"Wenn man nun schon sehr alt ist und langsam nicht mehr so interessiert ist am Leben, möchte man keine künstliche Verlängerung. "
Die alte Dame hat vor Jahren schon ihren 92-jährigen Mann in den Tod begleitet. Er war, so sagt sie, einer der ersten, der eine Patientenverfügung ausgefüllt hatte - lange bevor die Diskussion über die neue gesetzliche Grundlage der Patientenverfügung virulent wurde.
"Das hat uns sehr beruhigt. Wir wussten, das Leben hat einmal ein Ende und wollten keine Maßnahmen, die das Leben verlängern und die wir nicht für angemessen hielten."
Als ihr Mann im hohen Alter unter einer unheilbaren Krebserkrankung litt, wollte er mit seiner Patientenverfügung der Intensivmedizin eine Grenze setzen.
"Ja, ich habe auch eine Patientenverfügung und auch mich immer wieder damit auseinandergesetzt, auch mit dem Hausarzt, und meine Verfügung habe ich auch mit ihm abgestimmt. Und er hat einen Stempel darunter gesetzt, wenn mir also unterwegs etwas passiert, kann man sich mit ihm in Verbindung setzen, und das finde ich sehr gut."
Die 84-Jährige ist zuversichtlich, dass auch sie eines Tages einen würdigen Tod sterben darf - die Garantie biete ihr der vorab schriftlich niedergelegte Wille. Die Patientenverfügung nimmt vielen Menschen die Furcht vor dem unnötig und quälerisch lange hinausgezögerten letzten Atemzug. Dieses Motiv kennt der palliativmedizinische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Michael Kauch aus seiner eigenen Familie:
"Als meine Großmutter, die jetzt 91 ist, mit Ende achtzig das erste Mal im Krankenhaus war, hat sie sich als Objekt gefühlt, und da hat sie eine Patientenverfügung getroffen, weil sie verhindern möchte, dass mit ihr Dinge gemacht werden, die sie in ihrem Alter nicht mehr möchte. Aber ob die Intensivmedizin für die Patienten Geschenk oder Qual ist, das kann nur jeder für sich entscheiden. "
Mit ihrer eigenen Endlichkeit schließlich tatsächlich selbst konfrontiert, relativieren allerdings Sterbende nicht selten ihren Begriff vom Leben und dem Lebensende in Würde.
"Ich habe noch in Erinnerung, wie eine Patientin gesagt hat, wenn man mir vor zehn Jahren gesagt hätte, welche Schmerzen ich jetzt erleiden muss, hätte ich damals gesagt, das würde ich niemals aushalten. Und jetzt möchte ich leben! - also so herum sind meine Erfahrungen eher. "
Kerstin Kurzke betreut selbst seit vielen Jahren Sterbende. Als Leiterin des Malteser Hospizdienstes in Berlin koordiniert sie die ehrenamtliche Arbeit von siebzig Sterbebegleitern - sorgsam ausgewählte und geschulte Personen, die auf Wunsch jeweils einen Sterbenden zu Hause oder im Hospiz besuchen und betreuen. Gemeinsam mit Verwandten, Pflegern und Ärzten kümmern sich die Sterbebegleiter um Menschen in der letzten Phase ihres Lebens.
"Meistens ist es auch so, dass die Patientenverfügung gar nicht groß rausgekramt wird. Denn wenn die Menschen wirklich krank sind und wissen, was auf sie zukommt, dann passt es oft nicht zu dem, was sie früher einmal, noch gesund, notiert haben. Dass sich kranke ältere Menschen wünschen, sie möchten noch zur Dialyse und von außen eher kam, das ist ja gar nicht notwendig, muss das denn sein, das ist doch ne Qual. Und die Tochter immer sagt, aber meine Mutter möchte das doch, und es geht doch um sie selber!"
Solange der Patient, der an einer irreversiblen und zum Tod führenden Krankheit leidet, sich selbst äußern kann, wird er mit seinen Angehörigen, den Ärzten und Sterbebegleitern einen Weg zu einem ihm angemessenen Lebensende suchen. Diese Freiheit ist bei Patienten auf der Intensivstation oft eingeschränkt, anders als bei Menschen, die daheim oder im Hospiz ihr Leben beschließen.
