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Von der Elbe an die Themse

Der Lotse des sächsischen Museums-Tankers steuert ins britische Allerheiligste: Der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, wechselt nach London. Ab September wird er das "Victoria and Albert Museum" leiten.

Von Stefan Koldehoff |
    Wer Roth in Dresden erlebt hat, wer ihn ein wenig näher kannte, weiß, dass diese Sätze bei ihm nicht den Charakter jener Begründungsfloskeln haben, den sie bei vielen seiner Kollegen automatisch haben müssten. Roth hat keinen Grund, frustriert zu sein. Er hat in Dresden seit 2001 Großes geleistet, und er ist selbstbewusst genug, das auch zu wissen.

    Unvergessen sein Einsatz beim katastrophalen Elbhochwasser des Jahres 2002. Damals stand der Generaldirektor selbst mit Gummistiefeln in den Fluten und telefonierte zwischendurch immer wieder mit den zuständigen Ministerien, um aus der akuten Situation heraus sofort neue Strukturen, Gebäude, Finanzierungen zu sichern. In den vergangenen zehn Jahren seit seiner Amtsübernahme hat Roth dort Herkulesarbeit geleistet: Häuser wie das Grüne Gewölbe oder das Albertinum wurden komplett saniert und neu eingerichtet. Der Generaldirektor organisierte Mittel für die Restaurierung bedeutender Kunstwerke, veranstaltete bedeutende Symposien, verhandelte mit den Wettinern über die Restitution ihrer Kunstschätze und baute internationale Kontakte in alle Welt auf, wie sie nur wenige Häuser haben. Er holte Gerhard Richter und Georg Baselitz nach Dresden zurück und stellte ein Programm für moderne und zeitgenössische Kunst auf die Beine, wie es Dresden bis dahin nicht kannte.

    Roth war der Macher, der Organisator, der Ermöglicher, der immer alle zwölf Museen des Dresdner Verbundes im Blick behalten musste. Das geschah aus seinem Büro im Dresdner Schloss, von Berlin aus, wo Roth und seine Familie nach wie vor wohnen – gern aber auch schon mal per SMS aus einer Sitzung, Konferenz oder von der Autobahn. Die Kultur ist vor allem durch diese Aktivitäten zum wesentlichen Tourismus- und Wirtschaftsfaktor in der sächsischen Hauptstadt geworden. Für Dresden ist dieser Weggang ein Verlust, dessen Auswirkungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal ansatzweise abzusehen sind.

    Sein souveränes Agieren als Kulturermöglicher hätte Martin Roth schon seit langem für noch höhere Aufgaben qualifiziert. Als aber vor vier Jahren in der Berliner Museumslandschaft die Posten neu verteilt wurden, wurde der Mann aus Dresden bewusst übergangen – obwohl es vorher von direkt Beteiligten andere Zusagen gegeben hatte. Roth galt aber, unter anderem im Berliner Kulturstaatsministerium, als nicht steuerbar. Genau das aber – politisch unabhängig – muss ein Museumsdirektor nun einmal sein.

    Martin Roth ist nicht der Erste, der Deutschland verlässt. Chris Dercon entschied sich für London statt München, Klaus Biesenbach für New York statt Berlin – die Liste ließe sich fortsetzen. Auf der anderen Seite sind in den kommenden Monaten eine Reihe von Direktorenstellen in bedeutenden deutschen Museen neu zu besetzen, so im Museum Ludwig in Köln, dem Münchner Lenbachhaus und der Pinakothek der Moderne, der Bremer Kunsthalle und möglicherweise auch im Saarlandmuseum in Saarbrücken. Die Verantwortlichen in Ländern und Kommunen werden sich anstrengen müssen, hier geeignete Kandidaten zu finden, für die ein deutsches Haus noch interessant oder gar attraktiv sein kann. Viele von ihnen können nach wie vor weder über einen Ankaufs- noch über einen gesicherten Ausstellungsetat verfügen. Und in vielen Findungskommissionen sitzen inzwischen statt kompetenten Fachleuten Vertreter der Freundeskreise und Sponsoren.

    Der Weggang von Martin Roth weist deshalb weit über Dresden und Sachsen hinaus. Wenn sich Deutschland nach wie vor als Kulturnation verstehen will, sollte der Wechsel eines seiner profiliertesten und erfolgreichsten Museumsleiter ganz grundsätzliche Fragen aufwerfen.