"Menschen haben versucht, den jüdischen Kindergarten in Brand zu setzen, und sogar auf die Kinderspielzeuge haben die Hakenkreuze und 'Juden raus!' geschmiert."
"Da war ich ungefähr zwölf Jahre alt, und da ich Jude bin, wurde ich immer gemobbt, dass ich einfach ausgestoßen wurde, 'runtergemacht wurde; und da kam's auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, und dass ich einfach nur rumgeschubst wurde."
"Der Spruch ging in etwa so: 'Bist du der Teufel, der uns dieses christliche Mädchen wegnehmen will?' Und ich hab' mich geoutet als 'Ja, ich bin der jüdische Teufel, der euch jetzt das christliche Mädchen wegnimmt.' Daraufhin ging es los mit Sprüchen wie 'Wenn ihr euch so verhaltet, braucht ihr euch ja nicht zu wundern, dass die ganze Welt euch hasst!'"
Vor Antisemitismus ist in Deutschland kein Jude gefeit. Der Rabbiner und seine Kindergartenkinder nicht, der Schüler im Gymnasium nicht - und auch nicht der junge jüdische Mann, den die antisemitische Anfeindung auf einer fröhlichen Tanzparty ereilt. "Antisemitismus in Deutschland ist eine Alltagsrealität", sagt der Zeithistoriker Peter Longerich vom Holocaust-Forschungszentrum der Universität London. Der Wissenschaftler ist Sprecher der vom Deutschen Bundestag eingesetzten unabhängigen Expertenkommission "Antisemitismus in Deutschland". Drei Jahre lang haben in diesem Kreis zehn Experten aus Hochschulen und zivilgesellschaftlichen Initiativen untersucht, wie sich in Deutschland Antisemitismus artikuliert. Ein wesentliches Fazit ihrer Studie:
"Was den politischen Extremismus belangt, so sind wir eindeutig zu der Bewertung gekommen, dass das rechtsextremistische Lager sich nach wie vor als der wichtigste politische Träger des manifesten Antisemitismus in Deutschland erweist. Dieser Befund wird insbesondere durch die Tatsache unterstrichen, dass mehr als 90 Prozent der antisemitischen Straftaten durch Täter begangen werden, die diesem Spektrum zuzuordnen sind."
Zwischen 1200 und 1800 antisemitisch motivierte Straftaten weist die Polizeistatistik seit der Jahrtausendwende jährlich aus: Friedhofsschändungen und Hakenkreuzschmierereien, Pöbeleien und Beschimpfungen, Störungen von Gedenkfeiern und eingeworfene Fensterscheiben in jüdischen Einrichtungen. Aber auch Faustschläge und Brandstiftungen.
Derartige Übergriffe sind der Grund dafür, warum vor allen Synagogen in Deutschland Polizisten Wache stehen. Auch vor der Synagoge der streng religiösen Chabad Lubawitsch Gemeinde in Berlin. Rabbiner Yehuda Teichtal weiß, dass das nötig ist.
"Eine leider unvergessliche Tat war der Brandanschlagsversuch auf unseren jüdischen Kindergarten am 27. Februar 2007: Menschen haben versucht, den jüdischen Kindergarten in Brand zu setzen und sogar auf die Kinderspielzeuge haben die Hakenkreuze und 'Juden raus!' geschmiert."
Bereits 2003 war ein Rabbinerstudent der Gemeinde zusammengeschlagen worden. Er trug eine Kippa und war als Jude zu erkennen. Der Angriff geschah am helllichten Tage, mitten in Westberlins City, auf dem Kurfürstendamm.
"Schockierend war, dass es tatsächlich passiert in Anwesenheit von mehr als über 100 Menschen, die saßen im Café auf dem Kurfürstendamm, wie es üblich ist am Nachmittag am Wochenende. Und von den Menschen, die dort saßen, kein einziger ist aufgestanden und hat was gesagt."
Eine weitere wichtige Erkenntnis der Expertenkommission des Deutschen Bundestages: Antisemitische Einstellungen und Denkmuster finden sich in allen politischen Gruppen und kulturellen Milieus. "Latent bei rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung", präzisiert Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und nennt typische Klischees.
"Da kommen dann eben durchaus auch immer wieder Stereotypisierungen von Juden vor, gerade in Bezug auf die sogenannten reichen Juden, die als die Mächtigen in den USA an den Börsen thematisiert werden, und zu unterstellen Israel, die Juden, also es wird dann gleichgesetzt, hätten angeblich Macht auf die amerikanische Regierung oder auf die europäischen Regierungen; und das passiert in der Mitte der Gesellschaft."
