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Vom Vergessen und Verdrängen

Die Freiburger Historikerin Svenja Goltermann hat viele Jahre lang über deutsche Soldaten und ihre im Zweiten Weltkrieg erfahrenen seelischen Schäden geforscht. Ihr Buch "Die Gesellschaft der Überlebenden" wurde mit dem Historikerpreis prämiert.

Von Godehard Weyerer |
    1946 drehte Wolfgang Staudte den Film "Die Mörder sind unter uns"; der Kriegsheimkehrer Mertens war an der Ostfront Augenzeuge eines Massakers an Frauen und Kindern.

    Im selben Jahr kam der Film "Irgendwo in Berlin" ins Kino. Auch er handelt von Männern, die Krieg und Gefangenschaft überlebten, aber unfähig waren, den Krieg hinter sich zu lassen.

    Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und die damals herrschende psychiatrische Lehrmeinung, wonach der Mensch schwerstes Leid ertragen könne, ohne seelischen Schaden davon zu tragen, brachten nicht alle Kriegsheimkehrer zum Schweigen. Der Männer, die sich in ihrer Not an Psychiater wandten, nimmt sich die Freiburger Historikerin Svenja Goltermann an.

    "Das sind ganz unterschiedliche Krankheitsverläufe, die ich in den Akten gefunden habe. Es gibt schwere Psychose, Halluzinationen, Vorstellungen, von den Russen verfolgt zu werden und so weiter."

    Svenja Goltermanns Buch ist eine geringfügig überarbeitete Habilitationsschrift, die die Wissenschaftlerin 2007 einreichte und für die sie im Jahr darauf den Historikerpreis erhielt. Das Thema Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen war Mitte der 50er-Jahre aus dem Fokus des öffentlichen Interesses geraten. Der Grund liegt für die Bremer Historikerin Doris Kaufmann auf der Hand.

    "Sicherlich auch, weil im Gegensatz zur Beschäftigung mit NS-Opfern die Kriegsheimkehrer implizit und manchmal auch explizit mit der deutschen Schuld in Verbindung gebracht werden und damit Opfer sind, die es - ich sage es mal umgangssprachlich - verdient hatten."

    Svenja Goltermann war sieben Jahre Assistentin am Bremer Institut für Geschichtswissenschaft; Doris Kaufmann hat ihre Habilitationsschrift begutachtet.

    "Und das Zweite ist sicherlich ein generationsbedingtes Phänomen - der größere Abstand und größere Freiheit, das hat die Svenja Goltermann sehr gut gemacht, auch dieser Nicht-Verarbeitung von Gewalt, Gewalterinnerung und Nachleben von Gewalterfahrung mit einer gewissen Distanz genähert hat, ohne damit gleichzeitig einen Entschuldungskurs weiterzutreiben, den es natürlich gibt, wenn man die vielen Veröffentlichungen über Flucht und Vertreibung denkt. Es ist in gewisser Weise eine Provokation, und ich vermute, es werden viele doch trotzdem in diesen Entschuldungsdiskurs bringen, aber das geht an dieser Arbeit vorbei. Das ist nicht der Punkt."

    Svenja Goltermann zitiert aus psychiatrischen Krankenakten, einem Quellenmaterial, das bislang ungenutzt blieb und sie erstmals einsah und auswertete. Hierin sind Selbstzeugnisse der Kriegsheimkehrer zu finden wie auch schriftlich niedergelegte Einschätzungen der Angehörigen, vor allem aber Gesprächsprotokolle der Psychiater. Kritik kam aus dem historischen Seminar der Universität Freiburg, in das Svenja Goltermann 2007 wechselte. Ist es wissenschaftlich-methodisch vertretbar, die Quellenbasis auf einige Hundert Krankenakten aus drei psychiatrischen Anstalten zu beschränken und daraus Schlüsse und Thesen zu einem derart komplexen und sozial tiefgehenden Problemfeld zu ziehen? Die Bremer Historikerin Doris Kaufmann verteidigt ihre frühere Assistentin.

    "Angesichts der geschichtswissenschaftlichen Hinwendung erneut zur Politikwissenschaft finde ich gerade dieses erste Kapitel eine Krönung eines kulturgeschichtlichen Ansatzes, der versucht, Mentalitäten zu erschließen. Das ist keine Fragen von Massenakten, sondern eine Frage, inwieweit man einzelne Fallbeispiele dicht beschreiben und eine Nähe herstellen kann, die sich nicht an quantitativer Quellenzahl misst, sondern an der Kunst der Kontextualisierung und Interpretation."

    Was für Kriegsheimkehr galt, galt natürlich auch für Überlebende des NS-Terrors. Die damalige psychiatrische Lehrmeinung entsprach in jenen Jahren internationalem Stand. Wenngleich auch in Deutschland vereinzelt Stimmen laut wurden, sich zu einer "größeren Aufgeschlossenheit gegenüber früheren KZ-Insassen" durchzuringen, kam der Anstoß, die strengen, ja menschenverachtenden Maßstäbe zu lockern, aus dem Ausland, vorneweg aus den USA und Israel.

    Im zweiten Teil ihres Buches erzählt Svenja Goltermann, wie sich "die Grenzen der psychiatrischen Definitionsmacht" verschoben. Im Vorgriff auf den Historikerstreit der 80er-Jahre und der sich anschließenden Totalitarismusdebatte bezieht die Autorin klar Stellung und weist einen Vergleich von NS-Opfern und Kriegsheimkehrern zurück. Anders als den Frontkämpfern, mit ihren zeitlich begrenzten Erlebnissen von körperlichen Verletzungen und Entbehrungen, seien "die KZ-Insassen niemals wieder in ein bergendes Gehäuse entlassen" worden, das erfüllt war von "Wohlwollen einer sie akzeptierenden Gesellschaft, von Sicherheit und Fürsorge in Lazaretten und Krankenhäusern".

    "Gleiches Recht für alle, sagen damals auch viele Kriegsopferverbände. Man muss dabei sehen, die Wiedergutmachung ist dem Zivilrecht zugeordnet, die Kriegsopferversorgung dem Sozialrecht. Der Zwang, kausale Ursache nachzuweisen, ist im Zivilrecht nicht ganz so groß wie im Sozialrecht. Trotzdem hat es politisch-moralisch Überlegungen, warum man diesen Schritt im Blick auf die Überlebenden der NS-Verfolgung nicht übertragen hat auf die Kriegsheimkehrer."

    In einem dritten und abschließenden Teil beleuchtet Svenja Goltermann die Kriegsheimkehrer in der "öffentlichen Aufmerksamkeit". Selbst in Filmen wie "Die Mörder sind unter uns" oder "Irgendwo in Berlin", in denen das Schicksal der Soldaten entgegen der herrschenden psychiatrischen Lehrmeinung erzählt wird, kehren die meisten unversehrt von der Front und aus den Lagern zurück und packen trotz all Widrigkeiten an - hartnäckig und mit Willenskraft, so wie es nicht nur die Psychiater von ihnen erwarteten.

    Weitere Informationen:

    Svenja Goltermann: Die Gesellschaft der Überlebenden.
    Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen
    im Zweiten Weltkrieg

    DVA, November 2009, 592 Seiten, 29,95 Euro