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Volkswirt zum Koalitionsvertrag
"Hier wird jetzt viel Geld verteilt, aber der Masterplan fehlt"

Ihm fehle "der große Wurf" in der Renten-, Steuer- und Gesundheitspolitik, stattdessen sehe er einen Schönwetter-Koalitionsvertrag, sagte Malcolm Schauf, Präsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte im Dlf. Lang erwartete Maßnahmen wie eine Steuerreform fehlten, ebenso Aussagen, was das alles koste.

Malcolm Schauf im Gespräch mit Peter Sawicki |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer (r) und der kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz unterzeichnen im Paul-Löbe-Haus den Koalitionsvertrag.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer (r) und der kommissarische SPD-Vorsitzende bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags (dpa/picture alliance / Bernd Von Jutrczenka)
    Peter Sawicki: Es fehlt der große Wurf, heißt es als Grundsatzkritik immer wieder, unter anderem in der Wirtschaft. Wie hätte so ein großer Wurf aber aussehen können? Das haben wir vor der Sendung den Ökonomen Malcolm Schauf gefragt. Er ist Präsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte. Die erste Frage war, welche Ideen er eingebracht hätte, wenn er mit am Tisch gesessen hätte.
    Malcolm Schauf: Das ist sehr schwierig zu beantworten, weil eigentlich natürlich der ganz große Wurf fehlt. Aber das war vorher schon klar.
    "Was das alles kostet, steht da natürlich nicht drin"
    Sawicki: Was fehlt Ihnen konkret?
    Schauf: Rentenpolitik, Steuerpolitik, natürlich Gesundheitspolitik. Hier hätte man sich wirklich mal einen großen Wurf gewünscht. Aber dass es den natürlich in einer Fortsetzung der Großen Koalition nicht geben würde, war von vornherein klar. Das heißt, wenn man am Tisch gesessen hätte, dann hätte man sich, sagen wir mal, im Kleinen ein bisschen mehr gewünscht. Das heißt vor allem Konkretes. Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, dann sind sehr, sehr viele allgemeine Aussagen da: Ja, wir wollen. In der Regel, wenn man das mal liest, steht da drin, wir wollen alles fortführen, fortführen, verbessern. Aber was wirklich Großes wird da nicht gemacht. Und vor allem bleibt ja die Vereinbarung, letztlich auch die Finanzierung schuldig. Es sind sehr, sehr viele Aussagen darin, was man alles vorhat, aber was das alles kostet, das steht da natürlich nicht drin.
    "Aber was ist, wenn es mal regnet"
    Sawicki: Nun steht ja auch relativ viel Geld zur Verfügung, mehr als in den letzten Jahren, als bei den anderen Koalitionen zuvor, das man zusätzlich ausgeben könnte. Da ist ja durchaus Spielraum vorhanden.
    Schauf: Ja, gut. Fragen Sie da mal eine schwäbische Hausfrau. Die würde sagen, na ja, man braucht auch mal für schlechte Zeiten ein bisschen Geld. Und das ist ja auch ein Problem, das viele Volkswirte kritisiert haben, der Kollege Hüther beispielsweise, dass die Regierung davon ausgeht, dass es weiterhin so gut läuft, und das wird definitiv nicht der Fall sein. Wir müssen uns Sorgen machen über die Produktivität in Deutschland. Wir fallen zurück, das heißt, international, und darauf gibt es überhaupt keine Antworten. Das heißt, das ist eigentlich ein Koalitionsvertrag, ein Schönwetter-Koalitionsvertrag. Aber was ist, wenn es mal regnet, und die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, und darauf gibt es keinerlei Antworten.
    "Die Summe macht Unternehmen weniger flexibel"
    Sawicki: Was für Antworten ganz konkret hätten Sie sich im Hinblick darauf jetzt, wenn wir auf die Wirtschaft mal schauen, auf die Produktivität, was hätten Sie sich da gewünscht?
    Schauf: Gut, da muss man sich überlegen, wo man ansetzt. Keine Regierung kann die Produktivität mal eben so erhöhen, aber natürlich indirekt durch Rahmenbedingungen, durch technologischen Fortschritt und effektiveren Einsatz von Arbeit und Kapital, und da gibt es natürlich schon einige Einschränkungen, die die Unternehmen in ihrer Flexibilität auch einschränken. Zeitarbeit wurde ja schon eingeschränkt, die sachgrundlose Befristung soll jetzt dran sein. Die Summe macht Unternehmen weniger flexibel und insbesondere den Produktionsfaktor Arbeit, und das scheint der Koalition überhaupt nicht klar zu sein. Hier wird jetzt viel Geld verteilt, eigentlich fast mit der Gießkanne, aber der Masterplan fehlt.
    "Es gibt keinen Fortschritt, sondern nur Rückschritte"
    Sawicki: Noch einmal: Was hätte drinstehen müssen als großer Wurf? Wo hätten Sie da den großen Wurf gesehen?
