"Wir möchten im mittleren Feld der Universitäten und des Dialogs zwischen Natur- und Geisteswissenschaften erst mal eruieren: Was muss zum Beispiel ein Biologe wissen über die Geschichte seiner eigenen Wissenschaft? Was kann ein Geisteswissenschaftler dazu beitragen? Stichwort Evolutionstheorie oder Genbegriff oder Geschichte der Ökologie, und dieses kleine Wissen vor Ort, das ist eher das Ziel, das Verantwortung stärkt bei Lehrenden, bei Forschern, in den Labors, vor Ort. Was habe ich da für eine Verantwortung in der Forschungsethik, wo es um Betrug geht? Oder in der Genetik und Biotechnik, wenn es um Stammzellen geht, dafür gilt es zu sensibilisieren und sich zu hinterfragen, welche Kenntnisse muss ich haben, um Verantwortung erst einmal formulieren zu können?"
Hans Werner Ingensiep, Philosoph und Biologe an der Universität Duisburg-Essen, greift die Forderung von Hans Jonas aus dessen Hauptwerk "Das Prinzip Verantwortung" auf: Verantwortung verlangt Wissen. Damit sind aber nicht nur die Spezialkenntnisse des eigenen Faches, die Beherrschung seiner Methoden gemeint, es gilt vielmehr, über den Tellerrand hinauszublicken: Auf welchen Grundannahmen baut die eigene Wissenschaft auf, wie ist sie in die Gesellschaft eingebunden, welche möglichen Folgen hat eine bestimmte Forschung? Denn sich selbst auf untadelige Motive und eine hehre Gesinnung zu berufen, reicht nicht aus, ist so gar gefährlich naiv, wie das Beispiel des Nobelpreisträgers Otto Hahn zeigt. Otto Hahn, dem die Kernspaltung gelang, erklärte am Tag von Hiroshima, diese Konsequenzen habe er aber nicht gewollt.
Zu Zeiten Otto Hahns warf die Atomphysik die brisantesten Fragen auf, heute tun das die Biowissenschaften. Wie man auf diesem Feld Wissen und Verantwortung, Forschung und ethische Reflexion in einen interdisziplinären Dialog bringen könnte, das versucht Hans Werner Ingensiep exemplarisch am biologischen Grundbegriff der Spezies aufzuzeigen.
"Der Spezies-Begriff hat sicherlich drei Dimensionen: erst einmal eine theoretische, zweitens eine historische und drittens eine ethische Dimension. Die theoretische Dimension fängt schon da an, wo man sagt, der Mensch ist eine Art, eine Spezies, Delfine sind auch eine Art, eine Spezies. Wie definieren wir biologisch, innerhalb der Biologie das, was eine Spezies ist? Darwin hat vom Wandel der Arten gesprochen. Und vorher die Kreationisten haben von der Konstanz der Arten gesprochen."
Vor Darwin nahm man an, und die Kreationisten glauben es weiterhin, dass Gott jede Art für sich geschaffen habe, deshalb seien auch Mensch und Tier absolut verschieden.
Für Evolutionisten dagegen sind die Artgrenzen nichts Unbedingtes. Was aber bedeuten Speziesdefinitionen dann? Sind es nur Namen, nur Klassifizierungsvehikel in einem ewigen Fluss, im steten Wandel der Naturgeschichte? Oder enthalten sie doch bleibende Wesensmerkmale von Menschen, Tieren und Pflanzen? Oder ist am Ende eine pragmatische Definition ausreichend, wie man sie in der Biologie benutzt?
"Die Biologen würden sagen, ja ich brauche doch nur so ein Kriterium wie Fortpflanzungsfähigkeit, Spezies ist das, was miteinander kreuzbar ist, dadurch unterscheiden wir Menschen uns von den Gorillas oder den Delfinen, dass zwischen uns und ihnen im allgemeinen keine Kreuzungen stattfinden, - das wäre der theoretische Begriff."
Wichtig ist auch ein Blick auf die zweite, die historische Dimension des Terminus Spezies. Hier wird schnell deutlich, dass eine Aufarbeitung des Begriffs keinen Selbstzweck darstellt, sondern, so Hans Werner Ingensiep, mitten hinein in die politischen und gesellschaftlichen Verflechtungen von Wissenschaft führt.
"Die historische Dimension ist dann wichtig, wenn wir uns berufen auf einen bestimmten Spezies-Begriff oder das Unterteilen beim Menschen in Rassen als Unterbegriffe, und daran bestimmte Vorstellungen knüpfen, dann sind wir schnell dabei: Wie ist eigentlich der Rassismus entstanden, der Sozialdarwinismus entstanden? Und dann sind wir auch schnell im Dritten Reich: Wie ist da Rasse, Spezies definiert worden im Biologieunterricht, wie ist das wissenschaftlich legitimiert worden? Und das muss man als historisches Wissen auch den Studenten der Naturwissenschaften deutlich machen, wie eine Wissenschaft, auch die Genetik damals ganz in den Bann einer Ideologie gekommen ist und darum muss man diese historische Dimension erarbeiten."
