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Von Arabidopsis bis Zeta-Funktion

Am 3. April 1989 wurde die erste Sendung von "Forschung aktuell" ausgestrahlt. Grund genug, zum 20. Geburtstag die Entwicklung Revue passieren zu lassen. Eigentlich ist die Forschung das bunteste aller Ressorts, denn erforscht wird so gut wie alles. Dennoch waren sich selbst die Beteiligten beim Start der Sendung "Forschung aktuell" nicht sicher, ob sie die vorgesehenen 30 Minuten pro Tag sinnvoll und unterhaltsam würden füllen können.

Von Mathias Schulenburg | 29.03.2009
    "Ten, nine, ignition sequence starts…"

    "Three ... two ... one ... zero ... lift off! We have a lift off!"

    Gut, die Mondlandung haben wir nicht mehr mitbekommen, ansonsten aber konnten wir über fast alles berichten, was zwischen 1989 und heute das Adjektiv "wissenschaftlich" verdiente – oder, selten, eher nicht.

    Für die auf Betreiben des damaligen Wissenschaftsredakteurs Edgar Forschbach beschlossene Sendung – dreißig Minuten, jeden Tag! – schwärmten Dutzende Reporter aus, die Äußerungen hochrangiger Wissenschaftler zu sichern, Geräusche aus aller Welt zu sammeln, oder auch Politikern zuzuhören, die offenbar wussten, was sie sagten, wie – im Gründungsjahr 1989 – der damalige Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle, in Lindau am Bodensee

    "Politik und Wissenschaft sind also für die Fortentwicklung einer Gesellschaft unentbehrlich, sie leben aber in einem Spannungszustand."

    Ignaz Kiechle watschte in einem glänzenden Vortrag die beim traditionellen Nobelpreisträgertreffen versammelten Gelehrten ab, die er – mit einigem Fug – für das von amerikanischen Konzernen damals heftig propagierte gentechnisch erzeugte Rinderwachstumshormon Bovine Growth Hormone, BGH, verantwortlich machte. Die Damen und Herren mögen bitte Sinnvolleres erfinden, und:

    "Nicht alles, was wissenschaftlich machbar erscheint, sollte man auch tun."

    Das Gründungsjahr von "Forschung aktuell" sah einen Nobelpreis für Hans Georg Dehmelt und Wolfgang Paul wegen der Entwicklung von Methoden zur Isolierung von Atomen und subatomaren Partikeln; Wissenschaftler des Europäischen Kernforschungszentrums Cern entwickelten das World Wide Web und dann – entfaltete sich ein ziemlich blamables Thema, für die Wissenschaft wie die Berichterstattung: Pons und Fleischmann stellten ihre Experimente zur "Kalten Fusion" vor, die für viel medialen Wirbel sorgten, sich aber nicht reproduzieren ließen. Die damalige Rundfunktechnik, erinnert sich Uli Blumenthal, heute Leiter der Forschungsredaktion, war nach heutigen Maßstäben archaisch:

    "Wir hatten Bandmaschinen, da war der Tonkopf anders als im Studio auf der anderen Seite, dann wurde das Band gedreht, was häufig dazu führte, dass, wenn wir in die Sendung kamen, wir die Bänder vergessen hatten wieder zurück zu drehen, dann sendeten wir häufig Beiträge, wenn Ihr euch erinnert, die dann letztlich Hinterband abgespielt wurden, und legendär ist ja auch einer der liebevollen Rufe, die, Gerd, Dir vorauseilen oder hinterher eilen: Gerd hörte Beiträge in seinem Zimmer ab und wenn der Beitrag 4 Minuten 10 war, dann wurde angehalten und dann wurde das Band in die Schere gelegt und Schnips gemacht und dann war der Beitrag eben einfach zu Ende!"

    "Ja, hier Gerd Pasch beim Deutschlandfunk in Köln"

    1990 überstieg die Zahl der Menschen auf der Erde fünf Milliarden; der Weltenergieverbrauch kletterte auf 80 Milliarden Megawatt und das Human Genom Projekt begann mit der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes.

