Hugues Le Bret stellt seinem Buch ein Zitat von Vincent van Gogh voran, weil er mit seiner Erzählung der Ereignisse den damit verbundenen Empfindungen nachspüren wollte. Gerade so, wie van Gogh das mit seinen Gemälden auch getan habe:
"Ich wollte alles erzählen, was ich durchlebt habe, alles was ich gesehen habe an Gewalt von Emotionen und menschlichem Verhalten. Ich wollte diese Emotionen mit den Lesern teilen, so wie sie das beim Betrachten eines Bildes von van Gogh teilen. Ich wollte ein sehr lebendiges Buch schreiben."
Das ist dem Autor zweifellos gelungen. In Tagebuchform erzählt er vom Ablauf der Ereignisse und zieht den Leser so in die Geschehnisse jener schicksalhaften Woche im Januar 2008 hinein - von dem Moment an, in dem der damalige Chef der Bank, Daniel Bouton, Le Bret am Sonntag, dem 20. Januar, aus der morgendlichen geruhsamen Zeitungslektüre reißt und ihn ins Büro beordert. Dort erfährt Le Bret zum ersten Mal von dem "Betrüger". Dann schildert er, wie den Topmanagern des Hauses das Ausmaß der Spekulationen bewusst wird – ein Tag, an den er sich wohl immer erinnern werde, meint Le Bret:
"Dieser Moment in den ersten vier Tagen, wir waren vollkommen im Stress, standen vollkommen unter Schock. Du kannst nicht schlafen. Und wenn du feststellst, dass du eine solch riesige Krise managen sollst, das ist ein wahrer Albtraum. Deshalb werde ich mich immer an diesen 20. Januar 2008 im Büro von Daniel Bouton erinnern."
Wie ein Thriller liest sich das Buch. Allerdings: Le Bret konzentriert sich auf das, was er erlebt hat. Jérôme Kerviel, der Milliardenspekulant, interessiert ihn überhaupt nicht: Er bezeichnet ihn in den ersten Kapiteln schlicht als "der Betrüger", oder "der Händler". Wichtiger sind ihm die Abläufe unter den Managern. Die harmonieren in den ersten Tagen noch sehr gut, sie handeln rational, treffen schnell - wenn auch unter hohem Druck - ihre Entscheidungen. Doch nachdem das Schlimmste – der Zusammenbruch der Bank – abgewendet und der Verlust auf knapp fünf Milliarden Euro begrenzt ist, ohne dass Nachrichten nach außen gedrungen sind, da macht sich der Stress bemerkbar. Deutlich wird dies, als die Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz informiert werden muss: Da manifestiert sich der erste Bruch zwischen Bankchef Daniel Bouton und seinem Stellvertreter Philippe Citerne:
"Ich erinnere mich an frühere Krisen, vor meiner Zeit bei der Société Générale, als ich mich um das Krisenmanagement kümmern musste. Immer habe ich dieselbe Mischung von Feigheit, Heuchelei und Entsolidarisierung an der Spitze registriert. Misserfolg macht einsam. Philippe hält sich vornehm im Hintergrund. Im Organigramm der Bank ist er die letzte Sicherung vor Daniel, er kontrolliert die Investmentbank, den Wertpapierhandel, aber auch die operativen Risiken. In seinem Bereich ist der Betrug passiert. Und jetzt kneift er."
Nicht nur der sich anbahnende Bruch im Vorstand der Bank wird bei dieser Gelegenheit offenbar. Auf der Pressekonferenz merken die Manager auch, dass sie den Fragen, die die Öffentlichkeit am meisten interessieren, völlig unvorbereitet gegenüberstehen. Die Journalisten wollen vor allem eines wissen: den Namen des Aktienhändlers, der die Geschäfte gemacht hat. Sie wollen ein Gesicht, das zu den komplexen, für Laien weitgehend unverständlichen Vorgängen im Handelsraum der Bank gehört:
"Wir haben unterschätzt, dass das Einzige, was jeden interessierte, die Identität des Händlers war: Wo ist er, warum hat er das getan? Dass wir eine systemische Krise verhindert haben, das interessierte niemanden."
