"Was mich am meisten gefördert hat, das sind Aufträge der verschiedensten künstlerischen Arten. Solche Aufträge sind für die Entwicklung zum wahren Künstler viel wichtiger, als viele Jahre Akademiebesuch."
Die wichtigste "Auftragsarbeit" war für Hans Christiansen wohl das "Darmstädter Zimmer" für die Künstlerkolonie Mathildenhöhe. Darin ein Jugendstil-Schrank mit schwungvollen Blumenornamenten aus Einlegearbeiten, farbige Hölzer kombiniert mit Perlmutt – und Aluminium. Das wirkt heute billig, war aber um 1900 so teuer wie Gold. "Alu" galt als letzter Schrei. Und Christiansen war bestrebt, technisches Geschick und kreative Fantasie, Kommerz und Kunst, zu verbinden:
"Ich will ein Porträt malen, aber auch ein Möbel entwerfen können; ich zeichne Karikaturen, aber auch Tapeten, Plakate, überhaupt Originale für jedes Druckverfahren. Meine Devise heißt: 'Darstellung von Charakteristik in Form und Farbe dem Zweck und der Technik angepasst.'"
Auf der Suche nach Perfektion
Dafür hatte der Malergeselle, geboren am 6. März 1866 in Flensburg, ein Kunststudium in München aufgenommen. Anschließend ging Christiansen nach Hamburg und eröffnete ein Geschäft für Innendekoration. Aber die deutschen Verhältnisse waren ihm wohl zu starr, zu akademisch oder gar spießig. Im Herbst 1895 zog es den talentierten Gesamtkunstwerker nach Paris:
"Ich hielt mich selbst für einen Stümper und Anfänger, der durch richtiges Studium am richtigen Ort in’s richtige Fahrwasser gebracht werden musste. Deshalb ging ich nach Paris, wo große Bildhauer sich nicht scheuten, eine einfache Vase zu formen, große Maler, ein Plakat zu zeichnen."
In Paris heiratete Christiansen 1897 Claire Guggenheim, Tochter aus gutem, wohlsituierten Hause. Und erhielt zwei Jahre später eine Art "Ritterschlag", als Großherzog Ernst Ludwig ihn als Gründungsmitglied einer Künstlerkolonie in Darmstadt berief. Ralf Beil, bis 2015 Direktor der Mathildenhöhe:
"In München hat er für die 'Jugend' wirklich hinreißende Titelblätter gestaltet. Und da kommt ja der Name 'Jugendstil' her, von dieser Zeitschrift. Und in Paris war er echt wirklich gut im Geschäft, er hat zum Beispiel bis hin nach Sankt Petersburg Schmuckentwürfe gemacht, und war damals wirklich jemand, der mit einem großen, europaweiten Netzwerk Jugendstil in allen möglichen Facetten schon geprägt hat."
Pionier des Jugendstil
Als Impresario, als Pionier des Jugendstil trifft Hans Christiansen in der Künstlerkolonie Mathildenhöhe auf Architekten und Designer wie Peter Behrens und Joseph Maria Olbrich. Aufsehen erregt sein Haus "In Rosen", ausgestattet von ihm selbst mit Kunstverglasungen, Tapeten und Plafondmalereien, Knüpfteppichen, Textilstickereien, Möbeln und Keramik:
Ralf Beil: "Das ist wirklich eine Inszenierung von Gesamtkunstwerk, auch Lebenskunstwerk gewesen mit seiner Villa. Und das war auch das bunteste, das war das Haus mit dem grünen Dach, das Haus mit den roten Wandfassungen und so weiter. Also, es ist auch damals schon aus der Reihe gefallen."
Das ist, wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, mehr als nur eine Mode. Auch Christiansen geht es um einen anderen Lebensstil, aber eine Sozialreform wie einige seiner Künstlerkollegen, etwa der Wiener Werkstätten, strebt er wohl nicht an. Auf der Suche nach Aufträgen und Abnehmern folgt Christiansen, der 1911 ins vornehme Wiesbaden gezogen ist, dem Zeitgeist und der Mode.
Der Künstler verliert sich in den Stilen
"Spätimpressionistisch und danach in den Zwanzigerjahren hin und wieder auch mit neusachlichen Einsprengseln, aber da navigiert er tatsächlich dann wild zwischen den Stilen, hat nicht mehr eine eigene Sprache. Man hat wirklich das Gefühl, er hat sich verloren, ist vielleicht mehr beim Wort, was aber eben dann ja auch dunkel verrätselt bleibt."
Das Streben zum Gesamtkunstwerk führt zu pseudophilosophischem Räsonnement. 1914 erscheint das Buch "Meine Lösung der Welträtsel".
Ralf Beil: "Diese Bücher, 'Welträtsel' und so weiter, die er dort lösen wollte, das ist etwas, was eigentlich eher zu den dunklen Kapiteln gehört. Und auch durchaus eben schon so Gedankengut beinhaltet, was dann eben vielleicht schon Richtung Nationalsozialismus sogar weisen kann, obwohl das nicht intendiert war. Er war eigentlich ja natürlich ein apolitischer Mensch – er war ja ein Kunstbürger."
Die nationalsozialistische Reichskulturkammer belegt den Künstler 1933 mit Mal- und Ausstellungsverbot. Denn Hans Christiansen hat es abgelehnt, sich von seiner jüdischen Ehefrau Claire zu trennen. Zu ihr hält er bis zu seinem Tod im Januar 1945.