Benedikt Schulz Sonntags zu arbeiten, ist in Deutschland umstritten – immer noch. Gegen eine Aufweichung der Sonntagsruhe wird mit Vehemenz gekämpft. In anderen Ländern ist der Umgang mit dem arbeitsfreien Tag in der Woche wesentlich entspannter. Der christliche Sonntag ist ursprünglich eine jüdische Erfindung und geht zurück auf den Schabbat - oder eingedeutscht Sabbat - und die damit verbundene Sabbatruhe. Bei beiden gibt die Frage, wie konsequent muss die Ruhe eingehalten werden, Anlass zu hitzigen Diskussionen. Dieser Streit ist aber keine Erfindung der Neuzeit und nicht allein die Folge einer vermeintlichen Zunahme an Druck durch wirtschaftliche Zwänge, wie das oft zum Beispiel von kirchlicher Seite vermutet wird. Der Streit um die Sabbat- beziehungsweise Sonntagsruhe ist so alt wie der Sabbat selbst. Das sagt Reinhard Achenbach, er ist Professor für evangelische Theologie an der Uni Münster. Er hat dort zum einen die Entstehung des arbeitsfreien Sabbats erforscht und zum anderen die Debatten darüber, die es auch schon in der Antike gegeben hat. Reinhard Achenbach ist uns aus Münster zugeschaltet. Ich grüße Sie.
Reinhard Achenbach: Guten Tag.
Schulz: Beginnen wir doch mal mit dem Ursprung. Wie ist denn dieser arbeitsfreie Tag entstanden?
Achenbach: Der Ursprung liegt sicherlich in der Sitte, das Land nach sechs Jahren Bearbeitung im siebten Jahr brach liegen zu lassen, damit es sich regenerieren kann. Und man hat das brach liegende Land dann immer genutzt, um die Armen zu ernähren.
So kam man auf die Idee im alttestamentlichen Gesetz zu verankern, dass Menschen, die sich verschuldet haben, sechs Jahre lang ihre Schulden abarbeiten und im siebten Jahr frei zu lassen sind. Unmittelbar mit dem Gebot der Brache ist dann der Satz formuliert worden: Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun, aber am siebten Tag sollst du ruhen! Der Grund wird angegeben mit dem Satz: damit dein Rindvieh und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Sklavin und der ausländische Arbeiter in deinen Diensten aufatmen können.
Schabbatruhe sollte die Schwächsten schützen
Es geht also um den Schutz der Tiere und den Schutz der schwächsten Glieder in der ländlichen Arbeitsgemeinschaft. Das ist der eigentliche Ursprung. Man vermutet, dass dieser Satz etwa im 8. Jahrhundert unter König Hiskija aufgezeichnet wurde als Teil einer Rechtssatz-Sammlung, die wir im Exodus-Buch lesen können - im sogenannten Bundesbuch.
Schulz: Trotzdem hat dieser arbeitsfreie Tag auch eine theologische Begründung erfahren. Wie sieht die denn aus?
Achenbach: Die theologische Begründung ist implizit gegeben dadurch, dass die Ruhe der Natur und die Ruhe der schwachen Elemente der Tiere und der Menschen seinen Grund hat darin, dass die Gottheit eben die Regeneration der Natur bewacht. Man hat dies früher das Privileg-Recht der Gottheit genannt. Als nun die Babylonier das gesamte Volk Israel versklavt hatten, wurde diese Regel plötzlich für alle Israeliten verbindlich.
"Halte den Sabbat heilig!"
Und so entstand die älteste Version des Gebots, der Dekalog, in den zehn Geboten in Deuteronomium 5. Da heißt es dann: Halte den Sabbattag und halte ihn heilig! Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun. Aber der siebte Tag ist der Sabbat für Gott, da darfst du keinerlei Arbeit tun. Nun wird die ganze Familie aufgezählt: Sohn, Tochter, Knecht, Magd, Rind, Esel, alles Vieh, der Fremde und so weiter, damit sie ausruhen können wie du.
