27. September 2009, 19.15 Uhr, Berlin, Unter den Linden, Römische Höfe: Die Stimmung ist großartig, die Lage könnte nicht besser sein. 14,6 Prozent bei einer Bundestagswahl für die FDP - das gab es noch nie. Und noch nie war das Selbstvertrauen der Liberalen und ihres Vorsitzenden so groß.
An großen Vorhaben wie an großen Worten herrscht zunächst kein Mangel. Keine Frage, die Freien Demokraten wollen die Republik verändern. Weniger Steuern, demografiefeste Gesundheitsreform, mehr Bürgerrechte, weniger staatliche Gängelung durch Vorschriften und Abgaben. Aufbruchstimmung.
Doch nach den ersten 100 Tagen Ernüchterung. Endlose Reibereien mit den Koalitionspartnern, ständiger Richtungsstreit innerhalb der Regierung, das erste Gesetzespaket, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz: ein PR-Desaster. Enttäuschung bei FDP-Mitgliedern und Sympathisanten. Spott von der Opposition. Die FDP ist zwar die einzige im Bundestag vertretene Partei, die in den letzten Jahren netto Mitglieder dazu gewonnen hat. Doch selbst für langjährige Parteimitglieder ist die Situation nicht einfach.
"Also ich würde sagen, einfach ist es nirgendwo, Mitglied zu sein. Aber von der Tagesströmung lassen wir uns nicht beeindrucken. Wir gehen unseren Weg konsequent. Und daher ist es keine Frage, ob es einfach ist oder nicht, sondern, ob man dranbleibt, Gas gibt und seine Ziele verfolgt."
"Wenn mir jemand hämische Fragen stellt, bekommt er Antworten, die von Argumenten getragen sind. Und die Argumente, die die FDP hat - im Bund und im Land, sind ausgesprochen gut. Die Protagonisten im Bund sind vielleicht unglücklich mit ihrer Wortwahl gewesen, in der Sache haben sie absolut recht. Und wenn es der FDP gelingt, wieder auf die Sachebene zu kommen, dann kann sie die Menschen auch erreichen und überzeugen."
Bisher scheint die FDP die Menschen mit ihren Argumenten aber nicht erreicht zu haben: Auf acht, in manchen Umfragen nur sieben Prozent stürzte die Partei bei der Sonntagsfrage ab - ein katastrophaler Wert. In der heute veröffentlichten Umfrage kommt sie zwar wieder auf zehn Prozent. Aber auch das ist immer noch ein gutes Stück weg von den Traumergebnissen aus dem September. Für den Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin ist der Einbruch in den Umfragewerten keine Überraschung:
"Es ist natürlich klar, dass die FDP im Wahlkampf extrem hohe Erwartungen geweckt hat an ihre Politik nach der Wahl, und diese Erwartungen konnten sie bisher nicht erfüllen. Teilweise durchaus aus eigener Schuld, aber auf der anderen Seite auch aufgrund der objektiven Bedingungen, die wir haben. Es geht ja vor allen Dingen um die sehr starke Verengung der FDP auf die Steuerfrage, also auf das Versprechen einer großen Steuerreform. Und wir haben nun mal eine sehr angespannte finanzielle Situation, die einen solchen großen Wurf objektiv jetzt nicht erlaubt. Das macht große Probleme der Erwartungsenttäuschung bei einem Teil der Wähler der FDP."
Die Steuererleichterungen für die Mittelklasse durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben das Wahlvolk noch nicht erreicht, wohl aber eine breite Debatte über die Mehrwertsteuersenkung für eine Kleinstklientel: die Hoteliers.
"Es ist vollkommen richtig, dass sich jede Partei natürlich auch und primär den Interessen derjenigen Wählerschichten und -gruppen verpflichtet fühlen muss, die sie wählen. Das ist aber ein großer Unterschied zwischen kleineren Parteien, die eine relativ homogene Wählerschaft haben, also nur wenige Gruppen, auf die sie sich konzentrieren müssen und Volksparteien, die sehr unterschiedliche Bevölkerungsschichten ansprechen und bedienen müssen. Insofern setzen sich kleinere Parteien deutlich früher und deutlich stärker dem Vorwurf des negativen Klientelismus aus - der hat die FDP schon immer getroffen."
Der Klientelismusvorwurf untergräbt das Vertrauen in die FDP in besonderem Maße, weil ihr von jeher auch der Geruch von Privilegierten-Interessen und Wirtschaftselitismus anhängt. Eine traditionell markt- und wirtschaftsskeptische politische Kultur wie die deutsche begegnet dem mit äußerstem Argwohn.
Verheerend auch für die Liberalen: Die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie widerspricht eklatant dem Credo einer liberalen Marktpartei: Wer stets ein einfacheres Steuersystem fordert, dann aber einen steuerlichen Ausnahmetatbestand für eine eng umgrenzte Gruppe mit absegnet, macht sich angreifbar - zumal es volkswirtschaftlich keinen Sinn ergibt, meint auch Michael Burda, Professor für Volkswirtschaft an der Berliner Humboldt-Universität.
"Ich kann es nur deuten als Ergebnis von harter Lobbyarbeit von bestimmten Gruppen und Interessenslagen. Auf der anderen Seite gibt es so viele andere Sachen, die man vielleicht mit Steuersenkungen subventionieren möchte - selbst in Berlin gibt es zurzeit relativ billige Hotelzimmer - ich sehe einfach nicht den Zweck in diesem Moment von dieser Maßnahme."
