Das Verhältnis von Töchtern zu ihren Müttern gleicht nicht selten einem unentwirrbaren Gewühl aus unerledigten Sehnsüchten und überbordenden Forderungen. Die französische Bildhauerin Louise Bourgeois goss ihre eigene Mutter in die Form einer gigantisch langbeinigen Spinne. "Maman" nannte sie ihre heute in aller Welt anzutreffenden Bronzefiguren, die sie als Liebeserklärung verstanden wissen wollte. Was zuerst befremdlich wirken mag, offenbart sich all jenen augenblicklich, die einmal das Glück hatten, unter einem dieser so beschützenden wie furchterregenden Gebilde zu stehen.
Wahr ist: Sie lassen einen nicht los, die Mütter, ob man sie nun liebt oder hasst oder alles zugleich. Die 1967 in Köln geborene Schriftstellerin Annette Pehnt widmet ihren neuesten Roman den Zumutungen des Mutter-Tochter-Kampfes. Anlass für die Ich-Erzählerin, ihre Geschichte in Gang zu setzen, ist der nahende Tod ihrer Mutter Annie. Eine Woche lang sitzt sie an ihrem Sterbebett und versucht, die stumme Mutter dazu zu bewegen, endlich ins Erzählen zu kommen, zu berichten, wie es ihr mit ihrer eigenen Mutter erging. Doch Annie sagt nichts mehr, und so braucht es einen zweiten Erzähler, der prägende Erlebnisse der kranken Mutter ans Licht holt.
Die Kapitel des Romans, der auch ein Abschiedsbuch ist, sind mit den Wochentagen überschrieben, an denen die Tochter ihre Mutter besucht: von Dienstag bis Montag. Dabei verhakt Pehnt die drei unterschiedlichen Lebensläufe, die unterschiedliche Lebensmodelle abbilden, erzählt vom Alltag in Zeiten des Krieges, der Nachkriegszeit und des Friedens.
Die daraus resultierende Chronik der Nähe des Titels entpuppt sich als eine Geschichte der unerhörten Distanz zwischen den Generationen. Die Zeiten ändern sich und die Mütter eben auch. Die Großmutter erweist sich als patente, aber harsche Person, die ihrer Tochter Annie nie die Liebe geben konnte, die es braucht, um im Leben Halt zu finden. Annie lernt deswegen früh, sich an ihren Zigaretten festzuhalten, ihren Lebenssinn aus ihnen herauszusaugen, sich im Rauch zu verstecken vor den Fährnissen des Lebens.
Ihrer eigenen Tochter, der Ich-Erzählerin des Romans, begegnet sie schon mal mit burschikoser Gleichgültigkeit, wobei die Gegensätze erst vollauf aufbrechen, als die Tochter selbst Mutter wird und die Lieblosigkeit der eigenen Mutter doppelten Schmerz auslöst. Die Erzählerin buhlt um die Liebe ihrer unnahbaren Mutter. Der Roman, der auch die Geschichte einer Annäherung ist, erzählt zeitversetzt davon, sehr dezent und unaufdringlich, leise auch, wobei Pehnt ein Ton gelingt, der vor vitaler Kälte vibriert.
Ihr Buch spiegelt den Versuch, der eigenen Mutter im letzten Moment doch noch nahezukommen, so nahe wie möglich. Voraussetzung dafür ist, dass man sie erst einmal kennenlernt, ihr Leben, besser: ihr Erleben wahrnimmt, um dann zu verstehen, warum sie geworden ist, wie sie war oder ist. Annie, die Mutter, die das pulsierende Zentrum des Romans darstellt, hat früh gelernt, dass man traurige Geschichten nicht erzählt. "Jeder hat sie, aber alle behalten sie für sich", merkt sie sich. Und es sind diese traurigen Geschichten, die in der letzten Begegnung mit ihrer Tochter ans Licht kommen.
Aber nicht nur, denn eines der Merkmale dieses Romans ist seine alltägliche, beinahe unaufgeregte Dramatik, die den psychologischen Fallgruben jedweder Familienaufstellung dennoch nicht ausweicht, auch wenn er sie manchmal flacher erscheinen lässt, als ihnen gut tut. Dabei gönnt uns die Autorin immer wieder kleine Blicke zurück in den deutschen Lebensalltag der Vergangenheit, in Zeiten, in denen es gute Sitte war, aus Vaters alten Unterhosen Schuhputzlappen zu rekrutieren oder am Straßenrand zugeschnürte Rotkreuzplastiksäcke auf Abholung warteten.
Dass die eigene Vergangenheit, also auch die eigene Kindheit, immer eine Frage der Perspektive ist, lernen wir bei Annette Pehnt en passant. Ihr sachter und weicher Tonfall lässt die Verletzungen und Grausamkeiten zwischen Müttern und ihren Töchtern umso deutlicher hervorblecken. Dabei erweist sich alles, was sie schreibt, als sehr dicht am Leben und der Roman bezieht seinen Charme auch aus seinem großen identifikatorischen Potenzial für Mütter und Töchter jedweden Alters.
