Bogdan Bogdanovic erzählt in seinem neuesten Buch nicht nur, aber doch mit Vorliebe von Belgrad. Kein Wunder: Belgrad ist die Stadt, mit der sich das Schicksal dieses Architekten, Urbanisten und Schriftstellers unauflöslich verknüpft hat. In Belgrad wurde Bogdan Bogdanovic 1922 geboren. Das "etwas größere Dorf" war gerade, nach Ende des Ersten Weltkriegs, zur jungen Hauptstadt des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen aufgestiegen, welches sich einige Jahre später den Namen Jugoslawien gab. Jahrhundertelang hatte Belgrad zum osmanischen Reich gehört und stand dementsprechend in der Tradition osmanischer Baukunst. In unmittelbarer Nähe von Belgrad befand sich Zemun, eine Stadt, die bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehört hatte und deren Architektur von den Habsburgern geprägt war. In der Zwischenkriegszeit verblieb zwischen Belgrad und Zemun ein Stück ödes Brachland von immerhin dreißig Quadratkilometern. Dieses Terrain begannen erst die siegreichen Tito-Partisanen zu beackern. Dort wuchs Neu-Belgrad empor, das Regierungsviertel des sozialistischen Jugoslawien, sozusagen das Washington D.C. für Josip Broz Tito, ein ebenso privilegierter wie ungemütlicher, ein gesichtsloser, ein sogar schauderhafter Ort, der - wie Bogdan Bogdanovic schreibt - das jugoslawische Desaster architektonisch vorwegnahm.
Ich erinnere mich an eines der ersten Belgrader Nachkriegsrestaurants, das man gebaut hatte, um die westlichen Ausländer in Erstaunen zu versetzen und ihnen ein paar Devisen abzunehmen: und ihnen nebenbei zu zeigen, daß die Schöpfer des jugoslawischen Sozialismus nichts gegen nationale Traditionen und Religionen hatten. An der Stirnwand befand sich ein großes Fresko, auf dem man sah, wie die bösen Türken nach der halb gewonnenen, halb verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld aus Rache für den getöteten Sultan dem gefangengenommenen serbischen Fürsten und Heiligen Lazar den Kopf abschlugen. Wohl bekomm's! Erst als eine angesehenere Dame aus dem diplomatischen Corps in Ohnmacht fiel, weil ihr plötzlich bewußt geworden war, daß sie ihr Steak saignant genau unter dem aufgemalten blutenden Kopf schlachtete, wurde das Fresko mit einer dünnen Gipsschicht überdeckt.
Der junge Hochschullehrer Bogdan Bogdanovic hatte seine Mitarbeit an dem Projekt Neu-Belgrad abgelehnt. Er machte sich einen Namen mit phantasiereichen Wohnbauprojekten abseits der sozialistischen Baukonfektion. Vor allem aber entwarf er Denkmäler, für die er sich - obwohl damals Kommunist und bekennender Tito-Anhänger - eher von der mystischen Tradition der europäischen Geistesgeschichte inspirieren ließ.
Die Arbeit, mit der ich mich am meisten befaßte, schloß den Marxismus aus. Ich befaßte mich mit dem Bau von Denkmälern für die Opfer des Faschismus und Opfer des Krieges. Ich mußte nolens volens ein tieferes, ein komplexeres Verhältnis zum Tod haben. Als ich anfing, in die Welt der Symbole einzudringen, begann ich Erkenntnisschichten zu entdecken, die man sich in der profanen Literatur nicht aneignen kann. Die Denkmäler, die Erinnerung an die Toten zu bauen, das konnte der Marxismus nicht.
