"Der Unterschied zwischen Malen und Schreiben ist vor allem der, dass wenn ich schreibe, dann habe ich das Bild im Kopf. Oder den Film im Kopf. Also ich schreibe nur das, was ich gesehen habe. Ich kann nur das schreiben, was ich sehe. Und wenn ich male, dann versuche ich etwas zu erschaffen, was ich noch nicht gesehen habe."
Wenn Lisa Kränzler sagt, sie könne nur über das schreiben, was sie schon einmal gesehen habe, dann besteht das Besondere Ihres Schreibens aber doch ganz zweifellos in der Art und Weise, wie und was Kränzler sieht. Deshalb ist ihr Debütroman "Export A", der von dem Austauschjahr der 16-jährigen Elisabeth Kerz in der kanadischen Provinz erzählt, auch mehr als ein gewöhnlicher Coming-of-Age-Roman. Es ist ein Roman über das Wahrnehmen, vor allem über das Wahrnehmen von Farben und Färbungen der Welt, und darüber, wie sich diese Wahrnehmungen in Elisabeth einschreiben. Und das nicht nur in sie.
Das ewige Weiß des kanadischen Schnees wird bald geradezu körperlich erfahrbar, blendet unangenehmer und unerträglicher mit jeder neuen Seite des Buches. Es zermürbt den Leser und soll ihn zermürben, ähnlich wie es Elisabeth zermürbt. Nicht minder setzt Elisabeth die Einsamkeit in dieser frostigen Provinz am anderen Ende der Welt zu. Diese Einsamkeit lastet auf ihr, scheint sie zu erdrücken. Ein Leben wie unter einer schweren, luftundurchlässigen Schneedecke. Ihr Quartier, ein unwirtliches braunes Zimmer bei einer boshaften und misstrauischen Vermieterin, trägt nicht eben zur Verbesserung der Situation bei.
Kränzler: "Wir sind den Farben einfach ausgeliefert und dem Licht. Die Dinge erscheinen nun mal in dem Licht, in dem sie erscheinen. Man kann da eigentlich nichts machen."
Dass es Elisabeth ausgerechnet an diesen trostlosen Ort verschlagen hat, ist mehr Zufall als bewusste Entscheidung. Ihre ältere Schwester ist gerade nach Kanada ausgewandert, das mag ein Anlass gewesen sein. Im Roman fungiert die Schwester allerdings nur als ein sporadisch auftauchendes letztes Verbindungsglied zum alten, wohlbehüteten Familienleben, über das man kaum etwas erfährt. Die Erinnerungen daran haben keinen Platz in dem kanadischen Weiß.
Unverhofft aber tut sich für Elisabeth in dem Immergleichen aus Kälte, Nässe und Langeweile etwas Verheißungsvolles auf: das mintgrüne Haus. Ein paar Bekannte haben dort eine Wohngemeinschaft gegründet – und Elisabeth zögert keine Sekunde, als sich die Möglichkeit bietet dort einzuziehen, im Gepäck nicht mehr als eine Schaumstoffmatratze, einen Schlafsack und eine Wolldecke.
Kränzler: "Was sie reizt, ist vor allem die Freiheit. Die Freiheit und das Zusammensein mit Leuten, die ganz anders sind, die nicht funktionieren, die auch gar keinen Bock haben zu funktionieren, die nach ganz anderen, ganz eigenen Regeln leben, die alles das tun, was sie sich nie hätte erlauben können zuhause und eigentlich auch immer noch nicht erlauben kann."
Im grünen Haus führt man ein Leben in Extremen. Elisabeth trinkt – so heißt es wiederholt – wie ein Seemann, nicht selten ist ihr Rausch mehr als nah an der körperlichen Selbstzerstörung. Im Kühlschrank ist fast nie etwas. Aufbackteig – geklaute Restposten aus dem Weihnachtssortiment – ist hier so etwas wie eine Delikatesse, die notfalls auch mal ungebacken gegessen wird.
Aber auch wenn es den Anschein haben könnte: Das Leben ist keine Dauerparty, auch in dem grünen Haus nicht. Etwas Unheilschwangeres lastet über allem, seit Elisabeth in den ersten Wochen ihres Aufenthalts von ihrer Schwester mit zu einem fundamentalistischen Gottesdienst genommen worden ist. Die düsteren Szenarien über Sünden und die Hölle, die sie hier anhören musste, irritieren Elisabeth nachhaltig und schwerwiegend.
