Für die DDR-Sport-Oberen und den Geheimdienst war es ein Super-Gau. Am 27. August 1988 setzte sich der damals 37-jährige NVA-Oberstleutnant und Arzt der Skisprung-Nationalmannschaft, Hans Georg Aschenbach, in den Westen ab - bei einem Mattenspringen in Hinterzarten. Wegen der "Fahnenflucht" - ein schweres Verbrechen in der DDR - wurde er fortan als "Sportverräter" gebrandmarkt. Aschenbach war einer der ranghöchsten Armee-Offiziere, die vor dem Mauerfall aus der DDR geflüchtet sind. Die Stadt Suhl entzog ihm nach der Flucht die Ehrenbürgerschaft. Zu den Vorwürfen, er sei ein Verräter, sagte Aschenbach vor einem Jahr in Suhl:
"Meine Entscheidung damals war einfach, dass dieses System für die Zukunft nicht meines sein kann. Und dann habe ich gesagt, okay und dann verlasse ich dieses System. Ich fühle mich also nicht als Verräter, ich habe eine persönliche Entscheidung getroffen und die auch durchgeführt. Deswegen ist das, was dann später als Verrat bezeichnet wurde, eine Interpretation von anderen gewesen. Also bezeichne ich mich nicht als Sportverräter oder als Landesverräter."
Die Stasi mit ihrem riesigem Apparat blieb Aschenbach nach der Flucht damals im Westen mit vielen Spitzeln auf den Fersen. Sie kundschafteten sein Lebensumfeld im Detail aus. Dies alles ist in seiner 2000 Seiten starken Stasi- Akte dokumentiert. Ein langjähriger Wegbegleiter von Aschenbach sollte ihn betäuben und im Auto in die DDR zurückbringen. Aus irgendeinem undokumentierten Grund wurde der Plan nicht umgesetzt, schreibt Aschenbach heute. Weil die DDR seine Familie nicht zu ihm in den Westen ausreisen ließ, enthüllte Aschenbach im Juni 1989 in der Bild-Zeitung das Geheimnis des flächendeckenden Staatsdopings im Arbeiter- und Bauern-Staat. Die gleichgeschalteten DDR-Medien verunglimpften Aschenbach daraufhin als "Lügner".
Nach all den verklärenden Werken über den DDR-Sport solch ewig Gestriger, wie dem ehemaligen Wintersportchef Thomas Köhler oder Radfahrer Gustav-Adolf Schur, gibt Aschenbach in seiner Biografie ungeschönte Einblicke in seine einstige Gefühlswelt.
Mit zwölf Jahren kam Aschenbach in die Kinder- und Jugend-Sportschule nach Zella-Mehlis, wo er isoliert vom Elternhaus sein Talent als Skispringer entwickelte. In den 70er Jahren zählte er dann im Armeesportklub Oberhof zu den weltbesten Springern. Er kam in das Zwangsdopingprogramm, wurde mehrfacher Weltmeister, Vierschanzentourneesieger und Olympiasieger. Nach Sport- und Medizin-Studium kehrte er zum ASK Oberhof als Sportarzt zurück.
Heute reflektiert er, dass der Sport auch schon anderen Diktaturen als Vehikel zum Vorgaukeln einer heilen Welt diente. Ausgebildet wurde er dafür nach militärischen Maßstäben: "Meine Waffen waren meine Skier", schreibt Aschenbach.
Das Buch zeigt die innere Zerrissenheit des Einzelgängers Aschenbach auf: Einerseits als Volksheld des Sports, SED-Kader und Offizier in der DDR lange funktioniert zu haben. Und andererseits als Gefangener des Systems von immer mehr Widersprüchen geplagt worden zu sein, bis er nur noch den Ausweg der Flucht sah. Selbstkritik kommt nicht zu kurz: Dass es in der DDR auch Sportler gab, die sich dem Doping verweigerten. Und dass er die Familie vor seiner Flucht nicht informierte, und wie er schreibt, seine damalige Frau belog und die Kinder enttäuschte, seine Eltern und Freunde zurückließ und damit in Kauf nahm, "dass sie zu Opfern der kruden Logik des Gefängnisstaates wurden", bekennt er eindrücklich als Versagen.
Nach seiner Flucht bekam Aschenbach einen Job in der Freiburger Klinik bei dem West-Dopingmediziner Professor Armin Klümper. Unverständlich ist Aschenbachs heutige Huldigung von Klümper, dem, wie er erklärt "weltbesten Sportmediziner seiner Zeit." Dabei ist Klümpers Dopingvergangenheit seit mehr als 20 Jahren bekannt. Aschenbach schreibt im Buch dazu:
"Wenn Professor Klümper tatsächlich in Dopingpraktiken verwickelt gewesen sein sollte, dann hat er das so verschleiert, wie es noch niemandem zuvor gelungen ist – ich persönlich bin überzeugt, dass er diesbezüglich zu Unrecht beschuldigt wird."
Einige falsche Jahresbezüge im Buch irritieren ebenso. Aschenbachs Lebensbilanz ist positiv: Die größte Freude bereite es ihm, sich selbst gefunden zu haben. Es sei schade, wenn er heute nur auf seine Flucht oder seine Sporterfolge reduziert werde. Und dennoch: Im Frieden mit sich und seiner Geschichte, werde er wohl nie sein, wie er kürzlich erklärte. Aber mit dem Schreiben des Buches sei er schon viel weitergekommen.