Den sieht eigentlich auch Johannes Vogel nicht. Er ist mit 27 Jahren einer der jüngsten FDP-Abgeordneten und Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Er hat auf dem Bundesparteitag der FDP gegen die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie gestimmt. Und er sieht auch das Ausmaß des Schadens:
"Ich glaube, wir haben natürlich kommunikative Fehler gemacht. Zum Beispiel zugelassen, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf einen Randaspekt reduziert wurde. Wie immer man zur Frage der Mehrwertsteuer in der Hotellerie steht: Es war ein Randaspekt des Gesetzes. Es war in der Bevölkerung zu wenig bekannt, dass wir vor allem Familien entlastet haben, dass wir was für den Mittelstand getan haben, für Arbeitsplätze, das haben wir kommunikativ nicht ausreichend rübergebracht. Und ich glaube, die Bevölkerung hat von uns nicht Klein-Klein erwartet."
Der Ton für die Debatten über alle politischen Vorhaben der FDP ist gesetzt - und dies nicht nur beim politischen Gegner. Insbesondere CSU-Chef Seehofer und sein Generalsekretär Dobrindt gefallen sich darin, die Liberalen zu attackieren. Dass die CSU sich so aufplustert, ohne dass die Kanzlerin eingreift, erbost viele Liberale und vergiftet das Klima in der Koalition.
"Ich bin ein sehr ausgeglichener Mensch, ich glaub, das ist in der Politik eine Stärke. Der Herr Dobrindt geht einem natürlich mitunter tierisch auf die Nerven. Wut entsteht bei mir nicht so schnell. Soweit ging's nicht, aber ich war schon tierisch genervt. Natürlich, ich glaube, das leuchtet jedem ein. Und natürlich ist man nicht zufrieden."
In der FDP-Bundestagsfraktion herrscht derzeit das Prinzip Hoffnung: Das Verhältnis zur CDU werde sich bessern, die CSU werde schon ein Einsehen haben und zum Koalitionsvertrag zurückkehren, die Kanzlerin stehe schließlich hinter dem Koalitionsvertrag. Wie frostig aber das Klima zwischen den Koalitionspartnern ist, lässt sich daran erkennen, wie unverhohlen der baden-württembergische Abgeordnete Florian Toncar den Unionsparteien droht. Toncar gehört ebenfalls zur jungen Garde der Fraktion - und ist Mitglied im Haushaltsausschuss.
""Der Koalitionsvertrag enthält Projekte von beiden Seiten. Und auch die CSU und die CDU haben da legitime Wünsche drin, und selbstverständlich ist es so, dass man das gesamte Programm umsetzt oder keines. Und da ist dann mal die eine Partei auf die Unterstützung der anderen mehr angewiesen, aber es kommt auch mal wieder umgekehrt. Und ich kann allen Koalitionspartnern, die Wünsche haben, was wir in den nächsten vier Jahren umsetzen, nur raten, das mal mitzubedenken. Wenn zum Beispiel die Steuerreform nicht kommt, dann kommen eben andere Projekte, die von CDU oder CSU gewünscht waren auch nicht. Es geht nur das gesamte Programm oder gar nicht, und das müssen wir uns gemeinsam in Erinnerung rufen."
Dass man sich bei den beiden Reizthemen Steuerentlastungen und Gesundheitsreform einigt, ist derzeit allerdings nicht mehr als eine vage Hoffnung. Überhaupt scheint es gerade wenig um sachliche Inhalte zu gehen.
Wahrgenommen werden nämlich vor allem die kommunikativen Fehlleistungen des FDP-Vorsitzenden Westerwelle. Zwar ist es ihm gelungen, mit dem Begriff der spätrömischen Dekadenz den politischen Diskurs der Republik kurzfristig an sich zu reißen. Langfristig muss die FDP jedoch gerade bei emotions- und angstbesetzten Themen wie Hartz-IV und Gesundheit um Vertrauen werben - da stehen solche Wortungetüme nur im Wege.
Die FDP ist stark angetreten, mit einem Rekordergebnis von 14,6 Prozent - und hat sich dennoch überschätzt. Dieses Spannungsverhältnis erklärt zum Teil auch den Mangel an politischer Gelassenheit, die Neigung, über jedes Stöckchen zu springen, dass auch der Koalitionspartner CSU mit großer Freude den Liberalen hinhält. Nico Fried, der Leiter der Parlamentsredaktion der "Süddeutschen Zeitung":
"Guido Westerwelle hat zwei Gesichter: den Außenminister, der sehr glaubwürdig, demütig sein Amt lernt, und er hat das Gesicht des Innenpolitikers, der in den letzten Jahren auch Erfolge zu verzeichnen hat, die ihm in seiner innenpolitischen Ausrichtung recht geben. Da allerdings benimmt er sich in einer fast überheblichen Art und Weise, und er kommt nicht los von seinem Charakter als Empörungspolitiker. Er braucht die Provokation, um zu großer Form aufzulaufen, er ist dann auch ein sehr guter Redner, aber er regt sich dann immer ungeheuer auf in einer Weise, die eigentlich einem Vizekanzler und Außenminister, einem Politiker, der am Ziel seiner politischen Träume angekommen ist, überhaupt nicht angemessen ist."
