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Von außen statt von innen

Wasser friert bei null Grad Celsius. Das klingt wie eine unumstößliche Weisheit, ist aber nur eine Art Faustformel. Denn kühlt man reines Wasser ganz behutsam ab, so kann es selbst bei an sich eisigen Minusgraden noch flüssig bleiben. Erst wenn eine Störung dazukommt - etwa eine Erschütterung - so gefriert das unterkühlte Wasser auf einen Schlag. Der Grund: Die Erschütterung fungiert als Kristallisationskeim, der die Wasserteilchen dazu veranlasst, vom molekularen Durcheinander einer Flüssigkeit zu wechseln in die regelmäßige, nahezu soldatische Ordnung des Eiskristalls.

    Von Frank Grotelüschen

    In der alten Theorie ging man davon aus, dass ein Wassertropfen in seinem Inneren anfängt zu gefrieren. Der Kristallisationskeim wurde also im Tropfen drin vermutet. Meine Kollegen und ich haben nun entdeckt, dass sich dieser Keim sehr viel wahrscheinlicher auf der Oberfläche des Tropfens bildet. Wir glauben also, dass der Tropfen von außen nach innen gefriert und nicht von innen nach außen, so wie die es die 60 Jahre alte Theorie angenommen hatte.

    Azadeh Tabazadeh arbeitet am Ames Forschungszentrum der NASA südlich von San Francisco. Gemeinsam mit ihren Kollegen hatte sie Unmengen an Labordaten gesichtet und ausgewertet. Dabei fiel ihr auf, dass bei manchen Experimenten die Wassertröpfchen sehr schnell zu Eis wurden, bei anderen Versuchen hingegen ziemlich langsam. Eine Diskrepanz, die mit der Theorie des von innen gefrierenden Tropfens nicht zu erklären ist, meint Tabazadeh.

    Zum Beispiel ist das Tempo, mit dem Wassertröpfchen in der Luft gefrieren, deutlich höher als die Geschwindigkeit, mit der Tröpfchen vereisen, die in Öl gelöst sind. Würden die Tropfen von innen nach außen gefrieren, dann müsste es egal sein, von welchem Stoff sie umgeben sind. Erst wenn man davon ausgeht, dass die Tropfen von außen nach innen frieren, dass sich also die Kristallisationskeime an der Tropfenoberfläche bilden, lässt sich verstehen, dass sich das Gefrieren in Luft ganz anders abspielt als in Öl.

    Bedeutung könnte die neue Hypothese vor allem für das Geschehen hoch oben in der Atmosphäre haben, sprich in den Wolken. Wolken bestehen aus zahllosen unterkühlten Wassertröpfchen, von denen ein Teil mehr oder weniger schnell zu Eis gefriert. Seit einigen Jahrzehnten aber verändert der Mensch dieses Gleichgewicht: Durch Industrie und Landwirtschaft bringt er immer mehr Aerosole in die Atmosphäre ein, feinste Flüssigkeitströpfchen also. Nach Ansicht von Tabazadeh bleibt das nicht ohne Folgen:

    Zwar befindet sich nicht mehr Wasser in den Wolken als früher. Aber es sich verteilt auf immer mehr und immer kleinere Tröpfchen. Und viele kleine Tröpfchen haben insgesamt eine größere Oberfläche als wenige große. Nun, laut der alten Theorie würde das beim Gefrieren keinen Unterschied machen. Doch sollte gemäß unserer Theorie das Gefrieren auf der Tropfenoberfläche einsetzen, dann wird das Wasser in der Wolke, weil es eben mehr Oberfläche gibt, künftig schneller zu Eis werden.

    Demnach hätten die menschgemachten Emissionen deutlich größere Auswirkungen auf die Wolken als angenommen. Wenn man so will vereisen die Wolken stärker als erwartet. Die Experten von der NASA befürchten Konsequenten für das Weltklima.

    Ich denke, dass es künftig weniger Niederschläge gibt. Denn da sich in den Wolken schneller Eis bildet als früher, können die Wassertropfen nicht mehr größer werden und verbleiben deshalb länger in der Wolke, statt als Niederschlag nach unten zu gehen. Doch wie sich dieser Effekt im Detail auswirken wird, das müssen wir erst noch studieren.

    Dazu wollen Tabazadeh und Co. ihre Ergebnisse demnächst in ein Computer-Klimamodell einbauen. Mit handfesten Ergebnissen rechnen sie allerdings erst in zwei Jahren.