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Vom Elend des Krieges

Die Kölner und ihre Oper – das war schon vor einem halben Jahrhundert kein einfaches Verhältnis. 1965 sollte am Rhein Bernd Alois Zimmermanns einzige Oper "Die Soldaten" zur Uraufführung kommen – nach dem Text von Jakob Michael Reinhold Lenz aus dem 18. Jahrhundert. Einige Musikschaffende – vor allem die Gürzenich-Musiker und ihr Kapellmeister Günter Wand – hielten die Musik für "unspielbar" und wollten sie verhindern.

Von Frieder Reininghaus |
    Erfolglos verhindern: Die Protagonisten des Fortschritts, der Dirigent Michael Gielen und der Spielleiter Hans Neugebauer, setzten sich durch und inszenierten zum ersten Mal, was heute als "Meilenstein der Moderne" gilt. Nicht historisch und schon gar nicht zeitlich genauer fixiert wollte Zimmermann sein Werk verstanden wissen. Es spiele, so die Vorgabe, "zeitlos" im Gestern, Heute und Morgen. Daran aber hat sich nun bei den Salzburger Festspielen der wie Lenz aus dem Baltikum stammende Regisseur Alvis Hermannis nicht gehalten. Was bei ihm und Dirigent Ingo Metzmacher aus den "Soldaten" wurde, sah und hörte Frieder Reininghaus.

    Das Präludium demonstriert mit fast maximaler Ballungskraft des Schlagwerks und den eingewobenen dies-irae-Zitaten entgrenzten Ausdruck. Der verdankt sich dem Willen eines modernen Tonsetzers, den Schrecken des 20. Jahrhunderts, die er aus relativer Nähe selbst erfahren hatte, auf die Zähne zu fühlen und ein Erinnerungszeichen zu setzen. Bernd Alois Zimmermann stützte sich bei seiner einzigen Oper auf den (von ihm selbst zugerichteten) Text einer Komödie von Jakob Lenz. Dabei hatte er alles andere als eine moderne Komödie im Sinn, sondern – in allerdeutlichster Anlehnung an den "Wozzeck" von Alban Berg – eine stark existenzialistisch imprägnierte und mit allen erdenklichen Schreckmitteln der musikalischen Moderne aufgeladene Tragödie. Es ist die der Marie Wesener. Diese junge Frau will hoch hinaus in den spätfeudalen und noch weitgehend ungesicherten bürgerlichen Verhältnissen des späten 18. Jahrhunderts. Sie fällt tief. Zimmermann war ohne Skrupel der Auffassung, dass seine Musik das entscheidend Wichtige und zentral Bedeutsame im Gesamtkunstwerk sei. Er folgte in dieser Borniertheit naiv der deutschen Musikideologie des 19. Jahrhunderts, die doch ansonsten angeblich so radikal abgelehnt wurde.

    Zimmermanns Musik stattet mit ihrer erheblichen Vielgestaltigkeit die allesamt kammerspielartig strukturierten Szenen aus – auf anregend vielseitige Weise. Sie schafft dem finalen Aufschrei für den großen Raum einen langen Anlauf, präsentiert insgesamt ein veritables Panorama der musikalischen Mittel der 60er-Jahre-Moderne. Ingo Metzmacher organisiert und animiert die musikalischen Prozesse im großen Ganzen wie in den Details mit der Lust der souveränen Verfügungsgewalt. Dabei kümmert ihn hörbar wenig, wie sehr das antifranzösisch getönte Sittenbild des Jakob Lenz von Zimmermann überinstrumentiert und übermotorisiert wurde. Die Wiener Philharmoniker werden für den Vollzug des Martialischen und der dräuend lärmenden akustischen Masse wie für die aufmerksame Ausführung des Filigranen nicht nur im Graben in Anschlag gebracht, sondern auch auf Podien rechts und links von ihm aufgeboten.

    Die Musiker rahmen die neun Fensterbögen des als "Felsenreitschule" in die Felsenreitschule gebauten Kasernen-Nebengebäudes. Hinter den Scheiben werden sieben Rassepferde trainiert und vorgeführt, schrecken Soldaten aus dem Schlaf und befriedigen sich selbst. Vor diesen architektonisch anspielungsreichen Bogenfenstern wurden für die Szenen in Lille, Amentière und an anderen Schauplätzen in Nordfrankreich mit Biedermeier-Gestühl und Rokoko-Sofas, aber auch mit Heuhaufen, Strohballen und einer großen Glasvitrine möbliert und konkretisiert. Die Kostüme, die unter Anleitung von Eva Dessecker genäht und angegossen wurden, orientieren sich an Frauenkleidern, Soldatenfräcken und -hosen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und aus verschiedenen Herren Länder. Sie bescheren den Uniformierten auf historisch informierte Weise individuellen Zuschnitt und vielerlei farbliche Nuancierungen – bis hin zu den Schweißspuren. Die Kostüme tragen in hohem Maß bei zur Rekonkretisierung der von Zimmermann aufs allzu Allgemeine und die Welt des potenziellen Atomschlags hin angelegte Werk. Zwei Dutzend Gesangssolisten, angeführt von Laura Aikin als Marie Wesener, erfüllen die mit kleingliedriger Sorgfalt inszenierten Tableaus mit Stimmleben – Gabriela Beńačková sticht mit der herrischen Stimme der alten Gräfin heraus. Alvis Hermanis nahm die Geschichte von Marie und den Soldaten zurück in die Sphäre der Fernseh-Familien-Saga – so traulich und so hold. Die Rechnung ging auf: Der aus Riga stammende Regisseur bescherte den Salzburger Sommerfestspielen 2012 im Verbund mit dem Dirigenten Metzmacher die bislang einzig ernsthaft diskussionswürdige Opern-Produktion. Denn obwohl diese das sperrige Werk mit Konzilianz zu entschärfen trachtete, rückt sie es – zu seinem Vorteil – erstmals näher an die Welt von Lille und 1776 heran.