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Von der Entdeckung der Ölfarbe bis zur Lehre von der Perspektive

Die frühe Neuzeit zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert war eine Zeit des Aufbruchs. Wie sehr auch die Künstler in den gesellschaftlichen Umwandlungsprozess involviert waren, untersucht eine Forschungsgruppe am Max-Plank-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.

Von Eva-Maria Götz |
    In der Werkstatt des Jan van Eyck wird in jeder Ecke, an jedem freien Platz gearbeitet: An einem großen Tisch rechts im Raum stehen zwei Männer und rühren und mischen Farben an, die dann von zwei Lehrjungen auf die Paletten aufgetragen werden. Links sitzt eine kostbar gekleidete Dame Modell. Der Maler, der ihr Porträt anfertigt, hat seine Kunst sicher studiert an den antiken Torsi und Büsten, die auf einem Regal hinter ihr aufgereiht stehen und auf die Weltläufigkeit des Meisters der Werkstatt verweisen. Der steht selbst in der Mitte des Raumes und malt an einem großformatigen Tableau, das den heiligen Georg und seinen Kampf mit dem Drachen zeigt - ein kirchliches Motiv, vielleicht eine Auftragsarbeit. Durch große, offen stehende Fenster fällt helles Licht auf die Szene.

    So lebhaft malt Johann Stradanus in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Werkstatt eines Kollegen, der 200 Jahre vor ihm gelebt hat: Jan van Eyck, einer der bedeutenden niederländischen Künstler des 14. Jahrhunderts. Dessen Atelier stellt sich Stradanus hell und geschäftig vor und voll von Verweisen auf die hohe Bildung und die hohe Professionalität des Hausherrn. Jan van Eyck hatte die Malerei in Nordeuropa von Grund auf verändert, er brachte den Naturalismus in die bildende Kunst, ihm wurde auch die Erfindung der Ölfarben zugeschrieben. Und dass ein Maler noch zwei Jahrhunderte später ein so idealisiertes Bild von seiner Arbeitsweise entwirft, zeigt, wie hoch sein Ansehen und sein Einfluss waren als ein bildender Künstler, der weit über seine Zunft und seine Zeit hinaus wirkte und seine Erkenntnisse weitergab.

    "Wenn man so ganz am Anfang des 15. Jahrhunderts die niederländische Malerei sieht: Was man da sieht, ist wie ein Künstler, wie Jan van Eyck, gebrochenes, künstliches Licht repräsentiert. Das musste er ja beobachtet haben. Und das geht ja viel, viel weiter, als was man damals in den optischen Traktaten finden könnte."

    Sven Dupré, Professor für Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und Leiter der Forschungsgruppe am Max-Plank-Institut:

    "Da ist viel Neues, was von den Künstlern beobachtet und dargestellt wird."

    Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts machten Künstler vor allem Auftragsarbeiten für die Kirche. Das ändert sich mit Beginn der Reformation, protestantische Kirchen brauchen keine Bilder. Die Maler mussten sich mehr und mehr private Auftraggeber suchen, dadurch änderten sich die Motive, die Art der Darstellung, das Material. Und das Ansehen der Künstler in der Gesellschaft:

    "Die werden beobachtet als Leute, die Wissen vermitteln. Aber sie schaffen auch neues Wissen. Und werden auch so erkannt."

    Albrecht Dürer zum Beispiel.

    "Das gilt ja auch für Dürer. Weil Dürer ja für uns in dieser Zeit als Künstler bekannt ist. Das war nicht immer so. Im 16. Jahrhundert war Dürer bekannt als Mathematiker. Und sein Buch "Unterweisung der Messung" war ein Buch über Geometrie. Er war nicht nur Künstler, er war auch vieles andere und spielte natürlich mit seinen Beobachtungen von Tieren und Pflanzen. Das spielte ja auch eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des Wissens von Tieren und Pflanzen aus Amerika und Asien."

    Die Maler, Bildhauer, Kunstglasbläser sehen die Welt mit neugierigem, unverstelltem Blick und versuchen sie in ihren Werken so exakt wie nur irgend möglich zu darzustellen. Dafür brauchen sie völlig neue Techniken. Und erobern so neue Wissenskontinente.

    "Mathematik ist da das beste Beispiel, weil die Perspektive, die die Künstler erkennen müssen, die hängt von der Mathematik ab."

