Wenn es um das Wohl und Wehe von Unternehmen geht, stehen gewöhnlich die Vorstände im Scheinwerferlicht. Bei der Hauptversammlung von ThyssenKrupp im Januar in Bochum war es anders. Gesprächsstoff lieferte der Aufsichtsrat, besonders dessen Vorsitzender Gerhard Cromme geriet ins Kreuzfeuer der Kritik.
"Er hat den Filz, der bei Krupp und sicherlich auch vorher bei Thyssen ist, die ganzen Jahre gedeckt. Nun dann muss er sich an seine eigene Nase packen und als Aufsichtsratsvorsitzender gehen."
Wettert der Kleinaktionär Dirk Kaufmann. Er verweist auf die Kartelle für Schienen und Aufzüge: ThyssenKrupp soll sich dabei an illegalen Preisabsprachen beteiligt haben. Zusätzlich zu den Kartellstrafen in dreistelliger Millionenhöhe könnten auf das Unternehmen hohe Schadenersatzforderungen zukommen. Er spricht von den Milliardenverlusten bei dem Bau von Werken in Brasilien und den USA.
Angesichts der dramatischen Entwicklung bangen Mitarbeiter von Europas größtem Stahlkonzern um ihre Jobs. Einige Dutzend protestieren an diesem Tag vor der Halle, darunter Peter Ahlefang, der als Qualitätsprüfer im Duisburger Stahlwerk arbeitet.
"Wir sind heute hier, um gegen den Aufsichtsrat zu demonstrieren, gegen eventuelle Betriebsschließungen bei Thyssen und für den Erhalt unserer Arbeitsplätze und natürlich gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Cromme."
Gegenwind spürt die Elite der Manager vielerorts. Es gibt reichlich Diskussionsstoff für die Hauptversammlungen der Unternehmen in diesen Wochen. Da sind die hohen Pensionsrückstellungen für Vorstandschef Dieter Zetsche bei Daimler. Da ist die verschlafene Energiewende bei RWE. Da sind die zahlreichen Prozesse gegen die Deutsche Bank wegen ihres Geschäftsgebarens. Viele Politiker und Bürger trauen den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften immer weniger zu, alle Missstände selbst in den Griff zu bekommen. Besonders an der Höhe der Managergehälter entzündete sich in den vergangenen Monaten die öffentliche Diskussion: Werden die Aufseher ihrer Aufgabe, die Führung der Unternehmen zu überwachen, wirklich gerecht?
In der Schweiz entscheiden jetzt die Aktionäre über die Vorstandsgehälter
Sogar den traditionell wirtschaftsfreundlichen Schweizern ist jetzt der Kragen geplatzt. Nicht mehr die Aufsichtsräte, sondern die Aktionäre sollen künftig über die Höhe der Vorstandsvergütungen eines Unternehmens befinden. Das beschlossen die Eidgenossen bei einer Volksabstimmung Anfang März. Sie votierten außerdem dafür, dass sich die Aufseher künftig jährlich neu zur Wahl stellen müssen. Wer sich alldem verweigert, dem sollen Geld- und sogar Freiheitsstrafen drohen.
Die EU überlegt jetzt, dem Schweizer Vorbild zu folgen und die Rechte der Aktionäre zulasten der Aufsichtsräte auszubauen. Auch die Bundesregierung liebäugelt mit der Idee. Aber können die Aktionäre die Manager besser zähmen als die Aufseher?
Optimisten blicken nach Großbritannien, wo Investoren zuletzt einige Male Vorstandschefs hohe Gehaltsaufschläge oder Abfindungen verweigerten. Kritiker verweisen dagegen auf die fehlenden Loyalitätspflichten von Aktionären. Warum sollten sich Aktionäre mit Managern anlegen, deren Arbeit ihnen die gewünschten Resultate verspricht? Futter für Skeptiker lieferte wiederum die Hauptversammlung von ThyssenKrupp Anfang des Jahres.
Kleinaktionäre haben wenig Möglichkeiten
Gerhard Cromme:
"Lieber Herr Dr. Krause. Sie haben einen Geschäftsführungsantrag gestellt, mich abzulösen."
Anhänger der Aktionärsdemokratie dürften Eigentümer wie Oliver Krause vor Augen haben. Er stellt an diesem Morgen einen Antrag auf Absetzung von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme als Versammlungsleiter, wegen Befangenheit. Krause begründet dies und lässt auch nicht locker, als Cromme ihn unterbricht.
"Ich würde Sie also bitten, kurz und präzise Ihren Antrag zu begründen."
"Ich bin gerade dabei, wenn Sie mich nicht ständig unterbrechen würden, würde es schneller gehen."
Als Cromme die Abstimmung über den Antrag verweigert, geht kurz ein Raunen durch die Reihen der Aktionäre im Saal. Damit hat es sich aber auch schon. Anschließend winken die Aktionäre alle Tagesordnungspunkte durch, trotz Kartellen und Milliardenverlusten.
Kleinaktionäre haben ohnehin so gut wie keine Möglichkeit, in die Unternehmensführung einzugreifen. Bei Aktiengesellschaften korrespondiert die Zahl der Stimmen mit der Zahl der Aktien. Nur große Investoren haben wirklich Einfluss. So wie zum Beispiel die Krupp-Stiftung mit ihrem Anteil von gut 25 Prozent bei dem Stahlkonzern.
