" Meine Mutter hat mich mit 18 Jahren gekriegt. Und dann war ich ungefähr drei, dann fing das dann alles an, da war meine Mutter zu der Zeit auch schon arg drogensüchtig gewesen und ist auch auf den Strich gegangen. Also sie war Prostituierte. "
Mit zehn Jahren kam Marion in ein Kinderheim. Anders als in den meisten europäischen Ländern ist in Deutschland das Heim immer noch die erste Adresse des Jugendamtes, wenn Kinder zeitweise oder dauerhaft nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können.
" Also das Kinderheim war für mich echt die Hölle. Na ja und dann hab ich angefangen damit. Dann hab ich angefangen zu schlagen und andere Leute zu verhauen aus Frust einfach. Ich konnte mich einfach nicht anders wehren. "
Das Mädchen hat extrem schwierige Krisen durchgemacht, bis sie mit 16 Jahren in einem ungewöhnlichen Kleinstheim eine neue Familie und ein Zuhause fand. Seit über 30 Jahren verändert sich die Heimerziehung kontinuierlich, sagt Professor Klaus Wolf, Erziehungswissenschaftler an der Universität Siegen:
" Das eine ist, dass es in der Heimerziehung echte Lebensbetreuungsformen gibt. Also professionelle sozialpädagogische Mitarbeiterin lebt mit einigen Kindern in einer Lebensgemeinschaft zusammen und betreut sie. Also das hat mit Vorstellungen von Anstalt, großen Häusern und Gruppen nichts mehr zu tun. "
Mit der großen Kritik an der traditionellen Heimerziehung in den 60er Jahren bewegte sich in diesem Bereich der Jugendhilfe viel. Vergleichsweise wenig hat sich dagegen bei Pflegefamilien verändert. Die Zahl der Kinder in solchen Familien ist in den letzten 15 Jahren gleich geblieben. Nach den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2004 lebten etwas über 64.000 Kinder in Pflegefamilien. In Heimen leben fast doppelt so viele Kinder. An dieser Relation hat sich grundsätzlich nie etwas geändert. Dabei geht es wohl vielen Kindern, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, so wie Marion:
" Ich wollte einfach in eine normale Familie kommen mit Mutter, Vater Kind und alles ist toll, das wollte ich einfach immer und hier hab ich halt meine Chance gesehen. "
Damit mehr Kinder die Möglichkeit haben in Familien statt in Heimen aufzuwachsen, muss sich das Pflegekinderwesen ändern, sagt der Erziehungswissenschaftler Klaus Wolf. Aus diesem Grund hat das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste der Universität Siegen zusammen mit der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen Fachleute eingeladen. Zwei Tage diskutierten sie die verschiedenen Gesichter der Modernisierung des Pflegekinderwesens. Traditionell galt das Motto: Wir verpflanzen die Kinder von einer schlechten zu einer guten Mutter. Doch so einfach war und ist es nicht, sagt der Erziehungswissenschaftler Wolf:
" Die meisten Eltern, deren Kinder irgendwann nicht mehr bei ihnen aufwachsen können, haben auch versucht gute Eltern zu sein und sind manchmal daran dramatisch gescheitert und es kommt jetzt für die Kinder darauf an, dass sie einen sicheren Lebensort haben, zugleich aber auch ihre Beziehung zu ihren Eltern, die immer wieder ein Thema ist, dass sie diese Beziehung weiter entwickeln können und für sich gut und konstruktiv klären können. "
Aus entwicklungspsychologischen Untersuchungen zum Bindungsverhalten von Kindern weiß man, dass Kinder ihre Wurzeln brauchen. Selbst wenn die leiblichen Eltern sie dramatisch schlecht behandelt haben. Die Herkunft können sie nicht ablegen wie einen alten Hut. Eine Pflegefamilie, so die mühsame Erkenntnis seit den 80er Jahren, kann nur eine Ergänzung sein. Die Pflegeeltern sollen den Kontakt zur Herkunftsfamilie halten. Dabei müssen sie oft ein fremdes Milieu und einen anderen Umgang mit den Kindern überbrücken. Das ist eine große Herausforderung für Pflegeeltern. Die Anforderungen an sie sind noch gestiegen, seit in den 90er Jahren die ambulante Familienhilfe ausgebaut wurde, erzählt Professor Jürgen Blandow, von der Universität Bremen. Seither können mehr Kinder in ihren Familien bleiben, so Blandow:
" Das bedeutet für die Pflegefamilie, dass sie teils ältere Kinder oder wenn sie noch jünger sind traumatisierte, stark vernachlässigte Kinder hat. Das heißt, die Aufgaben für Pflegeeltern sind erheblich schwieriger geworden. "
Deshalb war ein großes Thema der Tagung in Siegen, wie es die Jugendhilfe schaffen kann, mehr Pflegefamilien zu finden. Professionalisierung ist dabei ein zentrales Stichwort, sagt der Erziehungswissenschaftler Klaus Wolf:
" Da machen die potenziellen Pflegeeltern richtig intensive Kurse, sie haben Fortbildungsverpflichtungen, sie müssen zum Beispiel zweimal im Jahr an Fachtagungen zu ihrem Thema teilnehmen, müssen Supervision in Anspruch nehmen und dafür machen sie es als bezahlte, sozialversicherungspflichtige Tätigkeit. "
In Österreich habe man damit schon gute Erfahrungen gemacht. Hierzulande gibt es erst einige wenige Modelle.