    Schauf: Sagen wir mal so: Es gibt nicht mal einen großen Wurf, es gibt keinen Fortschritt, sondern nur Rückschritte. Das heißt, es wäre schon schön gewesen, wenn man hier Arbeit nicht zusätzlich weniger flexibel gestalten würde. Hier würde man sich eigentlich noch mehr Flexibilität wünschen. Die Unternehmenssteuern, darüber muss man auch nachdenken im internationalen Konkurrenzkampf der Länder. Schauen Sie sich mal Trump an. Unternehmenssteuern mal eben zu senken, das wird sich auf Europa auswirken. Das heißt, auch hier hätte man sich was gewünscht, eine Steuerreform, auf die wir alle eigentlich schon lange, lange warten. Das sind die Punkte. Technologieförderung wird zwar erwähnt im Koalitionsvertrag, aber alles mehr im Sinne von ja, weiter so, ein bisschen Ausbau, und natürlich die Unternehmenssteuern zu senken. Nur das ist nicht populär.
    "Mehr als Absichtserklärungen kann ich da nicht erkennen"
    Sawicki: Wenn wir mal auf die technologischen Rahmenbedingungen schauen, auf die Digitalisierung, da sagt ja zum Beispiel der Digitalverband Bitkom, das ist ein durchaus großer Schritt nach vorne, und es sind ja auch immerhin 15 Seiten im Koalitionsvertrag allein diesem Thema gewidmet. Dass die Koalition da nichts tun wird oder nichts tun möchte, das kann man der ja nicht vorwerfen.
    Schauf: Nein! Ich glaube, das hat die Koalition erkannt, dass wir hier sehr, sehr viel Nachholbedarf haben international, sogar auch gegen osteuropäischen Ländern. Aber mehr als Absichtserklärungen kann ich da nicht erkennen. Und da muss man sich auch überlegen: So eine Digitalisierung – nehmen wir mal den plakativen Begriff -, die kann ich ja als Regierung nicht mal eben so umsetzen in allen Bereichen. Das ist ein sehr, sehr langfristiger interdependenter Prozess. Das heißt, hier greifen ganz viele Faktoren zusammen. Aber wo wird konkret gesagt, da werden wir was tun? – Dann wird ja auch gesagt: Gut, das muss über einen Fonds gehen beispielsweise. Wie das alles genau ausgestaltet werden soll, ist eigentlich nicht klar. Es gibt zwar Vorschläge, es ist umschrieben, aber es sind alles allgemeine Aussagen.
    Sawicki: Trotzdem muss ja erst mal eine Grundlage geschaffen werden, bevor dann größere Schritte folgen.
    Schauf: Ja.
    "Ich habe die Befürchtung, dass das sehr viel heiße Luft ist"
    Sawicki: Ist nicht weniger manchmal auch mehr?
    Schauf: Ja, natürlich. Man kann nicht erwarten, dass hier in einer Vereinbarung schon jedes Detail geklärt ist. Ohne Frage. Und selbstverständlich, da gebe ich Ihnen recht, ist es besser, dass man das Problem erkannt hat, als wenn man jetzt sagen würde, ach ja, das ist so eine kleine Geschichte. Das ist natürlich richtig, wobei ich befürchte, dass das, wenn man mal schaut, wie waren die bisherigen Vereinbarungen oder die Koalitionsverträge, was wurde tatsächlich umgesetzt. Insofern habe ich da die Befürchtung, dass das sehr viel heiße Luft ist.
    "Angela Merkel kann immer wieder überraschen"
    Sawicki: Was glauben Sie, wie stabil wird diese Regierung sein? Denn es wird ja auch schon darüber spekuliert, dass in zwei Jahren das Ganze wieder zur Debatte stehen könnte, die Koalition an sich? Könnte es sein, dass die gar nicht vier Jahre oder weniger hält?
    Schauf: Das wäre denkbar. Aber andererseits: Ich glaube, dass Angela Merkel immer wieder überraschen kann. Ich hätte nie gedacht, dass sie so einen Machterhalt-Willen eigentlich hat. Insofern hätte ich auch nicht mal gedacht, dass hier die Große Koalition zustande kommt. Insofern weiß ich nicht. Ich glaube, das hängt davon ab, wie machthungrig Angela Merkel weiterhin sein wird, wie stark die Unterstützung in ihrer Partei sein wird. Ich glaube, davon wird es abhängen.
    Sawicki: Also ist es auf Merkel ausgerichtet aus Ihrer Sicht?
    Schauf: Ja! Das glaube ich auf jeden Fall. Solange ihre Gefolgsleute hinter ihr stehen, zumindest nach außen, glaube ich, kann sie es schaffen. Aber sagen wir mal so: Im Vergleich zu früher ist die Wahrscheinlichkeit schon höher, dass das diesmal keine gesamte Legislaturperiode wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.