Die weitverbreitete Vorstellung, dass Juden quasi naturwüchsig gut mit Geld umgehen könnten, geht bis ins Mittelalter zurück, als den Juden der Zugang zu den Zünften verwehrt war und ihnen als Erwerbsquelle nahezu ausschließlich der Geldverleih gegen Zinsen blieb. Es ist ein Vorurteil, das auch harmlos daherkommen kann, das sich aber leicht ideologisch aufladen lässt. Etwa mit dem Klischee vom mächtigen jüdischen Finanzkapital, das angeblich mittels Börsen und Banken die Welt in der Hand haben soll. Bei Rechtsextremisten wie dem NPD-Funktionär Udo Pastörs hört es sich das dann so an.
"Das bürgerliche Lager wird in den nächsten Jahren total verarmen. Weil das gesamte Finanzgebäude dieser Judenrepublik in den nächsten zwei Jahren zusammenbrechen wird."
Formulierungen wie "die jüdische Finanzoligarchie" oder "die zionistisch gelenkte Ostküstenmafia" werden jedoch nicht nur von Rechtsextremisten benutzt, sondern vereinzelt auch von Linksextremisten. Über die Internetseite der Duisburger Partei "Die Linke" konnte man im letzten Frühjahr beispielweise auf ein Boykott-Israel-Flugblatt gelangen. "Aus Schludrigkeit und Desinteresse" sei das passiert, entschuldigte sich die Partei später. Das Flugblatt kritisierte nicht nur die Politik Israels in scharfer Form, sondern nannte darüber hinaus die Medien des Springerverlages wegen einer vermeintlich philosemitischen Israel-Berichterstattung "Judenpresse" - ein Kampfbegriff aus der Nazizeit. An anderer Stelle die Aufforderung:
Tretet der moralischen Erpressung durch den sogenannten Holocaust entgegen! Wahrheit macht frei!
Verziert war das Flugblatt mit einem großen Davidstern, der emblematisch mit dem Hakenkreuz verschlungen war. Wenn in dieser Weise das Symbol des jüdischen Staates mit dem Symbol der Hitlerverbrechen verknüpft wird, dann weist das nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Elke Gryglewski auf eine Form der Judenfeindschaft in Deutschland hin, die nicht rassistisch motiviert ist, sondern der Schuldabwehr dient. Das heißt: Die Schuld der Deutschen im Dritten Reich wird innerlich zurückgewiesen, indem man Ressentiments aktiviert, die es ohne die Schoah gar nicht gäbe. Elke Gryglewski betreut die Bildungsarbeit im Berliner Haus der Wannsee-Konferenz - dem Haus, in dem einst die Ermordung der europäischen Juden beschlossen wurde.
"Was vorkommt, ist, dass wenn wir eine Führung gegeben haben, die Besucher uns ansprechen und sagen: 'Ist es nicht tragisch, dass ausgerechnet die Juden, die das erlebt haben, das Gleiche mit den Palästinensern machen', also da haben Sie die Verschiebung: Es wird gleichgesetzt, das ist ein Beispiel, was mir aus meiner Arbeit bekannt ist."
Eine anti-israelische oder anti-zionistische Haltung allein definieren die Wissenschaftler aber nicht als Antisemitismus. Wenn man allerdings anti-israelische Positionen als Ventil benutze, um Aversionen gegen Juden im Allgemeinen zu artikulieren und dabei die Juden aller Länder stellvertretend für die israelische Politik angreife, dann sei die Grenze zum Antisemitismus überschritten. Besonders, wenn die Akteure ihre Argumentationsstrategien mit der Behauptung zuspitzten, dass die Juden sich wie die Nazis verhielten. Antisemitismusforscherin Juliane Wetzel spricht in solchen Fällen von einer Täter-Opfer-Umkehr.
"Also die Gleichsetzung des Holocaust mit dem Vorgehen des israelischen Militärs in den besetzten Palästinensergebieten. Und dann kommt noch hinzu, dass man sagt, Juden würden praktisch immer wieder versuchen, Geld aus dieser Vergangenheit für sich zu gewinnen, indem sie eben die Regierung unter Druck setzen oder immer weitere Zahlungen haben möchten und solche Dinge."
Der Antisemitismus aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft muss sich aber nicht notwendigerweise in politischen Zusammenhängen äußern. Diese Erfahrung hat David Schneider* gemacht, 34 Jahre alt, ein deutscher Diplompolitologe aus Berlin, geboren in Israel. Auf einer großen Open-Air-Party in Brandenburg, die er mit seiner nicht-jüdischen Freundin besucht, wird er von einem Partygast provozierend angesprochen.
"Der Spruch ging in etwa so: 'Bist du der Teufel, der uns dieses christliche Mädchen wegnehmen will?' Und ich hab mich geoutet als 'Ja, ich bin der jüdische Teufel, der euch jetzt das christliche Mädchen wegnimmt.' Daraufhin ging es los mit Sprüchen wie: 'Wenn ihr euch so verhaltet, braucht ihr euch ja nicht zu wundern, dass die ganze Welt euch hasst! Wenn ihr so aggressiv seid, wenn ihr so arrogant seid.' Diese kollektive Zuschreibung! Und es ist zu 'ner körperlichen Auseinandersetzung gekommen, und ich war einfach zutiefst verletzt."
