Hauptnachrichten im russischen Fernsehen am vergangenen Dienstag:
"In Dagestan ist der geistliche Führer der Muslime der Republik, Scheich Said Afandi, ermordet worden. Eine Selbstmordattentäterin drang in sein Haus ein und zündete eine Bombe. Sechs weitere Anwesende starben."
Beinahe täglich melden die russischen Medien Anschläge aus dem Nordkaukasus, vor allem aus der Teilrepublik Dagestan. In den letzten Jahren starben Dutzende gemäßigte religiöse Führer wie Scheich Said Afandi bei Attentaten; häufiger noch werden Polizisten und andere Vertreter des russischen Staates Opfer der Extremisten. Oft sind es Doppelanschläge: Nach der ersten Explosion eilen Sicherheitskräfte herbei, die Zweite folgt wenig später und fordert noch mehr Opfer. Anfang Mai starben auf diese Weise in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala 13 Menschen, mehr als hundert wurden verletzt. Es war der in diesem Jahr bisher folgenschwerste Anschlag im Nordkaukasus. Der Staat reagiert auf die Gewalt mit sogenannten Antiterroroperationen. Auch sie finden fast täglich statt. Eine Meldung aus der Teilrepublik Inguschetien.
"In Inguschetien sind heute Morgen drei Untergrundkämpfer liquidiert und zwei festgenommen worden. Sie sollen an einem Terroranschlag am 19. August beteiligt gewesen sein. Ein Selbstmordattentäter hatte damals auf der Beerdigung eines Polizisten einen selbst gebauten Sprengsatz gezündet. Dabei waren sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Identität der vernichteten Kämpfer wurde bereits ermittelt."
Gewalt und Gegengewalt. So geht das seit Jahren. Der Nordkaukasus ist ein Unruheherd. Von Karatschaj-Tscherkessien über Kabardinobalkarien, Nordossetien, Inguschetien, Tschetschenien bis nach Dagestan - überall sind bewaffnete Untergrundkämpfer am Werk. Einige fordern die Unabhängigkeit von Russland, andere wollen einen islamistischen Gottesstaat errichten.
Dagestan ist die größte der russischen Kaukasusrepubliken. Sie grenzt an das Kaspische Meer. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Traditionell pflegten sie einen gemäßigten Islam. Doch seit einigen Jahren gewinnen die Salafisten an Zulauf. Einige Dörfer sind mittlerweile ganz in der Hand dieser strengen Richtung des Islam.
Gubden ist so ein Dorf: Anderthalb Stunden mit dem Auto von der Hauptstadt Machatschkala entfernt, in den Ausläufern des Kaukasus. Einfache Häuser aus hellem Stein, steile, staubige Schotterpisten. Etwa 11.000 Menschen leben hier.
Abduraschid Samadow wäscht sich die Hände vor dem Mittagsgebet und eilt zu einer der zahlreichen Moscheen. Er ist Mitte vierzig, arbeitslos. Früher einmal war er Fahrer. Samadow zeigt auf einen Steinhaufen, dort baut er ein Haus, direkt an das seines Nachbarn.
"Wenn mein Nachbar und ich uns streiten, zum Beispiel darüber, wo die Grenze zwischen unseren Grundstücken verläuft, dann gehen wir zum Imam. Er entscheidet nach der Scharia. Der Imam zeigt uns den richtigen Weg. Sich an ein russisches Gericht zu wenden, hat überhaupt keinen Sinn. Die russischen Richter wollen sich doch nur selbst bereichern."
In Gubden sind die russischen Gesetze außer Kraft gesetzt. Stattdessen gilt die Scharia. Die Regierung in Dagestan lässt das zu. Sie toleriert die Salafisten, solange sie nicht zu Gewalt aufrufen. Experten schätzen, dass sich in den dagestanischen Wäldern mehrere Hundert sogenannte "Bojewiki" verstecken: bewaffnete Untergrundkämpfer. Zumindest in der Vergangenheit waren darunter auch Männer aus Gubden. Die Sicherheitskräfte haben deshalb mehrere Antiterroroperationen in dem Ort durchgeführt, haben Gubden nach bewaffneten Untergrundkämpfern durchkämmt. Die Bewohner wollen nun schon lange keine Bojewiki mehr gesehen haben.
"Darüber weiß ich nichts. Ich habe hier keinen einzigen Kämpfer gesehen. Das behaupten zwar viele, aber die gibt es hier nicht."