Bogdan Bogdanovic brachte es in den frühen achtziger Jahren immerhin zum Bürgermeister Belgrads. Doch als Slobodan Milosevic 1986 die Macht über Serbien errang, war es mit Bogdanovics politischer Laufbahn vorbei. Der Konflikt mit dem großserbischen Führer und seinem Regime vertrieb Bogdanovic schließlich (1993) nach Wien, wo er seither ein Buch nach dem anderen publiziert hat. Das nun unter dem Titel "Vom Glück in den Städten" vorliegende ist ein Meisterwerk der Interpretation von Urbanität und des Scheiterns von Urbanität. Eher am Rande handelt es vom Aufstieg des großserbischen Nationalismus, den Bogdanovic stets als Niederlage der urbanen Zivilisation gedeutet hat. Statt dessen werden wir Zeugen einer Odyssee: von Belgrad aus durch die Städte dieser Welt. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg geht es los mit einem Gang durch die Ruinenlandschaft deutscher Großstädte, durch Köln oder durch Karlsruhe, wo sich der junge serbische Assistent für Architektur dem Studium von Friedrich Weinbrenner hingibt, des von ihm verehrten Meisters eines romantischen Klassizismus. Basel steht auf dem Programm, Wien - oder Rotterdam, wo die damals frisch in Beton gegossenen Stadtviertel den notorischen Peripathetiker und Sinnsucher Bogdanovic zur Verzweiflung bringen. In Rotterdam, ebenso wie in Los Angeles oder eben in Neu-Belgrad beobachtet Bogdanovic voller Sarkasmus, wie der Sinn und die Sinnlichkeit bedroht und vernichtet werden - durch eine "doktrinär asketische Architektur", eine Architektur, die unter dem Schutzmantel der Modernität zur vollkommenen Unleserlichkeit des historischen Organismus namens Stadt geführt hat. In Neu-Rotterdam kommt sich Bogdanovic vor wie eine kopflose Fliege oder gar wie die Maus auf dem Billardtisch, in den Gassen von Amsterdam indes wie "ein zufriedener holländischer Kater, Stromer und Philosoph". Die Erinnerungsreise führt auch in die Metropolen des ferneren kommunistischen Ostens, nach Moskau, Tiflis, Peking oder Pjöngjang. In Pjöngjang läßt sich der Bürgermeister Bogdanovic in den achtziger Jahren vom nordkoreanischen Diktator Kim Il Sung empfangen und findet in fremder Umgebung Bekanntes wieder:
Das nächste große Rätsel war mein Domizil. Ich erkannte die Handschrift der (jugoslawischen) Architekten aus der Verwaltung für Staatssicherheit wieder. Kim Il Sung vergötterte Tito und hatte nicht nur dessen Gewohnheiten übernommen, sondern auch manch guten Rat und fachliche Unterstützung eingeholt. Die jugoslawische Bauroutine - das heißt solide Qualität, aber ohne Geist und Eleganz - stieß in diesem Fall recht unglücklich mit orientalischer Verschwendung zusammen. Die ganze halbleere Residenz glich einem Gasthof wenn nicht für antike Götter, so doch wenigstens für plumpe Zyklopen.
Auf der Suche nach dem "Glück in den Städten" hat der Architekt Bogdan Bogdanovic noch einmal die Städte seines Lebens aus der Erinnerung durchwandert. Und er hat dabei seinen eigenen Schlüssel zu einer Urbanität nach menschlichem Maß gefunden: Wer Städte bauen will, muß zunächst in ihnen lesen können.
Ich erinnere mich an eines der ersten Belgrader Nachkriegsrestaurants, das man gebaut hatte, um die westlichen Ausländer in Erstaunen zu versetzen und ihnen ein paar Devisen abzunehmen: und ihnen nebenbei zu zeigen, daß die Schöpfer des jugoslawischen Sozialismus nichts gegen nationale Traditionen und Religionen hatten. An der Stirnwand befand sich ein großes Fresko, auf dem man sah, wie die bösen Türken nach der halb gewonnenen, halb verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld aus Rache für den getöteten Sultan dem gefangengenommenen serbischen Fürsten und Heiligen Lazar den Kopf abschlugen. Wohl bekomm's! Erst als eine angesehenere Dame aus dem diplomatischen Corps in Ohnmacht fiel, weil ihr plötzlich bewußt geworden war, daß sie ihr Steak saignant genau unter dem aufgemalten blutenden Kopf schlachtete, wurde das Fresko mit einer dünnen Gipsschicht überdeckt.
Der junge Hochschullehrer Bogdan Bogdanovic hatte seine Mitarbeit an dem Projekt Neu-Belgrad abgelehnt. Er machte sich einen Namen mit phantasiereichen Wohnbauprojekten abseits der sozialistischen Baukonfektion. Vor allem aber entwarf er Denkmäler, für die er sich - obwohl damals Kommunist und bekennender Tito-Anhänger - eher von der mystischen Tradition der europäischen Geistesgeschichte inspirieren ließ.