Die Kanzlerin distanzierte sich umgehend von der Wortwahl ihres Stellvertreters. Nico Fried geht davon aus, dass Westerwelle neben der Einhegung des Wettlaufs um teure Sozialstaatsversprechen in der Hartz-IV-Debatte noch andere Motive hatte.
"Er wollte einem Verfall der FDP in den Umfragen entgegenwirken. Er wollte einer aufkommenden Debatte über Schwarz-Grün entgegenwirken. Und er wollte entgegenwirken der zunehmend sich verfestigenden Wahrnehmung der FDP als einer Klientelpartei, die immer mit Hotelspenden und mit einer damit angeblich in Verbindung stehenden Mehrwertsteuersenkung in Verbindung gebracht wurde."
Dass die Wähler durchaus unterscheiden zwischen Inhalten und Rhetorik, zeigt der heute veröffentlichte ARD-Deutschlandtrend. 72 Prozent der Befragten finden es gut, dass diese Debatte geführt wird. Gleichzeitig sind 69 Prozent überzeugt, dass die Wortwahl Guido Westerwelles in der Sozialstaatsdebatte der FDP schade.
Das sehen auch innerhalb der FDP viele so. An der Basis, aber auch in der Führung. Nicht zuletzt der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Andreas Pinkwart. Der überlegte sofort laut in einem Interview, ob es nicht an der Zeit sei, die Führungsspitze der Partei zu verbreitern. Bereits der zweite Schuss gegen die Bundesspitze innerhalb weniger Tage. Kurz vorher hatte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende aus Düsseldorf mit der Forderung gemeldet, die Umsetzung der Steuererleichterung fürs Hotelgewerbe noch einmal zu überprüfen. Nur wenige Stunden zuvor hatte der neue Generalsekretär Christian Lindner noch die positiven Effekte der Änderung erklärt.
"Nervosität vor der Landtagswahl ... "
... vermuten sogar einige Parteimitglieder. Denn für die FDP steht viel auf dem Spiel. Pinkwart hat die NRW-FDP vor fünf Jahren nach Jahren der Bedeutungslosigkeit wieder in die Regierung geführt. Ob die FDP auch nach dem 9. Mai in Düsseldorf weiter mitregieren wird, das ist derzeit fraglich. Die Liberalen an Rhein und Ruhr sind in der Abwärtsspirale mitgefangen, die die Bundesregierung in Gang gesetzt hat. Hinzu kommen die Spekulationen, dass auch Ministerpräsident Jürgen Rüttgers seinen bisherigen Koalitionspartner FDP gegen die Grünen austauschen könnte, falls das Wahlergebnis stimmt.
Andreas Pinkwart selbst bringt das - zumindest nach außen hin - nicht aus der Ruhe. Er lächelt eisern.
Lächelnd begrüßt er die Demonstranten, die sich in Herne vor dem Mondpalast aufgebaut haben, wo die Ruhrgebiets-FDP ihren Aschermittwoch feiert, und jeden ankommenden Gast mit Pfiffen und Sprechchören begrüßen. Nach einem kurzen Blick auf die Plakate lässt er die Gruppe stehen – lächelnd -, eilt die Treppen hinauf in den Saal. Hier sind die Trillerpfeifen nur noch leise zu hören. Die Stimmung ist gut, man kennt sich. Händeschütteln. Lächeln. Ein wenig Kleinkunst zum Auftakt, dann beginnt der politische Teil. Der Landesvorsitzende ist der Hauptredner.
Andreas Pinkwart bekommt viel Applaus. Besonders wenn er den politischen Gegner vorführt. Das tut er allerdings selten. Ausführlich zieht er Bilanz der letzten Jahre. Nach und nach steigt der Geräuschpegel im Saal. Manche kehren zu ihrer eben unterbrochenen Unterhaltung zurück.
"Eine Bewerbungsrede für die Landtagswahl","
… sagt einer.
""Herr Pinkwart hat in gewohnter Manier sachlich vorgetragen","
... ein anderer. Vor allem: kein Wort zu den Themen, die viele bewegen. Was ist los in der Koalition. Und innerhalb der eigenen Partei? Das zu verstehen fällt vielen schwer. Besonders den Älteren. Und die sind eigentlich Kummer gewohnt. Gerade im Ruhrgebiet, gerade in der FDP, die vielerorts und über lange Jahre eine Nischenexistenz im Schatten der übermächtigen SPD geführt hat. Nach drei erfolgreichen Wahlen im vergangenen Jahr schien das endlich vorbei. Dann halbierten sich die Umfragewerte plötzlich fast.
Ich bin seit Jahrzehnten in der FDP. So leiten viele das Gespräch ein. Und dann fallen Sätze wie:
""Natürlich ärgert mich das."
Heinz Dingerdissen ist seit 40 Jahren in der FDP, seit Mitte der 90er sitzt er für die FDP im Dortmunder Stadtrat.
"Es passiert jeden Tag, wie jetzt auch - ob das in der Umweltpolitik ist oder ob die Frage da ist mit Hartz IV, dass ständig Koalitionspartner gegeneinander arbeiten, ist das schlechteste für das Bild einer Regierung, und das war eigentlich mal der Anfang vom Untergang bei Schwarz-Rot. Das muss man auch ganz deutlich sehen."