Kränzler: "Sie kommt ja eigentlich als Kind in Kanada an und glaubt auch wie ein Kind. Also sie hat ihren Glauben, und überhaupt diese Frage nach Gott und was geschieht nach dem Tod, das ist ganz weit weg. Sie hat sich das noch nie überlegt, hat sich diese Fragen nie gestellt. Und durch die Konfrontation mit dieser fundamentalistischen Kirchengemeinde dort werden all diese Fragen natürlich laut, und sie muss sich mit diesen Fragen konfrontieren. Und plötzlich ist dieser Glaube verunmöglicht, plötzlich kann sie nicht mehr so glauben wir früher. Und das verändert natürlich einiges. Es nimmt ihr viel von ihrer Stabilität, von ihrer Hoffnung. Ja, es zieht ihr den Boden unter den Füßen weg."
Zunächst merkt Elisabeth nur ein Schwanken des Bodens. Und zunächst, als unbändig trinkender Seemann, als in ihren Mitbewohner Josh verliebtes Mädchen und als von allen Zwängen entbundene Bewohnerin des grünen Hauses fühlt sich dieses Schwanken des Bodens noch gut und aufregend an. Aber das grüne Haus ist nur scheinbar die Hoffnung in dem unerbittlichen Weiß drumherum.
Kränzler: "Es gibt kein eines Wort. Ich kann nicht sagen. Grün, Doppelpunkt, steht für das. So funktioniert es nicht. Es ist vielschichtiger. Es ist trügt auf jeden Fall. Der grüne Schein trügt. Es kehrt sich einiges um. Die Bedeutung der Farbe kehrt sich um, genauso wie sich ihr Leben umkehrt. Die Bedeutungen verkehren sich."
Die Bewegung, die Lisa Kränzler in ihrem Roman nachzeichnet, ist eine doppelte und vermeintlich entgegengesetzte. Während sich auf der einen Seite immer mehr Gewissheiten aufzulösen scheinen, während die berauschten Zustände stärker und andauernder werden, während nicht mehr genau zu unterscheiden ist, was tatsächlich geschieht und was Elisabeth womöglich nur im Rausch ersinnt, wird auf der anderen Seite immer klarer: Dieses Erzählen ist ein Hinschreiben auf ein bestimmtes Ereignis. Es ist weniger ein bloßes Rekonstruieren als ein Zeugnisablegen. Ein Zeugnisablegen zehn Jahre nach dem, was nie hätte geschehen dürfen.
Elisabeth wird, in einer der vielen Partynächte im grünen Haus, von einem jungen Mann vergewaltigt. Nur einem Freund vertraut sie später an, was ihr widerfahren ist, und diesem Freund erzählt sie auch, als sie ihren Peiniger zufällig wieder sieht: als Mitarbeiter in einem Supermarkt. Womöglich ist das der Moment, in dem das Geschehen außer Kontrolle gerät, wahrscheinlich liegt dieser Moment schon weitaus früher. Elisabeth, obwohl sie sich zunächst gesträubt hat, lauert gemeinsam mit ihrem Freund dem Vergewaltiger auf. Was als Vergeltung gedacht ist, wird zur Katastrophe. Plötzlich hält Elisabeth den Baseballschläger in den Händen, mit dem ihrem Peiniger zumindest ein Teil des Leids zurückgegeben werden soll, das er ihr zugefügt hat. Und plötzlich schlägt sie zu. Immer wieder, es schlägt aus ihr heraus, mehr als dass sie schlägt. Immer wieder schlägt sie auf seinen Kopf. Als sie zur Besinnung kommt, können sie und ihr Freund die Leiche nur noch im Schnee vergraben. Das Weiß wird sie verschlucken, die Spuren des Autos werden spätestens am nächsten Morgen mit Neuschnee gefüllt und verschwunden sein.
Und so wie der Schnee das Geschehene zumindest für eine Weile unsichtbar macht, so unsicher scheint zunächst, ob dieser Mord vielleicht doch nur eingebildet ist, halb als Elisabeths Wunsch, halb als ihre Angst vor dem, wozu sie fähig sein könnte. Aber die Zweifel an einer glücklichen Auflösung schwinden mehr und mehr. Zusehends unheimliche Züge bekommt der Roman zudem, weil auch die Parallelen zwischen Protagonistin und Autorin immer offensichtlicher werden. Wenn die Autorin hier nur ein Spiel mit dem Leser treibt, dann funktioniert dieses Spiel erstaunlich gut.