Kaum einer redet in Dagestan über die Untergrundkämpfer, ihre Netzwerke und ihre Vorgehensweise. Dagestan ist eine traditionelle Gesellschaft, persönliche Loyalitäten, gegenseitige Abhängigkeiten, Unterordnung und Familienzusammenhalt spielen eine große Rolle. Die 40-jährige Saiganat Isajewa lebt in einem Dorf bei Kizljar, knapp drei Stunden Autofahrt von Machatschkala entfernt in Richtung Tschetschenien. Sie sitzt im Schatten unter einem Nussbaum. Unter dem schwarzen Tschador blickt ein offenes, rundes Gesicht hervor. Sajganat Isajewa soll einem polizeilich gesuchten islamistischen Bandenführer Unterschlupf gewährt haben und freiwillig dessen Gruppe beigetreten sein. Das war im Frühjahr 2011. Nach zwei Monaten wurde sie gefasst und zu einer Haftstrafe verurteilt. Sie selbst stellt das Geschehen anders dar. Sie habe nichts von den Machenschaften des Mannes gewusst. Die beiden waren nach islamischem Recht verheiratet. Er habe sie gezwungen, mit ihm in den Wald zu gehen.
"Er sagte zu mir: Wir müssen fort. Ich fragte: Wohin? - In den Wald. Ich wollte nicht mit, aber er meinte: Nach der Scharia bist du meine Frau. Du bist dazu verpflichtet. Ich habe das alles damals nicht verstanden. Aber ich hatte Angst vor dem Zorn Gottes. Denn ich war seine Frau, und ich musste mich unterordnen."
Sajganat Isajewa stellt sich selbst als Opfer dar. Wie stark der Rückhalt der Kämpfer in der Bevölkerung tatsächlich ist, vermag kaum jemand zu sagen. Rizwan Kurbanow ist Abgeordneter der russischen Staatsduma. Er kommt aus Dagestan. Naturgemäß stellt er die Situation etwas rosiger dar, als sie ist.
"In Dagestan leben drei Millionen Menschen. Diejenigen, die die Lage dort destabilisieren wollen, sind nur wenige, und sie haben nicht die Unterstützung der Massen. Wenn jemand etwas anderes behauptet, dann frage ich immer: Würden Sie etwa jemanden unterstützen, der Sie an jedem beliebigen Ort töten kann? Bei einem Anschlag in der Stadt, wenn Sie zufällig gerade mit einem Kind in der Nähe sind oder mit dem Auto vorbeifahren? Würden Sie so jemanden unterstützen? Das ist Unsinn. Sie haben keine Unterstützung."
Vor allem Jugendliche sympathisieren mit den Untergrundkämpfern. Das liegt zum einen an der Propaganda im Internet. Zahlreiche Websites werben offen für den bewaffneten islamistischen Untergrund. Zum anderen haben die Jugendlichen kaum andere Perspektiven. Die Arbeitslosigkeit in Dagestan ist extrem hoch, räumt der Abgeordnete Rizwan Kurbanow ein.
"Dagestan hat prozentual mehr arbeitslose Jugendliche als jede andere Region Russlands. Die jungen Leute sind voller Energie, aber sie werden einfach nicht gebraucht."
Auch deshalb verwenden sie ihre Energie im Untergrund. Es ist ein Ausdruck des Protests. Die russische Führung scheint dieses Problem erkannt zu haben. Dmitrij Medwedew hat in seiner Zeit als Staatspräsident eine milliardenschwere Wirtschaftsstrategie für den Nordkaukasus entwickelt. Der Nordkaukasus soll zu einem Touristenparadies werden. Um die Pläne umzusetzen, hat Medwedew eigens einen Nordkaukasusbeauftragten ernannt. Alexander Chloponin hat den Rang eines stellvertretenden Premierministers und soll dafür sorgen, dass die vielen Milliarden aus Moskau auch wirklich ankommen. Doch das ist nicht so einfach, erläutert Katja Sokirjanskaja, Nordkaukasus-Expertin der International Crisis Group. Die Nichtregierungsorganisation analysiert Konfliktgebiete in aller Welt.
"Ich denke, Herr Chloponin hat viele Projekte angestoßen, um die sozioökonomische Entwicklung voranzutreiben. Einige Projekte werden demnächst umgesetzt. Aber seine Strategie spart wichtige Punkte aus: Korruption, schlechte Regierungsführung und mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Ohne dies wird es keinen Frieden geben."
Im Nordkaukasus vereinigten sich alle Probleme Russlands wie in einem Brennglas, so Sokirjanskaja. Clanstrukturen sind hier weit verbreitet. In Dagestan zum Beispiel konkurrieren fünf bis sechs Einflussgruppen um Macht und Geld. Und die Korruption hat alle Lebensbereiche durchdrungen.
