Nackter Affe oder Intelligenzbestie – Was unterscheidet den Menschen vom Tier?
"Alle Primaten haben das ausgeprägteste Sozialverhalten. Kommunikation das machen auch Äffchen im Urwald. Fähigkeit zu kulturellem Verhalten, das haben die Schimpansen schon längst; es gibt keine Grenze, wo man plötzlich sagen kann, da ist der Mensch!"
Der Paläoanthropologe Professor Friedemann Schrenk.
Herr und Gescherr – Wie gehen wir mit Tieren um?
"Tiere sind Objekte unseres Willens, Mittel unserer Zwecke, und wo sie dies nicht sind, gelten sie als böse oder überflüssig, als Bestien oder Ungeziefer."
Der Kulturwissenschaftler Professor Hartmut Böhme.
Götter, Gefährten und Geliebte – Welche emotionale Beziehung gibt es zwischen Menschen und Tieren?
"Ich lebe selbst mit zwei Katzen, einem Hund und einer Schlange zusammen, und ich weiß, wie bedeutend mir diese Nähe dieser Tiere ist, man lebt ja auch in einer dauernden Kommunikation mit diesen Tieren, und es ist ganz sicher, dass in dem Tier und im Zusammenleben mit dem Tier auch Sehnsüchte, Liebessehnsüchte realisiert werden und ich finde das durchaus akzeptabel."
Der Sozialwissenschaftler Professor Christoph Wulf.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist Gegenstand verschiedener Forschungsrichtungen. Fragen der Abgrenzung zum Beispiel fallen zunächst in den Bereich der Anthropologie, der menschlichen Entwicklungsgeschichte - als Teil der Biologie:
Denn bis vor etwa sieben Millionen Jahren gab es nur Tiere auf der Erde. Dann erst begann sich die Gattung "Mensch" zu entwickeln, mit vielen Übergangsphasen von "Affenmenschen" und "Menschenaffen".
"Der Beginn der Menschwerdung war nicht das große Gehirn. Der Beginn der Menschwerdung war der aufrechte Gang ... "
... erklärt der Frankfurter Anthropologe Friedemann Schrenk. Dadurch wurden die Hände frei für den Werkzeuggebrauch. Die so genannte "kulturelle Evolution" zum "homo sapiens" setzte ein.
"Wenn Sie so wollen, ist das der Beginn einer Unabhängigkeit von der Umwelt, das erste Mal vor zweieinhalb Millionen Jahren, gleichzeitig Beginn der externen Informationsspeicherung, also im Sinne einer Speicherung dessen, was nun mit den Werkzeugen gemacht werden kann, außerdem der Transport von Information, der geht ja nun in der Kultur über die Sprache, d.h. also, mit Verfeinerung der Werkzeuge muss die Sprache sich entwickelt haben. "
Aber mit der endgültigen Ausbildung des homo sapiens war das Verhältnis zum Tier noch längst nicht geklärt. Wissenschaftlich sind jetzt allerdings eher die verschiedenen Kulturwissenschaften zuständig, wie zum Beispiel Christoph Wulf vom Berliner Zentrum für historische Anthropologie:
"Dort ist die Ausgangsfrage: Was ist das Spezifische des Menschen? Denken Sie daran, dass bei den Griechen oft Tiermenschen dargestellt wurden, Monster, und man kann das durchaus als Ausdruck des Ringens des Menschen um seine Identität als Mensch begreifen. "
Unter dem Einfluss des Christentums hat dann insbesondere die abendländische Kultur die Grenze zum Tier scharf gezogen: der Mensch als "Krone der Schöpfung" – einigartig und überlegen. Aber im Licht moderner Wissenschaften wird diese Abgrenzung wieder schwieriger:
Wir wissen heute, dass einige Tierarten eine differenzierte Sprache haben – Delphine etwa. Menschenaffen entwickeln komplizierte Sozialstrukturen, sie gebrauchen Werkzeuge und haben offenbar sogar ein Selbst-Bewusstsein, wie so genannte "Spiegeltests" zeigen.