"In der konkreten Situation am Lebensende, wo der Patient kommunikationsfähig ist und wo ich mit ihm besprechen kann, wie die Dinge gestaltet werden sollen, ist das, was derjenige mir in so einer Situation sagt, das viel bindendere als das, was er vielleicht vor Jahren einmal schriftlich verfasst hat."
Der Berliner Palliativ-Mediziner Achim Rieger versorgt in seiner Praxis, aber auch an Sterbebetten daheim oder im Hospiz, seit zehn Jahren todkranke Patienten. Für ihn wie auch für die betreuenden Verwandten oder Pfleger ist es weitaus schwieriger, zum Wohl ihres Schützlings zu handeln, wenn dieser sich nicht selbst oder nicht mehr selbst äußern kann. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe schildert den Fall eines an schwerer Demenz erkrankten Angehörigen:
"Ich hab das in der eigenen Familie erlebt und eine Person damit glücklich gemacht, dass ich pro Tag etwa drei Stunden, nicht am Stück, aber verteilt, seine Lieblingsmusik aufgelegt habe. Da guckte er sehr glücklich und hatte überhaupt nicht vor zu sterben, das merkte man sehr deutlich."
Bei einer fortgeschrittenen Demenz, wenn der Patient zumeist im hohen Alter schleichend seine Kommunikationsfähigkeit verloren hat, wird der Rückgriff auf die Patientenverfügung für die Familie, die Betreuer und die Palliativmediziner relevant.
"Was natürlich die wesentliche Rolle spielt bei der Demenz, ist die Ernährungsfrage, das ist der Punkt, um den sich alles dreht. Die Frage also, ob Ernährungssonden gelegt werden sollen oder ob nicht. Da ist die PV manchmal auch noch nicht ausreichend bindend. Ich kenne den Fall, da sind Angehörige von Demenzkranken zu mir in die Praxis gekommen und entsetzt waren, dass der behandelnde Arzt nicht bereit war, eine Ernährung zu beenden, obwohl aus der Patientenverfügung oder Äußerungen, die den gleichen Wert hatten, dass das aber häufig keinen Wert hat in solchen Situationen. Das ist heikel, weil der Beginn einer solchen Maßnahme eigentlich den Beginn einer Behandlung darstellt und Behandlung der Einwilligung bedarf. Menschen, die entgegen ihrem erklärten Willen einer solchen Maßnahme ausgesetzt werden, werden eigentlich auch einer Körperverletzung ausgesetzt."
Welchen Wert haben diese Verfügungen, wie verbindlich sind sie? Wie passen der Lebensschutz einerseits und das Recht des Patienten auf freie Selbstbestimmung andererseits zusammen?
"Für mich ist die Patientenverfügung ein Instrument, das nach allen Richtungen offen ist."
Gitta Neumann vom Humanistischen Verband möchte, dass der Verfügten Willen uneingeschränkt gilt. Anders die Position des Präsidenten des Kirchenamts der Evangelischen Kirche, Hermann Barth, zugleich Mitglied im Nationalen Ethikrat.
"Ich halte es für eine Illusion zu glauben, man könne bis auf wenige einzelne Fälle die Situation im Vorhinein vorwegnehmen und auf eine Auslegung verzichten. "
Ist ein Mensch von einer irreversiblen, tödlich verlaufenden Krankheit befallen, hat er keine Chance auf eine Heilung und das Bewusstsein verloren, so gilt seine Patientenverfügung als Richtschnur für die Ermittlung seines mutmaßlichen Willens. Neben dem subjektiven, momentanen Wohl des Sterbenden allerdings verblasse die Patientenverfügung, so Andreas Lob-Hüdepohl, Rektor der Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen. Absolut dürfe die Verfügung am Patientenbett nicht gelten, sagt er als Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken.
"Da muss der Betreuer sehr sorgfältig, am bestem im Verbund mit den Angehörigen, mit den behandelnden Ärzten, den Pflegekräften ermitteln, was nicht nur dem objektiven, sondern auch dem subjektiven Wohl des betreuten Menschen angemessen ist. Und das ist im Betreuungsrecht vorgezeichnet, und hier kann man die Patientenverfügung in das Betreuungsrecht einbinden."
