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Von Außenseitern und Glückssucherinnen

Der Film "Rost und Knochen" von Jacques Audiard spielt fast vollständig in Cannes. Am Strand und in der Vorstadt und bei einer populären Aquashow mit gezähmten Killerwalen. Außerdem: Ulrich Seidls Film "Paradies: Liebe". Er soll der erste Teil einer Trilogie sein. Darin geht es um Sextourismus und was sich dahinter verbirgt.

Von Josef Schnelle |
    Das Leckerste in den Restaurants in Cannes ist die Fischsuppe, die "Soupe de Poisson" die mit einer Knoblauchmayonnaise gegessen wird - der "Rouille". Die heißt so, weil sie leicht bräunlich, man könnte sagen ein bisschen rostig aussieht. Und so erschließt sich der Titel des ersten französischen Wettbewerbsbeitrags "De Rouille et D'Os" als ziemlich volkstümliche mehrdeutig. Schließlich spielt der Film "Rost und Knochen" von Jacques Audiard auch fast vollständig in Cannes. Am Strand und in der Vorstadt und bei einer populären Aquashow mit gezähmten Orcakillerwalen. Doch so zahm sind die gar nicht. Es kommt zu einem Unfall, in dessen Folge Tiertrainerin Stephanie beide Beine verliert. Zahm ist auch Ali nicht, der sich mit Türsteher- und Nachtwächterjobs durchschlägt und das meiste Geld bei illegalen Freestyleboxkämpfen verdient. Von der Liebe hat er nicht Mal eine Vorstellung. Er hangelt sich von einem sexuellen Abenteuer zum anderen – bis - ja bis - er auf Stephanie trifft. Er ist der Einzige, der sie mit ihrem neuen Leben ohne Beine einfach so akzeptiert. Er trägt sie zum Schwimmen ins Meer, wenn sie Sex haben will, kann sie ihn einfach anrufen und er nimmt sie mit zu seinen illegalen Boxkampfauftritten. Seinen Alltag als Taugenichts verändert das allerdings nicht. Und so wird es Stephanie nach einer seiner nächtlichen Eskapaden zu bunt.

    "Was bin ich für dich? Eine Freundin? Ein Kamerad? Oder so ein Kumpel wie Foued und die anderen? Aber fickst Du mit deinen Kumpeln? Nein? Wirklich?. Das ist der Unterschied.
    Wenn wir weitermachen, müssen wir das richtig machen - mit ein bisschen Anstand."

    Marion Cotillard hat sich natürlich nicht die Beine abhacken lassen für diese Rolle und schwebt zur Premiere schöner denn je als entrücktes Zauberwesen über den roten Teppich. Digitale Künste haben im Film die Beinstümpfe überzeugend simuliert. Das Tolle an diesem Film ist aber nicht die Illusionskunst. Audiard gelingt es den Rost, der die Träume angefressen hat und die Knochenstruktur der Lebensrealität mit seinem stets ungemein bildkräftigen Stil sichtbar zu machen.

    "Die Haut musst Du mal riechen. Das vergisst nimmer."

    "Von wem?"

    "Na von die Neger. Das riecht wie Kokos und die kannst dauernd abschlecken."

    Außenseiter, Glückssucherinnen auch in Ulrich Seidls Film "Paradies: Liebe", der der erste Teil einer Trilogie sein soll. Es geht um Sextourismus und darum, was sich dahinter verbirgt. Teresa will mit 50 in Kenia all ihren Frust abschütteln. Die Freundin hat sie überzeugt. Hier kann man die Männer kaufen und vielleicht auch – denkt sie sich dazu – das Glück. Ein Seil zwischen Resort und Strand wird von Guards mit Knüppeln akribisch bewacht. Auf der anderen Seite stehen die Beach Boys, die Schmuck und Bootstouren verkaufen möchten und am Ende auch - das wissen die meist übergewichtigen Touristinnen aus Europa ganz genau – sich selbst. Sugar Mamas werden sie deswegen genannt. Ihr Zucker, das ist das Geld, das sie ins Land bringen und von dem manchmal ganze Familien leben. Da ist kein Platz für Moral - auch keiner für Kolonialismus, Rassismus und das kleine Einmaleins der Ausbeutung. Ulrich Seidl geht wie immer aufs Ganze - dahin wo es wehtut. Der vorgeblich so einfache Sex ist in Wahrheit schwierig, fast unmöglich.

    "Wie viele Frauen waren schon in diesem Bett? How many? White woman? In this bed?" – "White woman?" – " Hoh? Hoh?" – "No."
    "No – nicht so zwicken."

    Die scheiternde Suche der fettleibigen Teresa mündet in eine Sexparty, die die Freundinnen zu ihrem Geburtstag veranstalten und die zum traurigsten gehört, was man sich vorstellen kann. Da hilfts auch nicht, dass Seidl wunderschöne Tableaus filmen kann und Bilder komponieren, die Rubens nicht besser hätte malen können. Ein verstörender Film. Dieses Paradies namens "Liebe" will man lieber nicht betreten.

    Ebenso wenig wie Fatih Akins Paradies in seinem Dokumentarfilm "Müll im Garten Eden". In seinem Flugblatt-Agitationsfilm schildert der deutsch-türkische Filmemacher aus Hamburg, wie in der Heimat seines Großvaters am Schwarzen Meer eine gedankenlos errichtete Müllkippe mit kontaminiertem Wasser die schönen Teefelder gefährdet. Aber auch vom zivilen Ungehorsam und engagierten Widerstand berichtet er. Ein aufrichtiger Dokumentarfilm ohne stilistische Finten. So etwas in Cannes zu sehen macht aber doch stutzig. Geht es nur darum, das deutsche Regietalent Fatih Akin langfristig an das Festival zu binden? Ein schwaches Argument für die Sondervorführung dieses Films außer Konkurrenz aber im Wettbewerb.