"Nur ein Beispiel. Ein Mann aus Gudermes in Tschetschenien hat mir kürzlich erzählt, dass er eine Entschädigung vom Staat bekommen sollte. Sein Haus war 2008 bei einem Erdbeben zerstört worden. Er erhielt ein Viertel dessen, was ihm zustand. Drei Viertel musste er als Schmiergelder zahlen. Und das ist typisch für die gesamte Region. "
Und noch etwas bringt die Menschen gegen die Staatsmacht auf: die Brutalität der Sicherheitskräfte. Es sind lokale Polizisten ebenso wie föderale Sondereinheiten. Bei deren Antiterroreinsätzen kommen häufig auch Unbeteiligte zu schaden. Obwohl im Nordkaukasus jede Menge Geheimdienstler unterwegs sind, gelingt es ihnen nicht, die Terroristen gezielt und ohne viel Aufsehen festzunehmen. Stattdessen riegeln die Sicherheitskräfte immer wieder ganze Viertel ab. Sie fahren mit Panzern auf, mähen die Verdächtigen schlicht nieder. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das nichts zu tun. Im Nordkaukasus machen Gerüchte die Runde: Die föderalen Sicherheitskräfte würden nach Einsatzstunden bezahlt, und sie würden gut bezahlt. Dementsprechend hätten sie ein Interesse daran, die Lage in der Nordkaukasusregion weiter zu destabilisieren, und ihre Einsätze möglichst auszudehnen. Bestätigen möchte das niemand. Der Präsident von Inguschetien, Junus-Bek Jewkurow, verteidigt die Sicherheitskräfte.
"Jeder Sicherheitsdienst macht sich die Hände schmutzig. Sauber zu bleiben, ist unmöglich. Es kann nur darum gehen, die Menschenrechtsverletzungen während der Sonderoperationen zu minimieren. Besonders, wenn schwere Waffen im Einsatz sind. Wenn zum Beispiel ein Mehrfamilienhaus eingekreist wird und die Bojewiki sich in einer Wohnung verstecken, dann kommen bei dem Schusswechsel natürlich auch die Nachbarwohnungen zu schaden. In solchen Fällen müssen wir die Nachbarn rechtzeitig evakuieren und hinterher alle Schäden begleichen."
Doch das geschieht nicht immer. Menschenrechtler berichten zudem, dass die Ermittler Menschen zwingen würden, sich zu Verbrechen zu bekennen, die sie gar nicht begangen haben. Dazu Katja Sokirjanskaja von der International Crisis Group:
"Im Nordkaukasus hat sich über die Jahre ein System illegaler Gewalt etabliert. Seit dem zweiten Tschetschenienkrieg 1999 werden massive schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Es hat System, Menschen gewaltsam verschwinden zu lassen, sie zu foltern oder illegal festzunehmen. Die Menschen werden dazu gezwungen, terroristische Verbrechen oder die Zugehörigkeit zum bewaffneten Widerstand zu gestehen. Dabei herrscht komplette Straflosigkeit. Das führt dazu, dass sich diese Verbrechen der Beamten ständig wiederholen."
In Dagestan ist die Zahl der Verschwundenen zuletzt sogar gestiegen. Im ersten Halbjahr 2012 wurden bereits doppelt so viele Menschen entführt wie im ganzen Jahr 2011 - mutmaßlich von Sicherheitskräften. Ummupazil Omarowa ist die Ombudsfrau der Republik Dagestan. Sie sagt, sie spreche deshalb mit den Sicherheitsorganen.
"Aber das ist schwierig. Als Ombudsfrau der Teilrepublik Dagestan habe ich keine Machtbefugnisse über die föderalen Strukturen. Wir haben mit ihnen eine Zusammenarbeit vereinbart, aber ich bin nicht bevollmächtigt, sie zu irgendetwas zu zwingen."
Die föderalen Sicherheitskräfte unterstehen dem Kreml. Dort sitzt seit Anfang Mai Wladimir Putin. Er gab 1999, noch bevor er das erste Mal Präsident wurde, nach einer Reihe von Terroranschlägen die Devise aus, wie mit den Verantwortlichen umzugehen sei. Er sagte wörtlich: "Wir werden sie kaltmachen, egal wo wir sie finden, und sei es auf dem Scheißhaus". Doch einige Teilrepubliken im Nordkaukasus erproben seit einiger Zeit einen sanfteren Kurs. Dagestan hat damit angefangen. Die Regierung lässt den Salafisten Raum, solange sie sich nicht an Gewalt beteiligen. Sie toleriert es, dass salafistische Imame in der Öffentlichkeit auftreten. Vor allem aber hat der Präsident von Dagestan vor zwei Jahren eine Kommission zur Wiedereingliederung ehemaliger Untergrundkämpfer ins zivile Leben gegründet. Wenn Terroristen und ihre Helfer sich freiwillig der Kommission stellen, ihre Waffen abgeben und bereuen, sollen sie einen fairen Prozess und unter Umständen einer Strafminderung erhalten, so die Idee. Es sei eine Art Notausgang vor allem für jene, die noch kein Blut an den Händen hätten, erläutert der Duma-Abgeordnete Rizwan Kurbanow. Er ist zugleich Vorsitzender der Kommission in Dagestan.