Sechs Wochen nach der Hauptversammlung demonstriert der Großaktionär diese Macht. Ruhrpatriarch Berthold Beitz lässt seinen Ziehsohn Cromme fallen. Ende März nimmt der seinen Hut als Chefkontrolleur.
Sein Nachfolger wird Ulrich Lehner. Das hat der Aufsichtsrat vor einigen Tagen bei einer Sondersitzung beschlossen. Er tritt sein Amt zum 1. April an. Niemand spricht dem ehemaligen Henkel-Chef die Qualifikation ab. Kritik gibt es aber an seiner Ämterfülle: Denn der 66-Jährige sitzt in den Kontrollgremien von vielen Großunternehmen, ob Eon, Henkel, Porsche, Deutsche Telekom, Novartis oder August Oetker.
Unter dem öffentlichen Druck hat er nun angekündigt, drei seiner Mandate in den kommenden Monaten abgeben zu wollen. Dennoch bleiben Zweifel: Kann Lehner bei dieser Vielzahl von Mandaten die Herkulesaufgabe bei ThyssenKrupp bewältigen?
Qualifizierte Aufsichtsräte sind nicht leicht zu finden
Die Kritik an der Arbeit von Aufsichtsräten hat generell zugenommen. Selbst die Vorstände sind unzufrieden mit ihren eigenen Aufsehern: Bei einer Befragung, die eine Unternehmensberatung gemeinsam mit der Bergisch-Gladbacher Fachhochschule der Wirtschaft gestartet hat, gaben sie ihren Kontrolleuren gerade einmal die Durchschnittsnote "knapp befriedigend".
Auf eine bessere Qualifizierung der Aufseher setzten Dax-Granden wie der ehemalige Metro-Chef Hans-Joachim Körber oder der langjährige RWE-Chef Dietmar Kuhnt. Sie haben deswegen im vergangenen Jahr gemeinsam mit anderen die "Vereinigung der Aufsichtsräte" gegründet. Deren Geschäfte führt der Rechtsanwalt Peter Dehnen. Seiner Meinung nach muss jeder Aufsichtsrat umfassend über die Belange eines Unternehmens Bescheid wissen: Nur dann könnten die Aufsichtsräte in den entsprechenden Sitzungen auf Augenhöhe diskutieren.
"Wenn einzelne oder eine große Zahl der Mitglieder dieses Aufsichtsrats an der Stelle Schwächen aufweisen, weil sie eben nicht in diesen Sachthemen zu Hause sind und nicht aus den Sachthemen kommend Kontrollarbeit leisten, dann wird die Diskussion sehr dünn. Also dann entsteht das häufige Schweigen oder das Nicken, wenn einer was sagt, was sich irgendwie klug anhört."
Auch Aufsichtsräte selbst sprechen von steigenden Anforderungen an ihre Zunft. So wie der Verdi-Gewerkschafter Lothar Schröder, seit fast 20 Jahren Aufsichtsrat in verschiedenen Unternehmen und derzeit stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Telekom:
"Die Außeneinflüsse haben sich gravierend verändert. Ich bin Aufsichtsrat in einem Unternehmen, das in der Telekommunikation, in der Internetbranche zu Hause ist, da wechseln ganz schnell Geschäftsmodelle, Funktionsmechanismen. Die Märkte haben an Geschwindigkeit gewonnen, sind weltweite Märkte geworden. Da muss man schon feststellen, dass die Anforderungen andere geworden sind. Das Unternehmen selber hat expandiert."
Grundsätzlich wünscht er sich eine bessere Mischung von Kompetenz in Aufsichtsräten.
"Finanzfachleuchte werden von der Kapitalseite reichlich oft, zu reichlich, in Aufsichtsräte entsandt. Da fehlen dann oftmals Aufsichtsräte, die was vom Human-Ressource-Geschäft verstehen. Aufsichtsräte, die unmittelbar aus der Branche kommen, die sind wegen des Konkurrenzaspekts nicht so reichlich gestreut. Und auch andere Aspekte, die man in Unternehmen dringend braucht, Strategieüberlegungen zum Beispiel, da sind keine ausgewiesenen Experten oder wenig ausgewiesene Experten in den Aufsichtsräten zu finden. Da haben wir eher ein Manko."
Blick in die Geschichte der Aufsichtsräte
Der Gesetzgeber führte einen obligatorischen Aufsichtsrat für Aktiengesellschaften erstmals mit dem allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch in der Fassung vom 11. Juni 1870 im Norddeutschen Bund ein. Weil in Deutschland Großbanken wie die Deutsche Bank, Dresdner Bank oder Commerzbank eine zentrale Rolle als Finanziers bei dem Aufbau der Industrie spielten, beherrschten sie mehr als 100 Jahre die Aufsichtsräte hiesiger Konzerne.
Als Deutschland AG bezeichnet man diese starke Verflechtung von Finanzinstituten und heimischer Industrie. Ein kleiner Zirkel einflussreicher Manager kontrollierte das Geschehen in den Aufsichtsräten. Legendär war der Deutsche-Bank-Chef Hermann-Josef Abs. Er saß in den 60er-Jahren gleich in 30 Aufsichtsräten und führte bei 20 Unternehmen die Aufsichtsratsregie.