Schulz: Jetzt haben Sie das babylonische Exil angesprochen. War dann die Art und Weise, wie der Schabbat nun angewandt wurde, auch eine Art – ich nenne es jetzt mal – Distinktionsmerkmal, ein Symbol der Abgrenzung gegenüber dem nicht-jüdischen Umfeld?
Achenbach: Wahrscheinlich ja. Es gab bei den Babyloniern wie auch im alten Israel die Sitte, am Neumondtag und am Vollmondtag sich in den Familien zu versammeln. Der Vollmondtag hieß auf babylonisch schabbatu. Und dieser Name schabbatu klingt ja so ähnlich wie das hebräische Wort Wort "scha-ba-t" (= ruhen). Man hat eben erklärt, dass so ein Familien- und Ruhetag charakteristisch sei für jüdisch-israelitische Tradition.
Nach Zerstörung des Tempels Schabbat immer wichtiger
Es wird vermutet, dass man in dieser Zeit angefangen hat, diesen Ruhetag gemeinsam zu begehen, und ihn auch als Erinnerungstag benutzt hat - zur Erinnerung daran, dass man ja einmal von Gott aus der Sklaverei in Ägypten befreit worden war. So wurde dieser Ruhetag tatsächlich zum Merkmal der Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft. Zumal sie ja gar keinen anderen Kultus mehr vollziehen konnten. Der Tempel war weit weg und zerstört. Und man hat wohl nicht überall Kultstätten errichtet, sondern der einzige Ort, wo man sich versammelt hat, war die Familie und das Gedenken an die Ruhe, die Gott den Versklavten gewährt.
Schulz: Welche Bedeutung hat denn dieses identitätsstiftende Moment des Sabbats heutzutage noch für Juden?
Achenbach: Es ist ganz zentrales Merkmal des heutigen Judentums, wie überhaupt des Judentums seit der Antike, insbesondere nachdem im Jahre 70 nach Christus der zweite Tempel auch zerstört worden ist und dies endgültig, und damit der Sabbat in den Mittelpunkt aller rituellen Begehungen jüdischer Familien seit der römischen Antike gehört.
Schulz: Ein zentrales Ergebnis Ihrer Forschung ist – wenn ich das richtig verstanden habe, dass auch schon in der frühen Phase, also in der Antike um diesen arbeitsfreien Tag gestritten wird, zumindest debattiert wurde. Mit welchen Argumenten?
Achenbach: Zunächst nach dem babylonischen Exil wurde der Tempel ja wieder aufgebaut. Aber wir hören aus einem Dokument in dem Nehemia-Buch, dass erst 70 Jahre später in Jerusalem die Bevölkerung sich verpflichtet hat, "wenn die Völker des Landes Waren und alles mögliche Getreide am Sabbat-Tag zum Verkauf bringen, dass wir ihnen diese am Sabbat nicht abnehmen."
Strenge Sabbatruhe zunächst nur von einigen Juden beachtet
Man hat also vermieden, dass innerhalb der Mauern Jerusalems Verkauf von Gütern und Handel stattgefunden hat. Das heißt aber, dass natürlich im Umland und ganz Judäa, das ja unter persischer Herrschaft stand, der Sabbat kein allgemeines Gesetz war, sondern nur für religiös observante, in Jerusalem ansässige Juden als verbindlich galt.
Wir haben dann eine Erzählung, dass der Prophet Jeremia schon gemahnt habe, man solle den Sabbat halten und nicht Handel treiben in der Stadt Jerusalem, sonst gehe sie unter. Und den Beweis hatte man ja, die Stadt war ja untergegangen.
In anderen jüdischen Gemeinschaften, zum Beispiel unter den jüdischen Soldaten in Ägypten, die im Dienst der Perser standen, haben wir Zeugnisse darüber, dass der Handel am Sabbat ganz normal funktionierte. Da gibt es zum Beispiel den Brief eines Juden an seinen Knecht, der sagt: Morgen schicke ich dir Gemüse, pass das Boot am Sabbat ab, damit das Gemüse nicht verdirbt, und wehe, du passt nicht auf, ich werde dich persönlich haftbar machen!
