Christoph Heinemann: Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat zugegeben, Spenden für seinen Wahlkampf empfangen zu haben. Er habe jedoch niemals Schmiergelder kassiert.
Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte es für Ehud Olmert kaum geben können, denn erstens werden in der kommenden Woche Präsidenten aus aller Herren Länder in Israel erwartet, und zweitens hat er uns, dem Deutschlandfunk, ein Interview zugesagt, das wir in der nächsten Woche ausstrahlen werden.
In Israel haben die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag also längst begonnen. Während die Schlagzeilen hierzulande zumeist vom Nahost-Konflikt bestimmt sind, können die Israelis auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken. Israel ist in der Region weit und breit die einzige Demokratie. Wissenschaft und Forschung zählen zu den besten der Welt, und Israel ist der einzige Staat der westlichen Wertegemeinschaft, der eine positive Geburtenrate aufweist. Und auch davon könnte sich die Bundesrepublik Deutschland eine Scheibe abschneiden.
Professor Michael Wolffsohn lehrt an der Hochschule der Bundeswehr in München neuere Geschichte. Guten Morgen!
Michael Wolffsohn: Guten Morgen Herr Heinemann!
Heinemann: Professor Wolffsohn, Sie sind jüdischer deutscher Staatsbürger, haben in Israel die Grundschule besucht und den Militärdienst geleistet. Was bedeutet Ihnen Israel?
Wolffsohn: Israel ist mein Geburtsland, und wo man geboren ist - natus sum auf Lateinisch, also die Nation -, das ist zumindest die zweite Nation, die meine Persönlichkeit kennzeichnet und geprägt hat.
Heinemann: Goethe hat gesagt, wo man sich bildet, ist man zu Hause.
Wolffsohn: Beides! Das ist richtig. Aber man lebt ja in den jeweiligen Staaten oder Gemeinschaften, wo man A geboren und zunächst einmal geblieben ist und nachher groß geworden und ausgebildet worden ist. Und ich bin in beiden Staaten ausgebildet worden.
Heinemann: Herr Wolffsohn, seit der Staatsgründung - und zwar fast auf die Sekunde - befindet sich Israel in einem abwechselnd heißen oder kalten Krieg mit den arabischen Nachbarn, inzwischen auch mit der islamischen Welt. Wie hat dieser Krieg die Mentalität der Bürgerinnen und Bürger geprägt?
Wolffsohn: Es gibt zwei Seiten derselben Medaille. Auf der einen Seite ist Israel zweifellos eine harte Gesellschaft. Das liegt auch an dem allgemeinen Wettbewerb. Wettbewerb kennzeichnet die bürgerliche Gesellschaft, in der es keinen Adel gibt - also einen Adel, der Privilegien, Vorrechte, durch Geburt genießt, sondern Vorrechte nur durch Leistung.
Auf der anderen Seite hat natürlich dieser ständige Konflikt zu einer, ich will mal überspitzt formulieren, Brutalisierung des Alltages geführt. Das prägt die Menschen auch.
Heinemann: Inwiefern?
Wolffsohn: Wettbewerb zum einen, zum anderen Existenzkampf in allen Details. Denn es ist ja nicht nur der zwischenstaatliche Krieg, der seit 1948 mehrfach getobt hat, sondern auch die Angst vor Terror, den man vergleichsweise gut in den Griff bekommen hat. Aber es könnte ja hier und dort gleich wieder los gehen und knallen, und diese Existenzangst verunsichert die Menschen und führt zu einerseits einem starken Drang, den Tag, den Augenblick, genießen zu wollen, und teilweise auch auf Kosten des anderen. Das ist die individualistische Ebene. Es gibt aber auch eine kollektiv-nationale einer starken Solidarität. Israel ist immer sowohl als auch.
Heinemann: Stärke ist Staatsräson!
Wolffsohn: Bitte?
Heinemann: Stärke ist Staatsräson?
Wolffsohn: Ja, ganz zweifellos.
