Unser Verhältnis zu den Dingen geht oft weit über ihren Warenwert hinaus. Häufig sind es Gegenstände, die für eine Person eine höhere Bedeutung haben als ein Prestigeobjekt. Denn mit diesen sogenannten biografischen Objekten verbinden sich Geschichten, die dabei helfen, die eigene Lebensgeschichte zu konstruieren.
"Es gibt Gegenstände, die begleiten einen durch das ganze Leben. Einen Gegenstand, den ich besonders schätze, das ist eine alte gusseiserne Türklinke. Die erste Begegnung mit dieser Klinke an die ich mich überhaupt erinnern kann, das war, als ich als Kind gerade mal da dran gereicht habe und versucht habe sie zu öffnen und sie dann direkt in der Hand hatte. Denn die ging direkt ab, die war damals schon nicht mehr richtig funktionsfähig. Sie war an einer Küchentür in einem uralten Haus, dreihundert Jahre alt zu einem Garten mit einem kleinen Teich raus. Und als Kind hatte ich eigentlich nichts anderes vor, als möglichst schnell und möglichst oft rein und raus zu kommen."
"Ich liebe Dinge, die Qualität haben. Gut, sie sind dann oft teuer, wenn sie an Silber denken, wenn sie an Schmuck denken. Ich bin ja eine Schmuck-Fanatikerin. Ach und ich liebe Edelsteine und halte meine Hände mit den Ringen gerne ins Sonnenlicht und dann freue ich mich, wie das funkelt und blitzt. Das ist natürlich teuer. Mein Mann genießt es, mir ständig Schmuck schenken zu dürfen, ich genieße das auch. Manchmal komme ich mir vor wie ein Christbaum. Aber ich liebe die Dinge nicht, weil sie teuer sind, sondern weil sie schön sind."
"Wir haben zwei Fragen, die uns vor allen anderen interessieren, die erste betrifft die Erzeugung, die Generierung von Wert mit Hilfe von Dingen. Das kann ganz einfach handwerkliche Produktion sein."
Prof. Hans Peter Hahn ist Ethnologe an der Universität Frankfurt am Main. Sein Fachgebiet sind die Dinge. Als Ethnologe erforscht er die materielle Kultur.
"Die zweite Frage, die uns sehr interessiert, ist die Frage der Erzeugung von Werten durch Zirkulation, durch den Handel oder Tausch, durch die Übergabe, hier geht es auch um Geschenke, oder auch durch das Verlieren und wieder auffinden. Dinge werden durch die lange Geschichte in der so etwas passiert natürlich mit Bedeutung und Wert aufgeladen. Das wissen wir alle aus dem Antiquitätenhandel."
Die alte Türklinke könnte den Wissenschaftler interessieren als Erinnerungsstück; die Liebe der älteren Dame zu edlen Steinen als Ausdruck materialisierter Wertschätzung. Prof. Hahn leitet das Graduiertenkolleg "Wert und Äquivalent" und in diesem Zusammenhang veranstaltet er zur Zeit gemeinsam mit einem Kollegen aus der Archäologie eine öffentliche Vortragsreihe über den Eigensinn der Dinge.
Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, solang irgendein Mensch um den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke....So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tintenfass, Papier, Zigarre, Glas, Lampe – alles, alles auf den Augenblick, wo man nicht Acht gibt.
Es klingt wie eine Kinderphantasie oder ein Märchen von Hans Christian Andersen, dieser Eigensinn der Alltagsdinge, den Friedrich Vischer in seinen Zeilen 1878 beschrieb. Von einem peruanischen Mythos über den Aufstand der Dinge berichtet auch der Ethnologe Walter Krickeberg in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Vertraute Dinge des Alltags werden darin plötzlich lebendig und bedrohlich für den Menschen. Es gibt einen Fries der diesen Mythos zeigt: Löffel und Teller, Gürtelspange und Silberschmuck haben darauf Arme und Beine und rennen im Laufschritt. Mit Waffen in der Hand sind sie im Begriff, die in ihren Häusern schlafenden Menschen zu attackieren.
"Das sind nicht nur die Märchen, sondern das ist auch eine Geschichte von Jorge Saramagas, der mit der Erzählung "Der Stuhl", erzählt, wie die Dinge sich aus der Lebenswelt entziehen. Oder eine Geschichte von Erhard Kästner, wo plötzlich die Dinge nicht mehr verfügbar und dienlich sind. Mit dem Eigensinn der Dinge wollen wir noch etwas mehr. Wir wollen ganz grundlegend zeigen, wie Dinge mit immer neuen, teilweise überraschenden Eigenschaften uns den Alltag nicht nur erleichtern, sondern mitunter auch schwerer machen. Wie wir im Alltag eigentlich ständig eine gewisse Aufmerksamkeit aufbringen müssen, um mit den Eigenschaften, die die Dinge uns offenbaren, mit denen auch fertig zu werden."