    Im Im Jahr 1991 wurde die Minidisk vorgestellt, die sich auch im Rundfunk großer Beliebtheit erfreuen sollte; Gerd Pasch und Wolfgang Noelke, Forschung-aktuell-Mitarbeiter der ersten Stunde:

    "Ich erinnere mich noch, wie Du mit dem ersten Minidisk-Rekorder im Studio warst, also das war eine Riesensensation, dass es so etwas überhaupt gab, in so einer kleinen Diskette, die da reingeschoben wurde."

    "Oder wir haben Funktelefone ausprobiert auf der Ostsee: Wie weit geht die Reichweite in dem C-Netz. Und haben das dann auch live übertragen – fast so legendär wie vor 80 Jahren die erste Funkfernübertragung von Berlin nach Batavia in Indonesien."

    "Ich war ja zur ersten Volkskammerwahl in Suhl, da war das zentrale Rechenzentrum, wo also die Wahlergebnisse ausgerechnet wurden und das lag so ein bisschen im Tal und ich musste also mit einem Wagen rauf fahren auf einen Berg, damit ich mit dem C-Netz-Telefon und einer Richtantenne, die 16 Dezibel Gewinn machte, da konnte ich dann einen bayerischen Fernsehturm erreichen um den Bericht loszuwerden."

    Die immer bessere Elektronik machte erste Scheinwelten möglich. Der amerikanische Pionier Tom Furness zeigte in Bochum deutschen Akustikern, wie man die Aufmerksamkeit eines gestressten Piloten bekommt – mit der perfekt simulierten Stimme von dessen Tochter:

    "Daddy, Dein rechtes Triebwerk brennt"

    Gary-Larson-Cartoons begannen massenhaft in die Labors einzuziehen, vermenschlichten die Wissenschaft und versöhnten sie mit der Religion. Die hatte in den USA strenge Züge angenommen; die Evolution wurde geleugnet. Larson, um Versöhnung bemüht, zeigte Gott als kleinen Jungen, wie er sich an der Kreation eines Huhns versucht. Zugleich achtete der Cartoonist streng darauf, dass der Schöpfer in den von ihm dargestellten Wettbewerben immer die meisten Punkte erhielt. An der Gegenwart gemessen, sagt Uli Blumenthal, seien die Anfangsjahre durchaus idyllisch gewesen:

    "Was aber, denke ich, eine ganz, ganz wichtige Sache ist, über die wir auch immer diskutieren, ist, dass das Feld unserer Berichterstattung, die Wissenschaft, viel stärker von Interessen, von Lobbyisten, von Leuten, die irgendwelche Absichten haben, von Geld natürlich, von Zuweisungen, von Projekten bestimmt wird – das war in den ersten Jahren, 3-, 2-, 91 gar nicht so der Fall. Da waren wir wahrscheinlich auch viel zu jungfräulich, um darüber nachzudenken, da hatten wir viel zu viel Sorge, dass wir unser Programm nicht voll kriegen, aber das ist natürlich viel stärker jetzt in der Welt, auch unser Thema, dass wir schauen, wer hat welche Interessen."

    Das wurde besonders deutlich, als Jahre nach der Aufregung um die Kalte Fusion eine weitere ungewöhnliche Fusionsvariante von sich reden machte, die ebenfalls umstritten war und ist: Die Sono-Fusion oder Blasenfusion. Ein heftig kritisierter Vertreter dieser Disziplin: Rusi Taleyarkhan, Professor an der Purdue-Universität. Forschung aktuell fragte nach:

    "Hallo, hier ist der Ralf Krauter aus Köln, hallo Herr Lohnert. Grüß Gott, Sie sind ja pünktlich, fast wie eine Atomuhr."