Heinemann: Auch in der Sprache? Benjamin Netanjahu hat einmal für sich geworben mit dem Spruch "Ein starker Führer für ein starkes Volk". Bleibt einem in Deutschland fast im Hals stecken!
Wolffsohn: Das ist richtig, aber es ist schön, dass Sie nach Ihrer übrigens vorzüglichen Einleitung zu unserem Gespräch, in der Sie 60 Jahre Israel, wie ich finde, sehr gut zusammengefasst haben, darauf hingewiesen haben, das ist Teil der Geschichte, die zu Israel geführt hat - nicht nur der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern einer 2000-jährigen Diaspora-Geschichte, in der das jüdische Volk immer das Opferlamm gewesen ist, oder wenn nicht so theologisch formuliert, so das Opfer. Zyonismus hat von Anfang an gesagt, nie wieder Opfer. Dass Deutsche sagen, nie wieder Täter, ist genauso verständlich. Nur beide Seiten müssen füreinander das Verständnis haben, dass jede Seite das Unterschiedliche aus der vergleichsweise, teilweise, gleichen Geschichte gezogen hat.
Heinemann: Gleichwohl ist Israel der einzige Staat, in dem Juden ihres Lebens nicht sicher sind - wegen des Terrorismus. Wird das in Israel auch als Misserfolg der eigenen Politik bewertet?
Wolffsohn: Nein, denn Sie haben hier eine Seite der Medaille genannt - und zwar völlig richtig. Die andere ist aber, dass man in Israel nicht als Jude eine existenzielle Unsicherheit hat. Bleiben wir beim deutsch-israelischen Vergleich. Die Juden sind in Deutschland von '33 bis 1945 verfolgt und dann liquidiert worden, weil sie Juden waren. In Israel ist der Einzelne gefährdet, weil der Staat in einem Konflikt ist, aber er ist nicht aufgrund eines Geburtsmakels sozusagen zum Tode oder mindestens zur Verfolgung verurteilt.
Heinemann: Herr Wolffsohn, zur Gründungsideologie des Staates gehört das sozialistische Ideal der Kibbuzim. Was ist davon übrig geblieben?
Wolffsohn: Weniger als nichts. Das ist eines der interessantesten Phänomene. Es ist ja ein hoch interessantes Experiment in Israel durchgeführt worden, das einzig erfolgreiche, welches Sozialismus plus Freiheit, also Demokratie, miteinander verbunden hat. Das war im Grunde genommen, wenn man die jüdische Geschichte betrachtet, ohnehin ein künstliches Produkt, weil, ich versuchte das vorhin zu skizzieren, die jüdische Geschichte eine bürgerliche Geschichte ist. Es gab sicherlich sehr viele Sozialisten im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, die sich der Illusion hingaben, dass man das vermeintlich nationale Problem des Jüdisch-Sein durch Auflösen im Internationalismus würde eben lösen können. Das war eine Illusion, aber dann ab 1977, seit dem ersten Regierungswechsel, hat sich die liberal-bürgerliche Gesellschaft die Bahn gebrochen. Und heute kann man eigentlich davon sprechen, dass Israel eine geradezu turbokapitalistische Gesellschaft ist.
Heinemann: Dass Zivilisation mit einer sinkenden Geburtenrate einher geht, diese vorgebliche Gesetzmäßigkeit gilt in Israel nicht. Wie ist das zu erklären?
Wolffsohn: Das ist dadurch zu erklären, dass wiederum das Stichwort der bürgerlichen Gesellschaft, die Bürgerlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft, und dazu gehört die Keimzelle eben der bürgerlichen Gesellschaft, die Familie in Israel noch vergleichweise intakt ist, ebenso wie in der gesamten jüdischen Welt. Das wiederum hat natürlich auch historische Wurzeln, denn in einer traditionell feindlichen Umwelt - in Israel ist die regionale Umwelt eher feindlich - hält man im kleinsten Rahmen eng zusammen, und das ist die Familie. Daher ist die Familie in Israel und der jüdischen Welt vergleichsweise noch intakt.
