Ob Sozialismus, Kommunismus oder Anarchismus, die drei großen gedanklichen Linien der Linken seit dem 19. Jahrhundert spielen heute weder als Weltanschauung noch als Utopie eine große Rolle. Der Anarchismus besitzt von den genannten dreien zudem wohl die geringste Zahl an Anhängern und wurde konkret höchstens kurze Zeit während der Pariser Kommune nach dem 1871 verlorenen deutsch-französischen Krieg in eine bescheidene Praxis umgesetzt. Gibt es daher irgend einen Grund, sich des Anarchismus auch anlässlich des 200. Geburtstags seines Begründers, Pierre Joseph Proudhon zu erinnern? Könnte das daran liegen, dass die Mehrheit der Menschen ihr Leben so empfindet, wie es die beiden Autoren Hans-Jürgen Degen und Jochen Knoblauch als Ausgangslage für ihre Einführung in den Anarchismus schildern?
"Die Menschen leben mehr und mehr in Unsicherheit um ihre soziale Existenz; sie sind verunsichert durch die Widersprüche ihres manipulierten Alltags; die Zuschüttung ihrer wirklichen Bedürfnisse und deren Ersetzung durch Pseudobedürfnisse sind Elemente ihrer Abrichtung als Ware in der kapitalistischen Warengesellschaft. Die Erduldung dieser Verhältnisse ist ein Fixpunkt der Selbstentfremdung."
Doch eine solche Gegenwartsdiagnose entspricht wohl eher dem Weltbild des 19. Jahrhunderts, haben die Menschen längst gelernt, dass wahre Bedürfnisse rar gesät und eher schwer zu finden sind, dass sich die Menschen zudem manchmal gerne manipulieren lassen, dass man überhaupt nur entfremdet wäre, wenn man sagen könnte, was richtiges Leben heißt. So mancher wird das künstlich zivilisierte dem natürlich richtigen Leben sogar vorziehen. Wenn Anarchisten solche Leute für verrückt erklären, müssen sie sich über ablehnende Reaktionen auf ihre Leitbilder nicht wundern. Nein, die Lebensumstände seit dem 19. Jahrhundert haben sich genauso geändert wie deren Einschätzung. So bemerken Degen / Knoblauch durchaus:
"Die klassischen Adressaten des Anarchismus: Industrieproletariat, Handwerker, Kleinbauern und Landarbeiter sind nicht mehr existent. Ihnen sind - in den entwickelten kapitalistischen Staaten - 'proletarisierte' Angestellte, Mittelständler und Akademiker gefolgt: In der Regel stehen diese in abhängigen Arbeitsverhältnissen - Lohnabhängige, in ihrer überwältigenden Mehrheit ohne jegliches Klassenbewusstsein, domestiziert zu Sklaven des kapitalistischen Marktes."
Was darf man mit Sklaven alles tun, um sie zu befreien, wenn sie gar nicht befreit werden wollen? Nun, man muss sie umerziehen, was sich eigentlich als Markenzeichen kommunistischer Regime präsentiert. Der Anarchismus dagegen möchte die Herrschaft der Menschen über Menschen abbauen, möchte eine herrschaftslose Gesellschaft, in der vor allem staatliche autoritäre Zwangsordnungen beseitigt sind.
Die beiden Autoren der Einführung in den Anarchismus bekennen sich zu ihrem eigenen ideologischen Blick und beklagen, dass es keine allgemeine Definition des Anarchismus gibt. Warten sie etwa auf eine Autorität, die den Menschen die Definition vorschreibt? Dann hätten sie den Anarchismus gründlich missverstanden. Prompt finden Degen / Knoblauch denn auch einen harten Kern des Anarchismus:
"Bei alledem gibt es dennoch - und dies ist nicht subjektiv gesehen - für Anarchisten verbindliche Attribute. Hauptsächlich: Anti-Autoritarismus, Anti-Staatlichkeit, Anti-Zentralismus, Anti-Kapitalismus, Anti-Militarismus, Anti-Patriarchismus, Anti-Rassismus, Anti-Sexismus."
Da drängt sich die Frage auf: Besitzt der Anarchismus auch positive Bestimmungen? Machen ihn heute höchstens negative noch interessant? Was wollte der Begründer, Pierre Joseph Proudhon, mit dem Anarchismus?