    Günter Lohnert, Kernphysikprofessor in Stuttgart und beruflich involviert, trat dem unglücklichen Wissenschaftler zur Seite:

    "Er ist ein Opfer einer Kampagne. Es geht offensichtlich gar nicht mehr um die Sache. Es geht natürlich um viel Geld, wir wissen, wenn Fusion vielleicht einfacher wäre, so weit sind wir doch gar nicht. Und wir sind doch froh, dass wir den Iter jetzt haben, der Milliarden kostet und so"

    "Den Internationalen Fusionsreaktor, genau!"

    "Ja, und wenn das natürlich einfacher ginge, dann würde man sagen, ja dann warten wir mal, bis wir das vielleicht geklärt haben."

    1992 schickten die USA den Mars Observer zum Roten Planeten. Das Unternehmen endete mit einer schweren Enttäuschung, als kurz vor der Landung im August des Folgejahres der Funkkontakt mit der Sonde für immer abbrach. Im selben Jahr kündigte der Mathematiker Andrew Wiles einen Beweis für den letzten Satz von Fermat an, dem zwei Jahre später eine noch stichhaltigere Version folgte. Der preisgekrönte Beweis wurde nur von wenigen verstanden. Es gehört zu den Privilegien eines Reporters, unbedarfte Fragen stellen zu dürfen wie die, wieviele Mathematiker denn die Ansicht, da sei etwas bewiesen, teilen müssten, damit der Beweis allgemein als bewiesen gelten könne? Antwort eines namhaften Institutsdirektors: Das sei keine Frage der Zahl. Was bedeutet, dass es im Extremfall nur noch der Beweisführer selbst verstehen muss. Irgendwie tröstlich.

    1993 wurde in den USA nach schweren Kostenüberschreitungen ein wissenschaftliches Riesenprojekt abgebrochen: der Bau des Beschleunigers Superconducting Supercollider. In Lindau stellte der Nobelpreisträger Ivar Giaver einen interessanten politischen Zusammenhang dazu her:

    "Ein neues Paradigma in der Physik, in den USA wohlgemerkt, ist entstanden, und ob man das mag oder nicht, ist eben der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion. Nun können Sie sagen, was zum Teufel hat der Zusammenbruch der Sowjetunion mit der Physik zu tun? Aber wenn Sie die Zeitung lesen, dann ist Ihnen aufgefallen, dass auch der Supraleitende Supercollider zusammengebrochen ist mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Also die Dinge hängen schon zusammen. In den Vereinigten Staaten war besonders die physikalische Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg immer vom Militär gesteuert. Wir Physiker mögen das nicht, machen uns nie Gedanken darüber, aber es stimmt schon. Das meiste Geld, das wir vom Kongress bekamen, lag daran, weil der Kongress dachte, die Sowjetunion könnte uns überlegen sein und deswegen haben wir halt Geld gekriegt, damit es nicht dazu kam. Es ist tragisch, wenn man sich überlegt, dass die Kongressabgeordneten um das Higgs-Boson sich keine Gedanken machen oder das Top-Quark, das ist ihnen völlig wurscht, es ist ihnen sogar wurscht, wie der Quantum-Hall-Effekt aussieht."

    1994: Das reparierte Hubble-Weltraumteleskop zeigte phantastische Bilder, darunter, wie sich der Komet Schumacher-Levy in der Jupiteratmosphäre zerlegt. Das Ozon-Loch öffnete sich. Die BSE-Krise erreichte medial wie real einen Höhepunkt. Forschung aktuell ist überall dabei und das war der Kick, erinnert sich Christiane Knoll, Redakteurin von "Wissenschaft im Brennpunkt":

    "Das hatte auch einen enormen Spaßeffekt, dass man hier aktuell arbeiten konnte und so schnell die Sachen umgesetzt hatte im Sender. Wo das Ganze auf die Spitze getrieben wurde, waren die Nobelpreise. Das war für mich gerade in der Anfangsphase das Erlebnis schlechthin im Jahr, wenn man versucht hat, die Nobelpreisträger als Erster zu bekommen und da waren, gerade in der Anfangszeit, wir fast die Einzigen, die das überhaupt versucht haben."

