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Vom Zweifeln an der Liebe

Schlafwagenschaffner, Briefmarkenverkäufer, Musiker: Martin Mandler hat schon einige Lebensstationen hinter sich. Nun arbeitet der Österreicher als Schriftsteller und lebt in der Eifel. Dort hat er auch sein Romandebüt "23 Tage" verfasst.

Von Bettina Hesse |
    Ein junger Mann bringt seine Liebste zum Flughafen, sie wird zu ihrem ehemaligen Freund nach London reisen. Die Sehnsucht fängt an, als sie noch neben ihm im Auto sitzt, da schon beginnt …

    "Mein Kummer. Dieses übertrieben große Leid, das sich in mir ausbreitet. Bloß, weil Laura für 23 Tage fort sein wird."

    So steht es auf dem Cover von 23 Tage, direkt unter dem Titel, und es könnte die Kurzfassung von Martin Mandlers Debüt sein. Doch nur an der Oberfläche. Sich selbst überlassen sitzt der sanfte und nachdenkliche Held im heimischen Eifeldorf und versucht, der wachsenden Zweifel an der Beziehung und an sich selbst, und bei der Gelegenheit auch aller anderen Gespenster Herr zu werden. Es ist nämlich kein leichtes Unternehmen, was da am 3. November mit dem Eintrag losgeht:

    "Ich erinnere mich. Ich erinnere mich an Laura. An Laura und mich."

    Und 23 Tage später so endet:

    "Aber ich weiß, während ich hier stehe und darauf warte, dass Laura aus der milchverglasten Türe tritt, weiß ich, dass sie nicht bei mir ankommen wird."

    Die Grundstimmung kündigt sich in einer kleinen, filmhaften Szene auf dem Weg zum Flughafen an, als er mit dem Kühler den letzten Sperling eines aufstiebenden Vogelschwarms erwischt. In einem knappen, nahezu sinnentleerten Dialog als Reaktion kommt das Unausweichliche zur Sprache:

    "Vielleicht hätte ich doch ausweichen können.
    Nur wohin, fragte sie. Und zeigte in das an die Straße angrenzende Feld.
    Keine Ahnung, antwortete ich."


    Was in der Anlage eine selbstmitleidige Nabelschau werden könnte, entwickelt sich allmählich und untergründig zum Erzähl- und Erinnerungskosmos, in dem sich die Situation der Erfahrung von Abwesenheit – nicht nur der Geliebten – als eine Art Versuchsanordnung darstellt.

    "Ich beginne das Haus aufzuräumen. Das Staubsaugerrohr in meiner Hand gibt mir das Gefühl, konkret zu sein. Es ist ein wenig so, als ob ich mich an ihm festhalten müsste, um sicher zu gehen, dass ich überhaupt da bin. Und es ist beinahe so, als ob schon das Bedürfnis, ein wenig Ordnung in meine kleine Welt zu bringen, als ob mich jede Ecke, die ich aufräume, tatsächlich ein wenig bestimmter machen könnte."

    Während der junge Mann versucht mit Alltagsritualen die Leere zu bekämpfen, stellen sich Gewissheiten als unzuverlässig heraus. Er fühlt sich weder stark noch erfolgreich genug für das Leben, das brüchig wird, gar zur Fiktion. Und irgendwann wird deutlich, wo der Erzähler eigentlich zuhause ist: in der Sprache, in einem anderen Deutsch, in Österreich, bei vergangenen Geliebten und Freunden, also immer wieder im Abwesenden.

    So taucht die Frage auf, ob es tatsächlich Laura ist, die er so vermisst, und nicht die Beziehung längst zu zerbrechen drohte. Spätestens an dieser Stelle geht die Saat der Zweifel auf, an der Sehnsucht, an der Sprache, selbst an der Glaubwürdigkeit des Erzählten.

    Wie ist es zur Wahl dieses Stoffes für das Debüt gekommen?

    "Na, ich sag mal, verlassen wurden wir im Leben alle schon mal, und verlassen haben wir auch alle schon mal, das Besondere daran ist, dass man, wenn man verlassen wird so ein bisschen zurückgeworfen wird auf sich selbst."

