Bernd Ingmar Gutberlet ist Historiker und Publizist. Er hat sein Publikum bislang mit essayistischen Kollektionen unterhalten, die Titel tragen wie "Die 33 wichtigsten Ereignisse der deutschen Geschichte", oder "Die 50 populärsten Irrtümer der deutschen Geschichte", oder "Die 50 größten Lügen und Legenden der Weltgeschichte". Auch ein Beitrag zu einer der drängendsten Fragen unserer Zeit fehlt nicht: "Der Maya-Kalender: Die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur".
Die Wahrheit zu fördern, die Irrtümer auszuräumen und die Lügen zu entlarven – das sind moralisch edle Motive, denen wir unseren Beifall kaum versagen können. Insofern folgt Gutberlet der Maxime aller aufklärerischen Literatur, zu nutzen und dabei nach Möglichkeit auch noch zu erfreuen.
Aber kann ein Titel wie "Grandios gescheitert. Misslungene Projekte der Menschheitsgeschichte" eine andere Freude versprechen als die Schadenfreude?
Mal sehen.
Auf der Liste der nicht irgendwie und unter ferner liefen leider auch, sondern der "grandios" gescheiterten Projekte, und zwar nicht der Projekte auf kommunaler Ebene, sondern der Menschheitsgeschichte, findet sich unter anderem: die Herstellung von Gold, der französische Revolutionskalender, das Esperanto, die Ausrottung der Kinderlähmung oder "Hitlers Breitspurbahn", letzteres eine monströse Eisenbahn, deren Waggons mit Tanz- und Kinosälen, Duschräumen, Küchen, Konditoreien, Hundeställen und Flakständen hätten ausgerüstet werden sollen.
Die Mehrzahl der zwölf Beiträge liest sich durchaus spannend. Was dort scheitert, ist für seine Zeit repräsentativ, seiner Zeit vielleicht sogar nur ein wenig voraus. So beispielsweise die staunenswerte Wasserkunst zu Toledo, die, von einem Uhrmacher ins Werk gesetzt, auf mechanische Weise Wasser aus dem Fluss unten nach oben in die Stadt auf dem Felsen förderte – alles funktionierte einwandfrei und fabelhaft, nur dass die bisher voll beschäftigten Wasserträger und deren Freundeskreise das Wunderwerk sabotierten und am Ende ruiniert hatten.
Manches gescheiterte Projekt hat geradezu Frankensteinsches Format. Dass die "Kreuzung von Affe und Mensch" von keinem Erfolg gekrönt worden ist, wird man nicht wirklich bedauern.
Anno 1926 hat sich jedenfalls ein russischer Professor namens Ilja Iwanowitsch Iwanow aufgemacht, um ein solches Hybridwesen zu erzeugen – und das im Auftrag der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften sowie der Regierung der UdSSR und ausgestattet mit 10.000 US-amerikanischen Dollar. Dabei sollte es nicht bleiben: Der sowjetische Professor erhielt:
... die Nachricht aus den USA, dass ein Jurist aus Detroit 100.000 Dollar für Iwanows Experiment auftreiben wollte – auch um damit den starken Widerstand in den Vereinigten Staaten gegen die Darwin'sche Evolutionstheorie ins Wanken zu bringen.
Nach erfolgreich abgeschlossener Kreuzung sollte Iwanow
... mit dem "ersten kleinen Hybridwesen" im Gepäck eine Tournee durch die Vereinigten Staaten unternehmen.
Doch keines der drei Schimpansenweibchen, die künstlich mit menschlichem Samen befruchtetet werden sollte, wurde schwanger.
Immerhin stellte sich eine Frau aus Leningrad für den Versuch zur Verfügung, sich mit dem Samen eines Affen befruchten zu lassen. Der unfreiwillige Samenspender war ein junger Orang-Utan und wurde "Tarzan" gerufen.
Aber Tarzan verstarb, bevor es ans Spenden ging.
Manche der gescheiterten Projekte, die Gutberlet Revue passieren lässt, haben eine wahrlich welthistorische Größe noch im Scheitern: die Umkehrung der sibirischen Flüsse; die Kybernetik als utopische, allein selig machende Wissenschaft im real existierenden Sozialismus; oder der neue Kontinent Atlantropa, den Herman Sörgel durch weitgehende Verdunstung des Mittelmeeres und der daraus folgenden Verschmelzung der Landmassen von Afrika und Europa erschaffen wollte.