    "Hallo, this is Marieke Degen again, from the German Deutschlandfunk, I'm sorry to disturb you but I have information that the father of Mr. Kornberg is a nobel prize winner as well?"

    Und Gerd Pasch, seit 1989 Redakteur bei Forschung aktuell, ist sicher, ...

    "dass die Aktualität,die wir am Anfang hatten, auch unsere Hörergemeinschaft zusammengebunden hat. Wir hatten nämlich nach den Sendungen oft Anrufe, ,Können Sie noch mal das Medikament nennen, über das Sie gerade berichtet hatten?‘ Oder ,Können Sie nochmal die Adresse nennen, wo wir mit dem Professor XY in Kontakt treten können?‘ Also, daraus haben wir auch gemerkt, wo unsere Hörer sind, was die für Bedürfnisse haben, welche Interessen die haben, und wir haben eine ,community‘ gebildet zu Zeiten, wo keiner an Web 2.0 gedacht hat, aber das waren die Ansätze und das zahlt sich heute aus."

    Es musste auch nicht immer topaktuell sein, gelegentlich konnten die Autoren selbst bestimmen, was ihnen wichtig erschien. So wurden sogar Ausflüge in die Hochliteratur möglich, etwa mit Robert Gernhardt, der Frau Reinig, die Zimmerwirtin eines gewissen Ewald, das biblische Buch Hiob zitieren lässt:

    "Ob er, Ewald, die Bande der sieben Sterne zusammenbinden oder das Band des Orion auflösen könne. Oder: Wer dem Platzregen seinen Lauf ausgeteilt habe. Oder: Ob er vernommen habe, wie breit die Erde sei. Dann habe es Frau Reinig plötzlich mit den Tieren gehabt. Um Gemsen sei es gegangen, um irgendeine Hindin und um Raben. Dann habe sie des längeren vom Strauß erzählt, dessen Fittich sich fröhlich hebe, der aber seine Eier in der heißen Erde vergesse, da Gott ihm die Weisheit genommen und keinen Verstand zugeteilt habe, und welcher - also der Strauß immer noch - zu der Zeit, da er hoch auffahre, beide verlache, Ross und Mann."

    Ein Seminar an der Universität Frankfurt versuchte in der Tradition Hertha von Dechends Sinn in Texte wie diesen zu kriegen: Die alten Astronomen hätten ihre ganz nüchternen Beobachtungen, nüchtern wie ein Busfahrplan, in Merksätze gekleidet, die sich über Generationen hinweg mündlich, unter Eingeweihten, weitergeben ließen. Schließlich sei der Sinn dieser Sätze verloren gegangen und auf ihren Trümmern wuchsen Geschichten wie die vom Knecht Hiob, und große Religionen.

    1995 wurde das Top-Quark gefunden; damit war das Standardmodell der Elementarteilchentheorie bestätigt. Murray Gell-Mann, der es erfunden hatte, erklärte es Jahre später für unzulänglich – viel zu viele Teilchen, neue Beschleuniger müssten her – und klärte den Reporter über die wahre Richtwirkung seines Mikrofons auf. Als Vogelstimmen-Hobbyist wisse er, dass dieses Mikrofon den Schall bevorzugt aus einer Richtung auffange, sooo bevorzugt aber auch wieder nicht:

    "I know they are directional but not that directional, hiach, hiach, hiach!"

    In den USA wurde das erste Bose-Einstein-Kondensat realisiert, ein exotischer Zustand der Materie. Microsoft brachte Windows 95 heraus, eine Quelle ständigen Ärgers. Die Digitalisierung zog in die Funkhäuser ein und die Autoren machten mit; Wolfgang Noelke:

    "Das hat ja auch dazu geführt, dass wir uns technisches Equipment zulegten, um dann plötzlich digital zu schneiden, ich glaube, wir waren die ersten, die einen digitalen Schnitt machten, überhaupt."