Die Bundesregierung reagierte auf solche Machtfülle und begrenzte in den 60er-Jahren die Anzahl der Aufsichtsratsmandate auf maximal zehn. Ein Aufsichtsratsvorsitz zählt doppelt.
Peter von Blohmberg war lange als Vorstand und Aufsichtsrat bei dem Versicherer Allianz tätig, heute engagiert er sich bei der Antikorruptionsorganisation Transparency International. Seiner Meinung nach waren die Kontrollen der Aufsichtsräte lange
"eine ziemlich oberflächliche Angelegenheit."
Schließlich hätten sich
"so viele Geschäftsfreunde sich gegenseitig bewacht oder nicht überwacht."
Ein kleiner Kreis häufig gut befreundeter Männer kontrollierte sich gegenseitig. Wie sollte das im Ernstfall funktionieren? Mit der zunehmenden Internationalisierung der Kapitalmärkte in den 90er-Jahren begann die Deutschland AG dann zu bröckeln. Die Politik sah nach der Pleite des Baukonzerns Holzmann auch die Notwendigkeit für eine bessere Unternehmensführung. Die damalige rot-grüne Bundesregierung setzte deswegen eine Regierungskommission ein, die sich auch die Aufsichtsräte vorknöpfte. Unternehmen stellten 2002 dann selbst einen Kodex für gute Unternehmensführung vor. Peter von Blohmberg:
"Da geht es dann um die Frage, wer kann Aufsichtsrat werden, welche persönlichen Voraussetzungen, Erfahrungen muss er haben? Inwieweit dürfen ehemalige Manager des Unternehmens in den Aufsichtsrat wechseln, und wenn ja, wann? Wie steht die Sache mit der Vergütung? Wie ist es mit der Transparenz der Vergütungssysteme und so weiter? Das sind alles Themen, die in den letzten zehn, 15 Jahren aktuell geworden sind."
Seitdem hat sich vieles geändert: Fehler von Aufsichtsräten werden heute seltener unter den Teppich gekehrt. So trat Heinrich von Pierer als Aufsichtsratschef im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal bei Siemens zurück und zahlte nach einem Vergleich seinem ehemaligen Arbeitgeber sogar persönlich fünf Millionen Euro Entschädigung.
Aufsichtsräte würden öfter belangt, als es die Öffentlichkeit mitbekomme, meint auch Peter Dehnen von der "Vereinigung der Aufsichtsräte":
"Haftung und Verantwortlichkeit findet aber eigentlich mehr im Verborgenen statt aufgrund unseres Haftungssystems. Ein Außenstehender kann nicht direkt an den Aufsichtsrat rangehen. Deswegen wird entweder im Stillen verhandelt und geregelt oder ja, man versucht das mit Hilfe einer D&O-Versicherung ab zu glätten."
Solche Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen schließen heute viele Unternehmen für ihre Aufsichtsräte und Vorstände ab. Bedarf dafür gibt es. Aktuell sind rund 6000 Gerichtsverfahren gegen Topentscheider in Deutschland anhängig.
Auch Kontrolleure öffentlicher Unternehmen stehen in der Kritik
Die Kontrolleure in der Privatwirtschaft sind nicht die einzigen, die sich kritische Fragen gefallen lassen müssen. Gegenwind gibt es auch für die Kontrolleure öffentlicher Unternehmen, beispielsweise beim neuen Großflughafen für Berlin. Aufsichtsratschef Klaus Wowereit räumte nach einer Pannenserie seinen Sessel.
Auch bei der Elbphilharmonie in Hamburg, dem Nürburgring in der Eifel oder öffentlichen Landesbanken wie WestLB, BayernLB oder der Landesbank Baden-Württemberg werfen die Geschehnisse der vergangenen Jahre ein schlechtes Licht auf die Kontrolleure aus der Politik. Sie konnten teure Fehlentscheidungen der Geschäftsführungen nicht verhindern. Bei Transparency International bricht man trotzdem eine Lanze für Politiker als Aufsichtsräte öffentlicher Unternehmen. Peter von Blohmberg:
"Also zunächst mal muss man die Tatsache, dass Mandate in kommunalen Beteiligungsgesellschaften entweder mit Lokalpolitikern oder mit Amtsträgern besetzt sind, als eine völlige Normalität und auch demokratisch legitimierten Zustand betrachten. Denn es geht ja darum, den Eigentümer Kommune zu repräsentieren."
Der Aufsichtsratsexperte Dehnen wünscht sich mehr Transparenz bei der Besetzung der Posten.
"Wenn die Öffentlichkeit, der Steuerzahler schon einmal so stark involviert ist als Supergesellschafter, wenn man so will, dann hat der Steuerzahler auch ein Recht darauf zu sehen, dass gute, ja eigentlich die besten Leute in solche Verantwortungen kommen."
"Worüber man aber sehr wohl reden kann, dass man diese Aufsichtsräte durch fachlich ausgebildete Menschen ergänzt, also eine Mischlösung, wenn Sie so wollen."
Findet Peter von Blohmberg von Transparency und hat auch gleich einen Vorschlag parat.