Andere Vorhaben verblüffen in ihrer Verstiegenheit, wie der Plan des Jabobiners Jean-Alexander Carney, der Neugeborene mir verbindlichen Vornamen belegen wollte, die am französischen Revolutionskalender hätten orientiert sein sollen:
Nach seinem Vorschlag wäre ein Kind mit dem Geburtstag 25. Juli (…) beziehungsweise dem 6. Thermidor (…) nach der Pflanze benannt worden, die diesen Tag im Revolutionskalender benennt: der Schachtelhalm, französisch Prêle. Abhängig vom Geschlecht des Kindes und der Geburts(dezimal)stunde hätte ein am Nachmittag geborenes Mädchen Maprêle, Méprêle, Miprêle, Moprêle oder Muprêle heißen müssen.
Es hat nicht sollen sein.
Warum eigentlich nicht?
Gutberlet stellt dem Sammelsurium als Motto einen Ausspruch des großen Erfinders Daniel Düsentrieb voran, demzufolge dem Ingenieur nichts zu schwör sei.
Aber muss man nach der Lektüre nicht Sorge haben, dass selbst Düsentrieb irrte? Oder waren all die Ingenieure, deren Scheitern uns in diesem Buch vor Augen geführt wird, einfach nicht Düsentrieb genug?
Was dieser mal amüsanten, mal grotesk-schauerlich Schau fehlt, ist etwas wie eine Phänomenologie des grandiosen Scheiterns, eine Scheiterkunde, der zum Beispiel zu entnehmen wäre, was denn nun das in welthistorischer Absicht grandiose Scheitern vom Scheitern anderer Art unterscheidet.
Stattdessen klagt der Autor im von ihm selbst verfassten Vorwort:
Die Arbeit an diesem Buch (…) ergab, wie viel schwieriger das Erzählen vom Scheitern ist als das von stolzen Höchstleistungen und Erfolgen.
Das überrascht, konnte man bislang doch den Eindruck gewinnen, dass vom Turmbau zu Babel über den Untergang Trojas bis zur Apollo XIII-Mission das gescheiterte Projekt durchaus nicht zu den unerzählbaren oder ungern erzählten Gegebenheiten gehört.
Gutberlets Blütenlese ist sicher nicht gescheitert; was aber echte Grandiosität betrifft, lässt dieses Werk in seiner kunterbunten Auswahl noch zu wünschen übrig.
Bernd Ingmar Gutberlet: Grandios gescheitert. Misslungene Projekte der Menschheitsgeschichte
Lübbe, Köln 2012, 333 Seiten, 16,99 EUR
Die Wahrheit zu fördern, die Irrtümer auszuräumen und die Lügen zu entlarven – das sind moralisch edle Motive, denen wir unseren Beifall kaum versagen können. Insofern folgt Gutberlet der Maxime aller aufklärerischen Literatur, zu nutzen und dabei nach Möglichkeit auch noch zu erfreuen.
Aber kann ein Titel wie "Grandios gescheitert. Misslungene Projekte der Menschheitsgeschichte" eine andere Freude versprechen als die Schadenfreude?
Mal sehen.
Auf der Liste der nicht irgendwie und unter ferner liefen leider auch, sondern der "grandios" gescheiterten Projekte, und zwar nicht der Projekte auf kommunaler Ebene, sondern der Menschheitsgeschichte, findet sich unter anderem: die Herstellung von Gold, der französische Revolutionskalender, das Esperanto, die Ausrottung der Kinderlähmung oder "Hitlers Breitspurbahn", letzteres eine monströse Eisenbahn, deren Waggons mit Tanz- und Kinosälen, Duschräumen, Küchen, Konditoreien, Hundeställen und Flakständen hätten ausgerüstet werden sollen.
Die Mehrzahl der zwölf Beiträge liest sich durchaus spannend. Was dort scheitert, ist für seine Zeit repräsentativ, seiner Zeit vielleicht sogar nur ein wenig voraus. So beispielsweise die staunenswerte Wasserkunst zu Toledo, die, von einem Uhrmacher ins Werk gesetzt, auf mechanische Weise Wasser aus dem Fluss unten nach oben in die Stadt auf dem Felsen förderte – alles funktionierte einwandfrei und fabelhaft, nur dass die bisher voll beschäftigten Wasserträger und deren Freundeskreise das Wunderwerk sabotierten und am Ende ruiniert hatten.
Manches gescheiterte Projekt hat geradezu Frankensteinsches Format. Dass die "Kreuzung von Affe und Mensch" von keinem Erfolg gekrönt worden ist, wird man nicht wirklich bedauern.