Unprofessionell, so sein Urteil. Und unfair, dass die Steuererleichterungen für Hoteliers nur der FDP angelastet werden. Denn auch an der nordrheinwestfälischen Basis ist dieses Geschenk umstritten:
"Die Steuererleichterungen für Hoteliers ist eine Lachplatte hoch drei, das muss ich sogar als FDP-Mitglied sagen","
… sagt Eduard Hoffmann. Auch er ist langjähriges Mitglied und hat so manche Hochs und Tiefs mitgemacht. Aber auch er kann nicht nachvollziehen, dass Andreas Pinkwart nachträglich eingeknickt ist.
""Das hätte er eher machen müssen. Ich kann nicht ein verabschiedetes Ding, was gelaufen ist, vor laufender Nervosität die Reißleine ziehen. Sorry, die muss ich eher ziehen."
Die Gelegenheit dazu hätte es schon auf dem letzten Bundesparteitag gegeben, als sich die Jungen Liberalen dagegen ausgesprochen haben. Oder bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin, bei denen auch Andreas Pinkwart mit am Tisch gesessen hat. Andreas Pinkwart ist trotzdem zufrieden mit dem Ergebnis seiner späten Intervention:
"Wir haben ja einiges erreicht. Mein zentrales Ziel war ja, dass wir keine zusätzliche Bürokratie dadurch schaffen. Und jetzt hat ja die Bundesregierung zugesichert, dass sie die Umsetzung so machen wird, dass es möglichst bürokratiearm ist."
Umsetzung. Ein gutes Stichwort. Denn auf Ergebnisse warten sie hier schon - an der Basis im Ruhrgebiet. Auch wenn sie wissen, nach gut hundert Tagen kann man keine Wunder erwarten. Aber zumindest konkrete Konzepte, die wären nicht falsch, sagt Eduard Hoffmann:
"Die Aussagen der FDP 'Arbeit muss sich lohnen' und 'man muss bei Arbeit mehr verdienen, als wenn man Stütze kriegt', die unterschreibe ich voll. Nur, was nützen allein die Aussagen? Die FDP und der Herr Westerwelle hat kein Rezept. Nur zu sagen 'Ist alles Scheiße' - das kann ich auch. Wie will er denn dahin kommen? Das hat er nicht gesagt"
Deshalb müsse die Partei endlich zeigen, dass sie mehr könne, als reden. Schneller also das Versprochene umsetzen, wie Generalsekretär Christian Lindner nach dem Krisentreffen der FDP-Spitze vor zwei Wochen angekündigt hat? Oder doch warten bis nach der Steuerschätzung Anfang Mai, wie andere fordern?
Die FDP ist in einer schwierigen strategischen Situation. Denn sie verliert gerade bei den für sie so wichtigen Wechselwählern. Ein weiteres Problem für die Liberalen - in der Union wachsen die Beharrungskräfte, die FDP will verändern. Noch einmal Nico Fried:
"Ein programmatisches Problem hat die FDP glaube ich nicht. Sie steht schon klarer als andere Parteien für ein eindeutiges Programm. Das Problem ist, dass sie so tut als ob sie dieses Programm mehr oder weniger eins-zu-eins durchsetzen könnte, in einer Koalition, in der sie der kleinere Partner ist. Und insofern wird sie den Weg aller kleinen Koalitionspartner gehen, dass im Laufe der Monate und Jahre gelernt wird, dass man eben nur in Kompromissen und nur einen Teil des Programms durchsetzen kann. Aber die Klarheit des Programms ist bei der FDP durchaus gegeben."
Der FDP fehlen aber die Erklärer. Erklärer, die Steuern, Gesundheit, Bildung, Chancengerechtigkeit, Bürgerrechte zusammenbinden können zu einem liberalen Politikentwurf - und Vertrauen dafür schaffen. Noch stehen viele, denen man das zutraut, in der zweiten Reihe. Zum Beispiel der Generalsekretär Christian Lindner oder der Finanzpolitiker Otto Fricke. Neben Guido Westerwelle ist nicht genug Platz in der Führungsspitze. Hinzu kommt, sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer, die FDP sollte ein breiteres politisches Profil zur Schau stellen:
"Insofern müsste man der FDP dann auch raten, auch neue Felder zu eröffnen, gesellschaftliche Felder, sie hat ja durchaus eine Tradition als Partei, die die Bürgerrechte stützt. Da könnte man sozusagen ein bisschen ablenken von der ökonomischen Diskussion."
Denn bei den schwierigen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen führen alle Wege für die Liberalen zur Kanzlerin. Zwar ist auch Angela Merkel auf die FDP angewiesen, um ihre Kanzlerschaft im Wahljahr 2013 wieder zu einem präsentablen Ergebnis führen zu können. Aber ohne die Unterstützung der Kanzlerin kann die FDP trotz ihres Rekord-Wahlergebnisses keines ihrer zentralen Projekte durchsetzen. Erst recht, falls die Wahl in Nordrhein-Westfalen für die FDP schiefgeht. Denn dann verliert die Regierung in Berlin die so wichtige Mehrheit im Bundesrat. Die Liberalen sitzen deshalb ein Stück weit in der Merkel-Falle. Und: die FDP ist nach elf langen Jahren der Opposition noch nicht in der Regierung angekommen - allzu oft kommuniziert sie in der Tonlage einer Oppositionspartei. Viel Zeit, auch mental in der Regierung anzukommen, bleibt ihr allerdings nicht mehr.