Das reiche dann aus, meint der Theologe. Hier setzt die seit Jahren kontrovers geführte juristische Debatte über die Patientenverfügung ein: Wenn unsere Rechtsordnung die Autonomie des Menschen wirklich ernst nehme, so müsse sie dem Individuum auch angesichts seines nahenden Todes die Verfügungsgewalt über das Lebensende überlassen - so argumentieren Juristen, die das unbedingte Selbstbestimmungsrecht des Patienten und damit die unbedingte Gültigkeit seines festgeschriebenen Willens verfechten. Was ihren Kontrahenten, die den Lebensschutz verteidigen, als ewige Mahnung gilt, verbuchen sie als historische Hypothek:
"Es muss endlich Schluss damit sein, dass diejenigen, die sich für eine eng begrenzte Straffreiheit aktiver Sterbehilfe einsetzen, mit dem Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht werden."
Der Strafrechtler Torsten Verrel von der Universität Bonn beklagt, dass Mediziner heute vielfach aus Furcht vor strafrechtlichen Konsequenzen ihren Patienten eigentlich sinnlose medizinische Eingriffe zumuten und ihnen den Tod in Würde verwehren. Verrel plädierte vor dem Deutschen Juristentag im vergangenen Jahr dafür, das Strafrecht zu ändern. Auch Ärzte oder Angehörige, die den ausdrücklich gewünschten Suizid eines unheilbar Schwerstkranken befördern helfen, sollen straffrei bleiben, fordert Verrel. Bislang verbietet das Standesrecht der Mediziner ausnahmslos die ärztliche Beihilfe zum Freitod, Ärzte sind unbedingt zur Lebensrettung verpflichtet. Der Juristentag gab im Sinne Verrels Empfehlungen für die Neufassung der Patientenverfügung ab:
"Die in meinen Augen wichtigste Empfehlung betrifft die Schaffung einer Gesetzesnorm, die den Umfang der passiven Sterbehilfe klarstellt, auf den Begriff selbst verzichtet und für jedermann klarstellt und alle denkbaren Erscheinungsformen, das Unterlassen, Begrenzen oder Beenden lebenserhaltender Maßnahmen benennt. "
Wohl strebt auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries seit Jahren schon eine neue gesetzliche Regelung an, um Klarheit zu schaffen angesichts vieler spektakulärer und einander widersprechender Gerichtsurteile verschiedener Instanzen. Von einer Änderung des Strafrechts allerdings will die Sozialdemokratin nichts wissen. Sie möchte vor allem die Autonomie des Patienten bis zum Tod stärken
"Ich bin der Auffassung, dass jeder für sich selber entscheiden können muss, wie er sterben möchte, auch dann, wenn er nicht mehr entscheiden kann. Solange man reden kann, können wir ja sagen, was wir wollen, das ist unstreitig. Und deswegen meine ich, man kann prospektiv festlegen, wie man dann behandelt werden möchte. "
Einen eigenen Entwurf ihres Ministeriums zur Patientenverfügung hatte Frau Zypries in der vergangenen Legislaturperiode zurückziehen müssen. Nach langen Verhandlungen nähert sich nun das Parlament dem sensiblen Thema. In Rede stehen zwei Vorschläge, wie die Patientenverfügung gesetzlich zu verankern sein könnte: ein fraktionsübergreifender Entwurf sowie der Antrag des sozialdemokratischen Abgeordnete Joachim Stünker. Der vormalige Richter folgt im Wesentlichen den Vorstellungen der Ministerin, die seinem Entwurf ihrerseits auch zuneigt. Kerngedanke: Eins zu eins soll gelten, was der Betreffende schriftlich fixiert hat - unabhängig davon, wie die Familie, die Betreuer oder Ärzte die momentane Lage des Patienten beurteilen. Auch wenn ein medizinischer Eingriff möglicherweise noch lebensrettend wäre, soll der vorab verfügte Wille durchgesetzt werden. Andernfalls mache sich der Arzt einer Körperverletzung schuldig. Auf diesem Wege erlange man größtmögliche Rechtssicherheit, so der Jurist Stünker.