Als Sozialwissenschaftler ringt David Schneider mit Erklärungen. Da habe ihm jemand seine Freundin ausspannen wollen - ein an und für sich alltäglicher Vorgang. Doch sein Kontrahent habe die Auseinandersetzung antisemitisch zugespitzt, weil er gewusst habe, dass er ihn genau damit habe treffen können. Und ganz plötzlich sei in seinem Kopf eine Tür aufgegangen zur Zeit der Judenverfolgung im Dritten Reich.
"Ich hab' mir wahnsinnige Vorwürfe danach gemacht, dass ich mich überhaupt vor diesem Menschen geoutet hab' als Jude, das hätte ich ja nicht tun müssen. Gerade dieses Motiv des Sexualneids ist einfach ein altes klassisches Motiv des Antisemitismus, das auch die Nazis aufgegriffen haben, zum Beispiel in den Nürnberger Rassegesetzen, die letztendlich ziemlich viel darüber aussagen, wer mit wem darf und wer nicht darf, wer drin ist, wer dazugehört und wer draußen ist."
Das mache antisemitische Übergriffe aus der Mitte der Gesellschaft so infam, resümiert David Schneider: Sie berühren immer auch die Geschichte des Holocaust und werfen die grundsätzlichen Fragen auf, ob man als Jude in Deutschland leben kann.
"Ich frage mich das schon. Und mein Vater, dem ich wochenlang nichts davon erzählen konnte, weil ich vor seiner Reaktion Angst hatte, hat zu mir gesagt, wenn du dich hier nicht sicher fühlst, musst du halt auswandern. Und das ist aber für mich nicht akzeptabel, das ist keine Lösung für mich. Ich wüsste gar nicht, wohin.""
Szenenwechsel. Januar 2009. Es ist der Monat der Demonstrationen gegen den Gazakrieg der Israelis. Unterlegt von Alla u Akbar-Chören sind Schlachtrufe zu hören. "Massenmörder Israel", "Juden raus aus Palästina!" "Tötet die Juden", und "Jude, Jude, feiges Schwein!" skandieren die Menschen. Und auf ihren Transparenten liest man:
1943 Vernichtung des Warschauer Ghettos
2009 Vernichtung des Ghettos von Gaza
Die Opfer von gestern sind die Täter von heute
In allen politischen Lagern spielt der Nahostkonflikt eine wichtige Rolle als Vehikel für die Radikalisierung antisemitischer Ressentiments. Besonders aber im islamistischen Milieu. Die Expertenkommission hält den Antisemitismus im islamistischen Lager für gefährlich. Kommissionsmitglied Juliane Wetzel mahnt bei diesem Thema jedoch Forschungsbedarf an.
"Allerdings muss man sagen, dass wir bis heute keine wirklich belastbaren empirischen Untersuchungen haben, wie verbreitet Antisemitismus unter diesem Teil der Bevölkerung ist. Also wir wissen, zum Islamismus gehört natürlich der Antisemitismus als fester Bestandteil, aber inwieweit islamistische Gruppen Einfluss haben auf Jugendliche oder auch auf Erwachsene, ist so klar nicht oder was das dann sozusagen für Folgen hat."
Was das für Folgen hat, könnte Mischa der Wissenschaftlerin erzählen. Er ist heute Schüler der zehnten Klasse am jüdischen Gymnasium in Berlin.
"Ich war davor auf 'ner anderen Schule, also auf 'ner staatlichen Schule, und die hatten aber 'nen großen Anteil an Arabern und Türken an der Schule. Die wussten, dass ich Jude bin. Und da ich Jude bin, wurde ich immer gemobbt, dass ich einfach ausgestoßen wurde, 'runtergemacht wurde; und da kam's auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, und dass ich einfach nur rumgeschubst wurde."
Ahmad Mansour, Palästinenser aus Israel, ist Diplompsychologe und arbeitet in verschiedenen Berliner Projekten mit Jugendlichen zu den Themen Migration, Integration und Islamismus. Seiner Beobachtung nach hat in den letzten drei bis vier Jahren der Antisemitismus unter arabischen und türkischen Jugendlichen zugenommen. "'Jude'" ist auf vielen deutschen Schulhöfen ein Schimpfwort, berichtet Ahmad Mansour.
"Ich hab' alles Mögliche schon erlebt, von "Die Juden sind scheiße" bis "Ich will mit Juden nichts zu tun haben", "Ich will nicht über Judentum reden, das ist Scheiß-Religion" bis zum "Wenn es jetzt Krieg geben würde, dann werde ich halt nach Israel oder nach Palästina gehen und mit meinem Bruder und Schwester da kämpfen."
Ahmad Mansours Erfahrung: Diese Jugendlichen dämonisieren Israel als den großen Satan und bezeichnen die Juden allgemein als etwas unfassbar Böses, das man bekämpfen muss. Dabei wüssten sie kaum etwas über das Judentum und auch nichts Substanzielles über den Staat Israel. Ihre Informationen über den Nahostkonflikt bezögen sie hauptsächlich aus Erzählungen ihrer Familien und aus dem Internet.