"Meine Eltern sammelten Kunst, meine Mutter war Konzertpianistin. Ich bin also mit Musik und Literatur und Altertümchen und schönen Bildern und allem aufgewachsen. Aber dann kam der Krieg und eine Zehnzentnerbombe lies von all der Herrlichkeit praktisch nichts übrig. Und manche Dinge die gerettet wurden, sind so grauslich. Unter anderem die Zeitungsanzeige meiner Geburt. Es kam von einer Blindenanstalt Wochen später jemand an die Haustür und es war diese Anzeige ausgeschnitten worden. Es war ein kitschiges, glitzriges Kleeblatt drauf geklebt und das Ganze – na ja, das ist das billigste Glas, unter so einen Sturz geklebt worden. Und meine Mutter, eine sehr fromme und hilfsbereite Frau kaufte natürlich dieses Schauerding ab. Und es war dann immer verborgen im Schreibtisch. Und die Bombe hat es zu Tage gefördert und das Ding ist auch nicht kaputt gegangen. Meine Mutter wollte es anschließend endgültig wegschmeißen. Und ich hab dann gesagt, ne, nu will ich es behalten. So hab ich es heut noch."
"Es ist natürlich ein wunderbares Beispiel für den Eigensinn der Dinge und auch für biografische Objekte. Dinge, die sich in die Lebensgeschichte einschreiben, werden immer mit einem hohen emotionalen Wert belegt. Und es zeigt weiterhin die Widersprüchlichkeit von Bewertungen. Selbst wenn diese Frau eine sehr hohe Kompetenz in Fragen der Ästhetik entwickelt hat, gibt es doch einen anderen Wert, der außerhalb dieser ästhetischen Normen liegt, der für sie dann auch zu respektieren ist. Den sie nicht umgehen kann. Dieses Objekt ist durch den Wohnungsbrand gegangen, dieses Objekt ist durch ihre Mutter zu ihr gekommen. So viele Erlebnisse, so viele Geschichten stecken an diesem Objekt, dass sie dem nicht entweichen kann."
Die alte Klinke gehört zu einer Tür, deren Haus es schon lange nicht mehr gibt. Die kitschige Geburtsanzeige unter Pressglas ist das wenige, was die Bombe im Krieg von all der ehemaligen Pracht übrig gelassen hat. Zufall – die Dinge sind ihren heutigen Besitzern im wahrsten Sinne des Wortes neu zugefallen und haben im Laufe der Zeit ihren Eigensinn entfaltet.
"Heute existiert dieses Haus nicht mehr. Aber diese Klinke existiert noch. Sie sieht noch genauso aus wie damals, ein bisschen, wenn man sie auf den Kopf stellt, wie ein alter Hydrant. Sie ist ziemlich schwer, viel schwerer als Klinken, die es heute noch gibt. Sie hat eine kleine Verzierung, so eine Art Kleeblatt an dem Knauf. Und sie ist etwas, was mich an dieses Haus, an diese Situation als kleiner Junge bis heute erinnert. Es ist sozusagen ein rein und rauskommen, ohne dass eine Tür dazu notwendig ist."
"Es gibt eine wunderbare Studie mit dem Titel "Geliebte Dinge” und hier geht es um die Frage, welchen Zusammenhang gibt es eigentlich zwischen dem materiellen Wert eines Objektes und der emotionalen Bindung, der Beliebtheit in einer gewissen Weise."
Autor der 1996 erschienen Studie ist der Frankfurter Psychologe Tilmann Habermas. Er untersuchte darin die Bedeutsamkeit von persönlichen Objekten für das Selbstverständnis eines Menschen.
"Und es zeigt sich, dass die materiell sehr wertvollen Objekte, sagen wir ruhig Schmuck oder wertvolle Möbel gar nicht einen so hohen Wert haben, wie man es vielleicht erwarten würde. Viel häufiger sind es sogenannte biografische Objekte, die den entscheidenden Wert in sich verkörpern."
Das kann eine alte Geldbörse sein, ein Holzkästchen, ein vom Vater in Tesafilm eingewickelter und lebenslang getragener Glückspfennig, ein Ring oder ein Sportschuh. Autobiografische Souvenirs nennt Tilmann Habermas diese geliebten Dinge. Es sind deren Geschichten, so der Psychologe, die uns helfen, unsere eigene Lebensgeschichte zu konstruieren. Solche Dinge sind identitätsbildend.
Dinge geben unserem Leben Halt, sagt der Psychologe. Sie sind eine Brücke vom Gestern zum Heute. Ist der Verlust so total, wie beispielsweise im Krieg nach einem Bombeneinschlag oder einer plötzlichen Flucht oder Migration, dann können auch neue, scheinbar alltägliche Dinge zu den Stellvertretern eines ganzen Lebens werden. Als nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die furchtbare Kriegsmaschinerie zerfallen war und die Noch-Einmal-Davongekommenen sich vom Ende einen neuen Anfang erhofften, schrieb der Dichter Günter Eich im Kriegsgefangenenlager ein Gedicht, dem er den Titel "Inventur" gab. Er benennt die Dinge, die ihm noch geblieben sind – die Stellvertreter seines Lebens:
Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen
Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.