Annette Pehnt: Chronik der Nähe.
Piper Verlag 2012, 215 Seiten, 17,99 Euro
Wahr ist: Sie lassen einen nicht los, die Mütter, ob man sie nun liebt oder hasst oder alles zugleich. Die 1967 in Köln geborene Schriftstellerin Annette Pehnt widmet ihren neuesten Roman den Zumutungen des Mutter-Tochter-Kampfes. Anlass für die Ich-Erzählerin, ihre Geschichte in Gang zu setzen, ist der nahende Tod ihrer Mutter Annie. Eine Woche lang sitzt sie an ihrem Sterbebett und versucht, die stumme Mutter dazu zu bewegen, endlich ins Erzählen zu kommen, zu berichten, wie es ihr mit ihrer eigenen Mutter erging. Doch Annie sagt nichts mehr, und so braucht es einen zweiten Erzähler, der prägende Erlebnisse der kranken Mutter ans Licht holt.
Die Kapitel des Romans, der auch ein Abschiedsbuch ist, sind mit den Wochentagen überschrieben, an denen die Tochter ihre Mutter besucht: von Dienstag bis Montag. Dabei verhakt Pehnt die drei unterschiedlichen Lebensläufe, die unterschiedliche Lebensmodelle abbilden, erzählt vom Alltag in Zeiten des Krieges, der Nachkriegszeit und des Friedens.
Die daraus resultierende Chronik der Nähe des Titels entpuppt sich als eine Geschichte der unerhörten Distanz zwischen den Generationen. Die Zeiten ändern sich und die Mütter eben auch. Die Großmutter erweist sich als patente, aber harsche Person, die ihrer Tochter Annie nie die Liebe geben konnte, die es braucht, um im Leben Halt zu finden. Annie lernt deswegen früh, sich an ihren Zigaretten festzuhalten, ihren Lebenssinn aus ihnen herauszusaugen, sich im Rauch zu verstecken vor den Fährnissen des Lebens.
Ihrer eigenen Tochter, der Ich-Erzählerin des Romans, begegnet sie schon mal mit burschikoser Gleichgültigkeit, wobei die Gegensätze erst vollauf aufbrechen, als die Tochter selbst Mutter wird und die Lieblosigkeit der eigenen Mutter doppelten Schmerz auslöst. Die Erzählerin buhlt um die Liebe ihrer unnahbaren Mutter. Der Roman, der auch die Geschichte einer Annäherung ist, erzählt zeitversetzt davon, sehr dezent und unaufdringlich, leise auch, wobei Pehnt ein Ton gelingt, der vor vitaler Kälte vibriert.
Ihr Buch spiegelt den Versuch, der eigenen Mutter im letzten Moment doch noch nahezukommen, so nahe wie möglich. Voraussetzung dafür ist, dass man sie erst einmal kennenlernt, ihr Leben, besser: ihr Erleben wahrnimmt, um dann zu verstehen, warum sie geworden ist, wie sie war oder ist. Annie, die Mutter, die das pulsierende Zentrum des Romans darstellt, hat früh gelernt, dass man traurige Geschichten nicht erzählt. "Jeder hat sie, aber alle behalten sie für sich", merkt sie sich. Und es sind diese traurigen Geschichten, die in der letzten Begegnung mit ihrer Tochter ans Licht kommen.
Aber nicht nur, denn eines der Merkmale dieses Romans ist seine alltägliche, beinahe unaufgeregte Dramatik, die den psychologischen Fallgruben jedweder Familienaufstellung dennoch nicht ausweicht, auch wenn er sie manchmal flacher erscheinen lässt, als ihnen gut tut. Dabei gönnt uns die Autorin immer wieder kleine Blicke zurück in den deutschen Lebensalltag der Vergangenheit, in Zeiten, in denen es gute Sitte war, aus Vaters alten Unterhosen Schuhputzlappen zu rekrutieren oder am Straßenrand zugeschnürte Rotkreuzplastiksäcke auf Abholung warteten.
Dass die eigene Vergangenheit, also auch die eigene Kindheit, immer eine Frage der Perspektive ist, lernen wir bei Annette Pehnt en passant. Ihr sachter und weicher Tonfall lässt die Verletzungen und Grausamkeiten zwischen Müttern und ihren Töchtern umso deutlicher hervorblecken. Dabei erweist sich alles, was sie schreibt, als sehr dicht am Leben und der Roman bezieht seinen Charme auch aus seinem großen identifikatorischen Potenzial für Mütter und Töchter jedweden Alters.
Annette Pehnt: Chronik der Nähe.
Piper Verlag 2012, 215 Seiten, 17,99 Euro