"Es gab da zum Beispiel einen Amirow aus einer bewaffneten Gruppe bei Derbent. Er kam zu einem Mitglied unserer Kommission und hat sich ergeben. Drei Tage später hat er, um unser Vertrauen in ihn zu stärken, ein Waffenlager verraten. Dort wurden zwei einsatzbereite Bomben gefunden. Ohne Amirow hätten diese Bomben schon irgendwo hochgehen können."
Wenn die Aussteiger vor laufenden Kameras der Gewalt abschwören, schrecke das Sympathisanten ab, so das Kalkül. Auch die streng gläubige Sajganat Isajewa, die ihrem Mann, einem Bandenführer, in den Wald folgte, hat die Kommission durchlaufen. Ihre Strafe wurde anschließend von drei auf zwei Jahre Gefängnis reduziert. Isajewas Auftritt vor der Kommission, im schwarzen Tschador, ist für jeden im Internet zu sehen.
"In meiner Religion ist ein Mudschaheddin ein Kämpfer Allahs, der gegen das Böse kämpft. Ich hatte nicht gedacht, dass unsere Mudschaheddin für diesen Kampf Frauen benutzen, sie zu Selbstmordattentäterinnen ausbilden. Hat etwa unser Prophet Mohammed seine 13 Frauen zu Anschlägen gezwungen oder sie mit in den Dschihad genommen? Ich habe meinen Mann geheiratet, weil ich dachte, er kämpft gegen das Böse. Aber es war ganz anders. "
Der Kommissionsvorsitzende Rizwan Kurbanow glaubt, dass solche öffentlichen Auftritte vor allem bei Jugendlichen und bei ihren Müttern Eindruck hinterlassen.
"Wenn bis gestern noch einige die Bojewiki idealisierten, so sehen die jungen, internetbegeisterten Leute heute, dass diese Leute sich ergeben. Und dass sie eingestehen, falsche Ansichten vertreten zu haben. Die Aussteiger erzählen, dass sie betrogen wurden. Sie sagen vor laufender Kamera, dass sie in den Wald gingen, weil sie dort den reinen Islam erwarteten. Aber stattdessen fanden sie dort nur Schmutz. Moralischen Schmutz."
In den ersten 18 Monaten haben in Dagestan 37 Menschen die Kommission zur Wiedereingliederung genutzt. Ein Anfang sagt Kurbanow. Doch gerade unter Sicherheitskräften ist die Kommission umstritten. Sie gilt als zu lasch und zu ineffektiv. Vergangene Woche erlitten die Befürworter der Kommission einen Rückschlag. Bald nachdem eine Selbstmordattentäterin in Dagestan Scheich Said Afandi und sechs weitere Anwesende tötete, wurde ihre Identität festgestellt. Sie war verheiratet - mit einem Aussteiger. Ihr Mann hatte bei Anschlägen auf verschiedene Läden geholfen. Anschließend durchlief er die Kommission zu Wiedereingliederung und erhielt eine Bewährungsstrafe. Diese Tatsache dürfte Hardlinern Auftrieb geben. Solchen wie Ramzan Kadyrow. Der Präsident der Nachbarrepublik Tschetschenien verfolgt nach wie vor die kompromisslose Linie Wladimir Putins. Seine Sicherheitstruppen setzen alles daran, den Salafismus auf dem Gebiet Tschetscheniens komplett auszumerzen und alle Terroristen und ihre Komplizen zu "vernichten". Seine Methode hat gewissen Erfolg: In Tschetschenien explodieren weniger Bomben als in den Nachbarrepubliken. Doch das könne sich jederzeit ändern, warnt Katja Sokirjanskaja von der International Crisis Group.
"Das tschetschenische Modell scheint auf den ersten Blick effizienter zu sein. Aber es bringt nur einen vorübergehenden Erfolg. Es legt keine Basis für einen nachhaltigen Frieden. Das dagestanische Modell wird, wie jedes Modell, das weiche Maßnahmen umfasst, längere Zeit in Anspruch nehmen. Denn es ist darauf ausgerichtet, die Gesellschaft zu heilen, sich mit den Wurzeln der Konflikte auseinanderzusetzen, die Probleme zu überwinden. Das dauert zwar länger, aber es kann eine solide Basis für einen dauerhaften Frieden legen."
Doch damit das weiche Modell zum Beispiel in Dagestan seine Kraft entfalten kann, müssen alle staatlichen Institutionen an einem Strang ziehen. Und das ist zurzeit nicht der Fall. Sicherheitsdienste, Geheimdienste, Innenbehörden, Ermittler sabotieren den Dialog, indem sie Verdächtige entführen und foltern. Ihre Menschenrechtsverletzungen zerstören das Vertrauen bei den gemäßigten Radikalen. Die Untergrundkämpfer ihrerseits haben ohnehin kein Interesse an einem Frieden. Die Gewaltspirale geht weiter. Katja Sokirjanskaja:
"Der Nordkaukasus ist nach wie vor die Konfliktregion mit den meisten Todesopfern in Europa. Und das Problem ist von einer Lösung weit entfernt."