Er war nicht gerade der erste mit der folgenden provokanten These, die er 1840 formuliert:
"Was ist Eigentum? (. .) Eigentum ist Diebstahl."
Karl Marx erklärt diese These für naiv, sei das Eigentum doch das Resultat einer sozialen Entwicklung und eines Rechtssystems, das Eigentum als rechtens deklariert.
Doch so hatte Proudhon seine berühmteste These gar nicht gemeint. Er erkannte vielmehr bereits vor Marx, dass allein die Arbeit Reichtum schafft, nicht Grund und Boden und nicht das eingesetzte Kapital. Aber gehören dem Arbeiter die Früchte seiner Arbeit? Proudhon schreibt 1840:
"Wer arbeitet, wird Eigentümer: Diese Tatsache lässt sich in den heutigen Grundsätzen der Nationalökonomie und der Rechtswissenschaft nicht leugnen. Und wenn ich Eigentümer sage, so verstehe ich darunter nicht nur, wie unsere heuchlerischen Nationalökonomen, Eigentümer seines Gehalts, seiner Besoldung, seines Lohnes; sondern Eigentümer des Werts, den er geschaffen hat und aus dem allein der Herr Nutzen zieht."
Marx wird später einen Mehrwert diagnostizieren, den nicht der Arbeiter bekommt, der diesen Mehrwert erzeugt, sondern den der Kapitalist behält. Proudhon gelingt es dadurch nachzuweisen, dass das moderne Eigentum gerade nicht auf eigener Arbeit beruht, sondern auf der Aneignung fremder Arbeit. Die Vordenker des Liberalismus aber erklärten das Eigentum als Ergebnis eigener Arbeit. Wenn man das ernst nimmt, dann erweist sich das moderne Eigentum weitgehend als Diebstahl. Sowenig wie der Liberalismus lehnt Proudhon indes das Eigentum als solches ab. Jedoch fordert er eine gerechtere Güterverteilung. Durch eine autoritäre Revolution von oben, beispielsweise durch Verstaatlichungen, lässt sich die soziale Frage indes nicht lösen.
So wurde er ein Gegner von Marx und Engels, aber genauso eines entfesselten Frühkapitalismus und eines autoritären Staates. Dabei fordert er weniger eine schlichte An-Archie, also eine Herrschaftslosigkeit. Stattdessen propagiert er dezentrale und föderalistische Strukturen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. So schreibt er 1864 in einem Brief:
"Die Anarchie ist (. .) eine Regierungsform oder Verfassung, in welcher das öffentliche und private Gewissen, gebildet durch die Entwicklung von Wissenschaft und Recht, allein zur Erhaltung der Ordnung und Sicherung aller Freiheiten genügt, in welcher als das Autoritätsprinzip, die polizeilichen Einrichtungen, die Vorbeugungs- und Repressionsmittel, der Funktionarismus, die Steuern usw. auf das einfachste beschränkt sind, in welcher noch viel mehr die monarchistischen Formen, die hohe Zentralisation - durch föderative Einrichtungen und kommunale Gebräuche ersetzt - verschwinden."
Seit dem Staatsstreich 1851 regiert im zentralistischen Frankreich Napoleon III., dessen Herrschaft erst der deutsch-französische Krieg 1870-71 beendet, den ja Proudhon nicht mehr erlebte. Wenn er also von Anarchie spricht, dann geht es ihm um die Freiheit des Individuums, das sich weder vom Staat, noch von der Kirche aber auch nicht von einer kapitalistischen Ökonomie bevormunden lassen muss. Ein dezentraler, primär auf Verwaltung ausgerichteter Rechtsstaat ist durchaus im Sinne von Proudhon und bringt ihn in die Nähe des Liberalismus, wird denn gut 100 Jahre später der hartgesottene Neoliberale Robert Nozick selber gewisse Affinitäten zum Anarchismus bemerken. Doch nach Proudhon, darf der Anarchismus vor allem auf dem sozialen Auge nicht blind sein. Er schreibt:
"Wenn durch die Lösung der ökonomischen Probleme zwischen den sozialen und den individuellen Interessen Gleichgewicht bestehen wird, dann werden wir uns augenscheinlich nach dem Verschwinden jedes Zwangs in voller Freiheit oder Anarchie befinden."