Kränzler: "Ich finde gar nicht, dass das so übertrieben deutlich gesetzt ist, diese Bezüge. Sie heißt Elisabeth Kerz. Ich heiße Lisa Kränzler. Ich sehe das gar nicht so, dass das so überdeutlich ist. Ich hätte nur keinen Sinn darin gesehen, es mehr zu verschleiern oder künstlich zu überdecken. Also nicht mehr als nötig. Beziehungsweise sehe ich es gar nicht als nötig an, irgendwas zu verschleiern oder zu verdecken, darum geht es nicht."
Lisa Kränzler arbeitet auf bezwingende Weise mit dem Wechselspiel von Zeigen und Verhüllen. Sie deutet einerseits nur an und behauptet im nächsten Moment mit so einer Vehemenz das Unglaublichste, dass es bald der Leser ist, der auf schwankendem Boden steht. Dass man dieses Schwanken als genauso grauenhaft wie faszinierend empfindet, macht dieses Romandebüt so besonders. Dass seine sprachliche Wucht bisweilen etwas Ungehobeltes hat, darf gar nicht anders sein.
Bis zum Ende wünscht man sich ein Erwachen aus diesem Alp. Das Erwachen von Elisabeth genauso wie das eigene, ihre Erlösung genauso wie die eigene. Aber die Autorin ist unerbittlich. So wie ihre Protagonistin schreiben, einen Lückentext der Erinnerung ausfüllen muss, dessen Leerstellen sie nur zu gut kennt, so wie sie hinsehen muss auf das, was geschehen ist, muss das auch der Leser.
Kränzler: "Sie schreibt, um abzuschließen. Das ist vor allem der Versuch, das abzuspalten, was sie quält. Das loszuwerden. Es aus dem System auszutreiben. Es aufs Papier zu bannen. Es in Ketten zu legen, loszukriegen. Der Mord passiert. Er ist nicht einfach nur vorgestellt beziehungsweise was heißt nur vorgestellt? Er passiert. Es ist wirklich so. Es ist alles wahr."
Lisa Kränzler: "Export A". Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2012, 265 S., geboren, 21 Euro
Wenn Lisa Kränzler sagt, sie könne nur über das schreiben, was sie schon einmal gesehen habe, dann besteht das Besondere Ihres Schreibens aber doch ganz zweifellos in der Art und Weise, wie und was Kränzler sieht. Deshalb ist ihr Debütroman "Export A", der von dem Austauschjahr der 16-jährigen Elisabeth Kerz in der kanadischen Provinz erzählt, auch mehr als ein gewöhnlicher Coming-of-Age-Roman. Es ist ein Roman über das Wahrnehmen, vor allem über das Wahrnehmen von Farben und Färbungen der Welt, und darüber, wie sich diese Wahrnehmungen in Elisabeth einschreiben. Und das nicht nur in sie.
Das ewige Weiß des kanadischen Schnees wird bald geradezu körperlich erfahrbar, blendet unangenehmer und unerträglicher mit jeder neuen Seite des Buches. Es zermürbt den Leser und soll ihn zermürben, ähnlich wie es Elisabeth zermürbt. Nicht minder setzt Elisabeth die Einsamkeit in dieser frostigen Provinz am anderen Ende der Welt zu. Diese Einsamkeit lastet auf ihr, scheint sie zu erdrücken. Ein Leben wie unter einer schweren, luftundurchlässigen Schneedecke. Ihr Quartier, ein unwirtliches braunes Zimmer bei einer boshaften und misstrauischen Vermieterin, trägt nicht eben zur Verbesserung der Situation bei.
Kränzler: "Wir sind den Farben einfach ausgeliefert und dem Licht. Die Dinge erscheinen nun mal in dem Licht, in dem sie erscheinen. Man kann da eigentlich nichts machen."
Dass es Elisabeth ausgerechnet an diesen trostlosen Ort verschlagen hat, ist mehr Zufall als bewusste Entscheidung. Ihre ältere Schwester ist gerade nach Kanada ausgewandert, das mag ein Anlass gewesen sein. Im Roman fungiert die Schwester allerdings nur als ein sporadisch auftauchendes letztes Verbindungsglied zum alten, wohlbehüteten Familienleben, über das man kaum etwas erfährt. Die Erinnerungen daran haben keinen Platz in dem kanadischen Weiß.