"In Dagestan ist der geistliche Führer der Muslime der Republik, Scheich Said Afandi, ermordet worden. Eine Selbstmordattentäterin drang in sein Haus ein und zündete eine Bombe. Sechs weitere Anwesende starben."
Beinahe täglich melden die russischen Medien Anschläge aus dem Nordkaukasus, vor allem aus der Teilrepublik Dagestan. In den letzten Jahren starben Dutzende gemäßigte religiöse Führer wie Scheich Said Afandi bei Attentaten; häufiger noch werden Polizisten und andere Vertreter des russischen Staates Opfer der Extremisten. Oft sind es Doppelanschläge: Nach der ersten Explosion eilen Sicherheitskräfte herbei, die Zweite folgt wenig später und fordert noch mehr Opfer. Anfang Mai starben auf diese Weise in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala 13 Menschen, mehr als hundert wurden verletzt. Es war der in diesem Jahr bisher folgenschwerste Anschlag im Nordkaukasus. Der Staat reagiert auf die Gewalt mit sogenannten Antiterroroperationen. Auch sie finden fast täglich statt. Eine Meldung aus der Teilrepublik Inguschetien.
"In Inguschetien sind heute Morgen drei Untergrundkämpfer liquidiert und zwei festgenommen worden. Sie sollen an einem Terroranschlag am 19. August beteiligt gewesen sein. Ein Selbstmordattentäter hatte damals auf der Beerdigung eines Polizisten einen selbst gebauten Sprengsatz gezündet. Dabei waren sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Identität der vernichteten Kämpfer wurde bereits ermittelt."
Gewalt und Gegengewalt. So geht das seit Jahren. Der Nordkaukasus ist ein Unruheherd. Von Karatschaj-Tscherkessien über Kabardinobalkarien, Nordossetien, Inguschetien, Tschetschenien bis nach Dagestan - überall sind bewaffnete Untergrundkämpfer am Werk. Einige fordern die Unabhängigkeit von Russland, andere wollen einen islamistischen Gottesstaat errichten.
Dagestan ist die größte der russischen Kaukasusrepubliken. Sie grenzt an das Kaspische Meer. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Traditionell pflegten sie einen gemäßigten Islam. Doch seit einigen Jahren gewinnen die Salafisten an Zulauf. Einige Dörfer sind mittlerweile ganz in der Hand dieser strengen Richtung des Islam.
Gubden ist so ein Dorf: Anderthalb Stunden mit dem Auto von der Hauptstadt Machatschkala entfernt, in den Ausläufern des Kaukasus. Einfache Häuser aus hellem Stein, steile, staubige Schotterpisten. Etwa 11.000 Menschen leben hier.
Abduraschid Samadow wäscht sich die Hände vor dem Mittagsgebet und eilt zu einer der zahlreichen Moscheen. Er ist Mitte vierzig, arbeitslos. Früher einmal war er Fahrer. Samadow zeigt auf einen Steinhaufen, dort baut er ein Haus, direkt an das seines Nachbarn.
"Wenn mein Nachbar und ich uns streiten, zum Beispiel darüber, wo die Grenze zwischen unseren Grundstücken verläuft, dann gehen wir zum Imam. Er entscheidet nach der Scharia. Der Imam zeigt uns den richtigen Weg. Sich an ein russisches Gericht zu wenden, hat überhaupt keinen Sinn. Die russischen Richter wollen sich doch nur selbst bereichern."
In Gubden sind die russischen Gesetze außer Kraft gesetzt. Stattdessen gilt die Scharia. Die Regierung in Dagestan lässt das zu. Sie toleriert die Salafisten, solange sie nicht zu Gewalt aufrufen. Experten schätzen, dass sich in den dagestanischen Wäldern mehrere Hundert sogenannte "Bojewiki" verstecken: bewaffnete Untergrundkämpfer. Zumindest in der Vergangenheit waren darunter auch Männer aus Gubden. Die Sicherheitskräfte haben deshalb mehrere Antiterroroperationen in dem Ort durchgeführt, haben Gubden nach bewaffneten Untergrundkämpfern durchkämmt. Die Bewohner wollen nun schon lange keine Bojewiki mehr gesehen haben.
"Darüber weiß ich nichts. Ich habe hier keinen einzigen Kämpfer gesehen. Das behaupten zwar viele, aber die gibt es hier nicht."