"Ich merkte zum Beispiel, dass sie bestimmte Medien konsumieren, Hardcore-Medien wie al-Aqsa-Sender aus Gaza, der Hamas gehörte, oder al-Manar, der Hisbollah gehörte, wo Antisemitismus auf sehr bösartige Art und Weise getrieben wurde, und zwar Juden als Schweine, Juden als Affen bezeichnet werden, Juden als Herrscher der Welt; und das transportieren die Jugendlichen auch in die Schule und reden darüber."
Ahmad Mansour wünscht sich Jugendprojekte, die sorgfältig über das Judentum und die politische Situation im Nahen Osten informieren - ohne zu vergessen, dass Jugendliche, besonders, wenn sie einen Migrationshintergrund haben, Identifikationsangebote brauchen.
Vereinzelt gibt es derartige Projekte bereits. In der vierten Klasse der Anna Lindh-Schule im Berliner Problemviertel Wedding arbeitet die Lehrerin mit Unterrichtsmaterialien, die in einem gemeinsamen Modellprojekt des Landesinstituts für Schule und Medien und dem American Jewish Commitee entwickelt wurden. Das Material nennt sich "Aktiv gegen Antisemitismus", erklärt Michael Rump Räuber vom Landesinstitut.
"In Schulen mit sehr starkem migrantischen Hintergrund mussten wir feststellen, dass sich die Abneigung, teilweise der Hass gegen Juden vor allen Dingen aus dem familiären Hintergrund her speist, und damit natürlich es ein Stück um die Auseinandersetzung, um Identität geht. Deshalb bauen wir auf das Thema Identität als Einstieg. Weil die Auseinandersetzung um Identität eine Auseinandersetzung um Werte ist und damit 'ne Auseinandersetzung auch um solche Vorurteile wie Antisemitismus."
In der Anna Lindh Schule im Berliner Wedding beginnt Lehrerin Ute Winterberg den Unterricht mit dem Begriff "Ausgrenzung" und fragt die Schüler nach eigenen Erfahrungen:
"Dass man nicht bei Spielen mitspielen darf, weil der anders ist, als man selbst."
"Man kann dann mit niemandem mehr quatschen."
"Man ist dann allein, wenn man ausgegrenzt wird."
"Also, wenn du ausgegrenzt wirst, dann ist das ganz schön traurig."
Anschließend bringt Ute Winterberg Stoff aus dem Geschichtsunterricht ins Gespräch und fragt nach der Situation der Juden im Dritten Reich.
"Früher wurden die Juden ermordet."
"Sie durften nicht mehr so viel tun, zum Beispiel durften sie nicht mehr in Schwimmbäder gehen."
"Sie mussten den Judenstern tragen."
"Sie wurden langsam aber sicher durch die Gesetze der Nazis ausgegrenzt."
In einem dritten Schritt sieht das Material Information über das Judentum vor. Über seine Religion und seine Kultur. Ute Winterbergs Urteil über die Unterrichtsmaterialien:
"Das Besondere an dem Programm ist, dass hier viele Facetten der kindlichen Fantasie mit eingearbeitet sind. Also, ich kann mit den Arbeitsblättern in den Unterricht gehen und finde immer wieder Sprechanlässe, um über aktuelle politische Probleme mit den Kindern zu diskutieren - und das altersgerecht."
Der Bericht der unabhängigen Expertenkommission des Bundestages widmet sich in seinem letzten Kapitel den Präventionsmaßnahmen und Projekten gegen Antisemitismus, die von der Bundesregierung finanziert und gefördert werden. Dort kritisieren die Fachleute die unstete und ungesicherte Finanzierung vieler Projekte und Initiativen. Aber sie beanstanden auch grundsätzliche Ansätze. Die Politikwissenschaftlerin Elke Gryglewski vom Haus der Wannsee-Konferenz resümiert:
"In den lokalen Aktionsplänen ist das Problem gewesen, dass sehr viel Antisemitismus schlicht und ergreifend mit historischer Bildung, also mit vermeintlich Bewährtem, Gedenkstättenbesuche, Zeitzeugengespräche, bekämpft werden sollen, und dabei außer Acht gelassen wurde, dass Antisemitismus eben durchaus auch im Kontext von aktuellen Fragestellungen kommen kann, sei es Verschwörungstheorien aktueller Art oder sei es im Kontext des Nahostkonflikts."
Die Komplexität antisemitischer Erscheinungsformen in Deutschland verlangt nach Auffassung der Experten, dass die vorhandenen Vorurteilsstrukturen nicht allein im Zusammenhang mit der Geschichte des Holocaust betrachtet werden. Das Fazit der Wissenschaftler: Antisemitische Stereotypen präsentieren sich heute vor allem in aktuellen politischen und sozialpsychologischen Zusammenhängen. Sie müssen deswegen unbedingt auch gegenwartsbezogen untersucht und bekämpft werden.