Und selbst die Frage, ob Tiere Kultur haben, scheint geklärt:
"Wenn man Kultur begreift als das, was eine Gattung lernt und weitergeben kann an die nächste Generation, dann besteht gar kein Zweifel, dass Tiere auch Kultur haben, denn ganz vieles lernen sie.
Im kulturellen Selbstverständnis der Menschen hat sich die scharfe Trennung zwischen Mensch und Tier ohnehin nie ganz durchgesetzt. Unzählige Rituale, Mythen und Märchen erzählen von Grenzüberschreitungen. Spuren davon findet man bis heute in unserer Sprache, etwa, wenn wir einen Mörder "Bestie" nennen, weil er ohne menschliche Moral tötet. Oder einer übereifrigen Mutter "Affenliebe" bescheinigen.
Besonders deutlich zeigte und zeigt sich die Ambivalenz im praktischen Umgang mit Tieren...
Die so genannten Wildbeuterkulturen der Steinzeit waren zoozentrisch, drehten sich ganz ums Tier: Der Mensch erlebte sich als Teil der Tierwelt, als einer von vielen, die Jagd aufeinander machen. Dann wurden Tiere gezähmt und zur Nutzung gezüchtet. Der Mensch war nun per se – nicht erst nach erfolgreicher Jagd – Herr über das Tier.
Aber weil Nutz-Tiere den Menschen die Arbeit erleichterten und sie ernährten, wurden sie jahrtausendelang pfleglich und sogar mit gewisser Dankbarkeit und Rücksicht behandelt – vor allem in Opferritualen. Beispiele dafür entdecken Ethnologen immer wieder bei Naturvölkern.
"Um das Weiterbestehen der Jagdtiere beispielsweise zu gewährleisten, muss man natürlich dafür sorgen, dass auch im nächsten Jahr die Tiere wiederkommen. Und das hängt natürlich mit bestimmten Glaubensvorstellungen und Ritualen zusammen, wenn man glaubt, die Bisons kommen nur dann, wenn man bestimmte Rituale aufführt, beispielsweise den Bisontanz, dann muss man auch dafür sorgen, dass man die Bisons gut behandelt, um sie dann zu motivieren, ihr Leben für das Fortbestehen der Menschen zu opfern. "
Spuren davon finden sich aber auch in unserer Kultur, bis heute, etwa bei ländlichen Schlachtfesten.
Ansonsten war hier die Nutzung der Tiere vor allem auch kulturell bedeutsam, als "sozialer Marker", berichtet Professor Hartmut Böhme, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Unversität Berlin bei einem Vortrag.
"Wer welches Tier jagen durfte, wer wie schlachten musste, wer dominante Beziehungen entweder zu Paarhufern oder dem einhufigen Pferd hatte, wer mit Luft-, Wasser- oder Landtieren, wer mit Kleintieren oder mit Großtieren zu tun hatte oder wer gar priesterliche Hoheit über Tiere inne hatte, dies trug erheblich zur sozialen Binnendifferenzierung der Kulturen bei. < Männer und Frauen, Krieger, Bauern und Hirten, Adel und Priester, Herrscher und Götter sind immer auch charakterisiert durch jeweils privilegierte oder limitierte Tierbeziehungen."
Aber auch die problematische Seite der Mensch-Tier-Nutzen-Beziehung war schon sehr früh Teil des kulturellen Bewusstseins. Im 10. Jahrhundert beschreibt eine arabische Philosophenschrift einen "Prozess der Tiere gegen die Menschengattung":
"Mit schlagenden Argumenten enthüllen die Tiere die Brutalität und Herrschsucht, den Egoismus und die fehlende Legitimität des Menschen. Alle Formen der gewaltsamern Unterwerfung der Tiere werden angesprochen – 10.Jahrhundert! Das Töten zum Zweck der Ernährung, die blutige Jagd, ihre Gefangenschaft, ihr Leiden unter dem Joch der Zwangsarbeit, die Brutalität der Strafen, die Verwendung ihrer Häute, Hörner und Felle für Bekleidung, Schmuck, Gerät, ihre Abrichtung für menschliche Vergnügungen und so weiter. "
Insbesondere die modernen westlichen Kulturen sind diesen Weg der exzessiven Tiernutzung weiter gegangen:
Der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch steigt ständig an. Derzeit verzehrt statistisch gesehen jeder EU-Bürger vom Baby bis zum Greis fast 100 Kilo jährlich. Die Menschheit hält sich 20 Milliarden Nutztiere – größtenteils in den entwickelten Ländern und zumeist unter unvorstellbaren Bedingungen.