Kaum einer redet in Dagestan über die Untergrundkämpfer, ihre Netzwerke und ihre Vorgehensweise. Dagestan ist eine traditionelle Gesellschaft, persönliche Loyalitäten, gegenseitige Abhängigkeiten, Unterordnung und Familienzusammenhalt spielen eine große Rolle. Die 40-jährige Saiganat Isajewa lebt in einem Dorf bei Kizljar, knapp drei Stunden Autofahrt von Machatschkala entfernt in Richtung Tschetschenien. Sie sitzt im Schatten unter einem Nussbaum. Unter dem schwarzen Tschador blickt ein offenes, rundes Gesicht hervor. Sajganat Isajewa soll einem polizeilich gesuchten islamistischen Bandenführer Unterschlupf gewährt haben und freiwillig dessen Gruppe beigetreten sein. Das war im Frühjahr 2011. Nach zwei Monaten wurde sie gefasst und zu einer Haftstrafe verurteilt. Sie selbst stellt das Geschehen anders dar. Sie habe nichts von den Machenschaften des Mannes gewusst. Die beiden waren nach islamischem Recht verheiratet. Er habe sie gezwungen, mit ihm in den Wald zu gehen.
"Er sagte zu mir: Wir müssen fort. Ich fragte: Wohin? - In den Wald. Ich wollte nicht mit, aber er meinte: Nach der Scharia bist du meine Frau. Du bist dazu verpflichtet. Ich habe das alles damals nicht verstanden. Aber ich hatte Angst vor dem Zorn Gottes. Denn ich war seine Frau, und ich musste mich unterordnen."
Sajganat Isajewa stellt sich selbst als Opfer dar. Wie stark der Rückhalt der Kämpfer in der Bevölkerung tatsächlich ist, vermag kaum jemand zu sagen. Rizwan Kurbanow ist Abgeordneter der russischen Staatsduma. Er kommt aus Dagestan. Naturgemäß stellt er die Situation etwas rosiger dar, als sie ist.
"In Dagestan leben drei Millionen Menschen. Diejenigen, die die Lage dort destabilisieren wollen, sind nur wenige, und sie haben nicht die Unterstützung der Massen. Wenn jemand etwas anderes behauptet, dann frage ich immer: Würden Sie etwa jemanden unterstützen, der Sie an jedem beliebigen Ort töten kann? Bei einem Anschlag in der Stadt, wenn Sie zufällig gerade mit einem Kind in der Nähe sind oder mit dem Auto vorbeifahren? Würden Sie so jemanden unterstützen? Das ist Unsinn. Sie haben keine Unterstützung."
Vor allem Jugendliche sympathisieren mit den Untergrundkämpfern. Das liegt zum einen an der Propaganda im Internet. Zahlreiche Websites werben offen für den bewaffneten islamistischen Untergrund. Zum anderen haben die Jugendlichen kaum andere Perspektiven. Die Arbeitslosigkeit in Dagestan ist extrem hoch, räumt der Abgeordnete Rizwan Kurbanow ein.
"Dagestan hat prozentual mehr arbeitslose Jugendliche als jede andere Region Russlands. Die jungen Leute sind voller Energie, aber sie werden einfach nicht gebraucht."
Auch deshalb verwenden sie ihre Energie im Untergrund. Es ist ein Ausdruck des Protests. Die russische Führung scheint dieses Problem erkannt zu haben. Dmitrij Medwedew hat in seiner Zeit als Staatspräsident eine milliardenschwere Wirtschaftsstrategie für den Nordkaukasus entwickelt. Der Nordkaukasus soll zu einem Touristenparadies werden. Um die Pläne umzusetzen, hat Medwedew eigens einen Nordkaukasusbeauftragten ernannt. Alexander Chloponin hat den Rang eines stellvertretenden Premierministers und soll dafür sorgen, dass die vielen Milliarden aus Moskau auch wirklich ankommen. Doch das ist nicht so einfach, erläutert Katja Sokirjanskaja, Nordkaukasus-Expertin der International Crisis Group. Die Nichtregierungsorganisation analysiert Konfliktgebiete in aller Welt.
"Ich denke, Herr Chloponin hat viele Projekte angestoßen, um die sozioökonomische Entwicklung voranzutreiben. Einige Projekte werden demnächst umgesetzt. Aber seine Strategie spart wichtige Punkte aus: Korruption, schlechte Regierungsführung und mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Ohne dies wird es keinen Frieden geben."
Im Nordkaukasus vereinigten sich alle Probleme Russlands wie in einem Brennglas, so Sokirjanskaja. Clanstrukturen sind hier weit verbreitet. In Dagestan zum Beispiel konkurrieren fünf bis sechs Einflussgruppen um Macht und Geld. Und die Korruption hat alle Lebensbereiche durchdrungen.