Mit seinem antiautoritären und antizentralistischen, weniger antistaatlichen Zug und seiner sozialen Ader stellt der Anarchismus heute einen Fluchtpunkt für die Punk-Bewegung und die einen oder anderen Autonomen dar, die sich ja auch der schwarzen anarchistischen Fahne bedienen, stellen auch Degen / Knoblauch aktuelle Bezüge her, gewinnt deren Einführung nach einem ideologisch stürmischen Anfang im weiteren doch an Objektivität dazu. Aber Proudhon war gegen gewalttätige soziale Auseinandersetzungen, ironischerweise nicht gegen den Krieg. Spätere Anarchisten neigten gar zur terroristischen Tat, genauer zum Attentat und verdarben dem Anarchismus den Ruf. Andere organisierten sich gewerkschaftlich, woraus der Anarcho-Syndikalismus entstand, der vor allem im spanischen Bürgerkrieg in den dreißiger Jahren eine Rolle spielte. Obwohl Proudhon während der Revolution von 1848 zum Arbeiterführer avancierte, war er weder ein Freund der Gewerkschaften noch des Streiks. Ähnlich wie die Frühsozialisten denkt er sich vielmehr die eine oder andere alternative Produktionsform aus, ohne diese aber in die Tat umsetzen zu können. Man könnte ihn daher als Vordenker der grünen Alternativ-Bewegung der achtziger Jahre bezeichnen.
Vor allem aber hinsichtlich des Absterbens jenes damals zumeist noch monarchistisch strukturierten Machtstaates, der von seinen Bürgern andachtsvolle Bewunderung, ergebene Untertänigkeit und selbstlose Opferbereitschaft fordert, wird Proudhon allerdings erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bestätigt werden. Mag der moderne Überwachungsstaat auch noch so viel kontrollieren, die Zeitgenossen beten den Staat nicht mehr an. So schreibt Proudhon 1840 Worte, die man pluralistisch verlängern könnte:
"Abwesenheit jedes Herrschers, jedes Souveräns (. .) das ist die Regierungsform, der wir uns täglich mehr nähern (. .) wie der Mensch die Gerechtigkeit in der Gleichheit sucht, so sucht die Gesellschaft di
Hans Jürgen Degen, Jochen Knoblauch, Anarchismus eine Einführung, Schmetterling Verlag, 2. überarbeitete Aufl. Stuttgart 2008, brosch. 214 S., 10 EUR.
"Die Menschen leben mehr und mehr in Unsicherheit um ihre soziale Existenz; sie sind verunsichert durch die Widersprüche ihres manipulierten Alltags; die Zuschüttung ihrer wirklichen Bedürfnisse und deren Ersetzung durch Pseudobedürfnisse sind Elemente ihrer Abrichtung als Ware in der kapitalistischen Warengesellschaft. Die Erduldung dieser Verhältnisse ist ein Fixpunkt der Selbstentfremdung."
Doch eine solche Gegenwartsdiagnose entspricht wohl eher dem Weltbild des 19. Jahrhunderts, haben die Menschen längst gelernt, dass wahre Bedürfnisse rar gesät und eher schwer zu finden sind, dass sich die Menschen zudem manchmal gerne manipulieren lassen, dass man überhaupt nur entfremdet wäre, wenn man sagen könnte, was richtiges Leben heißt. So mancher wird das künstlich zivilisierte dem natürlich richtigen Leben sogar vorziehen. Wenn Anarchisten solche Leute für verrückt erklären, müssen sie sich über ablehnende Reaktionen auf ihre Leitbilder nicht wundern. Nein, die Lebensumstände seit dem 19. Jahrhundert haben sich genauso geändert wie deren Einschätzung. So bemerken Degen / Knoblauch durchaus:
"Die klassischen Adressaten des Anarchismus: Industrieproletariat, Handwerker, Kleinbauern und Landarbeiter sind nicht mehr existent. Ihnen sind - in den entwickelten kapitalistischen Staaten - 'proletarisierte' Angestellte, Mittelständler und Akademiker gefolgt: In der Regel stehen diese in abhängigen Arbeitsverhältnissen - Lohnabhängige, in ihrer überwältigenden Mehrheit ohne jegliches Klassenbewusstsein, domestiziert zu Sklaven des kapitalistischen Marktes."