Das aber will der einzelne Mensch nicht wirklich zur Kenntnis nehmen...
"Das Bewusstsein ist in der Öffentlichkeit noch außerordentlich unterentwickelt, da wird zwar immer gesagt "ach, das arme Tier!" und meistens denkt man dabei an den Dackel und an die Katze zuhause, zu der man eine persönliche Beziehung hat, aber das Nutztier, was in den Ställen hinter den verschlossenen Türen der hochintensiven Landwirtschaft unsichtbar geworden ist heutzutage, darüber ist man nicht bereit nachzudenken, ...
... sagt ausgerechnet der Metzgermeister und Unternehmer Karl-Ludwig Schweisfurth. Ein "Geläuterter", der heute nach den Regeln der ökologischen Landwirtschaft arbeitet. Er wirbt, auch mit seiner Stiftung, für eine Art von Naturphilosophie und insbesondere für einen "humanen Umgang mit Tieren" - ohne Sentimentalität, aber getragen von einer Wertschätzung gegenüber dem Tier und eben einem geschärften Bewusstsein:
" Man muss einfach mal selber durch einen Gang gegangen sein, wo in vier Etagen Hühner in den Käfigen sitzen, man muss das mit all seinen Sinnesorganen selber erlebt haben, ich bin (dann) in Schweineställe hineingekommen mit 5 oder 7000 Schweinen, man muss gerochen haben, wie es da riecht, man muss gesehen haben, wie die Kälber in ihren Boxen sitzen, das ist doch eigentlich Frevel, was wir da tun, und Dummheit ist es nämlich auch. Wir werden dicke Schläge zurück kriegen und BSE war erst die erste große Warnung der Natur. Man kann auf die Dauer nicht gegen die Natur arbeiten, man kann ein Tier, ein Geschöpf nicht dauerhaft gegen seine eigene Natur halten, ernähren, zu Höchstleistungen zwingen, das kommt auf uns zurück. "
Inzwischen geht es aber längst nicht mehr nur um Nutzung von Tieren als Nahrung. Es gibt fast kein Tier mehr auf der Welt, das nicht von irgendjemandem für irgendetwas "verbraucht" wird.
Selbst winzige Insekten sind nützlich, weil sie Substanzen für neue Medikamente enthalten. Schweine werden zur Organtransplantation gezüchtet, Versuchstiere sind in der medizinischen Forschung unerlässlich. Zum Teil werden Tiere inzwischen per Gesetz vor dem mörderischen menschlichen Zugriff geschützt: Im Juni 2002 wurde beispielsweise der Tierschutz ins deutsche Grundgesetz aufgenommen.
Gesetze sind gut, können aber die Probleme im Umgang von Mensch und Tier nicht endgültig lösen. Denn der ist im wesentlichen nicht rational, sondern von Gefühlen bestimmt. Hier wirken biologische und psychologische Mechanismen:
Evolutionäres Erbe ist vor allem die Wirkung des "Kindchenschemas", nach dem Mensch und Tier fast unwillkürlich freundlich auf Babys jeder Art reagieren. Überhaupt erscheinen uns "Gesichtstiere", die also eine Mimik zeigen, sympathischer als "gesichtslose", etwa Fische. Für "leidensfähiger" halten wir Tiere, die uns vermeintlich nahe stehen: Affen, Hunde, Katzen oder Pferde – mehr als Hühner oder Schweine. Und als "schützenswert" gelten solche, die faszinierend exotisch oder schön sind. Der Rest sind Angst machende Bestien oder ekliges "Ungeziefer".