"Nur ein Beispiel. Ein Mann aus Gudermes in Tschetschenien hat mir kürzlich erzählt, dass er eine Entschädigung vom Staat bekommen sollte. Sein Haus war 2008 bei einem Erdbeben zerstört worden. Er erhielt ein Viertel dessen, was ihm zustand. Drei Viertel musste er als Schmiergelder zahlen. Und das ist typisch für die gesamte Region. "
Und noch etwas bringt die Menschen gegen die Staatsmacht auf: die Brutalität der Sicherheitskräfte. Es sind lokale Polizisten ebenso wie föderale Sondereinheiten. Bei deren Antiterroreinsätzen kommen häufig auch Unbeteiligte zu schaden. Obwohl im Nordkaukasus jede Menge Geheimdienstler unterwegs sind, gelingt es ihnen nicht, die Terroristen gezielt und ohne viel Aufsehen festzunehmen. Stattdessen riegeln die Sicherheitskräfte immer wieder ganze Viertel ab. Sie fahren mit Panzern auf, mähen die Verdächtigen schlicht nieder. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das nichts zu tun. Im Nordkaukasus machen Gerüchte die Runde: Die föderalen Sicherheitskräfte würden nach Einsatzstunden bezahlt, und sie würden gut bezahlt. Dementsprechend hätten sie ein Interesse daran, die Lage in der Nordkaukasusregion weiter zu destabilisieren, und ihre Einsätze möglichst auszudehnen. Bestätigen möchte das niemand. Der Präsident von Inguschetien, Junus-Bek Jewkurow, verteidigt die Sicherheitskräfte.
"Jeder Sicherheitsdienst macht sich die Hände schmutzig. Sauber zu bleiben, ist unmöglich. Es kann nur darum gehen, die Menschenrechtsverletzungen während der Sonderoperationen zu minimieren. Besonders, wenn schwere Waffen im Einsatz sind. Wenn zum Beispiel ein Mehrfamilienhaus eingekreist wird und die Bojewiki sich in einer Wohnung verstecken, dann kommen bei dem Schusswechsel natürlich auch die Nachbarwohnungen zu schaden. In solchen Fällen müssen wir die Nachbarn rechtzeitig evakuieren und hinterher alle Schäden begleichen."
Doch das geschieht nicht immer. Menschenrechtler berichten zudem, dass die Ermittler Menschen zwingen würden, sich zu Verbrechen zu bekennen, die sie gar nicht begangen haben. Dazu Katja Sokirjanskaja von der International Crisis Group:
"Im Nordkaukasus hat sich über die Jahre ein System illegaler Gewalt etabliert. Seit dem zweiten Tschetschenienkrieg 1999 werden massive schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Es hat System, Menschen gewaltsam verschwinden zu lassen, sie zu foltern oder illegal festzunehmen. Die Menschen werden dazu gezwungen, terroristische Verbrechen oder die Zugehörigkeit zum bewaffneten Widerstand zu gestehen. Dabei herrscht komplette Straflosigkeit. Das führt dazu, dass sich diese Verbrechen der Beamten ständig wiederholen."
In Dagestan ist die Zahl der Verschwundenen zuletzt sogar gestiegen. Im ersten Halbjahr 2012 wurden bereits doppelt so viele Menschen entführt wie im ganzen Jahr 2011 - mutmaßlich von Sicherheitskräften. Ummupazil Omarowa ist die Ombudsfrau der Republik Dagestan. Sie sagt, sie spreche deshalb mit den Sicherheitsorganen.
"Aber das ist schwierig. Als Ombudsfrau der Teilrepublik Dagestan habe ich keine Machtbefugnisse über die föderalen Strukturen. Wir haben mit ihnen eine Zusammenarbeit vereinbart, aber ich bin nicht bevollmächtigt, sie zu irgendetwas zu zwingen."
Die föderalen Sicherheitskräfte unterstehen dem Kreml. Dort sitzt seit Anfang Mai Wladimir Putin. Er gab 1999, noch bevor er das erste Mal Präsident wurde, nach einer Reihe von Terroranschlägen die Devise aus, wie mit den Verantwortlichen umzugehen sei. Er sagte wörtlich: "Wir werden sie kaltmachen, egal wo wir sie finden, und sei es auf dem Scheißhaus". Doch einige Teilrepubliken im Nordkaukasus erproben seit einiger Zeit einen sanfteren Kurs. Dagestan hat damit angefangen. Die Regierung lässt den Salafisten Raum, solange sie sich nicht an Gewalt beteiligen. Sie toleriert es, dass salafistische Imame in der Öffentlichkeit auftreten. Vor allem aber hat der Präsident von Dagestan vor zwei Jahren eine Kommission zur Wiedereingliederung ehemaliger Untergrundkämpfer ins zivile Leben gegründet. Wenn Terroristen und ihre Helfer sich freiwillig der Kommission stellen, ihre Waffen abgeben und bereuen, sollen sie einen fairen Prozess und unter Umständen einer Strafminderung erhalten, so die Idee. Es sei eine Art Notausgang vor allem für jene, die noch kein Blut an den Händen hätten, erläutert der Duma-Abgeordnete Rizwan Kurbanow. Er ist zugleich Vorsitzender der Kommission in Dagestan.
