"Das ist ein Grundsatz unseres Hauses, dass wir unsere Quellen nicht preisgeben. Auch auf bohrende Nachfragen werden Sie jetzt von mir nicht hören, wer uns die Bücher übergeben hat, und Sie werden auch nicht hören, wie viel Geld wir insgesamt investiert haben. Außerdem: Ich kenn die Summe nicht."
Nein, Peter Koch, Chefredakteur des "Stern", kannte die Summe wirklich nicht, die sein Verlag Gruner + Jahr zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits für die angeblichen Hitler-Tagebücher gezahlt hatte. Denn dieses Projekt war so geheim, dass es nicht nur die Weltöffentlichkeit überraschen sollte, sondern auch fast alle Mitarbeiter der zu diesem Zeitpunkt wichtigsten deutschen Illustrierten. Insgesamt 9,34 Millionen Mark gab der Vorstand von Gruner + Jahr aus, um den größten journalistischen Flop des Jahrhunderts zu finanzieren - zum Ärger der Redaktion, die vehement personelle Konsequenzen fordern sollte, zum Schaden des "Stern" und seines Gründers Henri Nannen.
"Wir werden versuchen, die Geschichte dieser Fälschung aufzudecken, voll aufzudecken und dem Leser vorzulegen. Aber selbstverständlich nennen wir unsere Quelle, denn wenn uns jemand betrügt, haben wir doch gar keine Ursache, den Betrüger zu schützen."
Henri Nannen beauftragte nach der Enthüllung der Fälschung durch das Bundeskriminalamt und das Amt für Materialprüfung den Redakteur Michael Seufert und seine Mannschaft vom "Stern"-Ressort "Deutschland aktuell" mit der internen Aufarbeitung des Skandals. Viel zu spät passierte das, was längst hätte geschehen müssen: die Überprüfung der Quellen, ein Akt grundlegender journalistischer Sorgfaltspflicht.
"Wir waren sozusagen die schnelle Recherchetruppe, und es hat sich ja auch gezeigt, dass wir innerhalb von drei Stunden die wichtigste Information herausbekommen haben, dass dieser angebliche Herr Fischer mit seinem Generalsbruder in der DDR Fischer nicht Fischer hieß, sondern Kujau. Damit brach diese ganze Beschaffungsgeschichte, die Heidemann immer wieder erzählte, total zusammen."
In kürzester Zeit hatten sich die Legenden, auf die der Reporter Gerd Heidemann hereingefallen war und an denen er teilweise selbst - bewusst und unbewusst - mitgestrickt hatte, in Luft aufgelöst. Schnell war Konrad Kujau, der Militaria-Händler mit angeblichen Kontakten bis hinein in die militärische Führungsspitze der DDR als Fälscher und Hochstapler entlarvt. Er war der Profiteur einer merkwürdigen Subkultur gewesen, bestehend aus ehemaligen Aktiven des Dritten Reiches, wohlhabenden Sammlern und Hitler-Verehrern, die bereit waren für Nazi-Memorabilien tief in die Taschen zu greifen. In diese Szene geriet auch der renommierte Reporter Heidemann, der, hoch verschuldet, im Geschäft mit den Tagebüchern sowohl sein Faible für Relikte des Dritten Reiches ausleben konnte, als auch seine Geldprobleme meinte lösen zu können. Die Redaktion des "Stern" wurde dabei umgangen, denn die stand den Nazi-Geschichten Heidemanns seit Langem skeptisch gegenüber, schreibt Seufert. Heidemann, der auch bei Nannen abgeblitzt war, wendete sich direkt an den Verlag. Und dadurch kam es zur "programmierten Katastrophe", denn
"Bei den Beteiligten geht es um Karrieren, Macht und vor allem das große Geld.
Vorstandschef Gerd Schulte-Hillen und sein Vorgänger Dr. Manfred Fischer spielen Chefredakteur und wollen beweisen, dass sie einen journalistischen Knüller erkennen und für den Verlag sichern können. Millionenbeträge werden Gerd Heidemann bar in die Hand gedrückt, einem Mann, der enorme Schulden und teure Obsessionen hat.
Der Verlag schließt mit dem Tagebuchbeschaffer Gerd Heidemann und seinem Ressortleiter Dr. Thomas Walde ohne Wissen der Chefredaktion Verträge, die sie zu reichen Leuten machen und ihnen gleichzeitig die exklusive Auswertung der Tagebücher sichern. Damit sind die Leute, die den spektakulären Fund kritisch hätten prüfen müssen, am wirtschaftlichen Erfolg direkt beteiligt. Eine fatale Interessenkollision."
Bei den wenigen Eingeweihten machte sich, so Seufert in seinem spannenden und lesenswerten Lehrstück, eine Bunkermentalität breit, die Zweifel im Keim erstickte. Dabei gab es von Anfang an deutliche Warnsignale, gab es Skepsis gegenüber der Identität der Zuträger, gegenüber dem Inhalt der Tagebücher.