Ein besonders emotionales Verhältnis - fast "auf Augenhöhe" - pflegen viele Menschen bis heute mit dem Hund. Da lässt sich sogar der Wissenschaftler hinreißen. Christoph Wulf:
" Was fasziniert mich an meinem Hund? Das ist einmal die Freude, die Unmittelbarkeit, mit der das Tier mir immer entgegen geht. Die Freude, wenn ich mit ihm laufen geh, oder die Freude, wenn ich von einer Reise zurückkomme, oder auch diese Gestimmtheit. Man spürt, dass der Hund mit einem lebt, wenn man spricht, der hört zu. Er versteht natürlich nicht wie ein Mensch, aber er spürt Atmosphären. Und er kann einem manchmal auch Spannungen, innere Spannungen wegnehmen, wenn man ihn streichelt, wenn man ihn sieht, wenn man sieht wie wenig er für viele dieser Dinge empfänglich ist, unter denen wir leiden. Und mit welcher Souveränität er in einer bestimmten Weise lebt. "
Der Grund, warum der Hund sich als Gefährte besonders gut eignet, liegt in seiner Wolfsnatur: der Wolf ist ein äußerst soziales, anpassungsfähiges Tier und kann als Ersatz für Fehlendes herhalten: Die reiche, aber wenig attraktive Dame zieht bewundernde Blicke auf sich, wenn sie mit ihrem schönen Rassehund spazieren geht. Der arbeitslose, vom Leben Benachteiligte kann immer noch jemandem Angst einjagen mit seinem gefährlichen Kampfhund.
" Es ist ganz sicher, dass sehr viele Bedürfnisse auf Tiere projiziert werden, und Tiere können die erfüllen. Ich kenne sehr viele Fälle, wo Tiere Menschen, die krank sind beispielsweise, ganz wesentlich helfen, dadurch dass sie lebendig sind, dass sie sich streicheln lassen, dass sie da sind. Und ich würde das erstmal positiv sehen. "
In der Tat ist für viele Menschen Hund, Katze oder Wellensittich das einzige lebendige Wesen, zu dem sie überhaupt Kontakt haben. Allerdings hat der Umgang mit unseren tierischen Freunden – zumindest in der westlichen Zivilisation – teilweise recht bizarre Formen angenommen:
Es gibt Winterkleidung für die Felltiere; Futter wird gekocht oder fein gehackt und mit gewaschener Petersilie garniert, und hinterher gibt es Zahnpasta gegen den Mundgeruch; schließlich werden Hunde von Menschen geküsst und mit ins Bett genommen; Tierfriedhöfe sind aufwendiger geschmückt als manches Menschengrab. Der Umgang mit Tieren ist eben immer auch Spiegel der Gesellschaft.
Seit der Mensch sich aus dem tier entwickelt und die Herrschaft darüber erlangt hat, manipuliert er an ihm herum: Er hat aus dem Wolf einen sabbernden Pekinesen gemacht, aus dem haarigen Rindvieh eine Turbo-Kuh, aus dem gemeinen Hausschwein ein potentielles Ersatzteillager für menschliche Organe. Und mit Klonschaf Dolly ist er möglicherweise dem Geheimnis ewigen Lebens auf der Spur. Schlechte Zeiten – für Tiere – möchte man meinen.
Und doch lässt gerade der naturwissenschaftliche Fortschritt den Kulturwissenschaftler - und Tierfreund - auch hoffen. Professor Christoph Wulf vom Berliner Zentrum für historische Anthropologie:
" In den Biowissenschaften betont man sehr klar, dass wir im Hinblick auf die Gene 99 Prozent der Gene mit den Schimpansen teilen und auch noch irgendwie 83 oder 84 Prozent mit den Mäusen und ähnliches. Und das bedeutet dann auch, dass wir möglicherweise wirklich ein grundlegend anderes Verhältnis zum Tier bekommen, als das in den letzten 200 Jahren der Fall war.