"Es gab da zum Beispiel einen Amirow aus einer bewaffneten Gruppe bei Derbent. Er kam zu einem Mitglied unserer Kommission und hat sich ergeben. Drei Tage später hat er, um unser Vertrauen in ihn zu stärken, ein Waffenlager verraten. Dort wurden zwei einsatzbereite Bomben gefunden. Ohne Amirow hätten diese Bomben schon irgendwo hochgehen können."
Wenn die Aussteiger vor laufenden Kameras der Gewalt abschwören, schrecke das Sympathisanten ab, so das Kalkül. Auch die streng gläubige Sajganat Isajewa, die ihrem Mann, einem Bandenführer, in den Wald folgte, hat die Kommission durchlaufen. Ihre Strafe wurde anschließend von drei auf zwei Jahre Gefängnis reduziert. Isajewas Auftritt vor der Kommission, im schwarzen Tschador, ist für jeden im Internet zu sehen.
"In meiner Religion ist ein Mudschaheddin ein Kämpfer Allahs, der gegen das Böse kämpft. Ich hatte nicht gedacht, dass unsere Mudschaheddin für diesen Kampf Frauen benutzen, sie zu Selbstmordattentäterinnen ausbilden. Hat etwa unser Prophet Mohammed seine 13 Frauen zu Anschlägen gezwungen oder sie mit in den Dschihad genommen? Ich habe meinen Mann geheiratet, weil ich dachte, er kämpft gegen das Böse. Aber es war ganz anders. "
Der Kommissionsvorsitzende Rizwan Kurbanow glaubt, dass solche öffentlichen Auftritte vor allem bei Jugendlichen und bei ihren Müttern Eindruck hinterlassen.
"Wenn bis gestern noch einige die Bojewiki idealisierten, so sehen die jungen, internetbegeisterten Leute heute, dass diese Leute sich ergeben. Und dass sie eingestehen, falsche Ansichten vertreten zu haben. Die Aussteiger erzählen, dass sie betrogen wurden. Sie sagen vor laufender Kamera, dass sie in den Wald gingen, weil sie dort den reinen Islam erwarteten. Aber stattdessen fanden sie dort nur Schmutz. Moralischen Schmutz."
In den ersten 18 Monaten haben in Dagestan 37 Menschen die Kommission zur Wiedereingliederung genutzt. Ein Anfang sagt Kurbanow. Doch gerade unter Sicherheitskräften ist die Kommission umstritten. Sie gilt als zu lasch und zu ineffektiv. Vergangene Woche erlitten die Befürworter der Kommission einen Rückschlag. Bald nachdem eine Selbstmordattentäterin in Dagestan Scheich Said Afandi und sechs weitere Anwesende tötete, wurde ihre Identität festgestellt. Sie war verheiratet - mit einem Aussteiger. Ihr Mann hatte bei Anschlägen auf verschiedene Läden geholfen. Anschließend durchlief er die Kommission zu Wiedereingliederung und erhielt eine Bewährungsstrafe. Diese Tatsache dürfte Hardlinern Auftrieb geben. Solchen wie Ramzan Kadyrow. Der Präsident der Nachbarrepublik Tschetschenien verfolgt nach wie vor die kompromisslose Linie Wladimir Putins. Seine Sicherheitstruppen setzen alles daran, den Salafismus auf dem Gebiet Tschetscheniens komplett auszumerzen und alle Terroristen und ihre Komplizen zu "vernichten". Seine Methode hat gewissen Erfolg: In Tschetschenien explodieren weniger Bomben als in den Nachbarrepubliken. Doch das könne sich jederzeit ändern, warnt Katja Sokirjanskaja von der International Crisis Group.
"Das tschetschenische Modell scheint auf den ersten Blick effizienter zu sein. Aber es bringt nur einen vorübergehenden Erfolg. Es legt keine Basis für einen nachhaltigen Frieden. Das dagestanische Modell wird, wie jedes Modell, das weiche Maßnahmen umfasst, längere Zeit in Anspruch nehmen. Denn es ist darauf ausgerichtet, die Gesellschaft zu heilen, sich mit den Wurzeln der Konflikte auseinanderzusetzen, die Probleme zu überwinden. Das dauert zwar länger, aber es kann eine solide Basis für einen dauerhaften Frieden legen."
Doch damit das weiche Modell zum Beispiel in Dagestan seine Kraft entfalten kann, müssen alle staatlichen Institutionen an einem Strang ziehen. Und das ist zurzeit nicht der Fall. Sicherheitsdienste, Geheimdienste, Innenbehörden, Ermittler sabotieren den Dialog, indem sie Verdächtige entführen und foltern. Ihre Menschenrechtsverletzungen zerstören das Vertrauen bei den gemäßigten Radikalen. Die Untergrundkämpfer ihrerseits haben ohnehin kein Interesse an einem Frieden. Die Gewaltspirale geht weiter. Katja Sokirjanskaja:
"Der Nordkaukasus ist nach wie vor die Konfliktregion mit den meisten Todesopfern in Europa. Und das Problem ist von einer Lösung weit entfernt."