* Name wurde geändert
"Da war ich ungefähr zwölf Jahre alt, und da ich Jude bin, wurde ich immer gemobbt, dass ich einfach ausgestoßen wurde, 'runtergemacht wurde; und da kam's auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, und dass ich einfach nur rumgeschubst wurde."
"Der Spruch ging in etwa so: 'Bist du der Teufel, der uns dieses christliche Mädchen wegnehmen will?' Und ich hab' mich geoutet als 'Ja, ich bin der jüdische Teufel, der euch jetzt das christliche Mädchen wegnimmt.' Daraufhin ging es los mit Sprüchen wie 'Wenn ihr euch so verhaltet, braucht ihr euch ja nicht zu wundern, dass die ganze Welt euch hasst!'"
Vor Antisemitismus ist in Deutschland kein Jude gefeit. Der Rabbiner und seine Kindergartenkinder nicht, der Schüler im Gymnasium nicht - und auch nicht der junge jüdische Mann, den die antisemitische Anfeindung auf einer fröhlichen Tanzparty ereilt. "Antisemitismus in Deutschland ist eine Alltagsrealität", sagt der Zeithistoriker Peter Longerich vom Holocaust-Forschungszentrum der Universität London. Der Wissenschaftler ist Sprecher der vom Deutschen Bundestag eingesetzten unabhängigen Expertenkommission "Antisemitismus in Deutschland". Drei Jahre lang haben in diesem Kreis zehn Experten aus Hochschulen und zivilgesellschaftlichen Initiativen untersucht, wie sich in Deutschland Antisemitismus artikuliert. Ein wesentliches Fazit ihrer Studie:
"Was den politischen Extremismus belangt, so sind wir eindeutig zu der Bewertung gekommen, dass das rechtsextremistische Lager sich nach wie vor als der wichtigste politische Träger des manifesten Antisemitismus in Deutschland erweist. Dieser Befund wird insbesondere durch die Tatsache unterstrichen, dass mehr als 90 Prozent der antisemitischen Straftaten durch Täter begangen werden, die diesem Spektrum zuzuordnen sind."
Zwischen 1200 und 1800 antisemitisch motivierte Straftaten weist die Polizeistatistik seit der Jahrtausendwende jährlich aus: Friedhofsschändungen und Hakenkreuzschmierereien, Pöbeleien und Beschimpfungen, Störungen von Gedenkfeiern und eingeworfene Fensterscheiben in jüdischen Einrichtungen. Aber auch Faustschläge und Brandstiftungen.
Derartige Übergriffe sind der Grund dafür, warum vor allen Synagogen in Deutschland Polizisten Wache stehen. Auch vor der Synagoge der streng religiösen Chabad Lubawitsch Gemeinde in Berlin. Rabbiner Yehuda Teichtal weiß, dass das nötig ist.
"Eine leider unvergessliche Tat war der Brandanschlagsversuch auf unseren jüdischen Kindergarten am 27. Februar 2007: Menschen haben versucht, den jüdischen Kindergarten in Brand zu setzen und sogar auf die Kinderspielzeuge haben die Hakenkreuze und 'Juden raus!' geschmiert."
Bereits 2003 war ein Rabbinerstudent der Gemeinde zusammengeschlagen worden. Er trug eine Kippa und war als Jude zu erkennen. Der Angriff geschah am helllichten Tage, mitten in Westberlins City, auf dem Kurfürstendamm.
"Schockierend war, dass es tatsächlich passiert in Anwesenheit von mehr als über 100 Menschen, die saßen im Café auf dem Kurfürstendamm, wie es üblich ist am Nachmittag am Wochenende. Und von den Menschen, die dort saßen, kein einziger ist aufgestanden und hat was gesagt."
Eine weitere wichtige Erkenntnis der Expertenkommission des Deutschen Bundestages: Antisemitische Einstellungen und Denkmuster finden sich in allen politischen Gruppen und kulturellen Milieus. "Latent bei rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung", präzisiert Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und nennt typische Klischees.
"Da kommen dann eben durchaus auch immer wieder Stereotypisierungen von Juden vor, gerade in Bezug auf die sogenannten reichen Juden, die als die Mächtigen in den USA an den Börsen thematisiert werden, und zu unterstellen Israel, die Juden, also es wird dann gleichgesetzt, hätten angeblich Macht auf die amerikanische Regierung oder auf die europäischen Regierungen; und das passiert in der Mitte der Gesellschaft."
Die weitverbreitete Vorstellung, dass Juden quasi naturwüchsig gut mit Geld umgehen könnten, geht bis ins Mittelalter zurück, als den Juden der Zugang zu den Zünften verwehrt war und ihnen als Erwerbsquelle nahezu ausschließlich der Geldverleih gegen Zinsen blieb. Es ist ein Vorurteil, das auch harmlos daherkommen kann, das sich aber leicht ideologisch aufladen lässt. Etwa mit dem Klischee vom mächtigen jüdischen Finanzkapital, das angeblich mittels Börsen und Banken die Welt in der Hand haben soll. Bei Rechtsextremisten wie dem NPD-Funktionär Udo Pastörs hört es sich das dann so an.