"Es geht schlicht darum, dass die Menschen, die bestimmte Behandlungen ablehnen, dass genau dieser Wille auch in den Zustand transferiert werden kann, in dem ich´s nicht mehr äußern kann und es in der Verfügung deshalb ja bestimmt habe. "
Die Reichweite einer Patientenverfügung ist nach seiner Argumentation nicht eingeschränkt: Die Behandlung soll auf Wunsch des Patienten abgebrochen werden können - gleich in welchem Stadium einer schweren Krankheit er sich befindet. René Röspel, gleichfalls SPD, verantwortet mit anderen Abgeordnetenkollegen verschiedener politischer Couleur den parlamentarischen Gegenentwurf. Dieser sieht vor, dass die Verfügung aus der Feder des Patienten erst wirksam wird, wenn absehbar ist, dass seine Krankheit unweigerlich in den Tod führen wird. Röspel und seine Kollegen setzen aber auch dann die Patientenverfügung nicht gleich mit dem aktuellen Willen des Patienten.
"Diese Gleichsetzung, die ja Kernbestandteil im Entwurf von Joachim Stünker ist, halte ich für ne Fiktion und für fragwürdig. Das ist auch ein juristischer Begriff. Das Problem ist und bleibt, wie herausfinden, wie der Mensch, der jetzt selbst nicht mehr entscheiden kann, entscheiden würde in so einer Situation. "
In seinem Entwurf, einem gemeinsamen Gruppenantrag aus den Fraktionen von Union, SPD, FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen wird zwar der niedergelegte Wunsch des Sterbenden anerkannt. Allerdings kommt auch dem Betreuer oder Bevollmächtigten eine hohe Verantwortung zu, wenn es um die Suche nach dem mutmaßlichen Willen des Betreffenden geht, erklärt der christdemokratische Abgeordnete Markus Grübel
"Die Pflege ist den ganzen Tag um den Kranken herum und kann einfühlsam abschätzen, ob der Betroffenen seine Meinung geändert hat, Lebenswillen oder keinen Lebenswillen mehr hat. Und auch nahe Angehörige können besser sagen, was der Wille eines Menschen ist oder seine Grundeinstellungen."
Die Unterzeichner des fraktionsübergreifenden Gruppenantrags wollen, dass Patientenwünsche eindeutig an den Grenzen des rechtlich Zulässigen haltmachen: Ihrer Meinung nach bleibt die Tötung auf Verlangen untersagt, und die Bitte nach Sterbehilfe darf nicht befolgt werden. Das Selbstbestimmungsrecht des Sterbenden wird nicht verabsolutiert, auch im Sterbefall und bei Patienten, die nicht selbst einwilligungsfähig sind, bleibt die Schutzpflicht des Staates für das Leben wirksam. Über die weitere Behandlung, ob also zum Beispiel eine Ernährungssonde gesetzt werden muss, das soll - diesem Vorschlag nach - ein Konzil von Betreuern, Ärzten und Pflegenden beraten, erläutert Grübel.
"Wir wollen eine vormundschaftliche Regelung, wenn es keinen Konsens gibt, zum Beispiel wenn da ein Angehöriger merkt, hier ist der Lebenswille da, und wenn wir das langanhaltende stabile Wachkoma haben, dann meinen wir, dass dann ein Vormundschaftsgericht immer nötig ist."
Dass auch laut Gruppenantrag eine Verfügung bei Dementen oder Patienten im Wachkoma wirksam würde und eine Behandlung tatsächlich anhand der früher verfassten Verfügung abgebrochen werden könnte, das erregt den Unmut von Andreas Lob-Hüdepohl vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken.
"Das halte ich für einen Skandal. Damit wird menschliches Leben und Würde an das Faktum des Bewusstseins geknüpft. Alles, was nicht unsere Form von Bewusstsein hat, ist damit nur noch eingeschränkt Mensch. Ist noch Mensch, aber eingeschränkt. Hat eine Würde, aber keine unantastbare Würde mehr, sondern eine antastbare Würde - das ist ein Rubikon. "
Wer diesen überschreite, der widerspricht dem christlichen Menschenbild, so Lob-Hödepohl. Namens der EKD befürchtet Herrmann Barth, hier könne langsam ein Einfallstor für die Tötung auf Verlangen aufgestoßen werden.
