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"Vom Politikverständnis her unterscheiden beide sich sehr wenig"

Präsident Gbagbo und sein Widersacher Ouattara stehen sich nach der Wahl in der Elfenbeinküste unversöhnlich gegenüber. Jens Hettmann, Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abidjan, kann in Ouattara nicht den oft beschworenen Hoffnungsträger für das Land erkennen - und befürchtet den Ausbruch von Gewalt.

Jens Hettmann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.12.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Vier Wochen sind sie bereits her, die Präsidentschaftswahlen im westafrikanischen Land Elfenbeinküste. Immer noch weigert sich Präsident Gbagbo, von seinem Amt zurückzutreten. Die Bundesregierung, die warnt inzwischen vor Reisen in das Land. Und hat die Deutschen aufgefordert, die Elfenbeinküste zu verlassen, darunter auch Jens Hettmann, er ist der Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abidjan. Guten Morgen, Herr Hettmann!

    Jens Hettmann: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Hettmann, wie gefährlich ist die Lage in Abidjan?

    Hettmann: Sie ist seit geraumer Zeit hochexplosiv. Da wird ein erbitterter Machtkampf ausgeführt, bei dem nicht auszuschließen ist, dass es – obwohl niemand das will – tatsächlich dann zu massiver Gewalt, manche reden sogar von der Perspektive eines möglichen Genozids, kommen kann.

    Heckmann: Kann man wirklich davon ausgehen, dass beide Seiten das nicht wollen, dass es zu Gewalt kommt?

    Hettmann: Na, auf der deklaratorischen Ebene behaupten beide Seiten, dagegen zu sein. Gleichzeitig manövrieren sie sich aber politisch nicht ganz ungeschickt in eine Opferrolle hinein, die sie dazu berechtigt, unter Umständen auch mit allen Mitteln Recht oder das, was sie als Recht und Gesetz ansehen, zu verteidigen. Und da ist Gewalt dann leider durchaus immer wieder eine Perspektive, die nicht auszuschließen ist. Es hat ja in der vergangenen Woche schon einen ersten Vorgeschmack gegeben auf das, was möglicherweise auf uns zukommen könnte.

    Heckmann: Dem Aufruf der Opposition zum Generalstreik sind nicht viele Menschen gefolgt. Woran, Herr Hettmann, liegt das aus Ihrer Sicht?

    Hettmann: Das liegt daran, dass genau so wie Gbagbo im Norden des Landes nicht akzeptiert ist, der von der internationalen Gemeinschaft zum Sieger erklärte Herr Ouattara im Süden des Landes nicht akzeptiert ist und keine Gefolgschaft hat. Beide polarisieren. Und das ist glaube ich ein ganz zentrales Problem des Landes.

    Heckmann: Hierzulande gilt ja Gbagbo als typischer Repräsentant eines afrikanischen Potentaten, Ouattara hingegen als Hoffnungsträger einer demokratischen Zukunft. Was entspricht davon der Realität und was ist Projektion?

    Hettmann: Oh, ich bin nun nicht im Besitz der allein selig machenden Wahrheit. Aber was die Einschätzung Gbagbos angeht, der würde ich mich weitgehend anschließend. Bei Ouattara ist das etwas komplizierter. Er ist ausgewiesener Wirtschaftsfachmann, war ja mal stellvertretender Generalsekretär des Internationalen Währungsfonds. Und könnte da durchaus einiges bewirken in dem Land. Aber vom Politikverständnis her, glaube ich, unterscheiden beide sich sehr wenig, sind beide bereit, um ihren Machtanspruch umzusetzen, auf alle, wirklich alle Mittel zurückzugreifen.

    Heckmann: Was versprechen Sie sich denn jetzt von der Mission der drei afrikanischen Präsidenten, die heute in Abidjan erwartet werden?

    Hettmann: Ja, ich muss sagen, dass sich da leider auch meinen Optimismus in Grenzen hält, denn die Regionalorganisation Ecowas, zu der ja auch die Côte d'Ivoire gehört, hat seit geraumer Zeit das Land begleitet, versuchte bei der Krisenbewältigung zu helfen, stößt aber auf der Ebene der, sage ich mal, Akteursdispositionen immer wieder an Grenzen, die sie bis jetzt nicht überschreiten konnte. Insbesondere glaube ich wenig daran, dass Gbagbo zu einer Aufgabe seiner Macht zu bewegen sein wird, weil er etliche wichtige Machtpfeiler, Medien, uniformierte Kräfte noch kontrolliert. Und weil er sich tatsächlich auf einer Mission glaubt, wo er das Land retten muss gegen ausländische Verschwörungen. Und da ist der Verhandlungsspielraum sehr gering. Wenn ich vielleicht noch einen Satz hinzufügen darf: Er hat auch sehr genau beobachtet, was mit dem früheren liberianischen Präsidenten Charles Taylor passiert ist, dem man ja auch beispielsweise politisches Asyl angeboten hatte. Und das auch nur für zwei, drei Jahre Bestand hatte. Ein solches Schicksal würde er natürlich auch fürchten.

    Heckmann: Mehrere afrikanische Staaten haben Gbagbo ja Asyl angeboten, falls er freiwillig zurücktritt, aber das dürfte dann für ihn keine Option sein, wenn ich Sie richtig verstehe?

    Hettmann: So schätze ich ihn ein. Also ich habe ja schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm, mit ihm, schon seit acht Jahren oder so nicht mehr gesprochen. Ich denke, dass er auch alle weiteren Asylangebote ablehnen wird, weil er sich tatsächlich auf einer Mission, messianischen Charakters geradezu, sieht, um sein Land vor dem Zugriff von Ausländern zu retten.