An großen Vorhaben wie an großen Worten herrscht zunächst kein Mangel. Keine Frage, die Freien Demokraten wollen die Republik verändern. Weniger Steuern, demografiefeste Gesundheitsreform, mehr Bürgerrechte, weniger staatliche Gängelung durch Vorschriften und Abgaben. Aufbruchstimmung.
Doch nach den ersten 100 Tagen Ernüchterung. Endlose Reibereien mit den Koalitionspartnern, ständiger Richtungsstreit innerhalb der Regierung, das erste Gesetzespaket, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz: ein PR-Desaster. Enttäuschung bei FDP-Mitgliedern und Sympathisanten. Spott von der Opposition. Die FDP ist zwar die einzige im Bundestag vertretene Partei, die in den letzten Jahren netto Mitglieder dazu gewonnen hat. Doch selbst für langjährige Parteimitglieder ist die Situation nicht einfach.
"Also ich würde sagen, einfach ist es nirgendwo, Mitglied zu sein. Aber von der Tagesströmung lassen wir uns nicht beeindrucken. Wir gehen unseren Weg konsequent. Und daher ist es keine Frage, ob es einfach ist oder nicht, sondern, ob man dranbleibt, Gas gibt und seine Ziele verfolgt."
"Wenn mir jemand hämische Fragen stellt, bekommt er Antworten, die von Argumenten getragen sind. Und die Argumente, die die FDP hat - im Bund und im Land, sind ausgesprochen gut. Die Protagonisten im Bund sind vielleicht unglücklich mit ihrer Wortwahl gewesen, in der Sache haben sie absolut recht. Und wenn es der FDP gelingt, wieder auf die Sachebene zu kommen, dann kann sie die Menschen auch erreichen und überzeugen."
Bisher scheint die FDP die Menschen mit ihren Argumenten aber nicht erreicht zu haben: Auf acht, in manchen Umfragen nur sieben Prozent stürzte die Partei bei der Sonntagsfrage ab - ein katastrophaler Wert. In der heute veröffentlichten Umfrage kommt sie zwar wieder auf zehn Prozent. Aber auch das ist immer noch ein gutes Stück weg von den Traumergebnissen aus dem September. Für den Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin ist der Einbruch in den Umfragewerten keine Überraschung:
"Es ist natürlich klar, dass die FDP im Wahlkampf extrem hohe Erwartungen geweckt hat an ihre Politik nach der Wahl, und diese Erwartungen konnten sie bisher nicht erfüllen. Teilweise durchaus aus eigener Schuld, aber auf der anderen Seite auch aufgrund der objektiven Bedingungen, die wir haben. Es geht ja vor allen Dingen um die sehr starke Verengung der FDP auf die Steuerfrage, also auf das Versprechen einer großen Steuerreform. Und wir haben nun mal eine sehr angespannte finanzielle Situation, die einen solchen großen Wurf objektiv jetzt nicht erlaubt. Das macht große Probleme der Erwartungsenttäuschung bei einem Teil der Wähler der FDP."
Die Steuererleichterungen für die Mittelklasse durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben das Wahlvolk noch nicht erreicht, wohl aber eine breite Debatte über die Mehrwertsteuersenkung für eine Kleinstklientel: die Hoteliers.
"Es ist vollkommen richtig, dass sich jede Partei natürlich auch und primär den Interessen derjenigen Wählerschichten und -gruppen verpflichtet fühlen muss, die sie wählen. Das ist aber ein großer Unterschied zwischen kleineren Parteien, die eine relativ homogene Wählerschaft haben, also nur wenige Gruppen, auf die sie sich konzentrieren müssen und Volksparteien, die sehr unterschiedliche Bevölkerungsschichten ansprechen und bedienen müssen. Insofern setzen sich kleinere Parteien deutlich früher und deutlich stärker dem Vorwurf des negativen Klientelismus aus - der hat die FDP schon immer getroffen."
Der Klientelismusvorwurf untergräbt das Vertrauen in die FDP in besonderem Maße, weil ihr von jeher auch der Geruch von Privilegierten-Interessen und Wirtschaftselitismus anhängt. Eine traditionell markt- und wirtschaftsskeptische politische Kultur wie die deutsche begegnet dem mit äußerstem Argwohn.
Verheerend auch für die Liberalen: Die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie widerspricht eklatant dem Credo einer liberalen Marktpartei: Wer stets ein einfacheres Steuersystem fordert, dann aber einen steuerlichen Ausnahmetatbestand für eine eng umgrenzte Gruppe mit absegnet, macht sich angreifbar - zumal es volkswirtschaftlich keinen Sinn ergibt, meint auch Michael Burda, Professor für Volkswirtschaft an der Berliner Humboldt-Universität.
"Ich kann es nur deuten als Ergebnis von harter Lobbyarbeit von bestimmten Gruppen und Interessenslagen. Auf der anderen Seite gibt es so viele andere Sachen, die man vielleicht mit Steuersenkungen subventionieren möchte - selbst in Berlin gibt es zurzeit relativ billige Hotelzimmer - ich sehe einfach nicht den Zweck in diesem Moment von dieser Maßnahme."