"Das ist ein Stück Stacheldraht, das in Berlin gefunden wurde in den 60er, 70er-Jahren bei Umbauarbeiten auf dem Gelände der Topographie des Terrors."
Gudrun König ist Professorin an der TU Dortmund am Institut für Kunst und materielle Kultur. Sie hat sich lange mit dem Stacheldraht und seiner kulturellen Aussagen befasst. Ein stachliges Stück liegt in ihrem Büro auf einem Regal.
"Hier sieht man erst mal den Grunddraht, das ist ein zweifaseriger Grunddraht über den ein vierspitziger Knoten gedreht wurde und der Abstand der Knoten gibt Auskunft darüber, ob es eine militärische Nutzung oder eine zivile Nutzung war, je enger der Abstand, umso gefährlicher wird er in gewisser Weise, er wird auch schwerer. Die Enge dieses Abstandes sagt, das ist ne militärische Nutzung gewesen und nicht zur Abwehrung von Vieh an Weiden oder Schonungen oder wo immer es eingesetzt wurde."
Die Dinge sind stumm, wenn wir sie nicht verstehen. Wer aber hören kann, dem geben sie Auskunft. Gudrun König spannt den Stacheldraht mühelos von der ersten industriellen Herstellung als Weidezaun in den USA über den massiven Einsatz im Ersten Weltkrieg bis hin zum Einzäunen der Konzentrationslager im Nationalsozialismus. Ethnologen, Archäologen und Kulturwissenschaftler sind Sachverständige in der Sprache der Dinge.
"Ich sehe natürlich Nutzungsspuren an Objekten, ich sehe, ob das einer unteren Schicht oder einer bürgerlichen oder einer hochbürgerlichen Schicht zugeordnet werden kann. Die Dinge geben uns Auskunft über Gebrauchskontexte, sie geben Auskunft über soziale Kontexte. Man kann an ihnen auch ablesen, häufig, je nach Zeit, ist es von Männern oder von Frauen gebraucht worden. Das ist der Bereich der Selbstauskunft."
Betreten wir einen Raum, so spüren wir fast immer sofort, ob hier eine Frau oder ein Mann wohnt. Das sagen uns die Gegenstände und ihre Ordnung. Eine der bedeutsamsten Untersuchungen über unsere Beziehung zu den Gegenständen ist die 1977 durchgeführte Chicago-Studie. Sie zeigte unter anderem deutliche Unterschiede, womit Männer und Frauen sich am liebsten Zuhause umgeben.
Die Frauen zählten Pflanzen, Porzellan, Textilien und Fotos zu ihren Schätzen. Objekte, die Männer eher kalt lassen. Ihre Lieblinge sind Werkzeuge, Fernseher, Stereoanlage, Sport- und Gartengeräte, Fahrzeuge und Trophäen.
Die Rückschlüsse aus der Chicago-Studie: Frauen lieben Dinge eher, weil sie etwas über ihre Beziehungen ausdrücken. Männer hingegen schätzen Dinge, die sie selbst als aktiv, funktional und leistungsstark erscheinen lassen.
"Dass es diese Jacke jetzt nur zehn Mal auf der Welt gibt, das ist mir eigentlich egal. Das spielt keine Rolle. Sondern es geht eigentlich darum, dass es ein besseres Stück ist, in dem ich mich dann auch besser fühle. Mein Smaragdarmband, die Steine sind ziemlich angeschlagen. Manchmal runzelt mein Mann die Stirn. Dann sage ich, du, du hast es mir geschenkt, damit ich mich dran freue, nicht, dass ich den Krempel in den Safe tue."
Der feine Unterschied, heißt eine sozialwissenschaftliche Studie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu von 1982. Darin zeigte er unter anderem auf, wie feinsinnig das soziale Gewebe durchdrungen ist mit Zeichen der Schichtzugehörigkeit. Ob ein Stoff so oder so gewebt ist, zeigt den Kenner und seine Kaufkraft. Darüber muss der Träger selbst kein Wort verlieren, erklärt der Ethnologe Hans Hahn.
"Die Dinge sind manchmal Sprecher für uns, gerade wenn wir sprachlos sind, werden Dinge immer noch gelesen und verstanden. Fangen sie an mit Kleidung, die immer lesbar ist, bis hin zu den Marken, die wir benutzen. All diese Mittel der Distinktion sind ja gewissermaßen Dinge, die über uns etwas sagen, ohne, dass wir selbst sprechen müssen."
"Das ist für mich ein sehr schönes Lebensgefühl meinen Geschmack auch in diesen Sachen zu spiegeln. Wenn ich diese Sachen trage fühle ich mich auf der Stelle wertvoller und erfolgreich. Es ist einfach ne bessere Lebensqualität. Einer meiner Wahlsprüche ist, ich kann es mir nicht leisten, billige Sachen zu kaufen. Es sind Dinge, die ich mir nicht für heute oder für die nächsten Wochen kaufe, sondern das hat offensichtlich auch Bestand."