Heinemann: Der Münchner Historiker Professor Michael Wolffsohn in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Wolffsohn: Auf Wiederhören.
Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte es für Ehud Olmert kaum geben können, denn erstens werden in der kommenden Woche Präsidenten aus aller Herren Länder in Israel erwartet, und zweitens hat er uns, dem Deutschlandfunk, ein Interview zugesagt, das wir in der nächsten Woche ausstrahlen werden.
In Israel haben die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag also längst begonnen. Während die Schlagzeilen hierzulande zumeist vom Nahost-Konflikt bestimmt sind, können die Israelis auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken. Israel ist in der Region weit und breit die einzige Demokratie. Wissenschaft und Forschung zählen zu den besten der Welt, und Israel ist der einzige Staat der westlichen Wertegemeinschaft, der eine positive Geburtenrate aufweist. Und auch davon könnte sich die Bundesrepublik Deutschland eine Scheibe abschneiden.
Professor Michael Wolffsohn lehrt an der Hochschule der Bundeswehr in München neuere Geschichte. Guten Morgen!
Michael Wolffsohn: Guten Morgen Herr Heinemann!
Heinemann: Professor Wolffsohn, Sie sind jüdischer deutscher Staatsbürger, haben in Israel die Grundschule besucht und den Militärdienst geleistet. Was bedeutet Ihnen Israel?
Wolffsohn: Israel ist mein Geburtsland, und wo man geboren ist - natus sum auf Lateinisch, also die Nation -, das ist zumindest die zweite Nation, die meine Persönlichkeit kennzeichnet und geprägt hat.
Heinemann: Goethe hat gesagt, wo man sich bildet, ist man zu Hause.
Wolffsohn: Beides! Das ist richtig. Aber man lebt ja in den jeweiligen Staaten oder Gemeinschaften, wo man A geboren und zunächst einmal geblieben ist und nachher groß geworden und ausgebildet worden ist. Und ich bin in beiden Staaten ausgebildet worden.
Heinemann: Herr Wolffsohn, seit der Staatsgründung - und zwar fast auf die Sekunde - befindet sich Israel in einem abwechselnd heißen oder kalten Krieg mit den arabischen Nachbarn, inzwischen auch mit der islamischen Welt. Wie hat dieser Krieg die Mentalität der Bürgerinnen und Bürger geprägt?
Wolffsohn: Es gibt zwei Seiten derselben Medaille. Auf der einen Seite ist Israel zweifellos eine harte Gesellschaft. Das liegt auch an dem allgemeinen Wettbewerb. Wettbewerb kennzeichnet die bürgerliche Gesellschaft, in der es keinen Adel gibt - also einen Adel, der Privilegien, Vorrechte, durch Geburt genießt, sondern Vorrechte nur durch Leistung.
Auf der anderen Seite hat natürlich dieser ständige Konflikt zu einer, ich will mal überspitzt formulieren, Brutalisierung des Alltages geführt. Das prägt die Menschen auch.
Heinemann: Inwiefern?
Wolffsohn: Wettbewerb zum einen, zum anderen Existenzkampf in allen Details. Denn es ist ja nicht nur der zwischenstaatliche Krieg, der seit 1948 mehrfach getobt hat, sondern auch die Angst vor Terror, den man vergleichsweise gut in den Griff bekommen hat. Aber es könnte ja hier und dort gleich wieder los gehen und knallen, und diese Existenzangst verunsichert die Menschen und führt zu einerseits einem starken Drang, den Tag, den Augenblick, genießen zu wollen, und teilweise auch auf Kosten des anderen. Das ist die individualistische Ebene. Es gibt aber auch eine kollektiv-nationale einer starken Solidarität. Israel ist immer sowohl als auch.
Heinemann: Stärke ist Staatsräson!
Wolffsohn: Bitte?
Heinemann: Stärke ist Staatsräson?
Wolffsohn: Ja, ganz zweifellos.
Heinemann: Auch in der Sprache? Benjamin Netanjahu hat einmal für sich geworben mit dem Spruch "Ein starker Führer für ein starkes Volk". Bleibt einem in Deutschland fast im Hals stecken!