"Alle Primaten haben das ausgeprägteste Sozialverhalten. Kommunikation das machen auch Äffchen im Urwald. Fähigkeit zu kulturellem Verhalten, das haben die Schimpansen schon längst; es gibt keine Grenze, wo man plötzlich sagen kann, da ist der Mensch!"
Der Paläoanthropologe Professor Friedemann Schrenk.
Herr und Gescherr – Wie gehen wir mit Tieren um?
"Tiere sind Objekte unseres Willens, Mittel unserer Zwecke, und wo sie dies nicht sind, gelten sie als böse oder überflüssig, als Bestien oder Ungeziefer."
Der Kulturwissenschaftler Professor Hartmut Böhme.
Götter, Gefährten und Geliebte – Welche emotionale Beziehung gibt es zwischen Menschen und Tieren?
"Ich lebe selbst mit zwei Katzen, einem Hund und einer Schlange zusammen, und ich weiß, wie bedeutend mir diese Nähe dieser Tiere ist, man lebt ja auch in einer dauernden Kommunikation mit diesen Tieren, und es ist ganz sicher, dass in dem Tier und im Zusammenleben mit dem Tier auch Sehnsüchte, Liebessehnsüchte realisiert werden und ich finde das durchaus akzeptabel."
Der Sozialwissenschaftler Professor Christoph Wulf.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist Gegenstand verschiedener Forschungsrichtungen. Fragen der Abgrenzung zum Beispiel fallen zunächst in den Bereich der Anthropologie, der menschlichen Entwicklungsgeschichte - als Teil der Biologie:
Denn bis vor etwa sieben Millionen Jahren gab es nur Tiere auf der Erde. Dann erst begann sich die Gattung "Mensch" zu entwickeln, mit vielen Übergangsphasen von "Affenmenschen" und "Menschenaffen".
"Der Beginn der Menschwerdung war nicht das große Gehirn. Der Beginn der Menschwerdung war der aufrechte Gang ... "
... erklärt der Frankfurter Anthropologe Friedemann Schrenk. Dadurch wurden die Hände frei für den Werkzeuggebrauch. Die so genannte "kulturelle Evolution" zum "homo sapiens" setzte ein.
"Wenn Sie so wollen, ist das der Beginn einer Unabhängigkeit von der Umwelt, das erste Mal vor zweieinhalb Millionen Jahren, gleichzeitig Beginn der externen Informationsspeicherung, also im Sinne einer Speicherung dessen, was nun mit den Werkzeugen gemacht werden kann, außerdem der Transport von Information, der geht ja nun in der Kultur über die Sprache, d.h. also, mit Verfeinerung der Werkzeuge muss die Sprache sich entwickelt haben. "
Aber mit der endgültigen Ausbildung des homo sapiens war das Verhältnis zum Tier noch längst nicht geklärt. Wissenschaftlich sind jetzt allerdings eher die verschiedenen Kulturwissenschaften zuständig, wie zum Beispiel Christoph Wulf vom Berliner Zentrum für historische Anthropologie:
"Dort ist die Ausgangsfrage: Was ist das Spezifische des Menschen? Denken Sie daran, dass bei den Griechen oft Tiermenschen dargestellt wurden, Monster, und man kann das durchaus als Ausdruck des Ringens des Menschen um seine Identität als Mensch begreifen. "
Unter dem Einfluss des Christentums hat dann insbesondere die abendländische Kultur die Grenze zum Tier scharf gezogen: der Mensch als "Krone der Schöpfung" – einigartig und überlegen. Aber im Licht moderner Wissenschaften wird diese Abgrenzung wieder schwieriger:
Wir wissen heute, dass einige Tierarten eine differenzierte Sprache haben – Delphine etwa. Menschenaffen entwickeln komplizierte Sozialstrukturen, sie gebrauchen Werkzeuge und haben offenbar sogar ein Selbst-Bewusstsein, wie so genannte "Spiegeltests" zeigen.