    In den Werkstätten der Künstler wird experimentiert. Wie stellt man Perspektive dar, wie verändert sich das Licht, was macht das Licht wiederum mit der Oberfläche der Dinge. Die Ergebnisse schreiben sie auf und erregen damit das Interesse der Gelehrten. Ein Diskurs beginnt:

    "Rubens zum Beispiel, der hat ein ganzes Netzwerk von Humanisten und Gelehrten um sich gebaut. Und tauschte sich da auch mit aus."

    Der auf Gegenseitigkeit basiert:

    "Johannes Keppler zum Beispiel, der kannte sich aus, was Nürnberger wie Wenzel Jang über Perspektive geschrieben haben im 16. Jahrhundert. Und das spielt auch eine ganz wichtige Rolle in seiner neuen Optik.
    Und wir denken auch, dass es viel Neues gab im Bereich von Chemie und Alchemie."


    "Jede chemische Substanz wurde gerochen, wurde geschmeckt, wurde mit dem Auge geprüft, wurde verschiedenen Bedingungen ausgesetzt. Wurde miteinander gemischt, destilliert, verbrannt und so weiter. Und daraus entstanden auch viele nützliche Ergebnisse, eben in der Synthetisierung von Rohstoffen, die dann wieder in anderen Bereichen, eben der Glaskunst, eingesetzt werden konnten."

    Dedo von Kerssenbrock-Krossigk, Direktor des Glasmuseums Hentrich in Düsseldorf.

    Alchemie war in der frühen Neuzeit noch nicht so ausschließlich mit esoterischen Vorstellungen behaftet wie heute. Zwar wurde auch damals schon nach dem "Stein des Weisen" gesucht, dem ganzheitlichen Zusammenhang von allem mit allem. Aber:

    "Ganz faktisch mussten die Alchemisten ja von etwas leben. Und die waren interessiert an der Natur als Ganzes, aber eben an allem, was die Natur hervorbrachte. Und dazu gehörten die Mineralien, die Rohstoffe jeglicher Art, letztlich war ein Glas Milch für einen Alchemisten mindestens so spannend wie ein Klumpen Gold. Von dem Klumpen Gold konnte man sich etwas mehr Profit erwarten, aber das Glas Milch war genauso rätselhaft."

    Als Kooperationspartner des Forschungsprojekts am Berliner Max-Plank-Institut beschäftigt sich Dedo von Kerssenbrock-Krossigk mit der Schnittstelle von Alchemie und bildender und angewandter Kunst – oft ließ sich das nicht trennen. Alchemist und Künstler waren dann in einer Person verbunden.

    "Die Frage, warum haben an verschiedenen Orten zu der gleichen Zeit Glasmacher ein gleiches Ergebnis erzielen können ist, bislang immer unter dem Aspekt betrachtet worden: Da sitzen halt enorm talentierte Glasmacher, die völlig unabhängig voneinander etwas produzieren und man hat das für sich jeweils betrachtet. Wenn man sich das etwas globaler anschaut, dann sieht man, dass diese ganzen Glasmacher einen gemeinsamen Hintergrund benötigten. Und den findet man eben in der Alchemie. Weil es zu dieser Zeit enorm viel alchemistische Forschung gab, die eben materialorientiert war."

    Künstlerwerkstätten in jener Zeit glichen Laboratorien. Alles wurde selbst gemacht. Vieles zum ersten Mal. Und das praktische Wissen, dass so erworben wurde, war ein wertvolles Gut:

    "Sie müssen sich vorstellen, wenn man eine Glashütte mit einem großen Ofen hat, da werden diese Pötte mit einem Rohmaterial gefüllt, dann müssen die eingeschmolzen werden. Da kann man nicht experimentieren, wenn man so einen ganzen Pott Glas vernichtet, weil man so ein bisschen rumexperimentiert, dann ist das ein solcher wirtschaftlicher Schaden, dass in der Regel auch die Hütte dann existenziell bedroht ist. Das heißt, man tat gut daran als Glasmacher in seiner Hütte genau so vorzugehen, wie der Erfahrungsschatz es gelehrt hat. Deswegen bedurfte man der Laboratorien, wo man in kleinem Format etwas ausprobieren konnte und um dann vorsichtig und mit der Beratung von jemand, der sich auskannte, die große Produktion umzubauen. Das war die Schwierigkeit für den Alchimisten und den Glasmacher."

    Um Glas zu machen, vor allem dann, wenn es zu künstlerischen Zwecken verarbeitet und veredelt werden sollte und farbig war, bedurfte es großem Wissen.

