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Vom Winde verweht

Nach einer langen Reise durch Nordamerika mündet der Mississippi in Louisiana in den Golf von Mexiko. Gut 200 Kilometer vor der Mündung liegt Nottoway, eines der schönsten amerikanischen Plantagenhäuser, das auch das "Weiße Schloss von Louisiana" genannt wird.

Von Rudi Schneider |
    "The Mighty Mississippi", der mächtige Mississippi, mit diesem Adjektiv beschreibt man in Louisiana gerne den Fluss, an dessen Ufer wir einem vorbeifahrenden Schaufelraddampfer nachschauen. Hier, am Mündungsdelta, hat der Mississippi bereits eine Reise von 3.500 Kilometern hinter sich, und ehrlich gesagt, gegen seine Dimensionen ist unser lieber Vater Rhein ein Bach.

    Der mäandernde Old Man River hat mit seinem Mündungsdelta zwischen Baton Rouge und New Orleans schier unermessliche Flächen fruchtbares Land geschaffen, das im 19. Jahrhundert zu einem Magnet für eine ganze Reihe von Plantagenbetreibern wurde. Die Herrschaftshäuser dieser Plantagen säumen auch heute noch links und rechts das Ufer des Mississippi und versuchen sich gegenseitig an Größe und Pracht zu übertreffen.

    Das ist die Plantagenglocke der Nottoway, die vor einem Jahrhundert den Feierabend eingeläutet hat. Mrs. Standford E. Owen war die letzte lebende Plantagenbesitzerin im Mississippi Delta, die seit den 80iger Jahren ihr Haus auch für Besucher öffnete. Mitte der 90iger Jahre erzählte sie uns im ehrwürdigen Alter von 94 Jahren, wie die Nottoway erbaut wurde.

    "Das Haus wurde von John Hampden Randolph gebaut. Es wurde nach zehn Jahren Bauzeit 1859 fertiggestellt. Er hatte im eigenen Sumpfland Zypressen, die er für das Haus fällen ließ. Die Baumstämme wurden dann vier Jahre unter Wasser gelagert, getrocknet und für den Bau in der Sägemühle vorbereitet. Das war das dritte Haus, das er in dieser Region baute."

    Elmer Thomas arbeitet seit 1980 in der Nottoway. Sie ist Afroamerikanerin mit einer Persönlichkeit, die direkt einem der großen Südstaatenromane oder Hollywoodklassiker entstammen könnte. Elmer wird nun mit uns durch das Haus, die Zeit und ihre Geschichten wandern.

    "Die Nottoway ist das größte Antebellum Haus der Südstaaten. Mr. Randolph stammte aus Virginia. Seine Familie zog nach Woodville in Mississippi, als er noch ein Junge war. Er heiratete Emily Jane Liddelle. Sie hatten elf Kinder, sieben Mädchen und vier Jungen. Das erklärt sicher auch die Größe des Hauses, das Sie heute hier sehen."

    Das Land am Mississippidelta von Baton Rouge bis New Orleans war für viele Investoren Mitte des 19. Jahrhunderts ein lohnendes Ziel, nicht zuletzt auch wegen der zu dieser Zeit noch vorherrschenden Sklaverei in den Südstaaten.

    "Sie kamen hier nach Louisiana, um ihr Glück im Anbau von Zuckerrohr zu suchen und kauften 2.900 Hektar Land. Mr. Randolph teilte diese Fläche auf vier einzelne Plantagen auf. Hier im Haus arbeiteten 75 Diener, und in allen vier Zuckerrohrplantagen arbeiteten um die tausend Sklaven auf den Feldern."

    Als John Hampden Randolph das prächtige Haus 1859 mit seiner Familie bezog, befand sich das Land nur noch vier Jahre vor dem Bürgerkrieg, der das Leben und seine Strukturen in den Plantagen der Südstaaten fundamental änderte. Bleiben wir noch einen Moment in dieser Zeit und betreten mit Elmer die Bibliothek des Hauses.