Schon jetzt wachsen rund 50.000 Kinder bei ihren Großeltern, Onkeln und Tanten auf. Allerdings zumeist ohne professionelle erzieherische Unterstützung. In den USA hat man in den 80er Jahren die Verwandtenpflege bewusst gefördert, berichtet der Bremer Erziehungswissenschaftler Blandow:
" In New York gab es Anfang der 80er Jahre 400 anerkannte Verwandtenpflegestellen und zehn Jahre später waren es 12.000. Man hat das bewusst gefördert als Alternative zur Fremdpflege. "
Viele Identitätsprobleme der Pflegekinder können so verringert werden. Sie bleiben zumeist in ihrem Milieu, oft sogar in ihrem Wohnviertel, behalten ihre Freunde, können ihre Schule weiter besuchen. Auch in den Niederlanden wird die Verwandtenpflege seit einigen Jahren intensiv gefördert. In großen Städten wie Amsterdam und Rotterdam machen sie bereits 70% der Pflegestellen aus. Und zwar mit guten Erfahrungen, wie Interviews mit den Kindern gezeigt haben.
Modernisierung im Pflegekinderwesen braucht also vor allem einen Perspektivwechsel. In den Blick rückt das einzelne Kind mit seinen Erfahrungen und Bedürfnissen. Zwischen diesem Anspruch und der Wirklichkeit klaffen aber noch Welten. Es gibt kleine Jugendämter, die nur eine halbe Stelle für Pflegekinder haben. Oft mangelt es an fachlicher Kompetenz, Erfahrung und an Alternativen. Aber es fehlt auch an Forschung, beklagt der Erziehungswissenschaftler Jürgen Blandow:
" Wir wissen relativ wenig über Pflegekinder. Wir wissen viel über Strukturen. Aber Forschung zum Pflegekinderwesen hat sich eigentlich immer mehr auf diese konzeptionellen und strukturellen Fragen bezogen. Und qualitative Forschung zu Pflegekindern fängt jetzt an, wo eine neue Generation von Forschern sich wirklich das Erleben von Kindern auch forschungsmäßig erschließen. "
An der Universität Jena gab es bereits ein größeres Projekt, wo erwachsene Pflegekinder zu ihren Erfahrungen befragt wurden. Ein zentrales Ergebnis:
" Dass es wahnsinnig anstrengend ist, Pflegekind zu werden und Pflegekind zu sein. Überraschend ist wie häufig es den Kindern gelingt. Aber man darf dabei nicht vergessen, es gelingt ihnen nur mit einer erheblichen Anstrengung. Und daran scheitern auch immer wieder Kinder. Es ist ein gravierendes Erlebnis für das Kind, entweder nichts von seinen Eltern zu wissen oder böses über seine Eltern zu hören oder die Ambivalenz der Pflegeltern zu spüren. "
Dieser Bereich der Jugendhilfe wird künftig sehr viel mehr die innere Dynamik zwischen Kind, Pflegeeltern und Herkunftsfamilie berücksichtigen müssen. Und es gilt die Ersatzeltern stark zu machen, für diese besondere Herausforderung, resümiert der Erziehungswissenschaftler Klaus Wolf:
" Das ist etwas, was die Gesellschaft dringend braucht, dass wir Menschen haben, die sich um solche Aufgaben mit kümmern, die in einigen Fällen die leiblichen Eltern eben nicht gut hinbekommen. "
Mit zehn Jahren kam Marion in ein Kinderheim. Anders als in den meisten europäischen Ländern ist in Deutschland das Heim immer noch die erste Adresse des Jugendamtes, wenn Kinder zeitweise oder dauerhaft nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können.