"Aber in der Tat gibt es gute Gründe dafür, in solchen Fällen, dann vielleicht eher auch einen höheren Beamten oder was aus der Hierarchie zu holen und zu sagen: Das ist deine Aufgabe und wir schaufeln dich frei von anderen Aufgaben oder teilweise, solange dieses Projekt läuft."
Interessenskonflikte von Politikern in Aufsichtsräten
Dass aktive Politiker in den Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen sitzen sollten, gilt als unstrittig. Aber Politiker kontrollieren auch privatwirtschaftliche Unternehmen. Dies ist bei 126 der 620 Abgeordneten des Bundestages der Fall. Die meisten Mandate halten Unionspolitiker mit 67, bei der SPD sind es 24 Abgeordnete, bei der FDP 17, den Linken zwölf und bei den Grünen sechs.
Meist kontrollieren Politiker kleinere Unternehmen. Nur wenige sitzen in den Kontrollgremien großer Konzerne, so wie der CDU-Abgeordnete Uwe Schummer bei der Kraftwerkstochter des Energiekonzerns RWE oder sein Fraktionskollege Christian Stetten bei einer Tochter des Versicherers Allianz.
Thomas Hechtfischer ist Geschäftsführer bei der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. Er betrachtet es grundsätzlich als Bereicherung für Aufsichtsräte, wenn dort Politiker Mitglieder sind. Allerdings wäre es dann problematisch,
"wenn sie instrumentalisiert werden, um auf politischer Ebene für das Unternehmen irgendetwas zu erreichen."
Mit diesem Vorwurf sah sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Zusammenhang mit seiner Aufsichtsratstätigkeit bei ThyssenKrupp konfrontiert. Zu Recht, findet Marcus Dufner, Geschäftsführer beim Dachverband kritischer Aktionäre, schließlich habe der Politiker
"dem Aufsichtsrat auf Anfrage versprochen, dass er sich dafür einsetzen würde, für niedrigere Energiepreise für das Unternehmen, und das ist natürlich absolut kritisch zu sehen."
Solche Interessenkollisionen sind naturgemäß seltener, wenn Politiker bereits aus ihrem Amt ausgeschieden sind. Grundsätzlich spreche dann überhaupt nichts gegen eine solche Tätigkeit, findet man bei der Antikorruptions-Organisation Transparency International.
"In dem Moment, wo sie nicht mehr gewählt werden oder nicht mehr kandidieren, sind sie wieder Privatleute, kehren in ihren früheren Beruf, wenn sie einen gehabt haben, zurück, so dass man also ihnen die Beschäftigung in anderen Berufen unter gar keinen Umständen untersagen kann."
Aber er macht eine Ausnahme.
"Das Entscheidende ist, was passiert, wenn sie einen Beruf übernehmen, der einen engeren Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit gehabt hat. Wenn also das Thema Interessenkollision sozusagen mit Händen zu greifen sind. Und das ist vor allen Dingen auch die besondere Attraktivität natürlich eines Politikers für denjenigen, der ihn an sich binden will."
Doch genau diese Interessenkollisionen sind nicht selten: Der CSU-Politiker Otto Wiesheu war bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie. Später holte ihn die Deutsche Bahn als Vorstand für Marketing und politische Beziehungen.
Der CDU-Politiker Wolfgang Bötsch war unter Kanzler Helmut Kohl als Postminister auch für die Telekommunikation zuständig. Auf seine Kompetenz setzte Gemini, eine Beratungsfirma für Telekommunikation.
Wolfgang Clement, SPD, war Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und Wirtschafts- und Arbeitsminister im Kabinett Schröder. Der Energiekonzern RWE Power holte ihn in seinen Aufsichtsrat.
Sein Parteikollege Otto Schily setzte in seiner Zeit als Bundesinnenminister die Speicherung von biometrischen Merkmalen auf Ausweispapieren durch - und wechselte anschließend in die Aufsichtsräte von Biometric System AG, einem Hersteller von Geräten für die Iriserkennung, und Safe ID Solutions, einem Hersteller elektronischer Ausweise.
Transparency International schlägt Karenzzeit vor
Gegen solche direkten Wechsel von Amtsträgern mit Spezialwissen in die Privatwirtschaft kämpft Transparency International seit Langem:
"Da haben wir seit Jahren den Lösungsvorschlag Karenzzeit, weil wir sagen, wenn das eine Weile abgekühlt ist, dann verliert diese Unmittelbarkeit, die direkte Verwertung dienstlich erworbener Informationen und Beziehungen, an Wert. Und dann kann man das, über einen gewissen Zeitraum abgekühlt, sehr wohl zulassen."
Bei der Politik ist die Organisation mit ihrer Forderung nach einer dreijährigen Karenzzeit abgeblitzt. Die Sozialdemokraten forderten im Herbst 2012 jedoch zumindest eine eineinhalbjährige Pause.
""Die SPD hat sich kürzlich an die EU-Regelung anlehnen wollen, hat einen Vorschlag gemacht, 18 Monate, und ist auch gescheitert damit. Und immer wenn die Politik sozusagen ihre eigenen Angelegenheiten regeln soll, legt sie eine gewisse Unlust an den Tag."