"An diesem Mittwoch, dem 13. Mai 1981, telefoniert Heidemann mit dem ehemaligen SS-General Wilhelm Mohnke und liest ihm einige Tagebuchpassagen vom März 1933 über die 'Leibstandarte Adolf Hitler' vor. Beim Stern weiß zwar noch nicht einmal die Chefredaktion von den angeblichen Tagebüchern, aber seinen Freunden hat er natürlich davon erzählt. Mohnke ist allerdings auch Experte, was dieses Thema betrifft, denn er hat der 'Leibstandarte' seit ihrer Gründung angehört. ( ... )Mohnke ist verblüfft. Er ist sicher, dass die Eliteeinheit der SS im März 1933 noch nicht 'Leibstandarte Adolf Hitler' geheißen hat und nicht in Lichterfelde stationiert war."
Doch Heidemann und sein Ressortleiter Walde verließen sich darauf, dass Mohnke sich einfach nicht richtig erinnere, wie sie auch andere Ungereimtheiten damit erklärten, dass sich Hitler damals halt im Datum geirrt hätte.
Noch 25 Jahre danach verursacht die akribische, manchmal fast zu akribische Aufarbeitung der Ereignisse, die Michael Seufert hier vorlegt und die kaum nacherzählt werden kann, beim Leser ungläubiges Kopfschütteln. Er lernt: Wer betrügen will, der muss am Besten möglichst hoch pokern, denn damit setzt er einen lawinenartigen Mechanismus in Gang, den einzelne Skeptiker kaum mehr stoppen können. Selbst Historiker wie Hugh Trevor-Roper gaben dem "Stern" einen Vertrauensvorschuss, weil sie ein solches Maß an Betrug und Selbstbetrug bei der damals renommiertesten deutschen Illustrierten nicht vermuteten.
"Als die Chefredakteure Peter Koch, Felix Schmidt und Rolf Gillhausen durch einen Zufall von dem unglaublichen Vorgehen der Verlagsspitze erfahren, wird ihr Protest vom Tisch gewischt. Geblendet von der angeblichen historischen Sensation und der Tatsache, dass der Verlag damals in das Projekt schon sagenhafte 1,5 Millionen Mark investiert hat, geben sie ihren Widerstand auf."
Und mehr als das: Peter Koch wird in seinem Editorial gar davon schreiben, dass die deutsche Geschichte aufgrund des Tagebuchfundes umgeschrieben werden müsse. Eine journalistische Selbstüberschätzung, die wie der gesamte Skandal dafür sorgte, dass der "Stern" sein Renommee als politisch ernstzunehmende Zeitschrift bis heute nicht wieder gewonnen hat.
Michael Seufert: Der Skandal um die Hitler-Tagebücher
S. Fischer Verlag, 319 Seiten
14,90 Euro
Nein, Peter Koch, Chefredakteur des "Stern", kannte die Summe wirklich nicht, die sein Verlag Gruner + Jahr zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits für die angeblichen Hitler-Tagebücher gezahlt hatte. Denn dieses Projekt war so geheim, dass es nicht nur die Weltöffentlichkeit überraschen sollte, sondern auch fast alle Mitarbeiter der zu diesem Zeitpunkt wichtigsten deutschen Illustrierten. Insgesamt 9,34 Millionen Mark gab der Vorstand von Gruner + Jahr aus, um den größten journalistischen Flop des Jahrhunderts zu finanzieren - zum Ärger der Redaktion, die vehement personelle Konsequenzen fordern sollte, zum Schaden des "Stern" und seines Gründers Henri Nannen.
"Wir werden versuchen, die Geschichte dieser Fälschung aufzudecken, voll aufzudecken und dem Leser vorzulegen. Aber selbstverständlich nennen wir unsere Quelle, denn wenn uns jemand betrügt, haben wir doch gar keine Ursache, den Betrüger zu schützen."
Henri Nannen beauftragte nach der Enthüllung der Fälschung durch das Bundeskriminalamt und das Amt für Materialprüfung den Redakteur Michael Seufert und seine Mannschaft vom "Stern"-Ressort "Deutschland aktuell" mit der internen Aufarbeitung des Skandals. Viel zu spät passierte das, was längst hätte geschehen müssen: die Überprüfung der Quellen, ein Akt grundlegender journalistischer Sorgfaltspflicht.
"Wir waren sozusagen die schnelle Recherchetruppe, und es hat sich ja auch gezeigt, dass wir innerhalb von drei Stunden die wichtigste Information herausbekommen haben, dass dieser angebliche Herr Fischer mit seinem Generalsbruder in der DDR Fischer nicht Fischer hieß, sondern Kujau. Damit brach diese ganze Beschaffungsgeschichte, die Heidemann immer wieder erzählte, total zusammen."
