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Vom Enfant terrible zur anerkannten Künstlerin

Valie Export sorgte für Aufsehen, als sie 1968 in einer Fußgängerzone Männer einlud, ihre hinter der Pappverkleidung versteckten nackten Brüste zu betatschen. Der berühmte Kasten des "Tapp- und Tastkinos" ist in Bregenz ebenso zu sehen, wie die im Schritt geschlitzte Hose der "Genitalpanik".

Von Christian Gampert |
    Im obersten Stockwerk Geflimmer und das vertraute Geräusch alter Filmprojektoren. Im Mittelstock die Großinstallation "Fragmente der Bilder einer Berührung" von 1994, wo von der Decke hängende Glühbirnen mechanisch in schmale Gefäße mit Milch, Altöl oder Wasser getaucht werden – wenn man so will: eine konzeptualistische Ansicht massenhafter Geschlechtsakte. Und im ersten Stock das Archiv: Notizen, Konzepte, Drehbücher, Drehpläne, Fotos von Aktionen – und eine ganze Phalanx sorgfältigst geführter Aktenordner.

    Die wilde Valie Export scheint also eine äußerst penible Person zu sein. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sie selber kennenlernt: freundlich, aber zurückhaltend. Die Aktionskünstlerin, die 1969 mit aufgeschlitzter Jeans ihr Geschlechtsteil präsentierte und so die sonst immer erotisierende Inszenierung von Nacktheit in ihr Gegenteil, in die Präsentation fleischlicher Ware verkehrte, sie ist ein äußerst reflektierter, aber auch irgendwie bodenständig wirkender Mensch. Frau Export, sind Sie mit 71 Jahren immer noch Feministin?

    "Ja, ich bin immer noch Feministin. Aber so wie sich die Zeit ändert, die Epoche, so ändert sich auch das Bild der Feministin oder mein Bild vom Feminismus. Es ist ganz klar, dass man sich anpassen muss an die Strukturen, die sich ändern."

    Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, wie immer klar und kunsthistorisch sauber gegliedert, zeigt Exports Archiv nicht nur als Kraftzentrum einer künstlerischen Arbeit, wo vom schon Geleisteten ausgehend Neues erfunden wird, sondern auch als Heimat, als eine Form von Bei-sich-sein. Da ist die Reflexion von Jahren als Ganzes präsent, die sonst in Einzelausstellungen, in Filme, in Aktionen zersplittert ist.

    Die Aktionskunst, so aggressiv sie auch daherkommen mag, ist nämlich eine zerbrechliche, eine flüchtige Kunstform – sie muss dokumentiert und aufbewahrt werden. Valie Export hat mit Kunst praktisch nichts verdient in den sechziger Jahren, sie hat gejobbt, das Museum gemieden und im Umkreis der Wiener Aktionisten den heutigen ZKM-Direktor Peter Weibel kennengelernt, den sie dann als Hund, kriechend, an der Leine über die Kärntner Straße führte - und so die patriarchale Struktur der immer noch faschisierten österreichischen Nachkriegsgesellschaft auf den Kopf stellte. Die Aktionsfotos sind ausgestellt, und die im Schritt geschlitzte Hose der "Genitalpanik" ist ebenso zu sehen wie der berühmte Kasten des "Tapp- und Tastkinos", mit dem Export 1968 Männer in der Fußgängerzone einlud, ihre hinter der Pappverkleidung versteckten nackten Brüste zu betatschen. Dass diese Aneignung eines weiblichen Körpers taktil und in aller Öffentlichkeit geschah, und nicht, wie sonst, nur visuell, in der Abgeschiedenheit eines Pornokinos, brachte die männlichen Akteure in eine, sagen wir: ungewohnte Situation.

    "Das Lustige war ja schon dabei, dass die Leute dann gemerkt haben, dass sie selber beobachtet werden. Also sie sind eigentlich jetzt die Person für den Voyeurismus anderer."

    Das Konzept des "Expanded Cinema", eine Art Gesellschaftserforschung mit Aktionen und vielen verschiedenen Leinwänden, wird auch im obersten Ausstellungssaal noch einmal angedeutet. Dort wird dann auch gezeigt, dass Export lange Jahre eine avancierte Filmemacherin war, die nicht nur in Undergroundkinos, sondern auch auf der Berlinale reüssierte, von den "Menschenfrauen" (1979) bis zu "Die Praxis der Liebe" 1984. Wie sorgfältig das alles vorbereitet war, zeigen die Archivalien. Es wird auch deutlich, dass "Valie Export" eine Kunstfigur ist: Das Pseudonym hat natürlich eine Schutzfunktion. Das Zentrum dieses Werks ist nämlich der Schmerz: das Gefühl, als weibliches Wesen ständig abgewertet zu werden. Die Frau, die sich 1970 ein Strumpfband auf den Oberschenkel tätowieren ließ und damit dann lasziv posierte, die war nicht nur provokant, sie stellte auch eine Verletzung aus.

    Valie Export, heute Professorin an diversen Hochschulen, hat ihr Lebensthema in vielen verschiedenen Medien ausgetobt, in Aktionen, Fotos, Filmen, Installationen. Letztlich geht es immer um die "Einpassung des weiblichen Körpers" in die Gesellschaft, in die Stadt, die Landschaft, in die biologische Funktion. Diese um Steine und Sträucher gewickelten Körperkonfigurationen dominieren den einen, den fotografischen Teil des Werks; die Aktionen sind der andere, der vitalere Part. Wer sich aber ein Brot um den Leib bindet und von Passanten Scheiben herausschneiden lässt, der präsentiert nicht nur eine intelligente szenische Erfindung zur Rolle der Frau, sondern vielleicht auch ein persönliches Trauma. Aber gerade die Verkleidung weiblicher Attribute ist Exports größte Stärke: Die Verweigerung des Bildes ist die avancierteste feministische Kunstform.