Und selbst die Frage, ob Tiere Kultur haben, scheint geklärt:
"Wenn man Kultur begreift als das, was eine Gattung lernt und weitergeben kann an die nächste Generation, dann besteht gar kein Zweifel, dass Tiere auch Kultur haben, denn ganz vieles lernen sie.
Im kulturellen Selbstverständnis der Menschen hat sich die scharfe Trennung zwischen Mensch und Tier ohnehin nie ganz durchgesetzt. Unzählige Rituale, Mythen und Märchen erzählen von Grenzüberschreitungen. Spuren davon findet man bis heute in unserer Sprache, etwa, wenn wir einen Mörder "Bestie" nennen, weil er ohne menschliche Moral tötet. Oder einer übereifrigen Mutter "Affenliebe" bescheinigen.
Besonders deutlich zeigte und zeigt sich die Ambivalenz im praktischen Umgang mit Tieren...
Die so genannten Wildbeuterkulturen der Steinzeit waren zoozentrisch, drehten sich ganz ums Tier: Der Mensch erlebte sich als Teil der Tierwelt, als einer von vielen, die Jagd aufeinander machen. Dann wurden Tiere gezähmt und zur Nutzung gezüchtet. Der Mensch war nun per se – nicht erst nach erfolgreicher Jagd – Herr über das Tier.
Aber weil Nutz-Tiere den Menschen die Arbeit erleichterten und sie ernährten, wurden sie jahrtausendelang pfleglich und sogar mit gewisser Dankbarkeit und Rücksicht behandelt – vor allem in Opferritualen. Beispiele dafür entdecken Ethnologen immer wieder bei Naturvölkern.
"Um das Weiterbestehen der Jagdtiere beispielsweise zu gewährleisten, muss man natürlich dafür sorgen, dass auch im nächsten Jahr die Tiere wiederkommen. Und das hängt natürlich mit bestimmten Glaubensvorstellungen und Ritualen zusammen, wenn man glaubt, die Bisons kommen nur dann, wenn man bestimmte Rituale aufführt, beispielsweise den Bisontanz, dann muss man auch dafür sorgen, dass man die Bisons gut behandelt, um sie dann zu motivieren, ihr Leben für das Fortbestehen der Menschen zu opfern. "
Spuren davon finden sich aber auch in unserer Kultur, bis heute, etwa bei ländlichen Schlachtfesten.
Ansonsten war hier die Nutzung der Tiere vor allem auch kulturell bedeutsam, als "sozialer Marker", berichtet Professor Hartmut Böhme, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Unversität Berlin bei einem Vortrag.
"Wer welches Tier jagen durfte, wer wie schlachten musste, wer dominante Beziehungen entweder zu Paarhufern oder dem einhufigen Pferd hatte, wer mit Luft-, Wasser- oder Landtieren, wer mit Kleintieren oder mit Großtieren zu tun hatte oder wer gar priesterliche Hoheit über Tiere inne hatte, dies trug erheblich zur sozialen Binnendifferenzierung der Kulturen bei. < Männer und Frauen, Krieger, Bauern und Hirten, Adel und Priester, Herrscher und Götter sind immer auch charakterisiert durch jeweils privilegierte oder limitierte Tierbeziehungen."
Aber auch die problematische Seite der Mensch-Tier-Nutzen-Beziehung war schon sehr früh Teil des kulturellen Bewusstseins. Im 10. Jahrhundert beschreibt eine arabische Philosophenschrift einen "Prozess der Tiere gegen die Menschengattung":
"Mit schlagenden Argumenten enthüllen die Tiere die Brutalität und Herrschsucht, den Egoismus und die fehlende Legitimität des Menschen. Alle Formen der gewaltsamern Unterwerfung der Tiere werden angesprochen – 10.Jahrhundert! Das Töten zum Zweck der Ernährung, die blutige Jagd, ihre Gefangenschaft, ihr Leiden unter dem Joch der Zwangsarbeit, die Brutalität der Strafen, die Verwendung ihrer Häute, Hörner und Felle für Bekleidung, Schmuck, Gerät, ihre Abrichtung für menschliche Vergnügungen und so weiter. "
Insbesondere die modernen westlichen Kulturen sind diesen Weg der exzessiven Tiernutzung weiter gegangen:
Der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch steigt ständig an. Derzeit verzehrt statistisch gesehen jeder EU-Bürger vom Baby bis zum Greis fast 100 Kilo jährlich. Die Menschheit hält sich 20 Milliarden Nutztiere – größtenteils in den entwickelten Ländern und zumeist unter unvorstellbaren Bedingungen.