Hans-Georg Aschenbach, "Euer Held. Euer Verräter. Mein Leben für den Leistungssport.", Mitteldeutscher Verlag, Halle, 192 Seiten, 19,95 Euro
"Meine Entscheidung damals war einfach, dass dieses System für die Zukunft nicht meines sein kann. Und dann habe ich gesagt, okay und dann verlasse ich dieses System. Ich fühle mich also nicht als Verräter, ich habe eine persönliche Entscheidung getroffen und die auch durchgeführt. Deswegen ist das, was dann später als Verrat bezeichnet wurde, eine Interpretation von anderen gewesen. Also bezeichne ich mich nicht als Sportverräter oder als Landesverräter."
Die Stasi mit ihrem riesigem Apparat blieb Aschenbach nach der Flucht damals im Westen mit vielen Spitzeln auf den Fersen. Sie kundschafteten sein Lebensumfeld im Detail aus. Dies alles ist in seiner 2000 Seiten starken Stasi- Akte dokumentiert. Ein langjähriger Wegbegleiter von Aschenbach sollte ihn betäuben und im Auto in die DDR zurückbringen. Aus irgendeinem undokumentierten Grund wurde der Plan nicht umgesetzt, schreibt Aschenbach heute. Weil die DDR seine Familie nicht zu ihm in den Westen ausreisen ließ, enthüllte Aschenbach im Juni 1989 in der Bild-Zeitung das Geheimnis des flächendeckenden Staatsdopings im Arbeiter- und Bauern-Staat. Die gleichgeschalteten DDR-Medien verunglimpften Aschenbach daraufhin als "Lügner".
Nach all den verklärenden Werken über den DDR-Sport solch ewig Gestriger, wie dem ehemaligen Wintersportchef Thomas Köhler oder Radfahrer Gustav-Adolf Schur, gibt Aschenbach in seiner Biografie ungeschönte Einblicke in seine einstige Gefühlswelt.
Mit zwölf Jahren kam Aschenbach in die Kinder- und Jugend-Sportschule nach Zella-Mehlis, wo er isoliert vom Elternhaus sein Talent als Skispringer entwickelte. In den 70er Jahren zählte er dann im Armeesportklub Oberhof zu den weltbesten Springern. Er kam in das Zwangsdopingprogramm, wurde mehrfacher Weltmeister, Vierschanzentourneesieger und Olympiasieger. Nach Sport- und Medizin-Studium kehrte er zum ASK Oberhof als Sportarzt zurück.
Heute reflektiert er, dass der Sport auch schon anderen Diktaturen als Vehikel zum Vorgaukeln einer heilen Welt diente. Ausgebildet wurde er dafür nach militärischen Maßstäben: "Meine Waffen waren meine Skier", schreibt Aschenbach.
Das Buch zeigt die innere Zerrissenheit des Einzelgängers Aschenbach auf: Einerseits als Volksheld des Sports, SED-Kader und Offizier in der DDR lange funktioniert zu haben. Und andererseits als Gefangener des Systems von immer mehr Widersprüchen geplagt worden zu sein, bis er nur noch den Ausweg der Flucht sah. Selbstkritik kommt nicht zu kurz: Dass es in der DDR auch Sportler gab, die sich dem Doping verweigerten. Und dass er die Familie vor seiner Flucht nicht informierte, und wie er schreibt, seine damalige Frau belog und die Kinder enttäuschte, seine Eltern und Freunde zurückließ und damit in Kauf nahm, "dass sie zu Opfern der kruden Logik des Gefängnisstaates wurden", bekennt er eindrücklich als Versagen.
Nach seiner Flucht bekam Aschenbach einen Job in der Freiburger Klinik bei dem West-Dopingmediziner Professor Armin Klümper. Unverständlich ist Aschenbachs heutige Huldigung von Klümper, dem, wie er erklärt "weltbesten Sportmediziner seiner Zeit." Dabei ist Klümpers Dopingvergangenheit seit mehr als 20 Jahren bekannt. Aschenbach schreibt im Buch dazu:
"Wenn Professor Klümper tatsächlich in Dopingpraktiken verwickelt gewesen sein sollte, dann hat er das so verschleiert, wie es noch niemandem zuvor gelungen ist – ich persönlich bin überzeugt, dass er diesbezüglich zu Unrecht beschuldigt wird."
Einige falsche Jahresbezüge im Buch irritieren ebenso. Aschenbachs Lebensbilanz ist positiv: Die größte Freude bereite es ihm, sich selbst gefunden zu haben. Es sei schade, wenn er heute nur auf seine Flucht oder seine Sporterfolge reduziert werde. Und dennoch: Im Frieden mit sich und seiner Geschichte, werde er wohl nie sein, wie er kürzlich erklärte. Aber mit dem Schreiben des Buches sei er schon viel weitergekommen.
Hans-Georg Aschenbach, "Euer Held. Euer Verräter. Mein Leben für den Leistungssport.", Mitteldeutscher Verlag, Halle, 192 Seiten, 19,95 Euro