Brisant für die Gegenwart wird es vor allem dann, wenn man die normative, die ethische Dimension des Spezies-Begriffs beleuchtet. Denn seit ungefähr 30 Jahren hat sich eine kritische Front unter den Ethikern gebildet. Dazu gehören vor allem der australische Philosoph Peter Singer und der britische Psychologe Richard Ryder, ein Vorkämpfer der Tierrechtsbewegung, der dem Menschen "Speziesismus" vorhält.
"Das kommt aus dem Angelsächsischen und bezeichnet einen Vorwurf von bestimmten Tierethikern, aber auch Bioethikern, die sagen, dass die herrschende Ethik anthropozentrisch ist, dass sie einen Art-Egoismus verkörpert, Menschenwürde, Menschenrechte sind nicht legitimierbare Würden oder Rechte einer bestimmten Spezies, völlig kontingent, auf dieser Ebene lasse sich nicht über Ethik diskutieren. Und die Art-Moral ist eine Ausbeutermoral, die Tiere ausbeutet, die Tiere ausschließt, man will aber Tiere einschließen."
Die Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Der Mensch hat sich die Erde und das heißt auch alle anderen Lebewesen untertan gemacht. Aber lässt sich aus der Tatsache, dass es so ist, schließen, dass es so sein soll, also aus dem Faktum ein moralisches Recht, ein höheres Menschenrecht ableiten? Diesen sogenannten naturalistischen Fehlschluss werfen einige Bioethiker der herrschenden Moralphilosophie vor.
Die skizzierte Reflexion des Speziesbegriffs auf theoretischer, historischer und ethischer Ebene, so ein Fazit, könnte einen Brückenschlag schaffen zwischen Natur- und Kulturwissenschaften, könnte auch ein interdisziplinärer Baustein für das Studium sein. Die Frage der Verantwortung bleibt jedenfalls nicht theoretisch, sie stellt sich draußen im Alltagsleben und in der Forschungspraxis.
"Ein Biotechnologe befindet sich in einem Labor, und der hat zum Beispiel auch mit Tierversuchen zu tun, also steht er vor einem bestimmten Problem: Er muss einerseits seine Forschung legitimieren, auf der anderen Seite muss er möglicherweise diese Tiere töten, - meinetwegen Mäuse, um dann bestimmte Forschungsergebnisse zu erreichen. Wenn jetzt Biotechnologen darüber diskutieren, wie weit reicht die Würde des Menschen oder die Würde des Tieres, wenn es denn überhaupt eine Würde des Tieres gibt, wie sieht sie dann aus und wenn, wie drücke ich das in meinen Handlungen aus, in meinem Kontext, im Labor als Forscher – das wären dann Fragen, die unmittelbar den Forschungsbetrieb betreffen, ganz konkret bei Tierversuchen, aber nicht nur dort."
Hans Werner Ingensiep, Philosoph und Biologe an der Universität Duisburg-Essen, greift die Forderung von Hans Jonas aus dessen Hauptwerk "Das Prinzip Verantwortung" auf: Verantwortung verlangt Wissen. Damit sind aber nicht nur die Spezialkenntnisse des eigenen Faches, die Beherrschung seiner Methoden gemeint, es gilt vielmehr, über den Tellerrand hinauszublicken: Auf welchen Grundannahmen baut die eigene Wissenschaft auf, wie ist sie in die Gesellschaft eingebunden, welche möglichen Folgen hat eine bestimmte Forschung? Denn sich selbst auf untadelige Motive und eine hehre Gesinnung zu berufen, reicht nicht aus, ist so gar gefährlich naiv, wie das Beispiel des Nobelpreisträgers Otto Hahn zeigt. Otto Hahn, dem die Kernspaltung gelang, erklärte am Tag von Hiroshima, diese Konsequenzen habe er aber nicht gewollt.
Zu Zeiten Otto Hahns warf die Atomphysik die brisantesten Fragen auf, heute tun das die Biowissenschaften. Wie man auf diesem Feld Wissen und Verantwortung, Forschung und ethische Reflexion in einen interdisziplinären Dialog bringen könnte, das versucht Hans Werner Ingensiep exemplarisch am biologischen Grundbegriff der Spezies aufzuzeigen.
"Der Spezies-Begriff hat sicherlich drei Dimensionen: erst einmal eine theoretische, zweitens eine historische und drittens eine ethische Dimension. Die theoretische Dimension fängt schon da an, wo man sagt, der Mensch ist eine Art, eine Spezies, Delfine sind auch eine Art, eine Spezies. Wie definieren wir biologisch, innerhalb der Biologie das, was eine Spezies ist? Darwin hat vom Wandel der Arten gesprochen. Und vorher die Kreationisten haben von der Konstanz der Arten gesprochen."