In diese unterschiedlichen Interessen der Bank, der Öffentlichkeit und auch der Politik gibt Le Bret einen fesselnden Einblick – und spart dabei nicht mit Kritik an der Regierung. Die war von der Bank erst so spät wie möglich informiert worden, damit die Manager ohne Intervention der Politiker den Schaden noch begrenzen konnten, bevor er an den Märkten publik wurde. Zu recht, wie Le Bret glaubt, denn kaum waren die Schwierigkeiten der Bank öffentlich bekannt, versucht Staatspräsident Sarkozy, daraus politische Münze zu schlagen, und verlangt den Rücktritt des Bankchefs, obwohl der die Krise noch verschärfen würde:
"Nicolas Sarkozy reagiert als Politiker, als Machtmensch, ohne die Folgen zu bedenken, die seine Äußerungen in der Finanzwelt haben. Die Kapitalerhöhung ist noch nicht geregelt. Was in den Bankfilialen passiert – das Risiko, dass massiv Geld abgezogen wird - bleibt außerhalb seines Blickfelds. Er reagiert nicht als Staatsmann, der versucht, eine der größten Banken des Landes am seidenen Faden im Gleichgewicht zu halten, sondern ist verletzt, dass man ihn beim Krisenmanagement übergangen hat. Er macht eine persönliche Sache daraus."
Heute weiß man: Die Krise der Société Générale im Januar 2008 war nur ein Vorgeschmack auf das, was später im Herbst mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers auf die Welt zukam. Dass so etwas, wenn auch nicht in dieser Form, früher oder später wieder passieren wird, da ist sich Hugues Le Bret sicher:
"Man fällt immer wieder in das wirkliche menschliche Verhalten zurück. Man will Erfolg, man will Geld, man will Wohlstand. Natürlich werden wir wieder eine neue Krise erleben. Die Welt war noch nie so eng verbunden, noch nie so schwankungsanfällig. Und noch nie war so viel Geld im System. Das Finanzsystem ist so gefährdet wie das Klima."
Heute, drei Jahre danach, ist Le Bret nicht mehr bei der Bank tätig. Die stellte ihn vor die Wahl, seinen Job zu behalten oder das Buch zu veröffentlichen. Er entschied sich für das Buch. Und das ist lesenswert. Es ist spannend, es lässt den Leser – da im Präsenz verfasst - teilhaben an den Entscheidungen und macht ihn auch zum Beobachter der vielfältigen Emotionen. Es ist einseitig aus Sicht eines Bankmanagers verfasst – und macht dadurch deutlich, wie Banker denken. Aber auch, dass Banker und der Rest der Welt in parallelen Wirklichkeiten leben. Wer eine objektive Analyse der Ereignisse, erwartet, die die Societé Générale an den Rand des Ruins führten, der wird enttäuscht sein. Wer aber einen Einblick in die Strukturen einer Großbank und deren Öffentlichkeitsarbeit bekommen möchte, der wird das Buch mit Gewinn lesen.
Hugues Le Bret: Die Woche, in der Jerome Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte
Erschienen bei Kunstmann, 294 Seiten kosten 18 Euro. Für uns hat es Brigitte Scholtes gelesen.
"Ich wollte alles erzählen, was ich durchlebt habe, alles was ich gesehen habe an Gewalt von Emotionen und menschlichem Verhalten. Ich wollte diese Emotionen mit den Lesern teilen, so wie sie das beim Betrachten eines Bildes von van Gogh teilen. Ich wollte ein sehr lebendiges Buch schreiben."
Das ist dem Autor zweifellos gelungen. In Tagebuchform erzählt er vom Ablauf der Ereignisse und zieht den Leser so in die Geschehnisse jener schicksalhaften Woche im Januar 2008 hinein - von dem Moment an, in dem der damalige Chef der Bank, Daniel Bouton, Le Bret am Sonntag, dem 20. Januar, aus der morgendlichen geruhsamen Zeitungslektüre reißt und ihn ins Büro beordert. Dort erfährt Le Bret zum ersten Mal von dem "Betrüger". Dann schildert er, wie den Topmanagern des Hauses das Ausmaß der Spekulationen bewusst wird – ein Tag, an den er sich wohl immer erinnern werde, meint Le Bret:
"Dieser Moment in den ersten vier Tagen, wir waren vollkommen im Stress, standen vollkommen unter Schock. Du kannst nicht schlafen. Und wenn du feststellst, dass du eine solch riesige Krise managen sollst, das ist ein wahrer Albtraum. Deshalb werde ich mich immer an diesen 20. Januar 2008 im Büro von Daniel Bouton erinnern."