Den sieht eigentlich auch Johannes Vogel nicht. Er ist mit 27 Jahren einer der jüngsten FDP-Abgeordneten und Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Er hat auf dem Bundesparteitag der FDP gegen die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie gestimmt. Und er sieht auch das Ausmaß des Schadens:
"Ich glaube, wir haben natürlich kommunikative Fehler gemacht. Zum Beispiel zugelassen, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf einen Randaspekt reduziert wurde. Wie immer man zur Frage der Mehrwertsteuer in der Hotellerie steht: Es war ein Randaspekt des Gesetzes. Es war in der Bevölkerung zu wenig bekannt, dass wir vor allem Familien entlastet haben, dass wir was für den Mittelstand getan haben, für Arbeitsplätze, das haben wir kommunikativ nicht ausreichend rübergebracht. Und ich glaube, die Bevölkerung hat von uns nicht Klein-Klein erwartet."
Der Ton für die Debatten über alle politischen Vorhaben der FDP ist gesetzt - und dies nicht nur beim politischen Gegner. Insbesondere CSU-Chef Seehofer und sein Generalsekretär Dobrindt gefallen sich darin, die Liberalen zu attackieren. Dass die CSU sich so aufplustert, ohne dass die Kanzlerin eingreift, erbost viele Liberale und vergiftet das Klima in der Koalition.
"Ich bin ein sehr ausgeglichener Mensch, ich glaub, das ist in der Politik eine Stärke. Der Herr Dobrindt geht einem natürlich mitunter tierisch auf die Nerven. Wut entsteht bei mir nicht so schnell. Soweit ging's nicht, aber ich war schon tierisch genervt. Natürlich, ich glaube, das leuchtet jedem ein. Und natürlich ist man nicht zufrieden."
In der FDP-Bundestagsfraktion herrscht derzeit das Prinzip Hoffnung: Das Verhältnis zur CDU werde sich bessern, die CSU werde schon ein Einsehen haben und zum Koalitionsvertrag zurückkehren, die Kanzlerin stehe schließlich hinter dem Koalitionsvertrag. Wie frostig aber das Klima zwischen den Koalitionspartnern ist, lässt sich daran erkennen, wie unverhohlen der baden-württembergische Abgeordnete Florian Toncar den Unionsparteien droht. Toncar gehört ebenfalls zur jungen Garde der Fraktion - und ist Mitglied im Haushaltsausschuss.
""Der Koalitionsvertrag enthält Projekte von beiden Seiten. Und auch die CSU und die CDU haben da legitime Wünsche drin, und selbstverständlich ist es so, dass man das gesamte Programm umsetzt oder keines. Und da ist dann mal die eine Partei auf die Unterstützung der anderen mehr angewiesen, aber es kommt auch mal wieder umgekehrt. Und ich kann allen Koalitionspartnern, die Wünsche haben, was wir in den nächsten vier Jahren umsetzen, nur raten, das mal mitzubedenken. Wenn zum Beispiel die Steuerreform nicht kommt, dann kommen eben andere Projekte, die von CDU oder CSU gewünscht waren auch nicht. Es geht nur das gesamte Programm oder gar nicht, und das müssen wir uns gemeinsam in Erinnerung rufen."
Dass man sich bei den beiden Reizthemen Steuerentlastungen und Gesundheitsreform einigt, ist derzeit allerdings nicht mehr als eine vage Hoffnung. Überhaupt scheint es gerade wenig um sachliche Inhalte zu gehen.
Wahrgenommen werden nämlich vor allem die kommunikativen Fehlleistungen des FDP-Vorsitzenden Westerwelle. Zwar ist es ihm gelungen, mit dem Begriff der spätrömischen Dekadenz den politischen Diskurs der Republik kurzfristig an sich zu reißen. Langfristig muss die FDP jedoch gerade bei emotions- und angstbesetzten Themen wie Hartz-IV und Gesundheit um Vertrauen werben - da stehen solche Wortungetüme nur im Wege.
Die FDP ist stark angetreten, mit einem Rekordergebnis von 14,6 Prozent - und hat sich dennoch überschätzt. Dieses Spannungsverhältnis erklärt zum Teil auch den Mangel an politischer Gelassenheit, die Neigung, über jedes Stöckchen zu springen, dass auch der Koalitionspartner CSU mit großer Freude den Liberalen hinhält. Nico Fried, der Leiter der Parlamentsredaktion der "Süddeutschen Zeitung":
"Guido Westerwelle hat zwei Gesichter: den Außenminister, der sehr glaubwürdig, demütig sein Amt lernt, und er hat das Gesicht des Innenpolitikers, der in den letzten Jahren auch Erfolge zu verzeichnen hat, die ihm in seiner innenpolitischen Ausrichtung recht geben. Da allerdings benimmt er sich in einer fast überheblichen Art und Weise, und er kommt nicht los von seinem Charakter als Empörungspolitiker. Er braucht die Provokation, um zu großer Form aufzulaufen, er ist dann auch ein sehr guter Redner, aber er regt sich dann immer ungeheuer auf in einer Weise, die eigentlich einem Vizekanzler und Außenminister, einem Politiker, der am Ziel seiner politischen Träume angekommen ist, überhaupt nicht angemessen ist."
