte Ausgaben zu überprüfen. Ich denke, man hätte auch den Aspekt der Ausgabenumschichtung mal untersuchen müssen: Können wir nicht Subventionen abbauen. Da hat man sich überhaupt keine Mühe gegeben, sondern man hat wirklich flächendeckend Geld verteilt. Das ist der typische Fehler, dass man gerade in wirtschaftlich guten Zeiten jede Menge Geld rauswirft. Der Katzenjammer kommt dann, wenn der Abschwung kommt. Das sind klassische Fehler in der Finanzpolitik, die hier wiederholt werden.
    "Wir haben teilweise sogar umweltschädliche Subventionen"
    Sturmberg: Wo würden Sie denn Subventionen streichen? Wo hätten Sie da angefangen?
    Fuest: Wir haben ganz unterschiedliche Subventionen, teilweise sogar umweltschädliche, etwa die Agrardiesel-Subvention. Wir haben Bausparprämien. Wir haben dann im Sozialbereich alle möglichen Leistungen, zum Beispiel die Rente mit 63, bei denen man überlegen muss, brauchen wir das wirklich. Da müsste man häufig dann auch ins Detail gehen. Es gibt in der Regionalförderung Subventionen, die man abbauen könnte, die ihren Zweck nicht erfüllen. Da gibt es eine Menge von Ausgaben, an die man herangehen könnte.
    Sturmberg: Es ist von einem neuen europapolitischen Aufbruch die Rede. Konkret soll mehr Geld für Europa ausgegeben werden. Damit kommt man auch dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron entgegen. Was kann dieses Geld bewirken?
    Fuest: Ja, das ist wieder der gleiche Fehler. Man hätte mal beginnen müssen und sich fragen müssen, was haben wir denn für Geld im EU-Haushalt und wofür geben wir das aus. Da gibt es jede Menge Geld, das für ziemlichen Unsinn ausgegeben wird, etwa bei Mitteln der Regionalpolitik, die in reiche Länder wie Deutschland fließen. Da gibt es viele Projekte, die wirklich entbehrlich sind. Es wäre sinnvoll gewesen, da sind sich die Fachleute auch einig, erst mal im EU-Haushalt Ausgaben umzuwidmen und die effektiver einzusetzen, statt sich jetzt hinzustellen und zu sagen, Deutschland möchte gerne mehr zahlen. Das ist ein unverantwortlicher Umgang mit dem Geld des Steuerzahlers.
    "Vorhandene Ausgaben in bessere Verwendung lenken"
    Sturmberg: Was wäre denn europapolitisch effektiv?
    Fuest: Effektiv wäre es, einmal die vorhandenen Ausgaben zu überprüfen und sie in bessere Verwendung zu lenken. Dann wäre es nötig, sich mit den wirklichen Problemen zu beschäftigen, vor allem mit den Problemen der Eurozone. Wir müssen zusehen, dass die Banken weniger Staatsanleihen halten. Wir müssen zusehen, dass überschuldete Länder saniert werden durch Beteiligung der Gläubiger, nicht dadurch, dass dort alle andere Staaten die Kosten übernehmen. Auch dazu steht in diesem Sondierungspapier nichts.
    Sturmberg: Was aber drinsteht ist, dass man ein gemeinsames deutsch-französisches Zentrum für künstliche Intelligenz plant. Das ist eines der wenigen Projekte, die ich in diesem Sondierungspapier erkennen kann, das wirklich in die Zukunft gerichtet ist. Teilen Sie da meine Ansicht?
    Fuest: Man muss mal sehen, wie das dann aussieht. Das ist keine schlechte Idee, sich mit künstlicher Intelligenz zu beschäftigen. Ob das ein deutsch-französisches Zentrum sein muss, das muss man abwarten.
    Sturmberg: Wenn ich zum Beispiel nach Amerika blicke, da wird in Sachen künstlicher Intelligenz so immens investiert und geforscht, und wir könnten an der Stelle tatsächlich irgendwann abgehängt werden. Ist das nicht eine gute Idee, dem mal was entgegenzuhalten aus Europa?
    Fuest: Die Idee ist nicht schlecht, aber das Ganze ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssten viel massiver und viel professioneller in diesem Bereich investieren. Es reicht nicht, wenn man ein deutsch-französisches Zentrum hier gründet. Das kann ein sinnvoller Start sein, aber man müsste das eigentlich viel größer anlegen.
    Förderung etwa von Spitzenunis wäre wichtiger
    Sturmberg: Vermissen Sie in dieser Hinsicht noch mehr Projekte dieser Art?
    Fuest: Nein! Ich vermisse, dass man systematisch zum Beispiel im EU-Haushalt die Förderung etwa von Spitzenuniversitäten beschließt, die im Bereich Digitalisierung oder künstlicher Intelligenz forschen. Das ist viel wichtiger als die Gründung irgendwelcher neuer Institute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.