    Aber die Entwicklung hatte auch ihre Tücken, von Windows 95 mal ganz abgesehen. Uli Blumenthal:

    "Diese legendäre Photovoltaik-Konferenz auf Hawaii, wo Gerd hingefahren ist, eine Soundkarte im Gepäck, und dann haben wir hier versucht den Beitrag in Teilen oder Stückchen hier rüber zu kriegen und dann rannte ein damaliger Praktikant, Dirk Lorenzen, zum Hauptabteilungsleiter, Matthias Strässner, den haben wir hingeschickt denn wir mussten die Zusage haben, dass wir noch mal für 200, 300 Mark Telefonkosten verursachen dürfen, weil wir versucht haben, Kontakt herzustellen mit Gerd, und es gelang uns nicht – und wir haben da wirklich einen Riesenvertrauensvorschuss bekommen und einen Bonus bei unseren Kollegen und Vorgesetzten seit Jahren, dass wir, wenn wir was probieren, doch manchmal Gutes da raus kriegen können –, und es hat nicht geklappt, es hat nicht geklappt. Und dann ist Gerd zurück gekommen aus Hawaii, und dann stellten wir fest, dass die Soundkarte kaputt war, und was uns auch noch ins Grinsen gebracht hat, war, dass dann der Interviewpartner in diesem Beitrag ein Wissenschaftler aus Aachen war, den hätte er aber auch mal vorher interviewen können, da muss man nicht nach Hawaii fahren, aber gut – dass sind die hübschen Anekdoten, die diese Redaktion auch irgendwo hat. Zu diesem Zeitpunkt war noch die Dienstanweisung des Intendanten über den Fernsprechverkehr in Kraft von 1968: Auslandsgespräche sind vom Hauptabteilungsleiter oder Programmdirektor schriftlich zu genehmigen."

    1996 besiegte der IBM-Computer Deep Blue Schachweltmeister Garri Kasparov und das Klonschaf Dolly erblickte das Licht der Welt, was diese jedoch erst 1997 erfuhr, dem gleichen Jahr, in dem das Kyoto-Protokoll zur Eindämmung der CO2-Emissionen beschlossen wurde. Die DVD wurde eingeführt. 1998 züchtete James Thomson in Wisconsin erstmals embryonale Stammzellen des Menschen und der Hurricane Mitch machte mit 9000 Opfern den Klimawandel plausibel.

    1999 kam der Film Matrix in die Kinos, die Welt begann, das Konzept vom Cyberspace, von Scheinwelten im Computer, für möglich zu halten. Auch der berühmte Literaturwissenschaftler Villem Flusser hielt die Entwicklung für vielversprechend:

    "Es ist möglich, einen praktisch permanenten Orgasmus chemisch und sogar telematisch zu erzeugen","

    so, wie der Roboterwissenschaftler Hans Moravec von der Carnegie Mellon University eine Seele – im Prinzip – faxen zu können behauptete. "Forschung aktuell" berichtete getreulich, hielt aber selbstbewusst mit einer Krabbenfischerin dagegen:

    Frau Pedersen, ich habe Ihnen nun den Cyberspace des langen und breiten erklärt…

    " "Sicher, Datenhandschuh, nicht, den Sjuut, den Dattasjuut, das hab' ich wohl verstanden."

    Ich möchte Sie nun als jemanden, der von seinem Gewerbe her besonders bodenständig ist ...

    "Na ja, ,bodenständig‘, wir sind ja nun auf'm Schiff, auf meinem Krabbenkudder. Das wär' dann ja wohl im übertragenen Sinne gemeint, mit dem ,bodenständig‘, nicht?"

    Natürlich. Ich meine damit, dass Sie sehr nahe an der Wirklichkeit arbeiten, also im Gegensatz zu einem Literaturwissenschaftler, zum Beispiel.

    "Sicher, wenn ich nicht aufpasse und das Krabbennetz fängt sich ein Wrack, dann liegen wir drin. Da hat es so ein Professor wohl leichter."

    Wie weit, meinen Sie, Frau Pedersen, könnte das Cyberspace-Konzept denn in Zukunft tragen? Also, was von Ihrer Alltagswelt ließe sich auch in einer virtuellen Welt, einer Scheinwelt, wiedergeben?

