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Voll Grass!

Dem Günter Grass, der vor Ostern mit letzter Tinte ein großes Prosa-Ei gelegt hat, schenkt Thomas Pigor reinen Reim ein.

    Thomas Pigor ist ein deutscher Kabarettist, Liedermacher, Buchautor und Komponist. Pigor ist seit Ende der 1970er-Jahre als Musikkabarettist mit verschiedenen Bühnenprogrammen unterwegs. Seine Texte beziehen sich vorzugsweise auf aktuelle Ereignisse und er gilt als einer der Erneuerer des deutschen Chansons.

    Kritiken belegen, dass er das angestaubte Chansongenre frisch gemacht hat und beweist, dass Kleinkunst mitnichten zweite Wahl sein muss. Er ist die eine Hälfte des Duos "Pigor singt" - "Benedikt Eichhorn muss begleiten". Für ihre "Großstadtsongs des ausgehenden Jahrhunderts" erhielten die beiden den deutschen Kleinkunstpreis. Zum Jahresende 2010 waren sie dann auch die Gewinner des ersten "Deutschen Chanson-Preises". Ihr Erfolgsrezept: "Bei uns", sagt Pigor, "hat nicht die Melodie Vorrang, sondern die Logik der Sprache."


    Grassgedicht
    Text u. Musik: Thomas Pigor
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    Ostern 2012 - nasskalt
    Ein Tiefdruckgebiet nach dem andern
    Vor dem Osterspaziergang sagt mancher: "Halt!
    Was für ein Blödsinn in der Kälte rumzuwandern!"
    Auch das Fernsehprogramm reisst es wirklich nicht
    Die Erlösung bringt uns ein Gedicht

    Mit dem Gedicht von Günther Grass
    Macht Ostern wieder richtig Spass
    Ostern ham ja alle frei
    Und Lust auf eine Keilerei
    An den Osterhasen glaubt sowieso keiner mehr
    Darum ist Ostern für viele ziemlich inhaltsleer
    Doch die eierlose Zeit ist jetzt vorbei
    Günther Grass legt uns ein riesengroßes Ei

    Ein Gedicht das ist gut, denn ein Gedicht ist nicht lang
    "Warum schweige ich" - Wow! Was für ein Anfang!
    Und erst die Überschrift, Boah! "Was gesagt werden muss"
    Dann ein Schuss Holocaust-Pathos in den Duktus
    "Mit letzter Tinte" Voll Grass! Dieser Halbsatz
    Hat praktisch jetzt schon seinen Platz im Zitatenschatz
    Dann mit der Antiantisemitismuskeule drohn
    Und fertig ist die Provokation!

    Mit dem Gedicht von Günther Grass
    Macht Ostern wieder richtig Spass
    Da hat er wieder was riskiert
    Und alle mächtig provoziert
    Der alte Grass setzt sich voll in die Nesseln
    Das treibt die Ostereiersucher aus den Sesseln
    Und die schießen aus vollen Rohrn
    Und haun ihm seine Lyrik um die Ohrn

    Henryk Broder steigt drauf ein mit großem Tamtam
    Und geht wie immer pfeilgrade ad personam
    Es schreibt Hochhuth der versierte Profimoralist:
    "Du bist geblieben, was du freiwillig geworden bist1"
    Es äußern sich auch Klarsfeld und Westerwelle
    Und jeder drittklassige Fernsehintellektuelle
    Gibt mit Empörung seinen Senf dazu
    Und Ruprecht Polenz den Senf der CDU

    Und der Biermann zerfreundet seine Freundschaft
    Und schreibt Prosa sei das und stümperhaft
    Und der Innenminister Jischai von der Schas-Partei
    Legt in Israel ein innerisraelisches Ei
    Und fordert im Fernsehen vehement
    Dass man dem Grass den Nobelpreis aberkennt
    Und erklärt ihn zur unerwünschten Person
    Avi Primor bezieht zwar dagegen Position
    Aber einig ist sich fast das ganze Feuilleton:
    Grass ist 84. Und die Definition
    Von antisemitisch wird durchdekliniert
    Weil die Atomproblematik viel zu kompliziert
    Ist und sich keiner auch nur ansatzweise auskennt
    Doch in Befindlichkeit sind alle kompetent

    Und Ahmadinedschad applaudiert Grass laut
    Weil sich ihm niemand das Wort "Maulheld" übersetzen traut

    Mit dem Gedicht von Günther Grass
    Macht Ostern wieder richtig Spass
    Was soll man sonst an Feiertagen
    Tun, als aufeinander einzuschlagen
    Alle zetern und spritzen Gift und Galle
    Endlich ham wir wieder mal Osterkrawalle
    Und der Osterhase war und alle wissen es
    Als Karnickel bei der Waffen-SS

    Mit dem Gedicht von Günther Grass
    Macht Ostern wieder richtig Spass
    Nur hat sich Günther Grass verschätzt
    Sein Thema hat er nicht gesetzt
    Dafür kann er mal sehn, was ein Gedicht anrichtet
    Ihm die Öffentlichkeit als Gericht andichtet
    Und wir Zuschauer kommn auf unsre Kosten
    Und spürn an Ostern einen Hauch von Nahem Osten