Vor Darwin nahm man an, und die Kreationisten glauben es weiterhin, dass Gott jede Art für sich geschaffen habe, deshalb seien auch Mensch und Tier absolut verschieden.
Für Evolutionisten dagegen sind die Artgrenzen nichts Unbedingtes. Was aber bedeuten Speziesdefinitionen dann? Sind es nur Namen, nur Klassifizierungsvehikel in einem ewigen Fluss, im steten Wandel der Naturgeschichte? Oder enthalten sie doch bleibende Wesensmerkmale von Menschen, Tieren und Pflanzen? Oder ist am Ende eine pragmatische Definition ausreichend, wie man sie in der Biologie benutzt?
"Die Biologen würden sagen, ja ich brauche doch nur so ein Kriterium wie Fortpflanzungsfähigkeit, Spezies ist das, was miteinander kreuzbar ist, dadurch unterscheiden wir Menschen uns von den Gorillas oder den Delfinen, dass zwischen uns und ihnen im allgemeinen keine Kreuzungen stattfinden, - das wäre der theoretische Begriff."
Wichtig ist auch ein Blick auf die zweite, die historische Dimension des Terminus Spezies. Hier wird schnell deutlich, dass eine Aufarbeitung des Begriffs keinen Selbstzweck darstellt, sondern, so Hans Werner Ingensiep, mitten hinein in die politischen und gesellschaftlichen Verflechtungen von Wissenschaft führt.
"Die historische Dimension ist dann wichtig, wenn wir uns berufen auf einen bestimmten Spezies-Begriff oder das Unterteilen beim Menschen in Rassen als Unterbegriffe, und daran bestimmte Vorstellungen knüpfen, dann sind wir schnell dabei: Wie ist eigentlich der Rassismus entstanden, der Sozialdarwinismus entstanden? Und dann sind wir auch schnell im Dritten Reich: Wie ist da Rasse, Spezies definiert worden im Biologieunterricht, wie ist das wissenschaftlich legitimiert worden? Und das muss man als historisches Wissen auch den Studenten der Naturwissenschaften deutlich machen, wie eine Wissenschaft, auch die Genetik damals ganz in den Bann einer Ideologie gekommen ist und darum muss man diese historische Dimension erarbeiten."
Brisant für die Gegenwart wird es vor allem dann, wenn man die normative, die ethische Dimension des Spezies-Begriffs beleuchtet. Denn seit ungefähr 30 Jahren hat sich eine kritische Front unter den Ethikern gebildet. Dazu gehören vor allem der australische Philosoph Peter Singer und der britische Psychologe Richard Ryder, ein Vorkämpfer der Tierrechtsbewegung, der dem Menschen "Speziesismus" vorhält.
"Das kommt aus dem Angelsächsischen und bezeichnet einen Vorwurf von bestimmten Tierethikern, aber auch Bioethikern, die sagen, dass die herrschende Ethik anthropozentrisch ist, dass sie einen Art-Egoismus verkörpert, Menschenwürde, Menschenrechte sind nicht legitimierbare Würden oder Rechte einer bestimmten Spezies, völlig kontingent, auf dieser Ebene lasse sich nicht über Ethik diskutieren. Und die Art-Moral ist eine Ausbeutermoral, die Tiere ausbeutet, die Tiere ausschließt, man will aber Tiere einschließen."
Die Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Der Mensch hat sich die Erde und das heißt auch alle anderen Lebewesen untertan gemacht. Aber lässt sich aus der Tatsache, dass es so ist, schließen, dass es so sein soll, also aus dem Faktum ein moralisches Recht, ein höheres Menschenrecht ableiten? Diesen sogenannten naturalistischen Fehlschluss werfen einige Bioethiker der herrschenden Moralphilosophie vor.
Die skizzierte Reflexion des Speziesbegriffs auf theoretischer, historischer und ethischer Ebene, so ein Fazit, könnte einen Brückenschlag schaffen zwischen Natur- und Kulturwissenschaften, könnte auch ein interdisziplinärer Baustein für das Studium sein. Die Frage der Verantwortung bleibt jedenfalls nicht theoretisch, sie stellt sich draußen im Alltagsleben und in der Forschungspraxis.
"Ein Biotechnologe befindet sich in einem Labor, und der hat zum Beispiel auch mit Tierversuchen zu tun, also steht er vor einem bestimmten Problem: Er muss einerseits seine Forschung legitimieren, auf der anderen Seite muss er möglicherweise diese Tiere töten, - meinetwegen Mäuse, um dann bestimmte Forschungsergebnisse zu erreichen. Wenn jetzt Biotechnologen darüber diskutieren, wie weit reicht die Würde des Menschen oder die Würde des Tieres, wenn es denn überhaupt eine Würde des Tieres gibt, wie sieht sie dann aus und wenn, wie drücke ich das in meinen Handlungen aus, in meinem Kontext, im Labor als Forscher – das wären dann Fragen, die unmittelbar den Forschungsbetrieb betreffen, ganz konkret bei Tierversuchen, aber nicht nur dort."