Unverhofft aber tut sich für Elisabeth in dem Immergleichen aus Kälte, Nässe und Langeweile etwas Verheißungsvolles auf: das mintgrüne Haus. Ein paar Bekannte haben dort eine Wohngemeinschaft gegründet – und Elisabeth zögert keine Sekunde, als sich die Möglichkeit bietet dort einzuziehen, im Gepäck nicht mehr als eine Schaumstoffmatratze, einen Schlafsack und eine Wolldecke.
Kränzler: "Was sie reizt, ist vor allem die Freiheit. Die Freiheit und das Zusammensein mit Leuten, die ganz anders sind, die nicht funktionieren, die auch gar keinen Bock haben zu funktionieren, die nach ganz anderen, ganz eigenen Regeln leben, die alles das tun, was sie sich nie hätte erlauben können zuhause und eigentlich auch immer noch nicht erlauben kann."
Im grünen Haus führt man ein Leben in Extremen. Elisabeth trinkt – so heißt es wiederholt – wie ein Seemann, nicht selten ist ihr Rausch mehr als nah an der körperlichen Selbstzerstörung. Im Kühlschrank ist fast nie etwas. Aufbackteig – geklaute Restposten aus dem Weihnachtssortiment – ist hier so etwas wie eine Delikatesse, die notfalls auch mal ungebacken gegessen wird.
Aber auch wenn es den Anschein haben könnte: Das Leben ist keine Dauerparty, auch in dem grünen Haus nicht. Etwas Unheilschwangeres lastet über allem, seit Elisabeth in den ersten Wochen ihres Aufenthalts von ihrer Schwester mit zu einem fundamentalistischen Gottesdienst genommen worden ist. Die düsteren Szenarien über Sünden und die Hölle, die sie hier anhören musste, irritieren Elisabeth nachhaltig und schwerwiegend.
Kränzler: "Sie kommt ja eigentlich als Kind in Kanada an und glaubt auch wie ein Kind. Also sie hat ihren Glauben, und überhaupt diese Frage nach Gott und was geschieht nach dem Tod, das ist ganz weit weg. Sie hat sich das noch nie überlegt, hat sich diese Fragen nie gestellt. Und durch die Konfrontation mit dieser fundamentalistischen Kirchengemeinde dort werden all diese Fragen natürlich laut, und sie muss sich mit diesen Fragen konfrontieren. Und plötzlich ist dieser Glaube verunmöglicht, plötzlich kann sie nicht mehr so glauben wir früher. Und das verändert natürlich einiges. Es nimmt ihr viel von ihrer Stabilität, von ihrer Hoffnung. Ja, es zieht ihr den Boden unter den Füßen weg."
Zunächst merkt Elisabeth nur ein Schwanken des Bodens. Und zunächst, als unbändig trinkender Seemann, als in ihren Mitbewohner Josh verliebtes Mädchen und als von allen Zwängen entbundene Bewohnerin des grünen Hauses fühlt sich dieses Schwanken des Bodens noch gut und aufregend an. Aber das grüne Haus ist nur scheinbar die Hoffnung in dem unerbittlichen Weiß drumherum.
Kränzler: "Es gibt kein eines Wort. Ich kann nicht sagen. Grün, Doppelpunkt, steht für das. So funktioniert es nicht. Es ist vielschichtiger. Es ist trügt auf jeden Fall. Der grüne Schein trügt. Es kehrt sich einiges um. Die Bedeutung der Farbe kehrt sich um, genauso wie sich ihr Leben umkehrt. Die Bedeutungen verkehren sich."
Die Bewegung, die Lisa Kränzler in ihrem Roman nachzeichnet, ist eine doppelte und vermeintlich entgegengesetzte. Während sich auf der einen Seite immer mehr Gewissheiten aufzulösen scheinen, während die berauschten Zustände stärker und andauernder werden, während nicht mehr genau zu unterscheiden ist, was tatsächlich geschieht und was Elisabeth womöglich nur im Rausch ersinnt, wird auf der anderen Seite immer klarer: Dieses Erzählen ist ein Hinschreiben auf ein bestimmtes Ereignis. Es ist weniger ein bloßes Rekonstruieren als ein Zeugnisablegen. Ein Zeugnisablegen zehn Jahre nach dem, was nie hätte geschehen dürfen.