Die Arbeit, mit der ich mich am meisten befaßte, schloß den Marxismus aus. Ich befaßte mich mit dem Bau von Denkmälern für die Opfer des Faschismus und Opfer des Krieges. Ich mußte nolens volens ein tieferes, ein komplexeres Verhältnis zum Tod haben. Als ich anfing, in die Welt der Symbole einzudringen, begann ich Erkenntnisschichten zu entdecken, die man sich in der profanen Literatur nicht aneignen kann. Die Denkmäler, die Erinnerung an die Toten zu bauen, das konnte der Marxismus nicht.
Bogdan Bogdanovic brachte es in den frühen achtziger Jahren immerhin zum Bürgermeister Belgrads. Doch als Slobodan Milosevic 1986 die Macht über Serbien errang, war es mit Bogdanovics politischer Laufbahn vorbei. Der Konflikt mit dem großserbischen Führer und seinem Regime vertrieb Bogdanovic schließlich (1993) nach Wien, wo er seither ein Buch nach dem anderen publiziert hat. Das nun unter dem Titel "Vom Glück in den Städten" vorliegende ist ein Meisterwerk der Interpretation von Urbanität und des Scheiterns von Urbanität. Eher am Rande handelt es vom Aufstieg des großserbischen Nationalismus, den Bogdanovic stets als Niederlage der urbanen Zivilisation gedeutet hat. Statt dessen werden wir Zeugen einer Odyssee: von Belgrad aus durch die Städte dieser Welt. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg geht es los mit einem Gang durch die Ruinenlandschaft deutscher Großstädte, durch Köln oder durch Karlsruhe, wo sich der junge serbische Assistent für Architektur dem Studium von Friedrich Weinbrenner hingibt, des von ihm verehrten Meisters eines romantischen Klassizismus. Basel steht auf dem Programm, Wien - oder Rotterdam, wo die damals frisch in Beton gegossenen Stadtviertel den notorischen Peripathetiker und Sinnsucher Bogdanovic zur Verzweiflung bringen. In Rotterdam, ebenso wie in Los Angeles oder eben in Neu-Belgrad beobachtet Bogdanovic voller Sarkasmus, wie der Sinn und die Sinnlichkeit bedroht und vernichtet werden - durch eine "doktrinär asketische Architektur", eine Architektur, die unter dem Schutzmantel der Modernität zur vollkommenen Unleserlichkeit des historischen Organismus namens Stadt geführt hat. In Neu-Rotterdam kommt sich Bogdanovic vor wie eine kopflose Fliege oder gar wie die Maus auf dem Billardtisch, in den Gassen von Amsterdam indes wie "ein zufriedener holländischer Kater, Stromer und Philosoph". Die Erinnerungsreise führt auch in die Metropolen des ferneren kommunistischen Ostens, nach Moskau, Tiflis, Peking oder Pjöngjang. In Pjöngjang läßt sich der Bürgermeister Bogdanovic in den achtziger Jahren vom nordkoreanischen Diktator Kim Il Sung empfangen und findet in fremder Umgebung Bekanntes wieder:
Das nächste große Rätsel war mein Domizil. Ich erkannte die Handschrift der (jugoslawischen) Architekten aus der Verwaltung für Staatssicherheit wieder. Kim Il Sung vergötterte Tito und hatte nicht nur dessen Gewohnheiten übernommen, sondern auch manch guten Rat und fachliche Unterstützung eingeholt. Die jugoslawische Bauroutine - das heißt solide Qualität, aber ohne Geist und Eleganz - stieß in diesem Fall recht unglücklich mit orientalischer Verschwendung zusammen. Die ganze halbleere Residenz glich einem Gasthof wenn nicht für antike Götter, so doch wenigstens für plumpe Zyklopen.
Auf der Suche nach dem "Glück in den Städten" hat der Architekt Bogdan Bogdanovic noch einmal die Städte seines Lebens aus der Erinnerung durchwandert. Und er hat dabei seinen eigenen Schlüssel zu einer Urbanität nach menschlichem Maß gefunden: Wer Städte bauen will, muß zunächst in ihnen lesen können.