Wolffsohn: Das ist richtig, aber es ist schön, dass Sie nach Ihrer übrigens vorzüglichen Einleitung zu unserem Gespräch, in der Sie 60 Jahre Israel, wie ich finde, sehr gut zusammengefasst haben, darauf hingewiesen haben, das ist Teil der Geschichte, die zu Israel geführt hat - nicht nur der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern einer 2000-jährigen Diaspora-Geschichte, in der das jüdische Volk immer das Opferlamm gewesen ist, oder wenn nicht so theologisch formuliert, so das Opfer. Zyonismus hat von Anfang an gesagt, nie wieder Opfer. Dass Deutsche sagen, nie wieder Täter, ist genauso verständlich. Nur beide Seiten müssen füreinander das Verständnis haben, dass jede Seite das Unterschiedliche aus der vergleichsweise, teilweise, gleichen Geschichte gezogen hat.
Heinemann: Gleichwohl ist Israel der einzige Staat, in dem Juden ihres Lebens nicht sicher sind - wegen des Terrorismus. Wird das in Israel auch als Misserfolg der eigenen Politik bewertet?
Wolffsohn: Nein, denn Sie haben hier eine Seite der Medaille genannt - und zwar völlig richtig. Die andere ist aber, dass man in Israel nicht als Jude eine existenzielle Unsicherheit hat. Bleiben wir beim deutsch-israelischen Vergleich. Die Juden sind in Deutschland von '33 bis 1945 verfolgt und dann liquidiert worden, weil sie Juden waren. In Israel ist der Einzelne gefährdet, weil der Staat in einem Konflikt ist, aber er ist nicht aufgrund eines Geburtsmakels sozusagen zum Tode oder mindestens zur Verfolgung verurteilt.
Heinemann: Herr Wolffsohn, zur Gründungsideologie des Staates gehört das sozialistische Ideal der Kibbuzim. Was ist davon übrig geblieben?
Wolffsohn: Weniger als nichts. Das ist eines der interessantesten Phänomene. Es ist ja ein hoch interessantes Experiment in Israel durchgeführt worden, das einzig erfolgreiche, welches Sozialismus plus Freiheit, also Demokratie, miteinander verbunden hat. Das war im Grunde genommen, wenn man die jüdische Geschichte betrachtet, ohnehin ein künstliches Produkt, weil, ich versuchte das vorhin zu skizzieren, die jüdische Geschichte eine bürgerliche Geschichte ist. Es gab sicherlich sehr viele Sozialisten im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, die sich der Illusion hingaben, dass man das vermeintlich nationale Problem des Jüdisch-Sein durch Auflösen im Internationalismus würde eben lösen können. Das war eine Illusion, aber dann ab 1977, seit dem ersten Regierungswechsel, hat sich die liberal-bürgerliche Gesellschaft die Bahn gebrochen. Und heute kann man eigentlich davon sprechen, dass Israel eine geradezu turbokapitalistische Gesellschaft ist.
Heinemann: Dass Zivilisation mit einer sinkenden Geburtenrate einher geht, diese vorgebliche Gesetzmäßigkeit gilt in Israel nicht. Wie ist das zu erklären?
Wolffsohn: Das ist dadurch zu erklären, dass wiederum das Stichwort der bürgerlichen Gesellschaft, die Bürgerlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft, und dazu gehört die Keimzelle eben der bürgerlichen Gesellschaft, die Familie in Israel noch vergleichweise intakt ist, ebenso wie in der gesamten jüdischen Welt. Das wiederum hat natürlich auch historische Wurzeln, denn in einer traditionell feindlichen Umwelt - in Israel ist die regionale Umwelt eher feindlich - hält man im kleinsten Rahmen eng zusammen, und das ist die Familie. Daher ist die Familie in Israel und der jüdischen Welt vergleichsweise noch intakt.
Heinemann: Der Münchner Historiker Professor Michael Wolffsohn in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Wolffsohn: Auf Wiederhören.