Elisabeth wird, in einer der vielen Partynächte im grünen Haus, von einem jungen Mann vergewaltigt. Nur einem Freund vertraut sie später an, was ihr widerfahren ist, und diesem Freund erzählt sie auch, als sie ihren Peiniger zufällig wieder sieht: als Mitarbeiter in einem Supermarkt. Womöglich ist das der Moment, in dem das Geschehen außer Kontrolle gerät, wahrscheinlich liegt dieser Moment schon weitaus früher. Elisabeth, obwohl sie sich zunächst gesträubt hat, lauert gemeinsam mit ihrem Freund dem Vergewaltiger auf. Was als Vergeltung gedacht ist, wird zur Katastrophe. Plötzlich hält Elisabeth den Baseballschläger in den Händen, mit dem ihrem Peiniger zumindest ein Teil des Leids zurückgegeben werden soll, das er ihr zugefügt hat. Und plötzlich schlägt sie zu. Immer wieder, es schlägt aus ihr heraus, mehr als dass sie schlägt. Immer wieder schlägt sie auf seinen Kopf. Als sie zur Besinnung kommt, können sie und ihr Freund die Leiche nur noch im Schnee vergraben. Das Weiß wird sie verschlucken, die Spuren des Autos werden spätestens am nächsten Morgen mit Neuschnee gefüllt und verschwunden sein.
Und so wie der Schnee das Geschehene zumindest für eine Weile unsichtbar macht, so unsicher scheint zunächst, ob dieser Mord vielleicht doch nur eingebildet ist, halb als Elisabeths Wunsch, halb als ihre Angst vor dem, wozu sie fähig sein könnte. Aber die Zweifel an einer glücklichen Auflösung schwinden mehr und mehr. Zusehends unheimliche Züge bekommt der Roman zudem, weil auch die Parallelen zwischen Protagonistin und Autorin immer offensichtlicher werden. Wenn die Autorin hier nur ein Spiel mit dem Leser treibt, dann funktioniert dieses Spiel erstaunlich gut.
Kränzler: "Ich finde gar nicht, dass das so übertrieben deutlich gesetzt ist, diese Bezüge. Sie heißt Elisabeth Kerz. Ich heiße Lisa Kränzler. Ich sehe das gar nicht so, dass das so überdeutlich ist. Ich hätte nur keinen Sinn darin gesehen, es mehr zu verschleiern oder künstlich zu überdecken. Also nicht mehr als nötig. Beziehungsweise sehe ich es gar nicht als nötig an, irgendwas zu verschleiern oder zu verdecken, darum geht es nicht."
Lisa Kränzler arbeitet auf bezwingende Weise mit dem Wechselspiel von Zeigen und Verhüllen. Sie deutet einerseits nur an und behauptet im nächsten Moment mit so einer Vehemenz das Unglaublichste, dass es bald der Leser ist, der auf schwankendem Boden steht. Dass man dieses Schwanken als genauso grauenhaft wie faszinierend empfindet, macht dieses Romandebüt so besonders. Dass seine sprachliche Wucht bisweilen etwas Ungehobeltes hat, darf gar nicht anders sein.
Bis zum Ende wünscht man sich ein Erwachen aus diesem Alp. Das Erwachen von Elisabeth genauso wie das eigene, ihre Erlösung genauso wie die eigene. Aber die Autorin ist unerbittlich. So wie ihre Protagonistin schreiben, einen Lückentext der Erinnerung ausfüllen muss, dessen Leerstellen sie nur zu gut kennt, so wie sie hinsehen muss auf das, was geschehen ist, muss das auch der Leser.
Kränzler: "Sie schreibt, um abzuschließen. Das ist vor allem der Versuch, das abzuspalten, was sie quält. Das loszuwerden. Es aus dem System auszutreiben. Es aufs Papier zu bannen. Es in Ketten zu legen, loszukriegen. Der Mord passiert. Er ist nicht einfach nur vorgestellt beziehungsweise was heißt nur vorgestellt? Er passiert. Es ist wirklich so. Es ist alles wahr."
Lisa Kränzler: "Export A". Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2012, 265 S., geboren, 21 Euro