" Also das Kinderheim war für mich echt die Hölle. Na ja und dann hab ich angefangen damit. Dann hab ich angefangen zu schlagen und andere Leute zu verhauen aus Frust einfach. Ich konnte mich einfach nicht anders wehren. "
Das Mädchen hat extrem schwierige Krisen durchgemacht, bis sie mit 16 Jahren in einem ungewöhnlichen Kleinstheim eine neue Familie und ein Zuhause fand. Seit über 30 Jahren verändert sich die Heimerziehung kontinuierlich, sagt Professor Klaus Wolf, Erziehungswissenschaftler an der Universität Siegen:
" Das eine ist, dass es in der Heimerziehung echte Lebensbetreuungsformen gibt. Also professionelle sozialpädagogische Mitarbeiterin lebt mit einigen Kindern in einer Lebensgemeinschaft zusammen und betreut sie. Also das hat mit Vorstellungen von Anstalt, großen Häusern und Gruppen nichts mehr zu tun. "
Mit der großen Kritik an der traditionellen Heimerziehung in den 60er Jahren bewegte sich in diesem Bereich der Jugendhilfe viel. Vergleichsweise wenig hat sich dagegen bei Pflegefamilien verändert. Die Zahl der Kinder in solchen Familien ist in den letzten 15 Jahren gleich geblieben. Nach den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2004 lebten etwas über 64.000 Kinder in Pflegefamilien. In Heimen leben fast doppelt so viele Kinder. An dieser Relation hat sich grundsätzlich nie etwas geändert. Dabei geht es wohl vielen Kindern, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, so wie Marion:
" Ich wollte einfach in eine normale Familie kommen mit Mutter, Vater Kind und alles ist toll, das wollte ich einfach immer und hier hab ich halt meine Chance gesehen. "
Damit mehr Kinder die Möglichkeit haben in Familien statt in Heimen aufzuwachsen, muss sich das Pflegekinderwesen ändern, sagt der Erziehungswissenschaftler Klaus Wolf. Aus diesem Grund hat das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste der Universität Siegen zusammen mit der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen Fachleute eingeladen. Zwei Tage diskutierten sie die verschiedenen Gesichter der Modernisierung des Pflegekinderwesens. Traditionell galt das Motto: Wir verpflanzen die Kinder von einer schlechten zu einer guten Mutter. Doch so einfach war und ist es nicht, sagt der Erziehungswissenschaftler Wolf:
" Die meisten Eltern, deren Kinder irgendwann nicht mehr bei ihnen aufwachsen können, haben auch versucht gute Eltern zu sein und sind manchmal daran dramatisch gescheitert und es kommt jetzt für die Kinder darauf an, dass sie einen sicheren Lebensort haben, zugleich aber auch ihre Beziehung zu ihren Eltern, die immer wieder ein Thema ist, dass sie diese Beziehung weiter entwickeln können und für sich gut und konstruktiv klären können. "
Aus entwicklungspsychologischen Untersuchungen zum Bindungsverhalten von Kindern weiß man, dass Kinder ihre Wurzeln brauchen. Selbst wenn die leiblichen Eltern sie dramatisch schlecht behandelt haben. Die Herkunft können sie nicht ablegen wie einen alten Hut. Eine Pflegefamilie, so die mühsame Erkenntnis seit den 80er Jahren, kann nur eine Ergänzung sein. Die Pflegeeltern sollen den Kontakt zur Herkunftsfamilie halten. Dabei müssen sie oft ein fremdes Milieu und einen anderen Umgang mit den Kindern überbrücken. Das ist eine große Herausforderung für Pflegeeltern. Die Anforderungen an sie sind noch gestiegen, seit in den 90er Jahren die ambulante Familienhilfe ausgebaut wurde, erzählt Professor Jürgen Blandow, von der Universität Bremen. Seither können mehr Kinder in ihren Familien bleiben, so Blandow:
" Das bedeutet für die Pflegefamilie, dass sie teils ältere Kinder oder wenn sie noch jünger sind traumatisierte, stark vernachlässigte Kinder hat. Das heißt, die Aufgaben für Pflegeeltern sind erheblich schwieriger geworden. "
Deshalb war ein großes Thema der Tagung in Siegen, wie es die Jugendhilfe schaffen kann, mehr Pflegefamilien zu finden. Professionalisierung ist dabei ein zentrales Stichwort, sagt der Erziehungswissenschaftler Klaus Wolf:
" Da machen die potenziellen Pflegeeltern richtig intensive Kurse, sie haben Fortbildungsverpflichtungen, sie müssen zum Beispiel zweimal im Jahr an Fachtagungen zu ihrem Thema teilnehmen, müssen Supervision in Anspruch nehmen und dafür machen sie es als bezahlte, sozialversicherungspflichtige Tätigkeit. "
In Österreich habe man damit schon gute Erfahrungen gemacht. Hierzulande gibt es erst einige wenige Modelle.