"Es ist niemals nur individuell, weil es geht auch um die Frage der Anerkennung. Ist ein Objekt lesbar, wird es verstanden in der sozialen Umwelt. Können Menschen die Herkunft eines Objektes erraten, wenn es da im Wohnzimmer steht. Oder wenn ich ein teures Auto kaufe, wissen tatsächlich alle Menschen, dass dieses Auto so teuer ist oder ist es eine Nachricht, die gewissermaßen verloren geht, weil sie nicht allgemein anerkannt wird?"
Was treibt unsere Kaufentscheidungen? Etwa 10.000 Sachen besitzt ein Deutscher im Durchschnitt. Ob er sie alle braucht, ist höchst fraglich. Aber Konsum steigert das Bruttosozialprodukt. Und während die einen in der Fülle oder in teurer Klasse statt billiger Masse schwelgen, ist es auch schick geworden, sich dem Kaufrausch ganz zu entziehen. Es gibt immer wieder Bewegungen einer Enthaltsamkeit, oft mit kulturkritischem Gestus verbunden, erklärt der Ethnologe Peter Hahn.
"Konsumkritik ist ein uralter Topos in der europäischen Geschichte. Konsumkritik wird immer dann laut, wenn gleichzeitig eine Güterexpansion stattfindet. Also wenn Leute aufgrund von Wohlstand plötzlich sehr viel mehr Dinge haben, fangen andere an, auch diesen Zuwachs an Dingen zu kritisieren. Ich glaube, dass die gegenwärtige Beschäftigung mit den Dingen sehr mit einem solchen Reflex auf den Zuwachs von Dingen zu tun hat. Denken sie an die Revolution in der Telekommunikation. Das macht uns misstrauisch, das wirft uns gewissermaßen zurück auf die Frage, was sind unsere Kompetenzen im Hinblick auf diese Dinge."
Begonnen hat die Fülle an Dingen für ein Massenpublikum mit der industriellen Produktion im 19. Jahrhundert. In ihrem Gefolge entstanden die ersten Kaufhäuser, Werbung, Berufe wie Dekorateur und Grafiker, erzählt die Kulturwissenschaftlerin Gudrun König:
"Traditionelle Verbindungen von Werkstoff und Muster von Handwerk und Dekor geraten in Bewegung, in eine neue Vielfalt und in dieser Vielfalt ist die Frage, was kann die Maschine und wie soll sie es machen. Und diese Frage nach der Formgebung in der industriellen Produktion, das ist der Punkt, wo sich 1907 der Werkbund gründet."
Der deutsche Werkbund und die englische Arts & Crafts Bewegung sagten den überdekorierten Massenerzeugnissen den Kampf an. Gegen diese "Hausgreuel", "Schunderzeugnisse" und "Pimpeleien" setzten sie die aufgeklärte Geschmacksbildung in der Einheit von Form, Funktion und Material. Ratgeber über das richtige Kaufen und den guten Geschmack wurden geschrieben. Es gibt sogar schon damals Aufrufe zu nachhaltigem Kaufen.
Ethnologen und Kulturwissenschaftler forschen gerne in Kaufhäusern, Katalogen, Umkleidekabinen und Werbespots, auf dem Trödelmarkt, der Müllkippe oder in Tauschbörsen nach Zeichen für unsere materielle Kultur. Konsumstudien sind ein wichtiger Zweig ihrer Wissenschaft. Doch die Dinge sind mehr als ihre Warenbeziehung zu uns. Deshalb forscht man auch nach dem, was Kulturwissenschaftler die "Dingbedeutsamkeit" nennen. Literarisch beschrieb Pablo Neruda in seiner Ode an die Dinge, was damit gemeint ist:
Ich liebe alle Dinge, nicht weil sie brennen oder duften, sondern ich weiß nicht warum, weil dieser Ozean dir gehört, mir gehört: Die Knöpfe, die Räder, die kleinen vergessenen Schätze, die Fächer, in deren Federn die Liebe ihre Orangenblüten wehte, Gläser, Messer, Scheren – auf allem findet sich, am Griff, am Rand, eine Fingerspur, die Spur einer entrückten, ins vergessenste Vergessen versunkenen Hand.
"Die Dinge zwingen uns immer wieder weiter zu denken, als wir uns beim ersten Ansehen dieser Dinge vielleicht vorstellen können. Und das ist eine der spannenden Fragen, die wir auch immer wieder im Graduiertenkolleg behandeln. Welche Eigenschaften offenbaren uns die Dinge? Wie können wir uns in Kontexte von Dingen, in Deutungen von Wertigkeiten hineindenken, auch wenn das nicht unsere eigene Vorstellung von Wertigkeit dieser Dinge ist."
"Meine Türklinke war immer schon ineffizient. Trotzdem hat sie mir ein Verhältnis zu den Dingen beigebracht oder sie ist Symbol für mein Verhältnis zu den Dingen, dass sich hinter der nüchternen Funktion, dass man etwas gebrauchen kann etwas mehr verbirgt. Nämlich dass die Menschen in die Dinge etwas hineinsehen, etwas hineinfühlen. Dass sie ihr Leben ausstaffieren, zuweilen bis zur Unerträglichkeit, dass sie ihre Wohnungen voll machen. Aber im Grunde genommen, wenn man mich fragen würde, was sind die wirklich wichtigen Dinge, dann konzentriert sich das auf diese Türklinke."