Anno 1926 hat sich jedenfalls ein russischer Professor namens Ilja Iwanowitsch Iwanow aufgemacht, um ein solches Hybridwesen zu erzeugen – und das im Auftrag der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften sowie der Regierung der UdSSR und ausgestattet mit 10.000 US-amerikanischen Dollar. Dabei sollte es nicht bleiben: Der sowjetische Professor erhielt:
... die Nachricht aus den USA, dass ein Jurist aus Detroit 100.000 Dollar für Iwanows Experiment auftreiben wollte – auch um damit den starken Widerstand in den Vereinigten Staaten gegen die Darwin'sche Evolutionstheorie ins Wanken zu bringen.
Nach erfolgreich abgeschlossener Kreuzung sollte Iwanow
... mit dem "ersten kleinen Hybridwesen" im Gepäck eine Tournee durch die Vereinigten Staaten unternehmen.
Doch keines der drei Schimpansenweibchen, die künstlich mit menschlichem Samen befruchtetet werden sollte, wurde schwanger.
Immerhin stellte sich eine Frau aus Leningrad für den Versuch zur Verfügung, sich mit dem Samen eines Affen befruchten zu lassen. Der unfreiwillige Samenspender war ein junger Orang-Utan und wurde "Tarzan" gerufen.
Aber Tarzan verstarb, bevor es ans Spenden ging.
Manche der gescheiterten Projekte, die Gutberlet Revue passieren lässt, haben eine wahrlich welthistorische Größe noch im Scheitern: die Umkehrung der sibirischen Flüsse; die Kybernetik als utopische, allein selig machende Wissenschaft im real existierenden Sozialismus; oder der neue Kontinent Atlantropa, den Herman Sörgel durch weitgehende Verdunstung des Mittelmeeres und der daraus folgenden Verschmelzung der Landmassen von Afrika und Europa erschaffen wollte.
Andere Vorhaben verblüffen in ihrer Verstiegenheit, wie der Plan des Jabobiners Jean-Alexander Carney, der Neugeborene mir verbindlichen Vornamen belegen wollte, die am französischen Revolutionskalender hätten orientiert sein sollen:
Nach seinem Vorschlag wäre ein Kind mit dem Geburtstag 25. Juli (…) beziehungsweise dem 6. Thermidor (…) nach der Pflanze benannt worden, die diesen Tag im Revolutionskalender benennt: der Schachtelhalm, französisch Prêle. Abhängig vom Geschlecht des Kindes und der Geburts(dezimal)stunde hätte ein am Nachmittag geborenes Mädchen Maprêle, Méprêle, Miprêle, Moprêle oder Muprêle heißen müssen.
Es hat nicht sollen sein.
Warum eigentlich nicht?
Gutberlet stellt dem Sammelsurium als Motto einen Ausspruch des großen Erfinders Daniel Düsentrieb voran, demzufolge dem Ingenieur nichts zu schwör sei.
Aber muss man nach der Lektüre nicht Sorge haben, dass selbst Düsentrieb irrte? Oder waren all die Ingenieure, deren Scheitern uns in diesem Buch vor Augen geführt wird, einfach nicht Düsentrieb genug?
Was dieser mal amüsanten, mal grotesk-schauerlich Schau fehlt, ist etwas wie eine Phänomenologie des grandiosen Scheiterns, eine Scheiterkunde, der zum Beispiel zu entnehmen wäre, was denn nun das in welthistorischer Absicht grandiose Scheitern vom Scheitern anderer Art unterscheidet.
Stattdessen klagt der Autor im von ihm selbst verfassten Vorwort:
Die Arbeit an diesem Buch (…) ergab, wie viel schwieriger das Erzählen vom Scheitern ist als das von stolzen Höchstleistungen und Erfolgen.
Das überrascht, konnte man bislang doch den Eindruck gewinnen, dass vom Turmbau zu Babel über den Untergang Trojas bis zur Apollo XIII-Mission das gescheiterte Projekt durchaus nicht zu den unerzählbaren oder ungern erzählten Gegebenheiten gehört.
Gutberlets Blütenlese ist sicher nicht gescheitert; was aber echte Grandiosität betrifft, lässt dieses Werk in seiner kunterbunten Auswahl noch zu wünschen übrig.
Bernd Ingmar Gutberlet: Grandios gescheitert. Misslungene Projekte der Menschheitsgeschichte
Lübbe, Köln 2012, 333 Seiten, 16,99 EUR