Es gibt also einigen Bedarf für Veränderungen bei der Besetzung von Aufsichtsratsposten in Deutschland. Denn in einem sind sich wohl alle einig: Dass die rund 100.000 Aufsichtsräte für die Wirtschaft in Deutschland eine eminent wichtige Aufgabe erfüllen.
"Er hat den Filz, der bei Krupp und sicherlich auch vorher bei Thyssen ist, die ganzen Jahre gedeckt. Nun dann muss er sich an seine eigene Nase packen und als Aufsichtsratsvorsitzender gehen."
Wettert der Kleinaktionär Dirk Kaufmann. Er verweist auf die Kartelle für Schienen und Aufzüge: ThyssenKrupp soll sich dabei an illegalen Preisabsprachen beteiligt haben. Zusätzlich zu den Kartellstrafen in dreistelliger Millionenhöhe könnten auf das Unternehmen hohe Schadenersatzforderungen zukommen. Er spricht von den Milliardenverlusten bei dem Bau von Werken in Brasilien und den USA.
Angesichts der dramatischen Entwicklung bangen Mitarbeiter von Europas größtem Stahlkonzern um ihre Jobs. Einige Dutzend protestieren an diesem Tag vor der Halle, darunter Peter Ahlefang, der als Qualitätsprüfer im Duisburger Stahlwerk arbeitet.
"Wir sind heute hier, um gegen den Aufsichtsrat zu demonstrieren, gegen eventuelle Betriebsschließungen bei Thyssen und für den Erhalt unserer Arbeitsplätze und natürlich gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Cromme."
Gegenwind spürt die Elite der Manager vielerorts. Es gibt reichlich Diskussionsstoff für die Hauptversammlungen der Unternehmen in diesen Wochen. Da sind die hohen Pensionsrückstellungen für Vorstandschef Dieter Zetsche bei Daimler. Da ist die verschlafene Energiewende bei RWE. Da sind die zahlreichen Prozesse gegen die Deutsche Bank wegen ihres Geschäftsgebarens. Viele Politiker und Bürger trauen den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften immer weniger zu, alle Missstände selbst in den Griff zu bekommen. Besonders an der Höhe der Managergehälter entzündete sich in den vergangenen Monaten die öffentliche Diskussion: Werden die Aufseher ihrer Aufgabe, die Führung der Unternehmen zu überwachen, wirklich gerecht?
In der Schweiz entscheiden jetzt die Aktionäre über die Vorstandsgehälter
Sogar den traditionell wirtschaftsfreundlichen Schweizern ist jetzt der Kragen geplatzt. Nicht mehr die Aufsichtsräte, sondern die Aktionäre sollen künftig über die Höhe der Vorstandsvergütungen eines Unternehmens befinden. Das beschlossen die Eidgenossen bei einer Volksabstimmung Anfang März. Sie votierten außerdem dafür, dass sich die Aufseher künftig jährlich neu zur Wahl stellen müssen. Wer sich alldem verweigert, dem sollen Geld- und sogar Freiheitsstrafen drohen.
Die EU überlegt jetzt, dem Schweizer Vorbild zu folgen und die Rechte der Aktionäre zulasten der Aufsichtsräte auszubauen. Auch die Bundesregierung liebäugelt mit der Idee. Aber können die Aktionäre die Manager besser zähmen als die Aufseher?
Optimisten blicken nach Großbritannien, wo Investoren zuletzt einige Male Vorstandschefs hohe Gehaltsaufschläge oder Abfindungen verweigerten. Kritiker verweisen dagegen auf die fehlenden Loyalitätspflichten von Aktionären. Warum sollten sich Aktionäre mit Managern anlegen, deren Arbeit ihnen die gewünschten Resultate verspricht? Futter für Skeptiker lieferte wiederum die Hauptversammlung von ThyssenKrupp Anfang des Jahres.
Kleinaktionäre haben wenig Möglichkeiten
Gerhard Cromme:
"Lieber Herr Dr. Krause. Sie haben einen Geschäftsführungsantrag gestellt, mich abzulösen."
Anhänger der Aktionärsdemokratie dürften Eigentümer wie Oliver Krause vor Augen haben. Er stellt an diesem Morgen einen Antrag auf Absetzung von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme als Versammlungsleiter, wegen Befangenheit. Krause begründet dies und lässt auch nicht locker, als Cromme ihn unterbricht.
"Ich würde Sie also bitten, kurz und präzise Ihren Antrag zu begründen."
"Ich bin gerade dabei, wenn Sie mich nicht ständig unterbrechen würden, würde es schneller gehen."
Als Cromme die Abstimmung über den Antrag verweigert, geht kurz ein Raunen durch die Reihen der Aktionäre im Saal. Damit hat es sich aber auch schon. Anschließend winken die Aktionäre alle Tagesordnungspunkte durch, trotz Kartellen und Milliardenverlusten.
Kleinaktionäre haben ohnehin so gut wie keine Möglichkeit, in die Unternehmensführung einzugreifen. Bei Aktiengesellschaften korrespondiert die Zahl der Stimmen mit der Zahl der Aktien. Nur große Investoren haben wirklich Einfluss. So wie zum Beispiel die Krupp-Stiftung mit ihrem Anteil von gut 25 Prozent bei dem Stahlkonzern.