"Das bürgerliche Lager wird in den nächsten Jahren total verarmen. Weil das gesamte Finanzgebäude dieser Judenrepublik in den nächsten zwei Jahren zusammenbrechen wird."
Formulierungen wie "die jüdische Finanzoligarchie" oder "die zionistisch gelenkte Ostküstenmafia" werden jedoch nicht nur von Rechtsextremisten benutzt, sondern vereinzelt auch von Linksextremisten. Über die Internetseite der Duisburger Partei "Die Linke" konnte man im letzten Frühjahr beispielweise auf ein Boykott-Israel-Flugblatt gelangen. "Aus Schludrigkeit und Desinteresse" sei das passiert, entschuldigte sich die Partei später. Das Flugblatt kritisierte nicht nur die Politik Israels in scharfer Form, sondern nannte darüber hinaus die Medien des Springerverlages wegen einer vermeintlich philosemitischen Israel-Berichterstattung "Judenpresse" - ein Kampfbegriff aus der Nazizeit. An anderer Stelle die Aufforderung:
Tretet der moralischen Erpressung durch den sogenannten Holocaust entgegen! Wahrheit macht frei!
Verziert war das Flugblatt mit einem großen Davidstern, der emblematisch mit dem Hakenkreuz verschlungen war. Wenn in dieser Weise das Symbol des jüdischen Staates mit dem Symbol der Hitlerverbrechen verknüpft wird, dann weist das nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Elke Gryglewski auf eine Form der Judenfeindschaft in Deutschland hin, die nicht rassistisch motiviert ist, sondern der Schuldabwehr dient. Das heißt: Die Schuld der Deutschen im Dritten Reich wird innerlich zurückgewiesen, indem man Ressentiments aktiviert, die es ohne die Schoah gar nicht gäbe. Elke Gryglewski betreut die Bildungsarbeit im Berliner Haus der Wannsee-Konferenz - dem Haus, in dem einst die Ermordung der europäischen Juden beschlossen wurde.
"Was vorkommt, ist, dass wenn wir eine Führung gegeben haben, die Besucher uns ansprechen und sagen: 'Ist es nicht tragisch, dass ausgerechnet die Juden, die das erlebt haben, das Gleiche mit den Palästinensern machen', also da haben Sie die Verschiebung: Es wird gleichgesetzt, das ist ein Beispiel, was mir aus meiner Arbeit bekannt ist."
Eine anti-israelische oder anti-zionistische Haltung allein definieren die Wissenschaftler aber nicht als Antisemitismus. Wenn man allerdings anti-israelische Positionen als Ventil benutze, um Aversionen gegen Juden im Allgemeinen zu artikulieren und dabei die Juden aller Länder stellvertretend für die israelische Politik angreife, dann sei die Grenze zum Antisemitismus überschritten. Besonders, wenn die Akteure ihre Argumentationsstrategien mit der Behauptung zuspitzten, dass die Juden sich wie die Nazis verhielten. Antisemitismusforscherin Juliane Wetzel spricht in solchen Fällen von einer Täter-Opfer-Umkehr.
"Also die Gleichsetzung des Holocaust mit dem Vorgehen des israelischen Militärs in den besetzten Palästinensergebieten. Und dann kommt noch hinzu, dass man sagt, Juden würden praktisch immer wieder versuchen, Geld aus dieser Vergangenheit für sich zu gewinnen, indem sie eben die Regierung unter Druck setzen oder immer weitere Zahlungen haben möchten und solche Dinge."
Der Antisemitismus aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft muss sich aber nicht notwendigerweise in politischen Zusammenhängen äußern. Diese Erfahrung hat David Schneider* gemacht, 34 Jahre alt, ein deutscher Diplompolitologe aus Berlin, geboren in Israel. Auf einer großen Open-Air-Party in Brandenburg, die er mit seiner nicht-jüdischen Freundin besucht, wird er von einem Partygast provozierend angesprochen.
"Der Spruch ging in etwa so: 'Bist du der Teufel, der uns dieses christliche Mädchen wegnehmen will?' Und ich hab mich geoutet als 'Ja, ich bin der jüdische Teufel, der euch jetzt das christliche Mädchen wegnimmt.' Daraufhin ging es los mit Sprüchen wie: 'Wenn ihr euch so verhaltet, braucht ihr euch ja nicht zu wundern, dass die ganze Welt euch hasst! Wenn ihr so aggressiv seid, wenn ihr so arrogant seid.' Diese kollektive Zuschreibung! Und es ist zu 'ner körperlichen Auseinandersetzung gekommen, und ich war einfach zutiefst verletzt."