Was darf man mit Sklaven alles tun, um sie zu befreien, wenn sie gar nicht befreit werden wollen? Nun, man muss sie umerziehen, was sich eigentlich als Markenzeichen kommunistischer Regime präsentiert. Der Anarchismus dagegen möchte die Herrschaft der Menschen über Menschen abbauen, möchte eine herrschaftslose Gesellschaft, in der vor allem staatliche autoritäre Zwangsordnungen beseitigt sind.
Die beiden Autoren der Einführung in den Anarchismus bekennen sich zu ihrem eigenen ideologischen Blick und beklagen, dass es keine allgemeine Definition des Anarchismus gibt. Warten sie etwa auf eine Autorität, die den Menschen die Definition vorschreibt? Dann hätten sie den Anarchismus gründlich missverstanden. Prompt finden Degen / Knoblauch denn auch einen harten Kern des Anarchismus:
"Bei alledem gibt es dennoch - und dies ist nicht subjektiv gesehen - für Anarchisten verbindliche Attribute. Hauptsächlich: Anti-Autoritarismus, Anti-Staatlichkeit, Anti-Zentralismus, Anti-Kapitalismus, Anti-Militarismus, Anti-Patriarchismus, Anti-Rassismus, Anti-Sexismus."
Da drängt sich die Frage auf: Besitzt der Anarchismus auch positive Bestimmungen? Machen ihn heute höchstens negative noch interessant? Was wollte der Begründer, Pierre Joseph Proudhon, mit dem Anarchismus?
Er war nicht gerade der erste mit der folgenden provokanten These, die er 1840 formuliert:
"Was ist Eigentum? (. .) Eigentum ist Diebstahl."
Karl Marx erklärt diese These für naiv, sei das Eigentum doch das Resultat einer sozialen Entwicklung und eines Rechtssystems, das Eigentum als rechtens deklariert.
Doch so hatte Proudhon seine berühmteste These gar nicht gemeint. Er erkannte vielmehr bereits vor Marx, dass allein die Arbeit Reichtum schafft, nicht Grund und Boden und nicht das eingesetzte Kapital. Aber gehören dem Arbeiter die Früchte seiner Arbeit? Proudhon schreibt 1840:
"Wer arbeitet, wird Eigentümer: Diese Tatsache lässt sich in den heutigen Grundsätzen der Nationalökonomie und der Rechtswissenschaft nicht leugnen. Und wenn ich Eigentümer sage, so verstehe ich darunter nicht nur, wie unsere heuchlerischen Nationalökonomen, Eigentümer seines Gehalts, seiner Besoldung, seines Lohnes; sondern Eigentümer des Werts, den er geschaffen hat und aus dem allein der Herr Nutzen zieht."
Marx wird später einen Mehrwert diagnostizieren, den nicht der Arbeiter bekommt, der diesen Mehrwert erzeugt, sondern den der Kapitalist behält. Proudhon gelingt es dadurch nachzuweisen, dass das moderne Eigentum gerade nicht auf eigener Arbeit beruht, sondern auf der Aneignung fremder Arbeit. Die Vordenker des Liberalismus aber erklärten das Eigentum als Ergebnis eigener Arbeit. Wenn man das ernst nimmt, dann erweist sich das moderne Eigentum weitgehend als Diebstahl. Sowenig wie der Liberalismus lehnt Proudhon indes das Eigentum als solches ab. Jedoch fordert er eine gerechtere Güterverteilung. Durch eine autoritäre Revolution von oben, beispielsweise durch Verstaatlichungen, lässt sich die soziale Frage indes nicht lösen.