    Heckmann: Herr Hettmann, Tausende sind nach Liberia geflüchtet. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine ganze Region destabilisiert wird. Und wie könnte man Frieden in die Region bringen?

    Hettmann: Ja, als Demokraten möchten wir natürlich gerne, dass über Konflikte geredet wird und dass sie friedlich beigelegt werden. Ich muss sagen, da hat aber auch die Internationale Gemeinschaft dadurch, dass sie Ouattara umstandslos und vorbehaltlos unterstützt, vielleicht nicht, sich nicht vielleicht sensibel genug gezeigt, und von vornherein jeden Dialog ausgeschlossen. Das scheint mir aber der einzige Weg zu sein, um das Problem friedlich lösen zu können. Ansonsten droht tatsächlich nur die Perspektive einer Militärintervention. Und was eine solche auslösen könnte dann etwa unter Führung der Regionalorganisation Ecowas – das kann man nur ahnen. Ganz sicher ist aber, dass da im Wesentlichen die Zivilgesellschaft dann wieder die Zeche für zahlen muss.

    Heckmann: Das heißt, Sie warnen davor, Ouattara zu stark zu unterstützen?

    Hettmann: Ich halte ihn von seinem Politikverständnis her für durchaus vergleichbar mit Gbagbo, Macht um jeden Preis zu erwerben beziehungsweise zu verteidigen. Und es ist keineswegs sicher, denke ich, dass er die Wahl gewonnen hat. Die Internationale Gemeinschaft hat das Ergebnis der angeblich unabhängigen Wahlkommission ja vorbehaltlos akzeptiert und unterschlägt auch gern in den westlichen Medien die Tatsache, dass diese Wahlkommission alles andere als unabhängig war, ihr gehörten nämlich - von 26 Kommissaren waren 20 Oppositionelle oder Unterstützer von Gbagbo-Gegnern. Insofern hat die Internationale Gemeinschaft einen schwer nachvollziehbaren Schritt begangen, dass sie nämlich das Ergebnis einer nicht unabhängigen Institution dem Ergebnis einer anderen nicht unabhängigen Institution, nämlich des Verfassungsrats, vorgezogen hat. Da war sie nicht gut beraten.

    Heckmann: Was müsste jetzt ganz konkret passieren, um eine weitere Eskalation zu vermeiden?

    Hettmann: Ja, ich habe ... das ist eine ganz, ganz schwierige Frage, weil ich den Eindruck habe – und damit stehe ich auch nicht alleine da nach den Gesprächen, die ich geführt habe –, dass selbst die Perspektive, militärisch einzugreifen, die Akteure nicht zu einem Rückzug, zu einem Einlenken bewegen wird.

    Heckmann: Die Frage ist, welche Alternative steht zur Verfügung?

    Hettmann: Also eins geht ja nun mal nicht: Wir haben jetzt ein Land mit zwei Präsidenten, zwei Premierministern, zwei Regierungen und zwei Streitkräften, die sich feindlich gegenüberstehen. Das hat es auf der Welt meines Wissens noch nicht gegeben. Und das kann unter gar keinen Umständen ein Dauerzustand werden. Möglicherweise gibt es ja doch, auch wenn das im Moment nicht erkennbar sein mag, Möglichkeiten, auf einem Verhandlungsweg eine Art Burgfrieden oder eine Befriedung des Landes, eine Entspannung der politischen Verhältnisse zu erreichen. Ansonsten hat die Internationale Gemeinschaft sich schon so weit vorgewagt, dass sie nicht mehr ohne Gesichtsverlust zurückziehen kann. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Gbagbo aus dem Amt zu entfernen. Und dann muss sie im Prinzip auch die dafür erforderlichen Mittel verfügbar machen, so brutal es sich anhört und so sehr es mir persönlich auch widerstrebt, wenn ich das hinzufügen darf.

    Heckmann: Aber eine friedliche Lösung kann eben nur unter Einbeziehung von Gbagbo erreicht werden, verstehe ich Sie da richtig?

    Hettmann: Ja, das ist leider so. Aber die Perspektiven dafür sind nicht gut. Es ist einfach nicht klar, was man anbieten könnte, worüber man reden könnte. Die Konfliktpositionen sind derzeit so weit auseinander, sie sind völlig unvereinbar, dass da kein gemeinsamer Ansatz erkennbar ist. Und deswegen muss man halt fürchten, dass dann letztlich doch es zu einer gewaltsamen Beendigung dieser Krise kommen wird.

    Heckmann: Wann erwarten Sie, Herr Hettmann, dass Sie wieder zurückkehren können nach Abidjan?

    Hettmann: Mein Urlaub geht bis zum 10. Januar, ich würde sehr gerne dahin zurückkehren. Das ist eigentlich ein Land, wo man sehr gut leben und arbeiten kann. Und dieses Land wird, das muss man leider ganz offen sagen, von einer Handvoll machtversessener Leute schon seit Jahren in Geiselhaft genommen. Das hat die Bevölkerung nicht verdient. Und man könnte sehr viel machen, da gibt es gut ausgebildete, willige Leute, mit denen man durchaus das Land voranbringen könnte, aber das ist im Moment nicht möglich aufgrund dieser Machtkonstellation. Ich denke eigentlich, dass das nicht sehr lange dauern kann. Da wird glaube ich in den nächsten paar Wochen, spätestens Monaten, wird es da zu einer Beendigung dieser unglücklichen Situation kommen.

    Heckmann: Die Lage in der Elfenbeinküste ist weiterhin äußerst instabil. Wir haben gesprochen mit Jens Hettmann, er ist Repräsentant der Friedrich Ebert Stiftung in Abidjan. Besten Dank, Herr Hettmann!

    Hettmann: Sehr gerne! Wiederhören!