Das aber will der einzelne Mensch nicht wirklich zur Kenntnis nehmen...
"Das Bewusstsein ist in der Öffentlichkeit noch außerordentlich unterentwickelt, da wird zwar immer gesagt "ach, das arme Tier!" und meistens denkt man dabei an den Dackel und an die Katze zuhause, zu der man eine persönliche Beziehung hat, aber das Nutztier, was in den Ställen hinter den verschlossenen Türen der hochintensiven Landwirtschaft unsichtbar geworden ist heutzutage, darüber ist man nicht bereit nachzudenken, ...
... sagt ausgerechnet der Metzgermeister und Unternehmer Karl-Ludwig Schweisfurth. Ein "Geläuterter", der heute nach den Regeln der ökologischen Landwirtschaft arbeitet. Er wirbt, auch mit seiner Stiftung, für eine Art von Naturphilosophie und insbesondere für einen "humanen Umgang mit Tieren" - ohne Sentimentalität, aber getragen von einer Wertschätzung gegenüber dem Tier und eben einem geschärften Bewusstsein:
" Man muss einfach mal selber durch einen Gang gegangen sein, wo in vier Etagen Hühner in den Käfigen sitzen, man muss das mit all seinen Sinnesorganen selber erlebt haben, ich bin (dann) in Schweineställe hineingekommen mit 5 oder 7000 Schweinen, man muss gerochen haben, wie es da riecht, man muss gesehen haben, wie die Kälber in ihren Boxen sitzen, das ist doch eigentlich Frevel, was wir da tun, und Dummheit ist es nämlich auch. Wir werden dicke Schläge zurück kriegen und BSE war erst die erste große Warnung der Natur. Man kann auf die Dauer nicht gegen die Natur arbeiten, man kann ein Tier, ein Geschöpf nicht dauerhaft gegen seine eigene Natur halten, ernähren, zu Höchstleistungen zwingen, das kommt auf uns zurück. "
Inzwischen geht es aber längst nicht mehr nur um Nutzung von Tieren als Nahrung. Es gibt fast kein Tier mehr auf der Welt, das nicht von irgendjemandem für irgendetwas "verbraucht" wird.
Selbst winzige Insekten sind nützlich, weil sie Substanzen für neue Medikamente enthalten. Schweine werden zur Organtransplantation gezüchtet, Versuchstiere sind in der medizinischen Forschung unerlässlich. Zum Teil werden Tiere inzwischen per Gesetz vor dem mörderischen menschlichen Zugriff geschützt: Im Juni 2002 wurde beispielsweise der Tierschutz ins deutsche Grundgesetz aufgenommen.
Gesetze sind gut, können aber die Probleme im Umgang von Mensch und Tier nicht endgültig lösen. Denn der ist im wesentlichen nicht rational, sondern von Gefühlen bestimmt. Hier wirken biologische und psychologische Mechanismen:
Evolutionäres Erbe ist vor allem die Wirkung des "Kindchenschemas", nach dem Mensch und Tier fast unwillkürlich freundlich auf Babys jeder Art reagieren. Überhaupt erscheinen uns "Gesichtstiere", die also eine Mimik zeigen, sympathischer als "gesichtslose", etwa Fische. Für "leidensfähiger" halten wir Tiere, die uns vermeintlich nahe stehen: Affen, Hunde, Katzen oder Pferde – mehr als Hühner oder Schweine. Und als "schützenswert" gelten solche, die faszinierend exotisch oder schön sind. Der Rest sind Angst machende Bestien oder ekliges "Ungeziefer".