In kürzester Zeit hatten sich die Legenden, auf die der Reporter Gerd Heidemann hereingefallen war und an denen er teilweise selbst - bewusst und unbewusst - mitgestrickt hatte, in Luft aufgelöst. Schnell war Konrad Kujau, der Militaria-Händler mit angeblichen Kontakten bis hinein in die militärische Führungsspitze der DDR als Fälscher und Hochstapler entlarvt. Er war der Profiteur einer merkwürdigen Subkultur gewesen, bestehend aus ehemaligen Aktiven des Dritten Reiches, wohlhabenden Sammlern und Hitler-Verehrern, die bereit waren für Nazi-Memorabilien tief in die Taschen zu greifen. In diese Szene geriet auch der renommierte Reporter Heidemann, der, hoch verschuldet, im Geschäft mit den Tagebüchern sowohl sein Faible für Relikte des Dritten Reiches ausleben konnte, als auch seine Geldprobleme meinte lösen zu können. Die Redaktion des "Stern" wurde dabei umgangen, denn die stand den Nazi-Geschichten Heidemanns seit Langem skeptisch gegenüber, schreibt Seufert. Heidemann, der auch bei Nannen abgeblitzt war, wendete sich direkt an den Verlag. Und dadurch kam es zur "programmierten Katastrophe", denn
"Bei den Beteiligten geht es um Karrieren, Macht und vor allem das große Geld.
Vorstandschef Gerd Schulte-Hillen und sein Vorgänger Dr. Manfred Fischer spielen Chefredakteur und wollen beweisen, dass sie einen journalistischen Knüller erkennen und für den Verlag sichern können. Millionenbeträge werden Gerd Heidemann bar in die Hand gedrückt, einem Mann, der enorme Schulden und teure Obsessionen hat.
Der Verlag schließt mit dem Tagebuchbeschaffer Gerd Heidemann und seinem Ressortleiter Dr. Thomas Walde ohne Wissen der Chefredaktion Verträge, die sie zu reichen Leuten machen und ihnen gleichzeitig die exklusive Auswertung der Tagebücher sichern. Damit sind die Leute, die den spektakulären Fund kritisch hätten prüfen müssen, am wirtschaftlichen Erfolg direkt beteiligt. Eine fatale Interessenkollision."
Bei den wenigen Eingeweihten machte sich, so Seufert in seinem spannenden und lesenswerten Lehrstück, eine Bunkermentalität breit, die Zweifel im Keim erstickte. Dabei gab es von Anfang an deutliche Warnsignale, gab es Skepsis gegenüber der Identität der Zuträger, gegenüber dem Inhalt der Tagebücher.
"An diesem Mittwoch, dem 13. Mai 1981, telefoniert Heidemann mit dem ehemaligen SS-General Wilhelm Mohnke und liest ihm einige Tagebuchpassagen vom März 1933 über die 'Leibstandarte Adolf Hitler' vor. Beim Stern weiß zwar noch nicht einmal die Chefredaktion von den angeblichen Tagebüchern, aber seinen Freunden hat er natürlich davon erzählt. Mohnke ist allerdings auch Experte, was dieses Thema betrifft, denn er hat der 'Leibstandarte' seit ihrer Gründung angehört. ( ... )Mohnke ist verblüfft. Er ist sicher, dass die Eliteeinheit der SS im März 1933 noch nicht 'Leibstandarte Adolf Hitler' geheißen hat und nicht in Lichterfelde stationiert war."
Doch Heidemann und sein Ressortleiter Walde verließen sich darauf, dass Mohnke sich einfach nicht richtig erinnere, wie sie auch andere Ungereimtheiten damit erklärten, dass sich Hitler damals halt im Datum geirrt hätte.
Noch 25 Jahre danach verursacht die akribische, manchmal fast zu akribische Aufarbeitung der Ereignisse, die Michael Seufert hier vorlegt und die kaum nacherzählt werden kann, beim Leser ungläubiges Kopfschütteln. Er lernt: Wer betrügen will, der muss am Besten möglichst hoch pokern, denn damit setzt er einen lawinenartigen Mechanismus in Gang, den einzelne Skeptiker kaum mehr stoppen können. Selbst Historiker wie Hugh Trevor-Roper gaben dem "Stern" einen Vertrauensvorschuss, weil sie ein solches Maß an Betrug und Selbstbetrug bei der damals renommiertesten deutschen Illustrierten nicht vermuteten.
"Als die Chefredakteure Peter Koch, Felix Schmidt und Rolf Gillhausen durch einen Zufall von dem unglaublichen Vorgehen der Verlagsspitze erfahren, wird ihr Protest vom Tisch gewischt. Geblendet von der angeblichen historischen Sensation und der Tatsache, dass der Verlag damals in das Projekt schon sagenhafte 1,5 Millionen Mark investiert hat, geben sie ihren Widerstand auf."
Und mehr als das: Peter Koch wird in seinem Editorial gar davon schreiben, dass die deutsche Geschichte aufgrund des Tagebuchfundes umgeschrieben werden müsse. Eine journalistische Selbstüberschätzung, die wie der gesamte Skandal dafür sorgte, dass der "Stern" sein Renommee als politisch ernstzunehmende Zeitschrift bis heute nicht wieder gewonnen hat.
Michael Seufert: Der Skandal um die Hitler-Tagebücher
S. Fischer Verlag, 319 Seiten
14,90 Euro