"Es gibt Gegenstände, die begleiten einen durch das ganze Leben. Einen Gegenstand, den ich besonders schätze, das ist eine alte gusseiserne Türklinke. Die erste Begegnung mit dieser Klinke an die ich mich überhaupt erinnern kann, das war, als ich als Kind gerade mal da dran gereicht habe und versucht habe sie zu öffnen und sie dann direkt in der Hand hatte. Denn die ging direkt ab, die war damals schon nicht mehr richtig funktionsfähig. Sie war an einer Küchentür in einem uralten Haus, dreihundert Jahre alt zu einem Garten mit einem kleinen Teich raus. Und als Kind hatte ich eigentlich nichts anderes vor, als möglichst schnell und möglichst oft rein und raus zu kommen."
"Ich liebe Dinge, die Qualität haben. Gut, sie sind dann oft teuer, wenn sie an Silber denken, wenn sie an Schmuck denken. Ich bin ja eine Schmuck-Fanatikerin. Ach und ich liebe Edelsteine und halte meine Hände mit den Ringen gerne ins Sonnenlicht und dann freue ich mich, wie das funkelt und blitzt. Das ist natürlich teuer. Mein Mann genießt es, mir ständig Schmuck schenken zu dürfen, ich genieße das auch. Manchmal komme ich mir vor wie ein Christbaum. Aber ich liebe die Dinge nicht, weil sie teuer sind, sondern weil sie schön sind."
"Wir haben zwei Fragen, die uns vor allen anderen interessieren, die erste betrifft die Erzeugung, die Generierung von Wert mit Hilfe von Dingen. Das kann ganz einfach handwerkliche Produktion sein."
Prof. Hans Peter Hahn ist Ethnologe an der Universität Frankfurt am Main. Sein Fachgebiet sind die Dinge. Als Ethnologe erforscht er die materielle Kultur.
"Die zweite Frage, die uns sehr interessiert, ist die Frage der Erzeugung von Werten durch Zirkulation, durch den Handel oder Tausch, durch die Übergabe, hier geht es auch um Geschenke, oder auch durch das Verlieren und wieder auffinden. Dinge werden durch die lange Geschichte in der so etwas passiert natürlich mit Bedeutung und Wert aufgeladen. Das wissen wir alle aus dem Antiquitätenhandel."
Die alte Türklinke könnte den Wissenschaftler interessieren als Erinnerungsstück; die Liebe der älteren Dame zu edlen Steinen als Ausdruck materialisierter Wertschätzung. Prof. Hahn leitet das Graduiertenkolleg "Wert und Äquivalent" und in diesem Zusammenhang veranstaltet er zur Zeit gemeinsam mit einem Kollegen aus der Archäologie eine öffentliche Vortragsreihe über den Eigensinn der Dinge.
Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, solang irgendein Mensch um den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke....So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tintenfass, Papier, Zigarre, Glas, Lampe – alles, alles auf den Augenblick, wo man nicht Acht gibt.
Es klingt wie eine Kinderphantasie oder ein Märchen von Hans Christian Andersen, dieser Eigensinn der Alltagsdinge, den Friedrich Vischer in seinen Zeilen 1878 beschrieb. Von einem peruanischen Mythos über den Aufstand der Dinge berichtet auch der Ethnologe Walter Krickeberg in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Vertraute Dinge des Alltags werden darin plötzlich lebendig und bedrohlich für den Menschen. Es gibt einen Fries der diesen Mythos zeigt: Löffel und Teller, Gürtelspange und Silberschmuck haben darauf Arme und Beine und rennen im Laufschritt. Mit Waffen in der Hand sind sie im Begriff, die in ihren Häusern schlafenden Menschen zu attackieren.
"Das sind nicht nur die Märchen, sondern das ist auch eine Geschichte von Jorge Saramagas, der mit der Erzählung "Der Stuhl", erzählt, wie die Dinge sich aus der Lebenswelt entziehen. Oder eine Geschichte von Erhard Kästner, wo plötzlich die Dinge nicht mehr verfügbar und dienlich sind. Mit dem Eigensinn der Dinge wollen wir noch etwas mehr. Wir wollen ganz grundlegend zeigen, wie Dinge mit immer neuen, teilweise überraschenden Eigenschaften uns den Alltag nicht nur erleichtern, sondern mitunter auch schwerer machen. Wie wir im Alltag eigentlich ständig eine gewisse Aufmerksamkeit aufbringen müssen, um mit den Eigenschaften, die die Dinge uns offenbaren, mit denen auch fertig zu werden."