    "Na, den Kudder könnte man wohl simulieren, nicht? Auch die Luke da, wo man sich immer den Kopf stößt. Dann das Meer, sicher. Das einem schlecht wird, von der Bewegung, das möcht' wohl auch im Cyberspace gehen. Mit der Gischt, das ist schon schwieriger, nicht, das Salzwasser ist ja Gift für die Elektronik. Dann haben wir hier ja auch kein Klo auf'm Krabbenkudder, da säh' ich man Schwierigkeiten mit dem Datasjuut. Da ist ja auch Salz drin, im Urin."

    Naja, simulierte Gischt ist ja man nicht salzig.

    "Ja. Und dann, was sie nie machen werden im Cyberspace…"

    Und was ist das?

    "Na, Krabben puhln. Mit dem Handschuh kriegen Sie doch keine Krabbe gepuhlt! Und wo soll man sich die gepuhlten Krabben denn hinschieben, nicht? Ha! In den Sjuut?! Ob die dem Sjuut denn schmecken, die gepuhlten Krabben?!"

    Damit war der Cyberspace praktisch erledigt. Im Jahr 2000 bezog die erste Crew die internationale Raumstation; die dot.com-Hysterie endete in einem gewaltigen Börsencrash; das Email-Virus "Love Bug" zog durch die Welt; der Streit um genmanipulierte Pflanzen wurde heftig. Am Ende des Jahres wurde das komplette Genom der Modellpflanze Arabidopsis veröffentlicht, das erste Pflanzengenom überhaupt.

    2002 überstieg die Zahl der Mobiltelefone eine Milliarde, um diese Zahl hatte sich auch die Menschheit seit Sendebeginn von Forschung aktuell vermehrt.

    2003 geriet Europa in eine Hitzewelle, die viele Tote kostet und die Diskussion um die globale Erwärmung anfachte. Nanotechnologie, Bionanotechnologie und verwandte Gebiete wurden zum Thema. 2004 und 2005 veröffentlichte der südkoreanische Veterinärmediziner Hwang Woo-suk in "Science" zwei Aufsehen erregende Arbeiten über Stammzellen aus geklonten menschlichen Embryonen, die sich als Totalfälschungen herausstellen. Theodor Hänsch erhielt den Nobelpreis für Physik. 2006 schluckte Google YouTube. Die Entdeckung des Riesenmagnetowiderstandes brachte Peter Grünberg 2007 den Physik-Nobelpreis ein und Gerhard Ertl gewann den für Chemie für seine Beschreibung von Oberflächenreaktionen. Es ist das Jahr der Mathematik, "Forschung aktuell" ist mit vielen Beiträgen und einem raffinierten Ratespiel dabei, mit "Geocaching" und allen Schikanen.

    20 Jahre "Forschung aktuell", 20 Jahre an der Front der Forschung, lösen doch den einen oder anderen Reifungsprozess aus. Man beginnt etwa zu erkennen, wie wissenschaftspolitisch durch interdisziplinäre Maßnahmenbündelung entlang der Wertschöpfungskette Cluster gebildet und Synergien freigesetzt werden, dass es nur so staubt – Prozesse, die früher ganz und gar nebelhaft erscheinen mussten.

    Die kleinen Tricks werden erkennbar, mit denen die vielen kleineren Pfuscher im Wissenschaftsbetrieb ihre Entdeckung vermeiden. Nennen wir ihn "Professor Bienlein", denn sein Lieblingsobjekt sind Hummeln und außerdem hat auch "Tim und Struppi" Jubiläum, das 80.. Professor Bienlein erkundet seit Jahrzehnten, warum Hummeln und andere große Insekten sich beim Fliegen nicht überhitzen und vermutet einen thermoelektrischen Mechanismus am Werk, der die Hummel kühlt. Nun sind die Wirkungsgrade thermoelektrischer Aggregate – wie sie etwa in Autokühlboxen stecken – bescheiden, die Hummel müsste also zusätzlich zur Flugenergie noch jede Menge Kühlenergie aufbringen, was sie natürlich nur noch heißer machen könnte. Die Sache ist so unmöglich wie der Versuch Münchhausens, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Gleichwohl: Professor Bienlein bleibt vor einem Biologenpublikum unangefochten, weil er dort den Physiker hervorkehrt; vor Physikern tritt er eher biologisch gewandet an – und schafft es so in hochrangige Publikationen.