Das heißt, hier ist ein jüdischer Soldat in persischen Diensten, und für den ist zwar der Sabbat bewusst, aber dass sein Knecht jetzt das Gemüse nicht vom Händler abholen soll, das kommt ihm gar nicht in den Sinn. Die strenge, sehr enge Observanz, dass man am Sabbat gar nichts tut, die hat sich erst später, 200 Jahre nach dem babylonischen Exil durchgesetzt.
Schulz: Können Sie sagen warum?
Achenbach: Nun, in der späten persischen Zeit haben die Perser Ägypten verloren. Und dann war Juda und Jerusalem sozusagen Frontstaat. In dieser Zeit haben sie dem Hohepriester und der Religionsgemeinde mehr Privilegien eingeräumt, sich selbst zu bestimmen. Das hat dazu geführt, das priesterliche Regeln in die Thora eingetragen wurden. Und der Sabbat wurde jetzt als kosmische Ordnung erklärt.
Die Schöpfungserzählung am Beginn der Bibel wurde ergänzt um die Idee, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen habe und dass er den siebten Tag geweiht habe. Dann wurde in den zehn Geboten eingetragen, man habe diesen Tag heilig zu halten, da Gott an ihm geruht habe. Die Idee ist, dass die Schöpfung, wenn sie vollendet ist, in sich selbst auch vollkommen ist und darum Gott ruhen kann und jeder, der an ihr Teil hat, sie in Ruhe lassen soll.
Schulz: Lassen Sie uns den Bogen in die Gegenwart schlagen. Es wird ja auch heute noch gestritten, sowohl unter Christen als auch Juden, um eben den heiligen Schabbat und den Sonntag und die Ruhe an diesen Tagen. Jetzt mal jenseits theologischer Horizonte – ein freier Tag in der Woche hat einiges für sich.
Achenbach: Genau.
Schulz: Warum benötigt man überhaupt eine theologische Begründung und eine religiöse Legitimation als Lex Sacra, als Heiliges Gesetz?
Achenbach: Das ist eine Frage natürlich der Moderne. Es hat sich aber in der Diskussion im 19. Jahrhundert herausgestellt, dass eine vollkommene Beanspruchung menschlicher Arbeitskraft durch die Industrie abträglich ist den Gesetzen der Humanität.
Die zweite Seite war, dass man zwischen dem Schutz der Menschen und der Arbeitsruhe die Religion schützen wollte, weil die Religion einen normativen und einen kulturellen Hintergrund und eine Begründung mitbrachte, die offenbar auch zur menschlichen Existenz gehört. Der Mensch hat eben nicht nur Arbeit, er hat auch Religion.
"Es ist sinnvoll, religiöse Feiertage am Wochenende zu schützen"
Man ist nicht gezwungen, die religiöse Begründung für diesen Tag einzusehen. Es ist auch allgemein vernünftig und einsichtig, dass Menschen, wenn sie viel arbeiten, Ruhe brauchen.
Und da die jüdische Tradition gerade in der Neuzeit besonderen Schutz und Beachtung verdient, ist es sinnvoll, das Wochenende als religiöse Feiertage zu schützen.
Wie man das dann gesetzlich weiter ausgestaltet, da gibt es allerdings Spielräume. Die Zeiten, dass Priester die Gesetzgebung vorschreiben, die sind ja wohl vorbei. Und das hat ja auch sein Gutes.
Schulz: Sagt Reinhard Achenbach. Er ist Professor für Evangelische Theologie an der Uni Münster. Ich habe mit ihm gesprochen über die Entstehung des arbeitsfreien Sabbats und des arbeitsfreien Sonntags in der Folge und auch über die Debatten darüber in der Antike und Gegenwart. Herr Achenbach, vielen herzlichen Dank.
Achenbach: Gern geschehen.
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