"Meine Eltern sammelten Kunst, meine Mutter war Konzertpianistin. Ich bin also mit Musik und Literatur und Altertümchen und schönen Bildern und allem aufgewachsen. Aber dann kam der Krieg und eine Zehnzentnerbombe lies von all der Herrlichkeit praktisch nichts übrig. Und manche Dinge die gerettet wurden, sind so grauslich. Unter anderem die Zeitungsanzeige meiner Geburt. Es kam von einer Blindenanstalt Wochen später jemand an die Haustür und es war diese Anzeige ausgeschnitten worden. Es war ein kitschiges, glitzriges Kleeblatt drauf geklebt und das Ganze – na ja, das ist das billigste Glas, unter so einen Sturz geklebt worden. Und meine Mutter, eine sehr fromme und hilfsbereite Frau kaufte natürlich dieses Schauerding ab. Und es war dann immer verborgen im Schreibtisch. Und die Bombe hat es zu Tage gefördert und das Ding ist auch nicht kaputt gegangen. Meine Mutter wollte es anschließend endgültig wegschmeißen. Und ich hab dann gesagt, ne, nu will ich es behalten. So hab ich es heut noch."
"Es ist natürlich ein wunderbares Beispiel für den Eigensinn der Dinge und auch für biografische Objekte. Dinge, die sich in die Lebensgeschichte einschreiben, werden immer mit einem hohen emotionalen Wert belegt. Und es zeigt weiterhin die Widersprüchlichkeit von Bewertungen. Selbst wenn diese Frau eine sehr hohe Kompetenz in Fragen der Ästhetik entwickelt hat, gibt es doch einen anderen Wert, der außerhalb dieser ästhetischen Normen liegt, der für sie dann auch zu respektieren ist. Den sie nicht umgehen kann. Dieses Objekt ist durch den Wohnungsbrand gegangen, dieses Objekt ist durch ihre Mutter zu ihr gekommen. So viele Erlebnisse, so viele Geschichten stecken an diesem Objekt, dass sie dem nicht entweichen kann."
Die alte Klinke gehört zu einer Tür, deren Haus es schon lange nicht mehr gibt. Die kitschige Geburtsanzeige unter Pressglas ist das wenige, was die Bombe im Krieg von all der ehemaligen Pracht übrig gelassen hat. Zufall – die Dinge sind ihren heutigen Besitzern im wahrsten Sinne des Wortes neu zugefallen und haben im Laufe der Zeit ihren Eigensinn entfaltet.
"Heute existiert dieses Haus nicht mehr. Aber diese Klinke existiert noch. Sie sieht noch genauso aus wie damals, ein bisschen, wenn man sie auf den Kopf stellt, wie ein alter Hydrant. Sie ist ziemlich schwer, viel schwerer als Klinken, die es heute noch gibt. Sie hat eine kleine Verzierung, so eine Art Kleeblatt an dem Knauf. Und sie ist etwas, was mich an dieses Haus, an diese Situation als kleiner Junge bis heute erinnert. Es ist sozusagen ein rein und rauskommen, ohne dass eine Tür dazu notwendig ist."
"Es gibt eine wunderbare Studie mit dem Titel "Geliebte Dinge” und hier geht es um die Frage, welchen Zusammenhang gibt es eigentlich zwischen dem materiellen Wert eines Objektes und der emotionalen Bindung, der Beliebtheit in einer gewissen Weise."
Autor der 1996 erschienen Studie ist der Frankfurter Psychologe Tilmann Habermas. Er untersuchte darin die Bedeutsamkeit von persönlichen Objekten für das Selbstverständnis eines Menschen.
"Und es zeigt sich, dass die materiell sehr wertvollen Objekte, sagen wir ruhig Schmuck oder wertvolle Möbel gar nicht einen so hohen Wert haben, wie man es vielleicht erwarten würde. Viel häufiger sind es sogenannte biografische Objekte, die den entscheidenden Wert in sich verkörpern."
Das kann eine alte Geldbörse sein, ein Holzkästchen, ein vom Vater in Tesafilm eingewickelter und lebenslang getragener Glückspfennig, ein Ring oder ein Sportschuh. Autobiografische Souvenirs nennt Tilmann Habermas diese geliebten Dinge. Es sind deren Geschichten, so der Psychologe, die uns helfen, unsere eigene Lebensgeschichte zu konstruieren. Solche Dinge sind identitätsbildend.
Dinge geben unserem Leben Halt, sagt der Psychologe. Sie sind eine Brücke vom Gestern zum Heute. Ist der Verlust so total, wie beispielsweise im Krieg nach einem Bombeneinschlag oder einer plötzlichen Flucht oder Migration, dann können auch neue, scheinbar alltägliche Dinge zu den Stellvertretern eines ganzen Lebens werden. Als nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die furchtbare Kriegsmaschinerie zerfallen war und die Noch-Einmal-Davongekommenen sich vom Ende einen neuen Anfang erhofften, schrieb der Dichter Günter Eich im Kriegsgefangenenlager ein Gedicht, dem er den Titel "Inventur" gab. Er benennt die Dinge, die ihm noch geblieben sind – die Stellvertreter seines Lebens:
Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen
Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.
"Das ist ein Stück Stacheldraht, das in Berlin gefunden wurde in den 60er, 70er-Jahren bei Umbauarbeiten auf dem Gelände der Topographie des Terrors."