Die Kanzlerin distanzierte sich umgehend von der Wortwahl ihres Stellvertreters. Nico Fried geht davon aus, dass Westerwelle neben der Einhegung des Wettlaufs um teure Sozialstaatsversprechen in der Hartz-IV-Debatte noch andere Motive hatte.
"Er wollte einem Verfall der FDP in den Umfragen entgegenwirken. Er wollte einer aufkommenden Debatte über Schwarz-Grün entgegenwirken. Und er wollte entgegenwirken der zunehmend sich verfestigenden Wahrnehmung der FDP als einer Klientelpartei, die immer mit Hotelspenden und mit einer damit angeblich in Verbindung stehenden Mehrwertsteuersenkung in Verbindung gebracht wurde."
Dass die Wähler durchaus unterscheiden zwischen Inhalten und Rhetorik, zeigt der heute veröffentlichte ARD-Deutschlandtrend. 72 Prozent der Befragten finden es gut, dass diese Debatte geführt wird. Gleichzeitig sind 69 Prozent überzeugt, dass die Wortwahl Guido Westerwelles in der Sozialstaatsdebatte der FDP schade.
Das sehen auch innerhalb der FDP viele so. An der Basis, aber auch in der Führung. Nicht zuletzt der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Andreas Pinkwart. Der überlegte sofort laut in einem Interview, ob es nicht an der Zeit sei, die Führungsspitze der Partei zu verbreitern. Bereits der zweite Schuss gegen die Bundesspitze innerhalb weniger Tage. Kurz vorher hatte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende aus Düsseldorf mit der Forderung gemeldet, die Umsetzung der Steuererleichterung fürs Hotelgewerbe noch einmal zu überprüfen. Nur wenige Stunden zuvor hatte der neue Generalsekretär Christian Lindner noch die positiven Effekte der Änderung erklärt.
"Nervosität vor der Landtagswahl ... "
... vermuten sogar einige Parteimitglieder. Denn für die FDP steht viel auf dem Spiel. Pinkwart hat die NRW-FDP vor fünf Jahren nach Jahren der Bedeutungslosigkeit wieder in die Regierung geführt. Ob die FDP auch nach dem 9. Mai in Düsseldorf weiter mitregieren wird, das ist derzeit fraglich. Die Liberalen an Rhein und Ruhr sind in der Abwärtsspirale mitgefangen, die die Bundesregierung in Gang gesetzt hat. Hinzu kommen die Spekulationen, dass auch Ministerpräsident Jürgen Rüttgers seinen bisherigen Koalitionspartner FDP gegen die Grünen austauschen könnte, falls das Wahlergebnis stimmt.
Andreas Pinkwart selbst bringt das - zumindest nach außen hin - nicht aus der Ruhe. Er lächelt eisern.
Lächelnd begrüßt er die Demonstranten, die sich in Herne vor dem Mondpalast aufgebaut haben, wo die Ruhrgebiets-FDP ihren Aschermittwoch feiert, und jeden ankommenden Gast mit Pfiffen und Sprechchören begrüßen. Nach einem kurzen Blick auf die Plakate lässt er die Gruppe stehen – lächelnd -, eilt die Treppen hinauf in den Saal. Hier sind die Trillerpfeifen nur noch leise zu hören. Die Stimmung ist gut, man kennt sich. Händeschütteln. Lächeln. Ein wenig Kleinkunst zum Auftakt, dann beginnt der politische Teil. Der Landesvorsitzende ist der Hauptredner.
Andreas Pinkwart bekommt viel Applaus. Besonders wenn er den politischen Gegner vorführt. Das tut er allerdings selten. Ausführlich zieht er Bilanz der letzten Jahre. Nach und nach steigt der Geräuschpegel im Saal. Manche kehren zu ihrer eben unterbrochenen Unterhaltung zurück.
"Eine Bewerbungsrede für die Landtagswahl","
… sagt einer.
""Herr Pinkwart hat in gewohnter Manier sachlich vorgetragen","
... ein anderer. Vor allem: kein Wort zu den Themen, die viele bewegen. Was ist los in der Koalition. Und innerhalb der eigenen Partei? Das zu verstehen fällt vielen schwer. Besonders den Älteren. Und die sind eigentlich Kummer gewohnt. Gerade im Ruhrgebiet, gerade in der FDP, die vielerorts und über lange Jahre eine Nischenexistenz im Schatten der übermächtigen SPD geführt hat. Nach drei erfolgreichen Wahlen im vergangenen Jahr schien das endlich vorbei. Dann halbierten sich die Umfragewerte plötzlich fast.
Ich bin seit Jahrzehnten in der FDP. So leiten viele das Gespräch ein. Und dann fallen Sätze wie:
""Natürlich ärgert mich das."
Heinz Dingerdissen ist seit 40 Jahren in der FDP, seit Mitte der 90er sitzt er für die FDP im Dortmunder Stadtrat.
"Es passiert jeden Tag, wie jetzt auch - ob das in der Umweltpolitik ist oder ob die Frage da ist mit Hartz IV, dass ständig Koalitionspartner gegeneinander arbeiten, ist das schlechteste für das Bild einer Regierung, und das war eigentlich mal der Anfang vom Untergang bei Schwarz-Rot. Das muss man auch ganz deutlich sehen."
