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Von der Apostelin zur Femme fatale

Sie werden verleumdet, fehlinterpretiert oder gar von Bibelübersetzern mal eben zum Mann gemacht: Mit der Institutionalisierung der Kirche im 12. Jahrhundert haben viele Frauenfiguren der Bibel an Bedeutung verloren, meint die Filmemacherin Maria Blumencron.

Maria Blumencron im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Ostern, da kommt das Neue Testament immer groß raus. Dann steht's in der Zeitung, was die Forschung zum realhistorischen Hintergrund der Kreuzigungsgeschichte Neues zu sagen hat, was sich ereignet hat, haben könnte, oder auch sicher nicht ereignet hat. Wir sprechen heute über die Frauen im werdenden Christentum, die ja in der Kirche schweigen sollen, aber darauf kam erst Paulus, kein Wunder in einer patriarchalen Ordnung, ob die nun jüdisch oder römisch war. Es gibt aber die Vorstellung, dass Frauen in der Jesusbewegung mal stärker vertreten waren, als die Bibel zugibt.

    Maria Blumencron hat einen Film gedreht, der heute Abend im ZDF zu sehen ist. "Die verschwundenen Frauen" heißt er – Untertitel: "Jesus und die vergessenen Säulen des Christentums." Eine davon: Maria Magdalena. Aber die ist ja nun gerade nicht verschwunden, Maria Blumencron?

    Maria Blumencron: Maria Magdalena ist für mich schon in einer bestimmten Art verschwunden, weil sie kirchengeschichtlich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder neu übermalt wurde, fehlinterpretiert wurde, von alten Kirchenvätern wie Papst Gregor dem Großen auch verleumdet wurde, als Sünderin interpretiert wurde. Also für mich ist Maria Magdalena ja hinter den Übermalungen verschwunden. Das heißt, wir haben sie in unserem kulturellen Bewusstsein immer noch eher als die laszive Sünderin.

    Novy: Und was war sie wirklich, oder was wäre sie gewesen?

    Blumencron: Ich versuche, in meinem Film herauszuarbeiten, dass Maria Magdalena die erste Apostelin war, die Apostola Apostolorum. In allen vier Evangelien wird bezeugt, dass Maria Magdalena Jesus als Erste gesehen hat als Auferstandenen. Also sie ist diejenige, die Jesus während der Passion begleitet. Das heißt, sie ist da, unterm oder in der Nähe des Kreuzes. Das war damals für Frauen auch eine gefährliche Angelegenheit. Es ist geschichtlich belegt, historisch belegt, dass auch Frauen als Sympathisantinnen gekreuzigt hätten werden können. Also sie hat ein großes Risiko auf sich genommen und sie ist dann diejenige, die dem Auferstandenen begegnet, also vor seinem Grab und, der Jesus auch den Auftrag gibt, die frohe Botschaft seiner Auferstehung weiterzutragen an die Jünger und Jüngerinnen. Der Auftrag der Verkündigung wird Maria Magdalena als Erster gegeben.

    Novy: Und was ist denn die Funktion dieser Übermalung gewesen und wie hat sie sich genau abgespielt? Wie wurde aus dieser Maria Magdalena – Sie sagen ja: Es steht ja alles in der Bibel so da – jemand, der dann vor allem auch in der Kunstgeschichte als ein erotisches Weib wahrgenommen wurde?

    Blumencron: Für die frühen Kirchenväter bei der Institutionalisierung der Kirche war das so ein bisschen ein Problem, dass ausgerechnet die erste Apostelin eine Frau ist. Das passte nicht so richtig ins Weltbild herein. Also musste man das irgendwie herunterspielen oder korrigieren, und da brachte man Maria Magdalena mit Eva in Verbindung. Man sagte, die erste Frau, Eva, hat den Tod und die Sünde in die Welt gebracht, und deswegen musste quasi eine Frau als Wiedergutmachung die Erste sein, der der auferstandene Jesus begegnet. Und durch diese Assoziation zwischen Maria Magdalena und der sündigen Eva kommt auch Maria Magdalena so in dieses sündige Fahrwasser hinein: die reuige Sünderin. Und wie Sie schon sagten: in der Kunstgeschichte, wenn man ins kunsthistorische Museum – ich bin Wienerin – in Wien geht, dann sieht man da Maria Magdalena als Femme fatale des Christentums, als Pin-up-Girl, die lasziv in einer Höhle liegt und 30 Jahre Buße tut für ihr sündiges Leben.

    Novy: Nun gibt es ja auch andere Figuren, die in Ihrem Film heute Abend auftauchen werden. Wer sind denn diese vollkommen verschwundenen Frauen?

    Blumencron: Ich habe als eine der Protagonistinnen eine sogenannte Junia, die eine Apostelin war. Das Interessante an dieser Figur ist, dass sie nur bis zum 12. Jahrhundert als Junia in den Bibelübersetzungen belegt ist. Im 12. Jahrhundert hat die Junia einer Geschlechtsumwandlung sich unterziehen müssen. Der Bibel-Kommentator Aegidius von Rom hat aus der Junia einen Junian gemacht.

    Oder es gibt Phöbe, eine berühmte Diakoninnen, erwähnt in den Paulusbriefen an die Römer, und das Amt der Diakonin wird heute so ein bisschen runtergespielt als die Dienerin, die Helferin, aber damals hatte eine Diakonin eine leitende Funktion.

    Novy: Das heißt, es gibt also Hinweise darauf, dass in früher Zeit der Kirche Frauen das Priesteramt versehen durften?

    Blumencron: Man hat ja damals noch nicht vom Priesteramt gesprochen in dieser frühen Christenbewegung vor der Institutionalisierung. Die Menschen haben sich in Hausgemeinschaften getroffen, oft waren Frauen die Gastgeberinnen, man hat Brot gebrochen, Wein getrunken, aber es gab in dem Sinne keinen Priester.

    Novy: Also sagen wir die rituellen Handlungen?

    Blumencron: Ja. Die rituellen Handlungen wurden durchaus auch von Frauen durchgeführt. Diese Frauen sind mit der Institutionalisierung der Kirche mehr in den Hintergrund gerückt, weil ja auch die Kirche vom privaten Raum in einen öffentlichen Raum wechselte. So stelle ich mir das vor, dass dann die Frau auch in den Hintergrund gerückt ist.

    Novy: Maria Blumencron war das über Ihren Film "Die verschwundenen Frauen", heute Abend im ZDF zu sehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.