Als Sozialwissenschaftler ringt David Schneider mit Erklärungen. Da habe ihm jemand seine Freundin ausspannen wollen - ein an und für sich alltäglicher Vorgang. Doch sein Kontrahent habe die Auseinandersetzung antisemitisch zugespitzt, weil er gewusst habe, dass er ihn genau damit habe treffen können. Und ganz plötzlich sei in seinem Kopf eine Tür aufgegangen zur Zeit der Judenverfolgung im Dritten Reich.
"Ich hab' mir wahnsinnige Vorwürfe danach gemacht, dass ich mich überhaupt vor diesem Menschen geoutet hab' als Jude, das hätte ich ja nicht tun müssen. Gerade dieses Motiv des Sexualneids ist einfach ein altes klassisches Motiv des Antisemitismus, das auch die Nazis aufgegriffen haben, zum Beispiel in den Nürnberger Rassegesetzen, die letztendlich ziemlich viel darüber aussagen, wer mit wem darf und wer nicht darf, wer drin ist, wer dazugehört und wer draußen ist."
Das mache antisemitische Übergriffe aus der Mitte der Gesellschaft so infam, resümiert David Schneider: Sie berühren immer auch die Geschichte des Holocaust und werfen die grundsätzlichen Fragen auf, ob man als Jude in Deutschland leben kann.
"Ich frage mich das schon. Und mein Vater, dem ich wochenlang nichts davon erzählen konnte, weil ich vor seiner Reaktion Angst hatte, hat zu mir gesagt, wenn du dich hier nicht sicher fühlst, musst du halt auswandern. Und das ist aber für mich nicht akzeptabel, das ist keine Lösung für mich. Ich wüsste gar nicht, wohin.""
Szenenwechsel. Januar 2009. Es ist der Monat der Demonstrationen gegen den Gazakrieg der Israelis. Unterlegt von Alla u Akbar-Chören sind Schlachtrufe zu hören. "Massenmörder Israel", "Juden raus aus Palästina!" "Tötet die Juden", und "Jude, Jude, feiges Schwein!" skandieren die Menschen. Und auf ihren Transparenten liest man:
1943 Vernichtung des Warschauer Ghettos
2009 Vernichtung des Ghettos von Gaza
Die Opfer von gestern sind die Täter von heute
In allen politischen Lagern spielt der Nahostkonflikt eine wichtige Rolle als Vehikel für die Radikalisierung antisemitischer Ressentiments. Besonders aber im islamistischen Milieu. Die Expertenkommission hält den Antisemitismus im islamistischen Lager für gefährlich. Kommissionsmitglied Juliane Wetzel mahnt bei diesem Thema jedoch Forschungsbedarf an.
"Allerdings muss man sagen, dass wir bis heute keine wirklich belastbaren empirischen Untersuchungen haben, wie verbreitet Antisemitismus unter diesem Teil der Bevölkerung ist. Also wir wissen, zum Islamismus gehört natürlich der Antisemitismus als fester Bestandteil, aber inwieweit islamistische Gruppen Einfluss haben auf Jugendliche oder auch auf Erwachsene, ist so klar nicht oder was das dann sozusagen für Folgen hat."
Was das für Folgen hat, könnte Mischa der Wissenschaftlerin erzählen. Er ist heute Schüler der zehnten Klasse am jüdischen Gymnasium in Berlin.
"Ich war davor auf 'ner anderen Schule, also auf 'ner staatlichen Schule, und die hatten aber 'nen großen Anteil an Arabern und Türken an der Schule. Die wussten, dass ich Jude bin. Und da ich Jude bin, wurde ich immer gemobbt, dass ich einfach ausgestoßen wurde, 'runtergemacht wurde; und da kam's auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, und dass ich einfach nur rumgeschubst wurde."
Ahmad Mansour, Palästinenser aus Israel, ist Diplompsychologe und arbeitet in verschiedenen Berliner Projekten mit Jugendlichen zu den Themen Migration, Integration und Islamismus. Seiner Beobachtung nach hat in den letzten drei bis vier Jahren der Antisemitismus unter arabischen und türkischen Jugendlichen zugenommen. "'Jude'" ist auf vielen deutschen Schulhöfen ein Schimpfwort, berichtet Ahmad Mansour.
"Ich hab' alles Mögliche schon erlebt, von "Die Juden sind scheiße" bis "Ich will mit Juden nichts zu tun haben", "Ich will nicht über Judentum reden, das ist Scheiß-Religion" bis zum "Wenn es jetzt Krieg geben würde, dann werde ich halt nach Israel oder nach Palästina gehen und mit meinem Bruder und Schwester da kämpfen."
Ahmad Mansours Erfahrung: Diese Jugendlichen dämonisieren Israel als den großen Satan und bezeichnen die Juden allgemein als etwas unfassbar Böses, das man bekämpfen muss. Dabei wüssten sie kaum etwas über das Judentum und auch nichts Substanzielles über den Staat Israel. Ihre Informationen über den Nahostkonflikt bezögen sie hauptsächlich aus Erzählungen ihrer Familien und aus dem Internet.