So wurde er ein Gegner von Marx und Engels, aber genauso eines entfesselten Frühkapitalismus und eines autoritären Staates. Dabei fordert er weniger eine schlichte An-Archie, also eine Herrschaftslosigkeit. Stattdessen propagiert er dezentrale und föderalistische Strukturen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. So schreibt er 1864 in einem Brief:
"Die Anarchie ist (. .) eine Regierungsform oder Verfassung, in welcher das öffentliche und private Gewissen, gebildet durch die Entwicklung von Wissenschaft und Recht, allein zur Erhaltung der Ordnung und Sicherung aller Freiheiten genügt, in welcher als das Autoritätsprinzip, die polizeilichen Einrichtungen, die Vorbeugungs- und Repressionsmittel, der Funktionarismus, die Steuern usw. auf das einfachste beschränkt sind, in welcher noch viel mehr die monarchistischen Formen, die hohe Zentralisation - durch föderative Einrichtungen und kommunale Gebräuche ersetzt - verschwinden."
Seit dem Staatsstreich 1851 regiert im zentralistischen Frankreich Napoleon III., dessen Herrschaft erst der deutsch-französische Krieg 1870-71 beendet, den ja Proudhon nicht mehr erlebte. Wenn er also von Anarchie spricht, dann geht es ihm um die Freiheit des Individuums, das sich weder vom Staat, noch von der Kirche aber auch nicht von einer kapitalistischen Ökonomie bevormunden lassen muss. Ein dezentraler, primär auf Verwaltung ausgerichteter Rechtsstaat ist durchaus im Sinne von Proudhon und bringt ihn in die Nähe des Liberalismus, wird denn gut 100 Jahre später der hartgesottene Neoliberale Robert Nozick selber gewisse Affinitäten zum Anarchismus bemerken. Doch nach Proudhon, darf der Anarchismus vor allem auf dem sozialen Auge nicht blind sein. Er schreibt:
"Wenn durch die Lösung der ökonomischen Probleme zwischen den sozialen und den individuellen Interessen Gleichgewicht bestehen wird, dann werden wir uns augenscheinlich nach dem Verschwinden jedes Zwangs in voller Freiheit oder Anarchie befinden."
Mit seinem antiautoritären und antizentralistischen, weniger antistaatlichen Zug und seiner sozialen Ader stellt der Anarchismus heute einen Fluchtpunkt für die Punk-Bewegung und die einen oder anderen Autonomen dar, die sich ja auch der schwarzen anarchistischen Fahne bedienen, stellen auch Degen / Knoblauch aktuelle Bezüge her, gewinnt deren Einführung nach einem ideologisch stürmischen Anfang im weiteren doch an Objektivität dazu. Aber Proudhon war gegen gewalttätige soziale Auseinandersetzungen, ironischerweise nicht gegen den Krieg. Spätere Anarchisten neigten gar zur terroristischen Tat, genauer zum Attentat und verdarben dem Anarchismus den Ruf. Andere organisierten sich gewerkschaftlich, woraus der Anarcho-Syndikalismus entstand, der vor allem im spanischen Bürgerkrieg in den dreißiger Jahren eine Rolle spielte. Obwohl Proudhon während der Revolution von 1848 zum Arbeiterführer avancierte, war er weder ein Freund der Gewerkschaften noch des Streiks. Ähnlich wie die Frühsozialisten denkt er sich vielmehr die eine oder andere alternative Produktionsform aus, ohne diese aber in die Tat umsetzen zu können. Man könnte ihn daher als Vordenker der grünen Alternativ-Bewegung der achtziger Jahre bezeichnen.
Vor allem aber hinsichtlich des Absterbens jenes damals zumeist noch monarchistisch strukturierten Machtstaates, der von seinen Bürgern andachtsvolle Bewunderung, ergebene Untertänigkeit und selbstlose Opferbereitschaft fordert, wird Proudhon allerdings erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bestätigt werden. Mag der moderne Überwachungsstaat auch noch so viel kontrollieren, die Zeitgenossen beten den Staat nicht mehr an. So schreibt Proudhon 1840 Worte, die man pluralistisch verlängern könnte:
"Abwesenheit jedes Herrschers, jedes Souveräns (. .) das ist die Regierungsform, der wir uns täglich mehr nähern (. .) wie der Mensch die Gerechtigkeit in der Gleichheit sucht, so sucht die Gesellschaft di
Hans Jürgen Degen, Jochen Knoblauch, Anarchismus eine Einführung, Schmetterling Verlag, 2. überarbeitete Aufl. Stuttgart 2008, brosch. 214 S., 10 EUR.