Gudrun König ist Professorin an der TU Dortmund am Institut für Kunst und materielle Kultur. Sie hat sich lange mit dem Stacheldraht und seiner kulturellen Aussagen befasst. Ein stachliges Stück liegt in ihrem Büro auf einem Regal.
"Hier sieht man erst mal den Grunddraht, das ist ein zweifaseriger Grunddraht über den ein vierspitziger Knoten gedreht wurde und der Abstand der Knoten gibt Auskunft darüber, ob es eine militärische Nutzung oder eine zivile Nutzung war, je enger der Abstand, umso gefährlicher wird er in gewisser Weise, er wird auch schwerer. Die Enge dieses Abstandes sagt, das ist ne militärische Nutzung gewesen und nicht zur Abwehrung von Vieh an Weiden oder Schonungen oder wo immer es eingesetzt wurde."
Die Dinge sind stumm, wenn wir sie nicht verstehen. Wer aber hören kann, dem geben sie Auskunft. Gudrun König spannt den Stacheldraht mühelos von der ersten industriellen Herstellung als Weidezaun in den USA über den massiven Einsatz im Ersten Weltkrieg bis hin zum Einzäunen der Konzentrationslager im Nationalsozialismus. Ethnologen, Archäologen und Kulturwissenschaftler sind Sachverständige in der Sprache der Dinge.
"Ich sehe natürlich Nutzungsspuren an Objekten, ich sehe, ob das einer unteren Schicht oder einer bürgerlichen oder einer hochbürgerlichen Schicht zugeordnet werden kann. Die Dinge geben uns Auskunft über Gebrauchskontexte, sie geben Auskunft über soziale Kontexte. Man kann an ihnen auch ablesen, häufig, je nach Zeit, ist es von Männern oder von Frauen gebraucht worden. Das ist der Bereich der Selbstauskunft."
Betreten wir einen Raum, so spüren wir fast immer sofort, ob hier eine Frau oder ein Mann wohnt. Das sagen uns die Gegenstände und ihre Ordnung. Eine der bedeutsamsten Untersuchungen über unsere Beziehung zu den Gegenständen ist die 1977 durchgeführte Chicago-Studie. Sie zeigte unter anderem deutliche Unterschiede, womit Männer und Frauen sich am liebsten Zuhause umgeben.
Die Frauen zählten Pflanzen, Porzellan, Textilien und Fotos zu ihren Schätzen. Objekte, die Männer eher kalt lassen. Ihre Lieblinge sind Werkzeuge, Fernseher, Stereoanlage, Sport- und Gartengeräte, Fahrzeuge und Trophäen.
Die Rückschlüsse aus der Chicago-Studie: Frauen lieben Dinge eher, weil sie etwas über ihre Beziehungen ausdrücken. Männer hingegen schätzen Dinge, die sie selbst als aktiv, funktional und leistungsstark erscheinen lassen.
"Dass es diese Jacke jetzt nur zehn Mal auf der Welt gibt, das ist mir eigentlich egal. Das spielt keine Rolle. Sondern es geht eigentlich darum, dass es ein besseres Stück ist, in dem ich mich dann auch besser fühle. Mein Smaragdarmband, die Steine sind ziemlich angeschlagen. Manchmal runzelt mein Mann die Stirn. Dann sage ich, du, du hast es mir geschenkt, damit ich mich dran freue, nicht, dass ich den Krempel in den Safe tue."
Der feine Unterschied, heißt eine sozialwissenschaftliche Studie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu von 1982. Darin zeigte er unter anderem auf, wie feinsinnig das soziale Gewebe durchdrungen ist mit Zeichen der Schichtzugehörigkeit. Ob ein Stoff so oder so gewebt ist, zeigt den Kenner und seine Kaufkraft. Darüber muss der Träger selbst kein Wort verlieren, erklärt der Ethnologe Hans Hahn.
"Die Dinge sind manchmal Sprecher für uns, gerade wenn wir sprachlos sind, werden Dinge immer noch gelesen und verstanden. Fangen sie an mit Kleidung, die immer lesbar ist, bis hin zu den Marken, die wir benutzen. All diese Mittel der Distinktion sind ja gewissermaßen Dinge, die über uns etwas sagen, ohne, dass wir selbst sprechen müssen."
"Das ist für mich ein sehr schönes Lebensgefühl meinen Geschmack auch in diesen Sachen zu spiegeln. Wenn ich diese Sachen trage fühle ich mich auf der Stelle wertvoller und erfolgreich. Es ist einfach ne bessere Lebensqualität. Einer meiner Wahlsprüche ist, ich kann es mir nicht leisten, billige Sachen zu kaufen. Es sind Dinge, die ich mir nicht für heute oder für die nächsten Wochen kaufe, sondern das hat offensichtlich auch Bestand."
"Es ist niemals nur individuell, weil es geht auch um die Frage der Anerkennung. Ist ein Objekt lesbar, wird es verstanden in der sozialen Umwelt. Können Menschen die Herkunft eines Objektes erraten, wenn es da im Wohnzimmer steht. Oder wenn ich ein teures Auto kaufe, wissen tatsächlich alle Menschen, dass dieses Auto so teuer ist oder ist es eine Nachricht, die gewissermaßen verloren geht, weil sie nicht allgemein anerkannt wird?"