    "Smaler than life" war der Arbeitstitel des Romans – und so versucht der Held zwischen Selbstbeobachtung, philosophischen Überlegungen und Erinnerungen dem Strudel aus Selbstmitleid und Zweifel zu entkommen. Rückschläge sind dabei unvermeidlich: Als Laura ihm aus London schreibt, lässt er hoffnungsfroh und ängstlich den Brief tagelang liegen. Er schleicht um das Zeugnis ihrer Aufmerksamkeit, bis er ihn öffnet und die Mitteilung lesen muss, dass sie ihre Scheckkarte vergessen hat.

    Es wirkt wie eine Implosion. Er kommt in Bewegung, macht sich auf nach Berlin, wohnt bei Lauras Freundin und ehemaligen Mitbewohnerin. Zwar geht es ihm nicht sonderlich besser, aber er macht sich Luft, indem er bei einem Stück in der Volksbühne laut protestierend den Saal verlässt. Die Erinnerungen lassen sich dadurch nicht verändern.

    Dient die Erinnerung immer wieder der Selbstvergewisserung?

    "Ich denke schon, weil die Erinnerung ist eine Erklärung, ein Erklärungsversuch dafür, was die Person ist, die erzählt. Wir schöpfen unsere Identität zum Teil aus unserer Erinnerung oder aus unserer Vergangenheit konstruieren wir uns ein Bild davon, wer wir sind. Dieses Bild konstruiert sich die Person aber auch in dem Moment, in dem sie ist, klarerweise, und mit dem Ziel, dem fernen Sehnsuchtsziel – im Grunde Laura, oder die Beziehung gehalten werden von jemanden, und nicht irgendwo auf sich selbst gestellt zu sein, das ist der Sehnsuchtsort im Denken dieser Person, der sich aber im Laufe der Geschichte auflöst oder auch nicht, das ist nicht so ganz klar."

    Kurz entschlossen macht sich der Erzähler auf nach London. Doch was er sich als Sehnsuchtsziel ausgemalt hat, ist nur ein Ausschnitt, ein Stück Realität, die genauso Fiktion sein könnte, mit der sowohl Autor als auch Erzähler zu spielen beginnen. Genau dieses Spiel mit der Fiktion und der Frage, ob Laura überhaupt real ist, befähigt den Helden schließlich zu seiner Entwicklung.

    "Das ist eine Entwicklung, die er durchmacht, eine Entwicklung, die ihm eine gewisse Sicherheit in der Unsicherheit gibt. Das ist dieser österreichische Anteil in mir oder in meinen Texten, diese Unsicherheit zu ertragen, in ihr gewisse Selbstsicherheit, dass diese Unsicherheit gut ist, und dass es Schritte gibt, die auf dieses Verlassen Sein, oder auf dieses auf sich selbst zurückgeworfen sein folgen werden."

    Den Roman durchzieht die Ambivalenz eines österreichischen Melancholikers im deutschen Lebens- und Sprachraum, durchaus ähnlich zum Autor, zu dessen Selbstironie in der Sprache, die immer wiederkehrende Volten dreht, in Wiederholungen, die an Thomas Bernhard erinnern, und doch einen ganz eigenen Sound haben. Und wie geht es literarisch weiter?

    "Ja, es geht literarisch auf jeden Fall weiter, und ich hab das nächste Projekt schon im Kopf. Im Kopf heißt nicht von Anfang bis Ende. Es trägt sich so langsam in mir fort. Das Thema ist ein ähnliches: in 23 Tage geht es um eine Person, die sich zu klein für sein eigenes Leben fühlt, zu klein für die Anforderungen, die von außen an sie gestellt werden; quasi ein Antiheld, ein unterlebenskleiner, statt überlebensgroß. Und im nächsten Buch wird es auch um eine Person gehen, die sich mit diesen überlebensgroßen Figuren und der eigenen Position zu diesen Figuren auseinandersetzt, aber nicht in der Introspektion, wie in 23 Tage, oder nicht so sehr in der Introspektion, sondern diese Figur wird aktiv werden."

    Martin Mandler: "23 Tage", Luftschachtverlag, Wien. 2011
    144 Seiten, 18,50 Euro.