Stephanie Gebert: Der Niqab verdeckt Kopf und Gesicht, nur ein kleiner Sehschlitz macht es den Trägerinnen möglich, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Das sorgt in Kiel an der Universität sowie in Hamburg an einer Berufsschule für Wirbel, weil Frauen dort ihren Niqab trotz Aufforderung nicht abnehmen wollen.
Nach einem Gerichtsurteil gestern haben jetzt Hamburg und Schleswig-Holstein entschieden, sie werden ihr Schulgesetz ändern und Vollverschleierung verbieten. Baden-Württemberg will, so angekündigt, nachziehen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist mit dieser Lösung nicht unbedingt einverstanden. Sprechen wir drüber mit Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann. Die GEW ist zwar gegen eine Vollverschleierung, aber auch gegen ein Verbot, wie es jetzt die Landesregierungen in Hamburg, Kiel und Stuttgart planen. Warum?
"Ein Verbot ist immer das Ende eines Dialogs"
Ilka Hoffmann: Ein Verbot ist eigentlich immer das Ende eines Dialogs. Es lässt dann nicht mehr viele Möglichkeiten der pädagogischen Intervention offen. Man muss ja sehen, wir finden natürlich eine Vollverschleierung sehr problematisch, aber die Gründe, warum eine junge Frau mit einer Vollverschleierung in die Öffentlichkeit tritt, können sehr unterschiedlich sein. Es kann sein, dass tatsächlich das von zu Hause verlangt wird, und wir haben einen strengen, religiösen islamistischen Hintergrund. Es kann aber auch ein Protest gegen ein liberales Elternhaus sein. Es kann aber auch ein Hinweis auf Radikalisierung sein. Da ist es wichtig, im Dialog zu bleiben und dann vielleicht den einen Moment zu finden, wo man ein junges Mädchen vor solchen Schritten zurückhalten kann. Also Pädagogik heißt immer Dialog, immer Gründe zu suchen und den jungen Menschen als jemanden zu begreifen, der auf der Suche ist und da auch möglicherweise in die falsche Richtung gehen kann.
Gebert: Jetzt war es aber wohl in dem konkreten Fall der Berufsschülerin in Hamburg so, dass trotz des Dialogs mit der Schülerin und auch der Mutter die Vollverschleierung nicht abgelegt wurde. Was dann?
Hoffmann: Man muss alles versuchen. Dann kann man natürlich im Einzelfall so entscheiden, dass man sagt, das können wir in unserer Schule nicht dulden. Nur wenn ich jetzt im Schulgesetz ein generelles Verbot habe, dann habe ich natürlich nicht mehr die Möglichkeit, eine Einzelfallentscheidung zu treffen, und das ist wichtig. Ich glaube auch, dass die Schulen eine Beratung dafür brauchen. Es gibt ja auch Beratungsstellen, die gerade so in diesem Spannungsfeld Islam und Islamismus Erfahrung haben und einen aufklären. Ich glaube, da stehen wir einfach auch noch am Anfang. Wir haben wenig Fortbildungen, wir haben wenig Möglichkeiten der Beratung, und die Schulen fühlen sich alleingelassen, und dann wird der Ruf natürlich nach einer gesetzlichen, festen, sicheren Regelung natürlich laut.
Auseinandersetzung statt Ausschluss
Gebert: Jetzt haben Sie schon einiges vorweggenommen. Sie haben zum Beispiel gerade gesagt, dass die Schulen sich alleingelassen fühlen, und da sagen ja die Befürworter des Verbots, genau so ist es, und deshalb ist es im Interesse der Schulen, dass wir eine Rechtssicherheit schaffen, und das Verbot würde die Schulen nicht im Regen stehen lassen.
Hoffmann: Ich würde mal sagen, es ist eine gewisse Rechtssicherheit, es ist aber auch eine sehr einfache Lösung, die nicht unbedingt im Sinne der jungen Menschen ist. Wenn man jetzt mal hinschaut, was den Schulfrieden stört, dann ist es natürlich auch Gewalt, und Gewalt geht sehr wenig von jungen Frauen mit Niqab aus, eher von jungen Männern mit Springerstiefeln. Würde ich jetzt irgendetwas gewinnen, indem ich Springerstiefel in der Schule verbiete, würde dann die Gewalt abnehmen? Also ist das wirklich etwas, was der Prävention dient oder einfach etwas, womit ich es mir einfach machen kann.
Gebert: Kritiker Ihrer Haltung sprechen auch von einem falschen Verständnis von Toleranz und stellen dann auch die Frage gleichzeitig, welches Frauenbild wir denn vermitteln, wenn wir die Vollverschleierung nicht deutlich ablehnen. Was ist Ihre Antwort darauf?
Hoffmann: Also Toleranz heißt ja auch, ich bin tolerant gegenüber Andersdenkenden, die ein Weltbild zeigen, das mir überhaupt nicht gefällt. Wenn dieses Weltbild - und das ist natürlich bei islamistischen und bei allen extremistischen Strömungen der Fall -, verträgt sich nicht mit einer offenen Demokratie, dann muss ich mich damit aber auch offensiv auseinandersetzen. Einfach die Subjekte, die mir nicht gefallen, weil sie ein anderes Weltbild haben, aus meinem Dunstkreis zu entfernen, ist ja noch keine Auseinandersetzung mit extremistischen Haltungen oder mit unterdrückerischen Haltungen Frauen gegenüber. Ich muss mich offensiv damit auseinandersetzen und in den Diskurs gehen, auch wenn das sehr anstrengend ist.
Schulen benötigen Unterstützungsangebote
Gebert: Jetzt müssen Sie ja schon viele andere Themen aufgreifen, viele andere Themen der Gesellschaft bewältigen - Inklusion sei genannt oder die Digitalisierung -, und ist es dann nicht sehr unfair den Lehrern jetzt wieder die Verantwortung zu überreichen?
Hoffmann: Es sind nicht allein die Lehrkräfte. Wir wollen ja, dass in der Schule auch Teams arbeiten aus Sozialarbeit, Erzieherinnen, Lehrkräfte, also dass dort sehr viele Menschen aus dem pädagogischen Bereich zusammenarbeiten. Das ist leider so, dass wir die Schule mit all diesen gesellschaftlichen Entwicklungen und Phänomenen konfrontiert ist und damit umgehen muss. Dann ist es nicht der Weg, das alles vor der Schultür abzuschließen, sondern die Schulen bei dieser wirklich sehr herausfordernden Lage, die wir haben, zu unterstützen so gut es geht. Da ist ganz, ganz viel Luft nach oben. Ein Verbot, da macht es sich auch eine Regierung sehr bequem. Dann muss sie nicht darüber nachdenken, welche Unterstützungsangebote, welche Fortbildungsangebote eine Schule braucht, wie sie personell besser aufgestellt werden muss. Das ist allemal finanziell billiger, als daran zu denken.
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