Wie ein Thriller liest sich das Buch. Allerdings: Le Bret konzentriert sich auf das, was er erlebt hat. Jérôme Kerviel, der Milliardenspekulant, interessiert ihn überhaupt nicht: Er bezeichnet ihn in den ersten Kapiteln schlicht als "der Betrüger", oder "der Händler". Wichtiger sind ihm die Abläufe unter den Managern. Die harmonieren in den ersten Tagen noch sehr gut, sie handeln rational, treffen schnell - wenn auch unter hohem Druck - ihre Entscheidungen. Doch nachdem das Schlimmste – der Zusammenbruch der Bank – abgewendet und der Verlust auf knapp fünf Milliarden Euro begrenzt ist, ohne dass Nachrichten nach außen gedrungen sind, da macht sich der Stress bemerkbar. Deutlich wird dies, als die Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz informiert werden muss: Da manifestiert sich der erste Bruch zwischen Bankchef Daniel Bouton und seinem Stellvertreter Philippe Citerne:
"Ich erinnere mich an frühere Krisen, vor meiner Zeit bei der Société Générale, als ich mich um das Krisenmanagement kümmern musste. Immer habe ich dieselbe Mischung von Feigheit, Heuchelei und Entsolidarisierung an der Spitze registriert. Misserfolg macht einsam. Philippe hält sich vornehm im Hintergrund. Im Organigramm der Bank ist er die letzte Sicherung vor Daniel, er kontrolliert die Investmentbank, den Wertpapierhandel, aber auch die operativen Risiken. In seinem Bereich ist der Betrug passiert. Und jetzt kneift er."
Nicht nur der sich anbahnende Bruch im Vorstand der Bank wird bei dieser Gelegenheit offenbar. Auf der Pressekonferenz merken die Manager auch, dass sie den Fragen, die die Öffentlichkeit am meisten interessieren, völlig unvorbereitet gegenüberstehen. Die Journalisten wollen vor allem eines wissen: den Namen des Aktienhändlers, der die Geschäfte gemacht hat. Sie wollen ein Gesicht, das zu den komplexen, für Laien weitgehend unverständlichen Vorgängen im Handelsraum der Bank gehört:
"Wir haben unterschätzt, dass das Einzige, was jeden interessierte, die Identität des Händlers war: Wo ist er, warum hat er das getan? Dass wir eine systemische Krise verhindert haben, das interessierte niemanden."
In diese unterschiedlichen Interessen der Bank, der Öffentlichkeit und auch der Politik gibt Le Bret einen fesselnden Einblick – und spart dabei nicht mit Kritik an der Regierung. Die war von der Bank erst so spät wie möglich informiert worden, damit die Manager ohne Intervention der Politiker den Schaden noch begrenzen konnten, bevor er an den Märkten publik wurde. Zu recht, wie Le Bret glaubt, denn kaum waren die Schwierigkeiten der Bank öffentlich bekannt, versucht Staatspräsident Sarkozy, daraus politische Münze zu schlagen, und verlangt den Rücktritt des Bankchefs, obwohl der die Krise noch verschärfen würde:
"Nicolas Sarkozy reagiert als Politiker, als Machtmensch, ohne die Folgen zu bedenken, die seine Äußerungen in der Finanzwelt haben. Die Kapitalerhöhung ist noch nicht geregelt. Was in den Bankfilialen passiert – das Risiko, dass massiv Geld abgezogen wird - bleibt außerhalb seines Blickfelds. Er reagiert nicht als Staatsmann, der versucht, eine der größten Banken des Landes am seidenen Faden im Gleichgewicht zu halten, sondern ist verletzt, dass man ihn beim Krisenmanagement übergangen hat. Er macht eine persönliche Sache daraus."
Heute weiß man: Die Krise der Société Générale im Januar 2008 war nur ein Vorgeschmack auf das, was später im Herbst mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers auf die Welt zukam. Dass so etwas, wenn auch nicht in dieser Form, früher oder später wieder passieren wird, da ist sich Hugues Le Bret sicher:
"Man fällt immer wieder in das wirkliche menschliche Verhalten zurück. Man will Erfolg, man will Geld, man will Wohlstand. Natürlich werden wir wieder eine neue Krise erleben. Die Welt war noch nie so eng verbunden, noch nie so schwankungsanfällig. Und noch nie war so viel Geld im System. Das Finanzsystem ist so gefährdet wie das Klima."
Heute, drei Jahre danach, ist Le Bret nicht mehr bei der Bank tätig. Die stellte ihn vor die Wahl, seinen Job zu behalten oder das Buch zu veröffentlichen. Er entschied sich für das Buch. Und das ist lesenswert. Es ist spannend, es lässt den Leser – da im Präsenz verfasst - teilhaben an den Entscheidungen und macht ihn auch zum Beobachter der vielfältigen Emotionen. Es ist einseitig aus Sicht eines Bankmanagers verfasst – und macht dadurch deutlich, wie Banker denken. Aber auch, dass Banker und der Rest der Welt in parallelen Wirklichkeiten leben. Wer eine objektive Analyse der Ereignisse, erwartet, die die Societé Générale an den Rand des Ruins führten, der wird enttäuscht sein. Wer aber einen Einblick in die Strukturen einer Großbank und deren Öffentlichkeitsarbeit bekommen möchte, der wird das Buch mit Gewinn lesen.
Hugues Le Bret: Die Woche, in der Jerome Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte
Erschienen bei Kunstmann, 294 Seiten kosten 18 Euro. Für uns hat es Brigitte Scholtes gelesen.