    "Das ist die Bibliothek. Man könnte sie allerdings auch den Rauchersalon nennen. Er wurde zu jenen Zeiten nur von den Männern genutzt. Ein Gentleman der Südstaaten rauchte niemals in Gegenwart von Ladies, redete über Geschäfte oder trank Alkohol. Das galt als unfein. Die Herren kamen also in die Bibliothek, schlossen die Tür und unterhielten sich bei Brandy und einer Zigarre über den Krieg und die Erntesituation in diesen Tagen."

    Während wir uns der nächsten Tür zuwenden, greift Elmer noch ein Buch in schwarzem Einband aus dem deckenhohen Bücherregal aus Mahagoni. Die Autorin nennt sich M.R. Ailenroc. Liest man den Familiennamen rückwärts, lautet er Cornelia.

    "Cornelia, die Tochter der Randolphs, führte ein Tagebuch über das tägliche Leben im Haus und auf der Plantage. Sie erzählte darin unter anderem auch von diesem Raum, den sie die "Halle der Vorfahren" nannte. Ihre Mutter hatte die Wände dieses Zimmers mit Gemälden ihrer Vorfahren dekoriert, die sie hier sehen können. Cornelia veröffentlichte ihr Tagebuch im Jahr 1903 und nannte es: "Das weiße Schloss von Louisiana"."

    Das "Weiße Schloss" lässt noch einen weiteren optischen Vergleich zu. Da das Haus nahe am Ufer des Mississippi steht, sieht es, von der anderen Flussseite betrachtet, fast wie einer der großen Schaufelraddampfer mit den weißen Aufbauten der Passagierkabinen aus. Diese Paddlewheeler, wie man sie hier am Mississippi nennt, verkehren auch heute noch zwischen St. Louis und New Orleans. Das ganz in strahlendem Weiß gehaltene zweigeschossige Gebäude der Nottoway hat nicht, wie viele Antebellum-Plantagenhäuser, einen quadratischen Grundriss, sondern eine längliche Form, die genau parallel zum Fluss steht, eben wie ein Schiff am Ufer. Wir haben uns mittlerweile in Cornelias Lieblingszimmer begeben. Sie liebte die riesige Fensterfront, die wie an der Reling eines Schiffes einen unbeschreiblichen Blick auf den Fluss freigibt.

    "Von den 200 Fenstern, die wir hier haben, ist dieses das größte. Das ist die Stelle, an der Cornelia zu ihrer Mutter sagte: "Halte immer einen Teil des Vorhangs offen", denn aus diesem Fenster hatte man einen fantastischen Panoramablick auf den Mississippi."

    Es ist schon beeindruckend, auch mehr als 110 Jahre nachdem das Tagebuch Cornelias veröffentlicht wurde, fahren noch Schaufelraddampfer wie zu Mark Twains Zeiten auf dem Mississippi und lassen das Schiffshorn weit über den Fluss hallen. Randy Hamond ist Kapitän auf einem dieser Paddlewheeler. Er erzählt uns, dass das nicht ein einfaches Schiffshorn ist.

    "Dieses Schiff hat eine Pfeife, die mit Dampf betrieben wird. Sie hören drei unterschiedlich hohe Töne, sie bilden einen Akkord ... das ist wie ein Musical."

    Dass die alten Schaufelraddampfer auch an der Nottoway anlegen, das findet erst seit guten 30 Jahren statt.

    "Am Weihnachtstag 1980 legte die Mississippi Queen zum ersten Mal vor unserem Haus an. 350 Passagiere verließen das Boot und überquerten den Deich, um uns hier zu besuchen."

    Einer der beliebtesten Räume, den die Gäste gerne besuchen, ist der ganz in Weiß gestrichene Ballsaal. Die hohen Fenster lassen viel Licht in den großzügig gestalteten Raum fließen. Ein funkelnder Kristallkronleuchter unterstreicht das Jugendstilmuster der Stuckdecke. Über dem Kamin hängt das Ölporträt einer Lady mit dem besonderen Blick, egal, wo man sich im Raum befindet, sie schaut den Betrachter immer an.