Unprofessionell, so sein Urteil. Und unfair, dass die Steuererleichterungen für Hoteliers nur der FDP angelastet werden. Denn auch an der nordrheinwestfälischen Basis ist dieses Geschenk umstritten:
"Die Steuererleichterungen für Hoteliers ist eine Lachplatte hoch drei, das muss ich sogar als FDP-Mitglied sagen","
… sagt Eduard Hoffmann. Auch er ist langjähriges Mitglied und hat so manche Hochs und Tiefs mitgemacht. Aber auch er kann nicht nachvollziehen, dass Andreas Pinkwart nachträglich eingeknickt ist.
""Das hätte er eher machen müssen. Ich kann nicht ein verabschiedetes Ding, was gelaufen ist, vor laufender Nervosität die Reißleine ziehen. Sorry, die muss ich eher ziehen."
Die Gelegenheit dazu hätte es schon auf dem letzten Bundesparteitag gegeben, als sich die Jungen Liberalen dagegen ausgesprochen haben. Oder bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin, bei denen auch Andreas Pinkwart mit am Tisch gesessen hat. Andreas Pinkwart ist trotzdem zufrieden mit dem Ergebnis seiner späten Intervention:
"Wir haben ja einiges erreicht. Mein zentrales Ziel war ja, dass wir keine zusätzliche Bürokratie dadurch schaffen. Und jetzt hat ja die Bundesregierung zugesichert, dass sie die Umsetzung so machen wird, dass es möglichst bürokratiearm ist."
Umsetzung. Ein gutes Stichwort. Denn auf Ergebnisse warten sie hier schon - an der Basis im Ruhrgebiet. Auch wenn sie wissen, nach gut hundert Tagen kann man keine Wunder erwarten. Aber zumindest konkrete Konzepte, die wären nicht falsch, sagt Eduard Hoffmann:
"Die Aussagen der FDP 'Arbeit muss sich lohnen' und 'man muss bei Arbeit mehr verdienen, als wenn man Stütze kriegt', die unterschreibe ich voll. Nur, was nützen allein die Aussagen? Die FDP und der Herr Westerwelle hat kein Rezept. Nur zu sagen 'Ist alles Scheiße' - das kann ich auch. Wie will er denn dahin kommen? Das hat er nicht gesagt"
Deshalb müsse die Partei endlich zeigen, dass sie mehr könne, als reden. Schneller also das Versprochene umsetzen, wie Generalsekretär Christian Lindner nach dem Krisentreffen der FDP-Spitze vor zwei Wochen angekündigt hat? Oder doch warten bis nach der Steuerschätzung Anfang Mai, wie andere fordern?
Die FDP ist in einer schwierigen strategischen Situation. Denn sie verliert gerade bei den für sie so wichtigen Wechselwählern. Ein weiteres Problem für die Liberalen - in der Union wachsen die Beharrungskräfte, die FDP will verändern. Noch einmal Nico Fried:
"Ein programmatisches Problem hat die FDP glaube ich nicht. Sie steht schon klarer als andere Parteien für ein eindeutiges Programm. Das Problem ist, dass sie so tut als ob sie dieses Programm mehr oder weniger eins-zu-eins durchsetzen könnte, in einer Koalition, in der sie der kleinere Partner ist. Und insofern wird sie den Weg aller kleinen Koalitionspartner gehen, dass im Laufe der Monate und Jahre gelernt wird, dass man eben nur in Kompromissen und nur einen Teil des Programms durchsetzen kann. Aber die Klarheit des Programms ist bei der FDP durchaus gegeben."
Der FDP fehlen aber die Erklärer. Erklärer, die Steuern, Gesundheit, Bildung, Chancengerechtigkeit, Bürgerrechte zusammenbinden können zu einem liberalen Politikentwurf - und Vertrauen dafür schaffen. Noch stehen viele, denen man das zutraut, in der zweiten Reihe. Zum Beispiel der Generalsekretär Christian Lindner oder der Finanzpolitiker Otto Fricke. Neben Guido Westerwelle ist nicht genug Platz in der Führungsspitze. Hinzu kommt, sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer, die FDP sollte ein breiteres politisches Profil zur Schau stellen:
"Insofern müsste man der FDP dann auch raten, auch neue Felder zu eröffnen, gesellschaftliche Felder, sie hat ja durchaus eine Tradition als Partei, die die Bürgerrechte stützt. Da könnte man sozusagen ein bisschen ablenken von der ökonomischen Diskussion."
Denn bei den schwierigen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen führen alle Wege für die Liberalen zur Kanzlerin. Zwar ist auch Angela Merkel auf die FDP angewiesen, um ihre Kanzlerschaft im Wahljahr 2013 wieder zu einem präsentablen Ergebnis führen zu können. Aber ohne die Unterstützung der Kanzlerin kann die FDP trotz ihres Rekord-Wahlergebnisses keines ihrer zentralen Projekte durchsetzen. Erst recht, falls die Wahl in Nordrhein-Westfalen für die FDP schiefgeht. Denn dann verliert die Regierung in Berlin die so wichtige Mehrheit im Bundesrat. Die Liberalen sitzen deshalb ein Stück weit in der Merkel-Falle. Und: die FDP ist nach elf langen Jahren der Opposition noch nicht in der Regierung angekommen - allzu oft kommuniziert sie in der Tonlage einer Oppositionspartei. Viel Zeit, auch mental in der Regierung anzukommen, bleibt ihr allerdings nicht mehr.