Schon jetzt wachsen rund 50.000 Kinder bei ihren Großeltern, Onkeln und Tanten auf. Allerdings zumeist ohne professionelle erzieherische Unterstützung. In den USA hat man in den 80er Jahren die Verwandtenpflege bewusst gefördert, berichtet der Bremer Erziehungswissenschaftler Blandow:
" In New York gab es Anfang der 80er Jahre 400 anerkannte Verwandtenpflegestellen und zehn Jahre später waren es 12.000. Man hat das bewusst gefördert als Alternative zur Fremdpflege. "
Viele Identitätsprobleme der Pflegekinder können so verringert werden. Sie bleiben zumeist in ihrem Milieu, oft sogar in ihrem Wohnviertel, behalten ihre Freunde, können ihre Schule weiter besuchen. Auch in den Niederlanden wird die Verwandtenpflege seit einigen Jahren intensiv gefördert. In großen Städten wie Amsterdam und Rotterdam machen sie bereits 70% der Pflegestellen aus. Und zwar mit guten Erfahrungen, wie Interviews mit den Kindern gezeigt haben.
Modernisierung im Pflegekinderwesen braucht also vor allem einen Perspektivwechsel. In den Blick rückt das einzelne Kind mit seinen Erfahrungen und Bedürfnissen. Zwischen diesem Anspruch und der Wirklichkeit klaffen aber noch Welten. Es gibt kleine Jugendämter, die nur eine halbe Stelle für Pflegekinder haben. Oft mangelt es an fachlicher Kompetenz, Erfahrung und an Alternativen. Aber es fehlt auch an Forschung, beklagt der Erziehungswissenschaftler Jürgen Blandow:
" Wir wissen relativ wenig über Pflegekinder. Wir wissen viel über Strukturen. Aber Forschung zum Pflegekinderwesen hat sich eigentlich immer mehr auf diese konzeptionellen und strukturellen Fragen bezogen. Und qualitative Forschung zu Pflegekindern fängt jetzt an, wo eine neue Generation von Forschern sich wirklich das Erleben von Kindern auch forschungsmäßig erschließen. "
An der Universität Jena gab es bereits ein größeres Projekt, wo erwachsene Pflegekinder zu ihren Erfahrungen befragt wurden. Ein zentrales Ergebnis:
" Dass es wahnsinnig anstrengend ist, Pflegekind zu werden und Pflegekind zu sein. Überraschend ist wie häufig es den Kindern gelingt. Aber man darf dabei nicht vergessen, es gelingt ihnen nur mit einer erheblichen Anstrengung. Und daran scheitern auch immer wieder Kinder. Es ist ein gravierendes Erlebnis für das Kind, entweder nichts von seinen Eltern zu wissen oder böses über seine Eltern zu hören oder die Ambivalenz der Pflegeltern zu spüren. "
Dieser Bereich der Jugendhilfe wird künftig sehr viel mehr die innere Dynamik zwischen Kind, Pflegeeltern und Herkunftsfamilie berücksichtigen müssen. Und es gilt die Ersatzeltern stark zu machen, für diese besondere Herausforderung, resümiert der Erziehungswissenschaftler Klaus Wolf:
" Das ist etwas, was die Gesellschaft dringend braucht, dass wir Menschen haben, die sich um solche Aufgaben mit kümmern, die in einigen Fällen die leiblichen Eltern eben nicht gut hinbekommen. "