    "Einige der Randolph Mädchen heirateten hier. Sie wurden oben angekleidet, schritten feierlich die große Treppe herunter, und die Familie wartete mit ihren Freunden hier im Ballsaal, wo die Hochzeitsfeier stattfand."

    Cornelia war eine der Töchter, die in diesem Raum den Bund fürs Leben schloss. Im ersten Kapitel ihres Tagebuches nimmt sie ihre zukünftigen Leser regelrecht mit auf eine Reise durch das ganze Haus, wie es während ihrer Jugendzeit war. Musikunterricht, so berichtet Cornelia, fand im Musikzimmer im Obergeschoss statt, wohin wir ihr nun folgen.

    "Das ist ein Harmonium, das 1849 in New York gebaut wurde. Die Harfe hier vorne ist ein Meisterinstrument aus London und stammt aus der gleichen Zeit. Die beiden Flügel kamen ebenfalls aus London, dieser wurde 1810 gebaut. Die Pianoleuchte aus Messing wurde mit Kerosin betrieben."

    Cornelia berichtet, dass sie mehrfach während der Woche von einem deutschen Musiklehrer unterrichtet wurden. Vom Musikzimmer hat man einen wunderbaren Blick in den Garten, den Randy La Prairie während der letzten 30 Jahre mit viel Liebe gepflegt hat. Randy pflanzte nicht nur Blumen im Garten der Nottoway, er malte die Szenen im Garten und im Haus auch in vielen Gemälden, die die Zeit des vergangenen Jahrhunderts wieder aufleben lassen. Eines der großen Gemälde ist ihm besonders ans Herz gewachsen.

    "Ich habe es "Cornelias Nottoway" genannt. Sie beschreibt in ihrem Tagebuch, wie sich das Leben rund um das Haus in jenen Tagen abspielte ... so wie sie es mit ihren Augen gesehen hat."

    Eine der besonderen Situationen, die Randy La Prairie malte, war der tägliche Treffpunkt für die gesamte Familie beim Dinner im Esszimmer, das wir zum Abschluss unseres Besuches in der Nottoway-Plantage besuchen wollen. Elmer Thomas beschreibt den festlich gedeckten Tisch.

    "Der aus Mahagoni gearbeitete American Empire Tisch wurde 1845 in Natchez, Mississippi, gefertigt. Der Tisch ist mit edlem Porzellan gedeckt. Jedes Teil der handgemalten Sets zeigt eine unterschiedliche Szene. Die Familie hat 15 Jahre gebraucht, um das gesamte Set des Künstlers zu sammeln, der unter anderem auch für den französischen König arbeitete."

    In der Nähe der Tür befindet sich ein reich verzierter Silbergriff, der an einer feinen Kette hängt.

    "Sie hatten ihr eigenes Kommunikationssystem. Im ganzen Hause sieht man diese silbernen Griffe. Sie sind über ein Seilsystem mit 13 kleinen Glocken verbunden, die im Raum der Hausdiener hängen. Diese Glocken haben alle eine unterschiedliche Tonhöhe. Am Klang konnte man schon erkennen, in welchem Zimmer geläutet wurde."

    Diese kleinen Glocken sind heute noch eine akustische Verbindung zu damaligen Zeit, als Cornelia und ihre Familie in diesem Haus lebten. Ihre Ohren hörten die gleichen Glöckchen wie wir heute. Das gilt auch für die Plantagenglocke, die noch in Randy La Prairies Garten vor dem Haus hängt
    und uns zum Abschied vom White Castle of Louisiana ein letztes Mal grüßt.
    Ballsaal der "Nottoway"-Plantage
    Einer der beliebtesten Räume ist der Ballsaal der Plantage (Deutschlandradio - Rudi Schneider)