    Oder: Auf einem Umwelttechnikkongress kann ein amerikanischer Guru unwidersprochen behaupten, einen Autoantrieb erfunden zu haben, der allein mit Wasser fährt. Der Film dazu wird gut besucht. ... Christiane Knoll bleibt optimistisch:

    "Ich würde auch mal behaupten, dass wir weniger gefährdet sind, in solche Fallen zu tappen, dadurch, dass die Autoren hoch spezialisiert sind, dass wir eben Autoren haben, die sich mit einem Thema lange auseinandersetzen, mit vielen verschiedenen Wissenschaftler sprechen; dadurch, dass wir Live-Interviews haben in der Sendung, also Wissenschaftler aus verschiedenen Richtungen direkt dazu befragen, und die Autoren eben auch wissen, welche Kandidaten sie für ihre Rückversicherung nochmal ansprechen können."

    Wie geht es weiter? Gerd Pasch:

    "Ich bin ja der Meinung, wenn Programm digital, im Internet beispielsweise, verbreitet werden, dann zählt auch das Bild. Und wir müssen uns einfach überlegen, wie Radioaudiostreams entsprechend bebildern können."

    Wolfgang Noelke:

    "Aber wenn man eine reine Dokumentation macht, findet ich das schon spannend. Wie sieht etwas aus? Was für Variationen hat ein Gerät und was kann man damit machen? Das ist eine ganz spannende Geschichte, die man vielleicht zusätzlich mit ins Programm bauen könnte."

    Uli Blumenthal:

    "Nur muss man ganz klar sagen, ich glaube, was davor steht, egal, welche zukünftigen Zusatzdienste oder Verbreitungswege ... in allererster Linie müssen wir qualitativ gute Hörfunksendungen machen, denn das ist unser Markenzeichen, dafür stehen wir und das erwarten unsere Hörer von uns, dass wir sie in einer ständig wachsenden Qualität journalistisch, handwerklich, von der Gestaltung bis hin zur technischen Qualität unserer Beiträge, dass wir dieses immer an oberste Stelle stellen."

    Wenn Manfred Kloiber, Moderator von "Computer und Kommunikation", technisch hochversiert, an die Zeit vor der Digitalisierung denkt – soo schlecht war die nicht:

    "Man kam rum im Funkhaus, heute ist es oft so, dass man vieles alleine an seinem Schreibtisch macht, weil da ist alles, was man braucht, und man ist dann auch ein bisschen auf sich selbst gestellt, hat selten eine zweite Meinung, wenn man heute zum Beispiel eine zweite Meinung haben will, dann muss man sie explizit anfordern. Früher war das so, dass da halt mehrere Leute mitgehört haben, die Tontechnikerin oder der Tontechniker hat den Beitrag auch immer gehört und konnte sofort sagen, ja, das habe ich überhaupt nicht verstanden oder das war super. Dieses Feedback das ist heute ein bisschen untergegangen, und die Digitalisierung im Funkhaus hat ja auch dazu geführt, dass vieles, was heute im Radioprogramm angeboten wird – nicht bei uns im Programm, aber im Generellen – doch so Konservenstandardware ist, die einfach da ist und aus irgendeinem Speicher gesendet wird, und wenn man jetzt was anderes machen will, muss man sich mehr darum bemühen, Qualität zu bringen."

    Arabidopsis hatten wir. Was war mit der Zeta-Funktion? Die ist ein Klassiker, gibt Auskunft über die Primzahlenverteilung und gehörte zum Jahr der Mathematik.