Sechs Wochen nach der Hauptversammlung demonstriert der Großaktionär diese Macht. Ruhrpatriarch Berthold Beitz lässt seinen Ziehsohn Cromme fallen. Ende März nimmt der seinen Hut als Chefkontrolleur.
Sein Nachfolger wird Ulrich Lehner. Das hat der Aufsichtsrat vor einigen Tagen bei einer Sondersitzung beschlossen. Er tritt sein Amt zum 1. April an. Niemand spricht dem ehemaligen Henkel-Chef die Qualifikation ab. Kritik gibt es aber an seiner Ämterfülle: Denn der 66-Jährige sitzt in den Kontrollgremien von vielen Großunternehmen, ob Eon, Henkel, Porsche, Deutsche Telekom, Novartis oder August Oetker.
Unter dem öffentlichen Druck hat er nun angekündigt, drei seiner Mandate in den kommenden Monaten abgeben zu wollen. Dennoch bleiben Zweifel: Kann Lehner bei dieser Vielzahl von Mandaten die Herkulesaufgabe bei ThyssenKrupp bewältigen?
Qualifizierte Aufsichtsräte sind nicht leicht zu finden
Die Kritik an der Arbeit von Aufsichtsräten hat generell zugenommen. Selbst die Vorstände sind unzufrieden mit ihren eigenen Aufsehern: Bei einer Befragung, die eine Unternehmensberatung gemeinsam mit der Bergisch-Gladbacher Fachhochschule der Wirtschaft gestartet hat, gaben sie ihren Kontrolleuren gerade einmal die Durchschnittsnote "knapp befriedigend".
Auf eine bessere Qualifizierung der Aufseher setzten Dax-Granden wie der ehemalige Metro-Chef Hans-Joachim Körber oder der langjährige RWE-Chef Dietmar Kuhnt. Sie haben deswegen im vergangenen Jahr gemeinsam mit anderen die "Vereinigung der Aufsichtsräte" gegründet. Deren Geschäfte führt der Rechtsanwalt Peter Dehnen. Seiner Meinung nach muss jeder Aufsichtsrat umfassend über die Belange eines Unternehmens Bescheid wissen: Nur dann könnten die Aufsichtsräte in den entsprechenden Sitzungen auf Augenhöhe diskutieren.
"Wenn einzelne oder eine große Zahl der Mitglieder dieses Aufsichtsrats an der Stelle Schwächen aufweisen, weil sie eben nicht in diesen Sachthemen zu Hause sind und nicht aus den Sachthemen kommend Kontrollarbeit leisten, dann wird die Diskussion sehr dünn. Also dann entsteht das häufige Schweigen oder das Nicken, wenn einer was sagt, was sich irgendwie klug anhört."
Auch Aufsichtsräte selbst sprechen von steigenden Anforderungen an ihre Zunft. So wie der Verdi-Gewerkschafter Lothar Schröder, seit fast 20 Jahren Aufsichtsrat in verschiedenen Unternehmen und derzeit stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Telekom:
"Die Außeneinflüsse haben sich gravierend verändert. Ich bin Aufsichtsrat in einem Unternehmen, das in der Telekommunikation, in der Internetbranche zu Hause ist, da wechseln ganz schnell Geschäftsmodelle, Funktionsmechanismen. Die Märkte haben an Geschwindigkeit gewonnen, sind weltweite Märkte geworden. Da muss man schon feststellen, dass die Anforderungen andere geworden sind. Das Unternehmen selber hat expandiert."
Grundsätzlich wünscht er sich eine bessere Mischung von Kompetenz in Aufsichtsräten.
"Finanzfachleuchte werden von der Kapitalseite reichlich oft, zu reichlich, in Aufsichtsräte entsandt. Da fehlen dann oftmals Aufsichtsräte, die was vom Human-Ressource-Geschäft verstehen. Aufsichtsräte, die unmittelbar aus der Branche kommen, die sind wegen des Konkurrenzaspekts nicht so reichlich gestreut. Und auch andere Aspekte, die man in Unternehmen dringend braucht, Strategieüberlegungen zum Beispiel, da sind keine ausgewiesenen Experten oder wenig ausgewiesene Experten in den Aufsichtsräten zu finden. Da haben wir eher ein Manko."
Blick in die Geschichte der Aufsichtsräte
Der Gesetzgeber führte einen obligatorischen Aufsichtsrat für Aktiengesellschaften erstmals mit dem allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch in der Fassung vom 11. Juni 1870 im Norddeutschen Bund ein. Weil in Deutschland Großbanken wie die Deutsche Bank, Dresdner Bank oder Commerzbank eine zentrale Rolle als Finanziers bei dem Aufbau der Industrie spielten, beherrschten sie mehr als 100 Jahre die Aufsichtsräte hiesiger Konzerne.
Als Deutschland AG bezeichnet man diese starke Verflechtung von Finanzinstituten und heimischer Industrie. Ein kleiner Zirkel einflussreicher Manager kontrollierte das Geschehen in den Aufsichtsräten. Legendär war der Deutsche-Bank-Chef Hermann-Josef Abs. Er saß in den 60er-Jahren gleich in 30 Aufsichtsräten und führte bei 20 Unternehmen die Aufsichtsratsregie.