Was treibt unsere Kaufentscheidungen? Etwa 10.000 Sachen besitzt ein Deutscher im Durchschnitt. Ob er sie alle braucht, ist höchst fraglich. Aber Konsum steigert das Bruttosozialprodukt. Und während die einen in der Fülle oder in teurer Klasse statt billiger Masse schwelgen, ist es auch schick geworden, sich dem Kaufrausch ganz zu entziehen. Es gibt immer wieder Bewegungen einer Enthaltsamkeit, oft mit kulturkritischem Gestus verbunden, erklärt der Ethnologe Peter Hahn.
"Konsumkritik ist ein uralter Topos in der europäischen Geschichte. Konsumkritik wird immer dann laut, wenn gleichzeitig eine Güterexpansion stattfindet. Also wenn Leute aufgrund von Wohlstand plötzlich sehr viel mehr Dinge haben, fangen andere an, auch diesen Zuwachs an Dingen zu kritisieren. Ich glaube, dass die gegenwärtige Beschäftigung mit den Dingen sehr mit einem solchen Reflex auf den Zuwachs von Dingen zu tun hat. Denken sie an die Revolution in der Telekommunikation. Das macht uns misstrauisch, das wirft uns gewissermaßen zurück auf die Frage, was sind unsere Kompetenzen im Hinblick auf diese Dinge."
Begonnen hat die Fülle an Dingen für ein Massenpublikum mit der industriellen Produktion im 19. Jahrhundert. In ihrem Gefolge entstanden die ersten Kaufhäuser, Werbung, Berufe wie Dekorateur und Grafiker, erzählt die Kulturwissenschaftlerin Gudrun König:
"Traditionelle Verbindungen von Werkstoff und Muster von Handwerk und Dekor geraten in Bewegung, in eine neue Vielfalt und in dieser Vielfalt ist die Frage, was kann die Maschine und wie soll sie es machen. Und diese Frage nach der Formgebung in der industriellen Produktion, das ist der Punkt, wo sich 1907 der Werkbund gründet."
Der deutsche Werkbund und die englische Arts & Crafts Bewegung sagten den überdekorierten Massenerzeugnissen den Kampf an. Gegen diese "Hausgreuel", "Schunderzeugnisse" und "Pimpeleien" setzten sie die aufgeklärte Geschmacksbildung in der Einheit von Form, Funktion und Material. Ratgeber über das richtige Kaufen und den guten Geschmack wurden geschrieben. Es gibt sogar schon damals Aufrufe zu nachhaltigem Kaufen.
Ethnologen und Kulturwissenschaftler forschen gerne in Kaufhäusern, Katalogen, Umkleidekabinen und Werbespots, auf dem Trödelmarkt, der Müllkippe oder in Tauschbörsen nach Zeichen für unsere materielle Kultur. Konsumstudien sind ein wichtiger Zweig ihrer Wissenschaft. Doch die Dinge sind mehr als ihre Warenbeziehung zu uns. Deshalb forscht man auch nach dem, was Kulturwissenschaftler die "Dingbedeutsamkeit" nennen. Literarisch beschrieb Pablo Neruda in seiner Ode an die Dinge, was damit gemeint ist:
Ich liebe alle Dinge, nicht weil sie brennen oder duften, sondern ich weiß nicht warum, weil dieser Ozean dir gehört, mir gehört: Die Knöpfe, die Räder, die kleinen vergessenen Schätze, die Fächer, in deren Federn die Liebe ihre Orangenblüten wehte, Gläser, Messer, Scheren – auf allem findet sich, am Griff, am Rand, eine Fingerspur, die Spur einer entrückten, ins vergessenste Vergessen versunkenen Hand.
"Die Dinge zwingen uns immer wieder weiter zu denken, als wir uns beim ersten Ansehen dieser Dinge vielleicht vorstellen können. Und das ist eine der spannenden Fragen, die wir auch immer wieder im Graduiertenkolleg behandeln. Welche Eigenschaften offenbaren uns die Dinge? Wie können wir uns in Kontexte von Dingen, in Deutungen von Wertigkeiten hineindenken, auch wenn das nicht unsere eigene Vorstellung von Wertigkeit dieser Dinge ist."
"Meine Türklinke war immer schon ineffizient. Trotzdem hat sie mir ein Verhältnis zu den Dingen beigebracht oder sie ist Symbol für mein Verhältnis zu den Dingen, dass sich hinter der nüchternen Funktion, dass man etwas gebrauchen kann etwas mehr verbirgt. Nämlich dass die Menschen in die Dinge etwas hineinsehen, etwas hineinfühlen. Dass sie ihr Leben ausstaffieren, zuweilen bis zur Unerträglichkeit, dass sie ihre Wohnungen voll machen. Aber im Grunde genommen, wenn man mich fragen würde, was sind die wirklich wichtigen Dinge, dann konzentriert sich das auf diese Türklinke."