Ein besonders emotionales Verhältnis - fast "auf Augenhöhe" - pflegen viele Menschen bis heute mit dem Hund. Da lässt sich sogar der Wissenschaftler hinreißen. Christoph Wulf:
" Was fasziniert mich an meinem Hund? Das ist einmal die Freude, die Unmittelbarkeit, mit der das Tier mir immer entgegen geht. Die Freude, wenn ich mit ihm laufen geh, oder die Freude, wenn ich von einer Reise zurückkomme, oder auch diese Gestimmtheit. Man spürt, dass der Hund mit einem lebt, wenn man spricht, der hört zu. Er versteht natürlich nicht wie ein Mensch, aber er spürt Atmosphären. Und er kann einem manchmal auch Spannungen, innere Spannungen wegnehmen, wenn man ihn streichelt, wenn man ihn sieht, wenn man sieht wie wenig er für viele dieser Dinge empfänglich ist, unter denen wir leiden. Und mit welcher Souveränität er in einer bestimmten Weise lebt. "
Der Grund, warum der Hund sich als Gefährte besonders gut eignet, liegt in seiner Wolfsnatur: der Wolf ist ein äußerst soziales, anpassungsfähiges Tier und kann als Ersatz für Fehlendes herhalten: Die reiche, aber wenig attraktive Dame zieht bewundernde Blicke auf sich, wenn sie mit ihrem schönen Rassehund spazieren geht. Der arbeitslose, vom Leben Benachteiligte kann immer noch jemandem Angst einjagen mit seinem gefährlichen Kampfhund.
" Es ist ganz sicher, dass sehr viele Bedürfnisse auf Tiere projiziert werden, und Tiere können die erfüllen. Ich kenne sehr viele Fälle, wo Tiere Menschen, die krank sind beispielsweise, ganz wesentlich helfen, dadurch dass sie lebendig sind, dass sie sich streicheln lassen, dass sie da sind. Und ich würde das erstmal positiv sehen. "
In der Tat ist für viele Menschen Hund, Katze oder Wellensittich das einzige lebendige Wesen, zu dem sie überhaupt Kontakt haben. Allerdings hat der Umgang mit unseren tierischen Freunden – zumindest in der westlichen Zivilisation – teilweise recht bizarre Formen angenommen:
Es gibt Winterkleidung für die Felltiere; Futter wird gekocht oder fein gehackt und mit gewaschener Petersilie garniert, und hinterher gibt es Zahnpasta gegen den Mundgeruch; schließlich werden Hunde von Menschen geküsst und mit ins Bett genommen; Tierfriedhöfe sind aufwendiger geschmückt als manches Menschengrab. Der Umgang mit Tieren ist eben immer auch Spiegel der Gesellschaft.
Seit der Mensch sich aus dem tier entwickelt und die Herrschaft darüber erlangt hat, manipuliert er an ihm herum: Er hat aus dem Wolf einen sabbernden Pekinesen gemacht, aus dem haarigen Rindvieh eine Turbo-Kuh, aus dem gemeinen Hausschwein ein potentielles Ersatzteillager für menschliche Organe. Und mit Klonschaf Dolly ist er möglicherweise dem Geheimnis ewigen Lebens auf der Spur. Schlechte Zeiten – für Tiere – möchte man meinen.
Und doch lässt gerade der naturwissenschaftliche Fortschritt den Kulturwissenschaftler - und Tierfreund - auch hoffen. Professor Christoph Wulf vom Berliner Zentrum für historische Anthropologie:
" In den Biowissenschaften betont man sehr klar, dass wir im Hinblick auf die Gene 99 Prozent der Gene mit den Schimpansen teilen und auch noch irgendwie 83 oder 84 Prozent mit den Mäusen und ähnliches. Und das bedeutet dann auch, dass wir möglicherweise wirklich ein grundlegend anderes Verhältnis zum Tier bekommen, als das in den letzten 200 Jahren der Fall war.