Die Bundesregierung reagierte auf solche Machtfülle und begrenzte in den 60er-Jahren die Anzahl der Aufsichtsratsmandate auf maximal zehn. Ein Aufsichtsratsvorsitz zählt doppelt.
Peter von Blohmberg war lange als Vorstand und Aufsichtsrat bei dem Versicherer Allianz tätig, heute engagiert er sich bei der Antikorruptionsorganisation Transparency International. Seiner Meinung nach waren die Kontrollen der Aufsichtsräte lange
"eine ziemlich oberflächliche Angelegenheit."
Schließlich hätten sich
"so viele Geschäftsfreunde sich gegenseitig bewacht oder nicht überwacht."
Ein kleiner Kreis häufig gut befreundeter Männer kontrollierte sich gegenseitig. Wie sollte das im Ernstfall funktionieren? Mit der zunehmenden Internationalisierung der Kapitalmärkte in den 90er-Jahren begann die Deutschland AG dann zu bröckeln. Die Politik sah nach der Pleite des Baukonzerns Holzmann auch die Notwendigkeit für eine bessere Unternehmensführung. Die damalige rot-grüne Bundesregierung setzte deswegen eine Regierungskommission ein, die sich auch die Aufsichtsräte vorknöpfte. Unternehmen stellten 2002 dann selbst einen Kodex für gute Unternehmensführung vor. Peter von Blohmberg:
"Da geht es dann um die Frage, wer kann Aufsichtsrat werden, welche persönlichen Voraussetzungen, Erfahrungen muss er haben? Inwieweit dürfen ehemalige Manager des Unternehmens in den Aufsichtsrat wechseln, und wenn ja, wann? Wie steht die Sache mit der Vergütung? Wie ist es mit der Transparenz der Vergütungssysteme und so weiter? Das sind alles Themen, die in den letzten zehn, 15 Jahren aktuell geworden sind."
Seitdem hat sich vieles geändert: Fehler von Aufsichtsräten werden heute seltener unter den Teppich gekehrt. So trat Heinrich von Pierer als Aufsichtsratschef im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal bei Siemens zurück und zahlte nach einem Vergleich seinem ehemaligen Arbeitgeber sogar persönlich fünf Millionen Euro Entschädigung.
Aufsichtsräte würden öfter belangt, als es die Öffentlichkeit mitbekomme, meint auch Peter Dehnen von der "Vereinigung der Aufsichtsräte":
"Haftung und Verantwortlichkeit findet aber eigentlich mehr im Verborgenen statt aufgrund unseres Haftungssystems. Ein Außenstehender kann nicht direkt an den Aufsichtsrat rangehen. Deswegen wird entweder im Stillen verhandelt und geregelt oder ja, man versucht das mit Hilfe einer D&O-Versicherung ab zu glätten."
Solche Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen schließen heute viele Unternehmen für ihre Aufsichtsräte und Vorstände ab. Bedarf dafür gibt es. Aktuell sind rund 6000 Gerichtsverfahren gegen Topentscheider in Deutschland anhängig.
Auch Kontrolleure öffentlicher Unternehmen stehen in der Kritik
Die Kontrolleure in der Privatwirtschaft sind nicht die einzigen, die sich kritische Fragen gefallen lassen müssen. Gegenwind gibt es auch für die Kontrolleure öffentlicher Unternehmen, beispielsweise beim neuen Großflughafen für Berlin. Aufsichtsratschef Klaus Wowereit räumte nach einer Pannenserie seinen Sessel.
Auch bei der Elbphilharmonie in Hamburg, dem Nürburgring in der Eifel oder öffentlichen Landesbanken wie WestLB, BayernLB oder der Landesbank Baden-Württemberg werfen die Geschehnisse der vergangenen Jahre ein schlechtes Licht auf die Kontrolleure aus der Politik. Sie konnten teure Fehlentscheidungen der Geschäftsführungen nicht verhindern. Bei Transparency International bricht man trotzdem eine Lanze für Politiker als Aufsichtsräte öffentlicher Unternehmen. Peter von Blohmberg:
"Also zunächst mal muss man die Tatsache, dass Mandate in kommunalen Beteiligungsgesellschaften entweder mit Lokalpolitikern oder mit Amtsträgern besetzt sind, als eine völlige Normalität und auch demokratisch legitimierten Zustand betrachten. Denn es geht ja darum, den Eigentümer Kommune zu repräsentieren."
Der Aufsichtsratsexperte Dehnen wünscht sich mehr Transparenz bei der Besetzung der Posten.
"Wenn die Öffentlichkeit, der Steuerzahler schon einmal so stark involviert ist als Supergesellschafter, wenn man so will, dann hat der Steuerzahler auch ein Recht darauf zu sehen, dass gute, ja eigentlich die besten Leute in solche Verantwortungen kommen."
"Worüber man aber sehr wohl reden kann, dass man diese Aufsichtsräte durch fachlich ausgebildete Menschen ergänzt, also eine Mischlösung, wenn Sie so wollen."
Findet Peter von Blohmberg von Transparency und hat auch gleich einen Vorschlag parat.
"Aber in der Tat gibt es gute Gründe dafür, in solchen Fällen, dann vielleicht eher auch einen höheren Beamten oder was aus der Hierarchie zu holen und zu sagen: Das ist deine Aufgabe und wir schaufeln dich frei von anderen Aufgaben oder teilweise, solange dieses Projekt läuft."
