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Vom Walderklärer zum Welterklärer
Deutschlands bekanntester Förster in der Kritik

Seit mehr als zwei Jahren beherrschen Peter Wohllebens Bücher die Bestsellerlisten. Doch viele Forstleute und Wissenschaftler können mit den Theorien des Försters und Autors nichts anfangen. Unter anderem wird kritisiert, er vermische Fakten und Mutmaßungen.

Von Michael Lange |
    Buchen
    Buchenwald südlich von Hannover (picture-alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte)
    Der Förster Peter Wohlleben hat keine Angst, Tiere und Pflanzen zu vermenschlichen. Er beschreibt sie als "Geschöpfe" mit Wünschen und Gefühlen – und spricht damit offenbar vielen seiner Leser aus der Seele. Das Ökosystem Wald betrachtet Peter Wohlleben als produktives Miteinander, in dem verschiedene Arten und Faktoren zusammenwirken. Baumkronen und Wolken, Pilze und Wurzeln. Ameisen und Läuse, Wildschweine und Regenwürmer. Ein Netzwerk, in dem alles mit allem zusammenhängt.
    "Die Natur ist wie ein großes Uhrwerk. Alles ist übersichtlich geordnet und greift ineinander, jedes Wesen hat seinen Platz und seine Funktion."
    Sein Idealbild von Natur: ein ursprünglicher Buchenwald
    Die Dynamik vieler Ökosysteme und die Anpassungsfähigkeit der Natur sind Wohlleben bekannt, aber manchmal verdrängt er sie. Sein Idealbild von Natur: ein ursprünglicher Buchenwald, wie er nach der letzten Eiszeit viele Regionen Mitteleuropas prägte. Heute existiert ein solcher Urwald allerdings nur noch auf zwei Prozent der Fläche im vergleichsweise waldreichen Deutschland. Schuld daran sind nach Ansicht Peter Wohllebens Holzindustrie und Jäger. Sie stören das ideale Ökosystem.
    "Durch die starke Nutzung der Wälder, durch den massiven Holzeinschlag kommt so viel Licht auf die Böden, dass überall Kräuter und Gräser sprießen. Das wirkt wie eine Fütterung und heizt die Vermehrung der Tiere an. Mittlerweile sind die Wildbestände auf dem bis zu fünfzigfachen Niveau dessen, was in den Urwäldern zu finden war."
    Rettung verspricht die Rückkehr der Raubtiere. Wölfe könnten Rehe und Hirsche jagen und dezimieren. Wild wachsende Buchen hätten dann wieder bessere Chancen.
    "Der Wolf gibt dem Wald seine wilde Seele zurück."
    Das klingt zwar gut. Doch viele Forstleute und Wissenschaftler können mit den Theorien von Peter Wohlleben nichts anfangen. Seine Ideen seien in einer kultivierten Landschaft mit vielen Interessen einfach nicht umsetzbar.
    Zu den Kritikern gehört Christian Ammer, Professor für Waldbau und Waldökologie an der Universität Göttingen:
    "Herr Wohlleben vermischt aus meiner Sicht in unzulässiger Weise Fakten, die er richtig bringt, mit Mutmaßungen, die durch keine wissenschaftliche Untersuchung gedeckt sind. Und der Leser weiß nie: Wann beginnt jetzt die Mutmaßung und was ist noch Faktum?"
    "Die Wahrscheinlichkeit, dass Bäume Gefühle haben, die ist winzig klein"
    Die heile Welt des Peter Wohlleben ist ein Ökosystem, das ohne den Einfluss des Menschen in einem Gleichgewicht verharrt. Ein Wald als natürliche Gemeinschaft. Bäume, die miteinander fühlen, die einander beistehen und füreinander sorgen. All das geht Christian Ammer viel zu weit:
    "Die Wahrscheinlichkeit, dass Bäume Gefühle haben, die ist winzig klein, weil es überhaupt keine Befunde aus den Neurowissenschaften zum Beispiel gibt, die in diese Richtung deuten. Aus meiner Sicht heiligt der Zweck nicht alle Mittel, und ich finde schon, dass man seiner Begeisterung für die Wälder auch Ausdruck verleihen kann, indem man auf dem Boden des Wissens bleibt und nicht wild spekuliert, Zusammenhänge konstruiert, für die es einfach keine Belege gibt."
    Und noch etwas ärgert den Forstwissenschaftler. Peter Wohlleben vereinfache komplizierte Zusammenhänge so, dass immer die anderen schuld seien, während er und seine Leser mit gutem Gewissen und einem spritschluckenden Wohnmobil durch die Welt reisten.
    "Interessanterweise fehlt auch jeder Appell an den Leser, sich nicht nur zu empören, was Forstwirtschaft und wer sonst noch in diesem Buch alles anrichten, sondern auch Mal einen eigenen Beitrag in Erwägung zu ziehen. Das eigene Konsumverhalten und die Wirkung auf das Klima finden überhaupt nicht statt. Es sind immer die anderen böse, und man selbst darf auf dem Sofa sitzen bleiben und sich über die anderen erregen."
    Möglicherweise ist gerade das eines der Geheimnisse von Peter Wohllebens Erfolg. Seine Bücher tun keinem weh und vermitteln ein Gefühl inniger Verbundenheit mit der Natur. In seinem neuen Werk mit dem Titel "Das geheime Netzwerk der Natur" erklärt der Waldversteher seinen Lesern aber nicht nur den Wald. Er legt dar, wie der Klimawandel sich meistern lässt, wenn er nur nicht zu schnell kommt. Und auch über die Evolution des Menschen macht sich Peter Wohlleben Gedanken und fragt sich, wie dessen Zukunft aussehen könnte.
    "Sollte die derzeitige Intelligenz für das Überleben der Menschheit unpassend sein, muss sie entweder aufgestockt oder verringert werden."
    Was genau er damit meint, lässt Peter Wohlleben offen.
    Zielgruppe: Kein Buch für Experten, eher für Waldfreunde, für die der Wald auch ein Gefühl ist. Sie werden auch den neuen Wohlleben mögen.
    Erkenntnisgewinn: Alles hängt mit allem zusammen, man muss nur genau hinschauen.
    Spaßfaktor: Persönliche Geschichten und Gefühle sind überzeugender als trockene Fakten und viel unterhaltsamer als jedes wissenschaftliche Lehrbuch. Eine gehörige Portion Skepsis gegenüber den Weisheiten des plaudernden Försters ist aber angebracht.

    Peter Wohlleben: Das geheime Netzwerk der Natur - Wie Bäume Wolken machen und Regenwürmer Wildschweine steuern
    Ludwig-Verlag, 224 Seiten für 19,99 Euro