"Ich merkte zum Beispiel, dass sie bestimmte Medien konsumieren, Hardcore-Medien wie al-Aqsa-Sender aus Gaza, der Hamas gehörte, oder al-Manar, der Hisbollah gehörte, wo Antisemitismus auf sehr bösartige Art und Weise getrieben wurde, und zwar Juden als Schweine, Juden als Affen bezeichnet werden, Juden als Herrscher der Welt; und das transportieren die Jugendlichen auch in die Schule und reden darüber."
Ahmad Mansour wünscht sich Jugendprojekte, die sorgfältig über das Judentum und die politische Situation im Nahen Osten informieren - ohne zu vergessen, dass Jugendliche, besonders, wenn sie einen Migrationshintergrund haben, Identifikationsangebote brauchen.
Vereinzelt gibt es derartige Projekte bereits. In der vierten Klasse der Anna Lindh-Schule im Berliner Problemviertel Wedding arbeitet die Lehrerin mit Unterrichtsmaterialien, die in einem gemeinsamen Modellprojekt des Landesinstituts für Schule und Medien und dem American Jewish Commitee entwickelt wurden. Das Material nennt sich "Aktiv gegen Antisemitismus", erklärt Michael Rump Räuber vom Landesinstitut.
"In Schulen mit sehr starkem migrantischen Hintergrund mussten wir feststellen, dass sich die Abneigung, teilweise der Hass gegen Juden vor allen Dingen aus dem familiären Hintergrund her speist, und damit natürlich es ein Stück um die Auseinandersetzung, um Identität geht. Deshalb bauen wir auf das Thema Identität als Einstieg. Weil die Auseinandersetzung um Identität eine Auseinandersetzung um Werte ist und damit 'ne Auseinandersetzung auch um solche Vorurteile wie Antisemitismus."
In der Anna Lindh Schule im Berliner Wedding beginnt Lehrerin Ute Winterberg den Unterricht mit dem Begriff "Ausgrenzung" und fragt die Schüler nach eigenen Erfahrungen:
"Dass man nicht bei Spielen mitspielen darf, weil der anders ist, als man selbst."
"Man kann dann mit niemandem mehr quatschen."
"Man ist dann allein, wenn man ausgegrenzt wird."
"Also, wenn du ausgegrenzt wirst, dann ist das ganz schön traurig."
Anschließend bringt Ute Winterberg Stoff aus dem Geschichtsunterricht ins Gespräch und fragt nach der Situation der Juden im Dritten Reich.
"Früher wurden die Juden ermordet."
"Sie durften nicht mehr so viel tun, zum Beispiel durften sie nicht mehr in Schwimmbäder gehen."
"Sie mussten den Judenstern tragen."
"Sie wurden langsam aber sicher durch die Gesetze der Nazis ausgegrenzt."
In einem dritten Schritt sieht das Material Information über das Judentum vor. Über seine Religion und seine Kultur. Ute Winterbergs Urteil über die Unterrichtsmaterialien:
"Das Besondere an dem Programm ist, dass hier viele Facetten der kindlichen Fantasie mit eingearbeitet sind. Also, ich kann mit den Arbeitsblättern in den Unterricht gehen und finde immer wieder Sprechanlässe, um über aktuelle politische Probleme mit den Kindern zu diskutieren - und das altersgerecht."
Der Bericht der unabhängigen Expertenkommission des Bundestages widmet sich in seinem letzten Kapitel den Präventionsmaßnahmen und Projekten gegen Antisemitismus, die von der Bundesregierung finanziert und gefördert werden. Dort kritisieren die Fachleute die unstete und ungesicherte Finanzierung vieler Projekte und Initiativen. Aber sie beanstanden auch grundsätzliche Ansätze. Die Politikwissenschaftlerin Elke Gryglewski vom Haus der Wannsee-Konferenz resümiert:
"In den lokalen Aktionsplänen ist das Problem gewesen, dass sehr viel Antisemitismus schlicht und ergreifend mit historischer Bildung, also mit vermeintlich Bewährtem, Gedenkstättenbesuche, Zeitzeugengespräche, bekämpft werden sollen, und dabei außer Acht gelassen wurde, dass Antisemitismus eben durchaus auch im Kontext von aktuellen Fragestellungen kommen kann, sei es Verschwörungstheorien aktueller Art oder sei es im Kontext des Nahostkonflikts."
Die Komplexität antisemitischer Erscheinungsformen in Deutschland verlangt nach Auffassung der Experten, dass die vorhandenen Vorurteilsstrukturen nicht allein im Zusammenhang mit der Geschichte des Holocaust betrachtet werden. Das Fazit der Wissenschaftler: Antisemitische Stereotypen präsentieren sich heute vor allem in aktuellen politischen und sozialpsychologischen Zusammenhängen. Sie müssen deswegen unbedingt auch gegenwartsbezogen untersucht und bekämpft werden.
* Name wurde geändert