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Vom Baikalsee in die Antarktis

Physik. – Die deutschen Forscher, die am Neutrino-Teleskop im Baikalsee mitarbeiteten, sind inzwischen an einem anderen, wesentlich größeren Projekt beteiligt, dem "Ice Cube"-Teleskop unter US-Führung. Dort instrumentiert man einen ganzen Kubikkilometer Eis in der Antarktis und hofft, bis 2012 hochenergetische Neutrinos zu finden. Christian Spiering vom Desy erläutert das Projekt im Gespräch mit Ralf Krauter.

15.05.2008
    Krauter: Herr Spiering, wie wichtig war denn die nun auslaufende Zusammenarbeit mit den russischen Forschern?

    Spiering: Für uns war das sehr wichtig. 1988 hätten wir gar keine andere Chance gehabt. Es gab damals ein Konkurrenzexperiment in der Nähe von Hawaii, und wenn wir von der DDR aus da hätten teilnehmen können, na ja, dann hätten wir natürlich Hawaii vorgezogen, das ist doch etwas netter als der Baikal See. Das war keine Optionen und es war im Grunde in dem Fall auch gut so, weil das Experiment ja einem guten Weg gegangen ist und auf der Welt eine Pionierrolle gespielt hat. Und für uns war es natürlich die Lernstrecke, die Strecke, auf dem wir die Erfahrung gesammelt haben, die dann dazu geführt haben, dass wir beim Südpol-Projekt, wo wir seit 1994 dabei sind, eben auch eine führende Rolle spielen konnten.

    Krauter: Das klingt aber für Laien ein bisschen so, als ob man einem ehemaligen Steigbügelhalter jetzt den Laufpass gibt. Was wird denn nun aus dem russischen Forschern? Sie haben jahrelang unter der harschen Bedingungen, wie gehört, mit denen auch regelmäßig zusammengearbeitet. Es kann einem ja nicht ganz egal sein, wie es mit denen nun weitergeht?

    Spiering: Ja. Also das ist glaube ich wirklich ein falscher Zungenschlag, die Sache mit dem Steigbügelhalter. Das war ein Geben und Nehmen. Wir haben natürlich auch sehr viel dazu beigetragen, wir haben nicht nur gelernt, sondern auch die Russen konnten von uns lernen und wir haben Teile des Teleskops gebaut. Aber der Punkt war eben wirklich der, dass in der Mitte der 90er Jahre die Situation in Russland so unvorhersehbar war, politisch und ökonomisch, dass wir einfach ein zweites Standbein suchen mussten. Wir haben viele Offerten bekommen von Kollegen im Mittelmeer, die so etwas machen wollten, und wir haben gesagt: Nein wir machen das, wovon wir der Meinung sind, das hat die besten Chancen auf Erfolg. Und das war eben auch die richtige Wahl mit dem Südpol-Neutrinoteleskop. Wir haben trotzdem Baikalweiterbetrieben, mit unseren russischen Kollegen, aber die Bedingungen am Südpol sind, das muss man einfach sagen, viel, viel besser. Das Eis am Südpol ist drei Kilometer dick, man kann also weit tiefer in die Tiefe hinab gehen als am Baikal See, der ist eben nur 1,3 Kilometer an der Stelle, wo wir experimentieren, tief. Und das ist ganz wesentlich! Und zweitens ist Eis ein steriles Medium, dort wird also kein Störlicht erzeugt, im Wasser gibt es sehr viel Störlicht durch Bakterien. Und drittens ist das eben eine exzellente Infrastruktur, die die Amerikaner dort am Südpol haben. Also alles Dinge für den Erfolg, und man kann eben nicht immer nur auf die Emotion setzen und auf historische Bindung, sondern muss auf Erfolg setzen. Das soll natürlich nicht heißen, dass wir nicht weiter mit unseren russischen Kollegen Veröffentlichungen herausbringen aufgrund der Daten, die wir genommen haben, aber im Wesentlichen konzentrieren wir uns jetzt eben auf das Südpol-Experiment.

    Krauter: Das Ganze spielt ja auch größenordnungsmäßig in einer ganz anderen Liga, da sollen insgesamt 4800 so basketballförmige Sensorkugeln im Eis versenkt werden. Was ist denn der aktuelle Stand? Wie viele davon sind schon an Ort und Stelle?

    Spiering: Die Hälfte. Und das ist eines der wenigen Experimente dieser Größenordnung, die tatsächlich den Zeitplan, den sie sich gesetzt haben, einhalten. Wir hatten anfangs ein bisschen Verzögerung, im ersten Jahr, aber das haben wir jetzt wieder aufgeholt. Wir werden also 2011 das gesamte Teleskop installiert haben. Und installiert haben heißt eben, dass man tatsächlich einen Kubikkilometer Eis mit solchen Glaskugeln, in denen diese Lichtsensoren sind, instrumentiert haben wird.

    Krauter: Was müsste denn passieren, damit Sie später einmal sagen, das Eiswürfel-Experiment am Südpol ist ein voller Erfolg gewesen?

    Spiering: Ein voller Erfolg wäre natürlich, wenn wir einzelne Quellen klar am Himmel ausmachen könnten, Quellen von hochenergetischen Neutrinos. Das ist den Physikern, die sich mit niederenergetischen Neutrinos beschäftigen, eher schon gelungen. Dafür hat es einen Nobelpreis gegeben für Neutrinos von der Sonne und von einer Supernova. Wir suchen nun sehr hochenergetische und irgendwie gibt es da so eine magische Marke, das ist das Jahr 2012. Im Jahre 1912 hat Viktor Hess die kosmische Strahlung entdeckt, das es also Elementarteilchen gibt, die permanent von draußen auf die Erde prasseln. Das ist die Motivation für uns, wir wollen deren Quellen herausbekommen, und es wäre natürlich wunderbar, wenn wir es, bevor 100 Jahre herum sind, schaffen. Und da Icecube 2011 fertig wird, und da wir jetzt schon mit der Hälfte des Detektors Daten nehmen, ist die Chance gar nicht so schlecht.

    Krauter: Wenn also bis 2012 nichts passiert wäre, dann würden Sie nervös werden?

    Spiering: Da würden wir langsam nervös werden, ja.