    "Wenn man nicht die nötigen Voraussetzungen hat, dann kommt kein Glas bei raus. Das ist bei der Malerei im Grunde nicht soviel anders. Wenn man die falschen Pigmente verwendet - und zum Beispiel Leonardo hat ja viel mit Pigmenten experimentiert, deswegen sind ja auch viele seiner Werke nicht erhalten, weil die Bindungen nicht funktioniert haben. "

    Lesung aus Rezeptbuch: "Des Wolerfahrnen herrn Alexij Pedemontani von den Secreten oder künsten" Ein gute blawe farb zu machen.

    Nim ein pfund des aller besten lasur stein / stosse ihn zu kleinen stücklin / lege sie in dz feur / biß sie wol gluend werde / darnach lösche sie in essig auf / dörre sie / und reibe sie auff einem stein mit nachvolgendem wasser / gleich wie man den zinober reibet. Nim ein maß brunn wasser / weiß unverschaumpt honig vier lot: mische es durch einand / koche un verschaume es wol / demnach als es vom feur hinweg genommen / und widerum kalt worden / thu allgemach darein einer nuß groß gestossen drachen blut / darnach siege es durch ein leinen duch. Es ist aber fleiß anzuwenden / dass dz wasser nit zu rot / nit zu heyter / sonder violfarb und clar seye / damit die blaw farb / violfarb an sich nemme.
    Demnach nim obgenanten lasurstein also prepariert / reibe ihn
    auff einem stein / gleich wie den zinober / ein gantze stund lang / darnach dörre ihn an dem schatten / zu letzt stosse ihn zu pulver / und behalte ihn in leinin eng gewebe dücher.


    ""Blau ist ne ganz schwierige Sache, weil Blautöne in der frühen Neuzeit noch sehr teuer sind. Und man gerade noch versucht, an eine größere Vielfalt von Blautönen zu kommen. Grade im Bereich des Blaus wird stark geforscht."

    Karin Leonhardt, Mitarbeiterin der Forschungsgruppe am Max-Plank-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin.

    Und die Farbe Blau wurde oft gebraucht, beispielsweise um die Madonna in einen Mantel zu kleiden.

    "Das war teuerstes Lapislazuli in den meisten Fällen, das heißt, das war sehr kostbar, es hatte aber auch eine heilende Wirkung. Das Lapislazuli wurde oft als wohltuende oder heilende Farbe beschrieben. Und der Madonnenmantel hat ja auch diese schützende Dimension. Da kann man jetzt gedanklich spielen und Überlegungen anstellen, ob die Attribute der Farbe auch ein Attribut der Madonna sein sollen."

    Dadurch, dass die Künstler ihre Farben selber mischten, wussten sie alles über ihre Bestandteile und über die Nebenwirkungen der verwendeten Mineralien und Pflanzen. Und sie spielten damit, wechselten beispielsweise die Ebenen zwischen Material und Gemälde.

    "Ich selber kümmere mich grade um einen Maler, der von Holland nach Italien gereist ist, nach Florenz, da für die Medici ganz tolle Bilder gemacht hat, in denen es stark um Gift geht, um Schlangen, um Kröten, um Reptilien. Und es mir so scheint, als ob er in dem Giftdiskurs dieser Zeit so ganz eng dabei ist und wo man nun genau überlegt: Was ist giftig, warum ist es giftig? Auch Farben können ja giftig sein. Und es Indizien gibt, dass er in den Gemälden giftige Gegenstände, sagen wir ein Pilz, auch mit einem toxischen Pigment dargestellt hat. Dass er noch mal versucht hat, Natur und Kunst so ineinander fallen zu lassen."

    Solches Wissen erregte Aufsehen. Und wurde weitergesagt, niedergeschrieben, transportiert. Denn die Zeit war gut für alles Visuelle: Der Buch- und Kunstdruck wurde grade erfunden und so erreichten auch die bildenden Künstler ein ganz neues Publikum. Welche Auswirkungen das wiederum auf ein sich neu entwickelnden Wissensbegriff vor allem in den Naturwissenschaften hatte, ist Gegenstand der Forschungsarbeiten am Max-Plank-Institut für Wissenschaftsgeschichte, die dabei ebenfalls neue Wege beschreitet. Sven Dupré:

    "Wissenschaftshistoriker haben sich am meisten interessiert für Schrift und Kunsthistoriker haben sich für das Bild interessiert und wir bringen die beiden zusammen. Und das ist was ganz Neues, weil wir uns nicht nur für das Bild als Bild interessieren, sondern für das Bild als materiellen Prozess. Und die Künstler und Kunsttheoretiker damals haben auch einen ganzen Diskurs, ein ganzes Vokabular entwickelt, um über diese Sache zu sprechen. Da kann man heute in diesen Debatten noch ganz wichtige Sachen lernen."