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Vollgespritzte und verschlissene Pferde

Der Pferderennsport in den USA ist ein Milliardengeschäft, das zunehmend auf Kosten der Vierbeiner geht. Sie werden gedopt und mit schmerzstillenden Medikamenten auf die Bahn geschickt. Alle Reformversuche sind bisher an den unterschiedlichen Interessen gescheitert.

Von Jürgen Kalwa |
    Eigentlich hätte das Jahr nicht besser sein können. Denn sein Pferd gewann das Kentucky Derby. Und wenige Wochen später – in einem mitreißenden Endspurt – auch die Preakness Stakes in Baltimore.

    Und so sah es im Juni danach aus, als werde dem 44-jährigen Pferdetrainer Doug O'Neill etwas ganz Seltenes gelingen: mit demselben Pferd die drei wichtigsten Galopprennen Amerikas für Dreijährige zu gewinnen. Die sogenannte Triple Crown. Eine Ausnahmeleistung. Zum letzten Mal vor 34 Jahren vollbracht.

    Doch dann nahmen die Ereignisse eine Wende zum Schlechten. Erst strich er seinen Hengst "I'll Have Another” von der Startliste des dritten Rennens in New York. Kurz darauf wurde er selbst aus dem Verkehr gezogen. Eine Sperre von 45 Tagen, weil ein anderes Pferd in seiner Obhut gedopt gewesen war.

    Seitdem kursiert sein neuer Spitzname "Drug” O'Neill statt Doug O'Neill. Denn mit Drogen hat er es schon oft gehabt. Allein dreimal wurde er mit einem sogenannten "Milkshake” erwischt. Dabei wird dem Pferd ein Cocktail aus Natron, Zucker und anderen Substanzen durch einen dünnen Schlauch durch die Nase direkt in den Magen gespült. Die Intervention soll die allzu rasche Bildung von Milchsäure in den Muskeln bremsen und Ermüdung verhindern.

    Doping – ob durch leistungssteigernde Präparate oder durch Schmerzmittel, die den Pferden die Hemmungen nehmen – ist in den USA sehr verbreitet. Die Kontrollen sind eher lax. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn in der Szene herrscht durch die Bank eine zynische, geschäftsmäßige Haltung. Das beginnt bei den Auktionen der Einjährigen, bei der "I'll Have Another” für 11.000 Dollar den Besitzer wechselte.

    Denn der gesamte Betrieb – eine Branche, die jedes Jahr mehr als acht Milliarden Dollar Umsatz macht – scheint vor allem auf eines fixiert: das Geschäft, das man in der Zucht erzielen kann. Deckprämien von erfolgreichen Hengsten liegen bei rund 50.000 Dollar und gehen in Einzelfällen hinauf bis zu 150.000 Dollar pro Sprung. So brachte "I'll Have Another” beim Verkauf vor ein paar Monaten an ein Gestüt in Japan 10 Millionen Dollar ein.

    Trotz solcher Zahlen herrscht in den USA so etwas wie Krisenstimmung. Schon mehr als einmal interessierte sich der Kongress in Washington für die Praktiken im Galoppsport, dem es an den Mitteln und vermutlich auch am Willen fehlt, den Betrieb wirksam zu regulieren. Selbst ambitionierte Besitzer von Gestüten wirken bei den Anhörungen wie hilflose Bettler. So wie der erfolgreiche kalifornische Weinunternehmer Jess Jackson 2008, damals Eigentümer von Curlin, dem Galopper des Jahres bei einer Anhörung:

    ""Wir behaupten ständig, wir können das selbst schaffen. Wir sind jedoch nur Experten im Verzögern. Wir bekommen nichts hin. Wir brauchen Hilfe von außen.”"

    Viel ist seitdem nicht passiert. Züchter, Jockeys, Trainer, Rennbahnen, staatliche Wettaufsichten – sie finden einfach keinen Konsens. Trotz solcher Meldungen wie die vom August in der "San Diego Union-Tribune”. Die Zeitung berichtete von der Rennbahn am Nordrand der Stadt. Überschrift: "Das neunte Pferd in Del Mar eingeschläfert.” Fünf von ihnen hatten sich bei Rennen oder im Training auf der Bahn schwer verletzt.

    Die Bilanz ist niederschmetternd, wie die "New York Times” im Frühjahr nach umfassenden Recherchen feststellte. Im Schnitt sterben 24 Vierbeiner pro Woche. Nicht nur Vollblüter, die in den Prestigerennen antreten, sondern vor allem sogenannte Quarter Horses, eine Kreuzung aus einer Reihe von Pferderassen. Sie bilden das Rückgrat der Sportart auf vielen Bahnen in der amerikanischen Provinz.

    "New-York-Times”-Reporter Joe Drape schob in einem Interview im amerikanischen Radiosender NPR die Hauptschuld auf eine Kultur, die in den 90er-Jahren als Rettungsmaßnahme für die langsam dahinsiechende, einstmals publikumswirksame Sportart galt. Damals begann der Trend des Ausbaus von Rennbahnen zu Casinos:

    ""Es wurde eine Art Steuer erhoben, zwölf Prozent, 17 Prozent, je nach Bundesstaat, die in Preisgelder und Zuchtfonds ging. Aber das entwickelte sich sehr schnell zu einer Art von Sozialhilfe. Jeder mit ein paar nicht besonders teuren Pferden konnte für Rennen melden, bei denen 20.000 oder 40.000 Dollar auf dem Spiel standen. Das Leben des Pferdes war im Vergleich dazu sehr viel weniger wert.”"

    Doch dieses Geschäftsmodell kam unlängst ins Wanken. Als Folge der Finanzkrise von 2008 gerieten viele Züchter in Schwierigkeiten, weil sie auf Pump investiert hatten. Deutliches Indiz für den Umschwung: Die Geburtenrate in der Vollblutzucht rutschte auf Werte ab, wie man sie zuletzt in den 60er-Jahren gesehen hatte. Angesichts des knapperen Bestands an leistungsfähigen Pferden werden die Veranstalter in diesem Jahr wohl erstmals Rennen streichen müssen. Die Spirale dreht sich weiter – nach unten.