Interessenskonflikte von Politikern in Aufsichtsräten
Dass aktive Politiker in den Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen sitzen sollten, gilt als unstrittig. Aber Politiker kontrollieren auch privatwirtschaftliche Unternehmen. Dies ist bei 126 der 620 Abgeordneten des Bundestages der Fall. Die meisten Mandate halten Unionspolitiker mit 67, bei der SPD sind es 24 Abgeordnete, bei der FDP 17, den Linken zwölf und bei den Grünen sechs.
Meist kontrollieren Politiker kleinere Unternehmen. Nur wenige sitzen in den Kontrollgremien großer Konzerne, so wie der CDU-Abgeordnete Uwe Schummer bei der Kraftwerkstochter des Energiekonzerns RWE oder sein Fraktionskollege Christian Stetten bei einer Tochter des Versicherers Allianz.
Thomas Hechtfischer ist Geschäftsführer bei der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. Er betrachtet es grundsätzlich als Bereicherung für Aufsichtsräte, wenn dort Politiker Mitglieder sind. Allerdings wäre es dann problematisch,
"wenn sie instrumentalisiert werden, um auf politischer Ebene für das Unternehmen irgendetwas zu erreichen."
Mit diesem Vorwurf sah sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Zusammenhang mit seiner Aufsichtsratstätigkeit bei ThyssenKrupp konfrontiert. Zu Recht, findet Marcus Dufner, Geschäftsführer beim Dachverband kritischer Aktionäre, schließlich habe der Politiker
"dem Aufsichtsrat auf Anfrage versprochen, dass er sich dafür einsetzen würde, für niedrigere Energiepreise für das Unternehmen, und das ist natürlich absolut kritisch zu sehen."
Solche Interessenkollisionen sind naturgemäß seltener, wenn Politiker bereits aus ihrem Amt ausgeschieden sind. Grundsätzlich spreche dann überhaupt nichts gegen eine solche Tätigkeit, findet man bei der Antikorruptions-Organisation Transparency International.
"In dem Moment, wo sie nicht mehr gewählt werden oder nicht mehr kandidieren, sind sie wieder Privatleute, kehren in ihren früheren Beruf, wenn sie einen gehabt haben, zurück, so dass man also ihnen die Beschäftigung in anderen Berufen unter gar keinen Umständen untersagen kann."
Aber er macht eine Ausnahme.
"Das Entscheidende ist, was passiert, wenn sie einen Beruf übernehmen, der einen engeren Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit gehabt hat. Wenn also das Thema Interessenkollision sozusagen mit Händen zu greifen sind. Und das ist vor allen Dingen auch die besondere Attraktivität natürlich eines Politikers für denjenigen, der ihn an sich binden will."
Doch genau diese Interessenkollisionen sind nicht selten: Der CSU-Politiker Otto Wiesheu war bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie. Später holte ihn die Deutsche Bahn als Vorstand für Marketing und politische Beziehungen.
Der CDU-Politiker Wolfgang Bötsch war unter Kanzler Helmut Kohl als Postminister auch für die Telekommunikation zuständig. Auf seine Kompetenz setzte Gemini, eine Beratungsfirma für Telekommunikation.
Wolfgang Clement, SPD, war Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und Wirtschafts- und Arbeitsminister im Kabinett Schröder. Der Energiekonzern RWE Power holte ihn in seinen Aufsichtsrat.
Sein Parteikollege Otto Schily setzte in seiner Zeit als Bundesinnenminister die Speicherung von biometrischen Merkmalen auf Ausweispapieren durch - und wechselte anschließend in die Aufsichtsräte von Biometric System AG, einem Hersteller von Geräten für die Iriserkennung, und Safe ID Solutions, einem Hersteller elektronischer Ausweise.
Transparency International schlägt Karenzzeit vor
Gegen solche direkten Wechsel von Amtsträgern mit Spezialwissen in die Privatwirtschaft kämpft Transparency International seit Langem:
"Da haben wir seit Jahren den Lösungsvorschlag Karenzzeit, weil wir sagen, wenn das eine Weile abgekühlt ist, dann verliert diese Unmittelbarkeit, die direkte Verwertung dienstlich erworbener Informationen und Beziehungen, an Wert. Und dann kann man das, über einen gewissen Zeitraum abgekühlt, sehr wohl zulassen."
Bei der Politik ist die Organisation mit ihrer Forderung nach einer dreijährigen Karenzzeit abgeblitzt. Die Sozialdemokraten forderten im Herbst 2012 jedoch zumindest eine eineinhalbjährige Pause.
""Die SPD hat sich kürzlich an die EU-Regelung anlehnen wollen, hat einen Vorschlag gemacht, 18 Monate, und ist auch gescheitert damit. Und immer wenn die Politik sozusagen ihre eigenen Angelegenheiten regeln soll, legt sie eine gewisse Unlust an den Tag."
Es gibt also einigen Bedarf für Veränderungen bei der Besetzung von Aufsichtsratsposten in Deutschland. Denn in einem sind sich wohl alle einig: Dass die rund 100.000 Aufsichtsräte für die Wirtschaft in Deutschland eine eminent wichtige Aufgabe erfüllen.