"Kann man wirklich das Niedergelegte für allgemein verbindlich festschreiben? Da kommt das Element der Fürsorge, dass man genau schaut, das kommt nicht genügend zur Geltung. "
Auch der Präsident der Bundesärztekammer kritisiert die vorliegenden Gesetzentwürfe. Nach seiner Erfahrung, so Jörg-Dietrich Hoppe, selbst Mediziner, sei der Wille des Menschen im Fluss, seine Vorstellungen vom Leben in Würde änderten sich mit fortschreitendem Alter oder auch unter dem Eindruck des Todes naher Verwandter.
"Wir wissen, dass je kränker oder je näher Menschen dem Tod kommen, umso weniger entscheidungsfreudig sind sie, sie überlassen lieber anderen, Vertrauten, die Entscheidung und vertrauen auf Hilfe. Und wenn die dann gebunden wären an vorher verfasste Verfügungen, dann wären die in Konflikten, insofern Patientenverfügungen fertigen, in gesunden Tagen, aber die akute Situation ist das wichtige."
Die Definition dessen, was lebenswertes Dasein oder würdiges Sterben ausmacht, ist nicht allgemeingültig - das wissen am besten jene, die mit dem Tod konfrontiert sind. Der Palliativ-Mediziner Rieger:
"Ich kann oft nicht reinen Herzens sagen, ob ich nicht in diesen Situationen doch noch viele Möglichkeiten ausschöpfen. Man kann auch krebskrank sein und sich ganz gesund fühlen. Ich bin nicht sicher, wie damit umzugehen und hab auch diesen Prozess für mich noch nicht abschließend beantwortet. "
Ärztekammerpräsident Hoppe verweist auf die Handreichungen seines Verbands zur Patientenverfügung. Wer eine solche ausfüllt, müsse sich geduldig und ausführlich damit beschäftigen. Vor allem gelte es, einen Betreuungsbevollmächtigten auszuwählen: eine nahestehende Person, so vertraut, dass sie eines Tages für einen selbst zu entscheiden vermag. Fachkundige Beratung - das sei das Wichtigste, befindet auch der Jurist Wolfram Höfling, Staatsrechtler aus Köln. Er hat für die Deutsche Hospizstiftung einen eigenen Gesetzentwurf verfasst - zum Schutz, wie er sagt, vor Fremdbestimmung. Die Reichweiten der Patientenverfügungen sollten nicht beschränkt werden. Höfling lehnt es ab, den Betreuern für die Entscheidung am Sterbebett mehr Kompetenz zuzusprechen.
"Die Bindungswirkung von Patientenverfügungen setzt eben viel voraus: Konkretheit, Schriftform, Informiertheit. Nur nach einer vernünftigen Beratung geht das überhaupt. Und es wäre realitätsfern zu glauben, dass die Mehrheit unserer Bevölkerung das wird realisieren können. "
Wohl streben alle mehr Rechtssicherheit und Transparenz für die Betreuenden an. Das verspricht sich auch der Jurist Ulf Kämpfer aus dem Sozialministerium Schleswig-Holstein. Er möchte die Selbstbestimmung des Patienten gestärkt wissen. Zugleich warnt er vor einer möglicherweise wachsenden Gefahr:
"Kämpfer Man darf sich nichts vormachen: Natürlich können allgemeine Wertvorstellungen zum Einfallstor werden für Manipulation und einer schlichten Kostennutzenrechnung werden. Das wäre die Gefahr, dass eines Tages gemeinwohlorientiertes Denken über Behandlungsabbrüche entscheidet, dass irgendwann Gesundheitsökonomen sagen, was das Vernünftige und zu Entscheidende in solchen Situationen ist. "
Die alte Dame hat vor Jahren schon ihren 92-jährigen Mann in den Tod begleitet. Er war, so sagt sie, einer der ersten, der eine Patientenverfügung ausgefüllt hatte - lange bevor die Diskussion über die neue gesetzliche Grundlage der Patientenverfügung virulent wurde.
"Das hat uns sehr beruhigt. Wir wussten, das Leben hat einmal ein Ende und wollten keine Maßnahmen, die das Leben verlängern und die wir nicht für angemessen hielten."
Als ihr Mann im hohen Alter unter einer unheilbaren Krebserkrankung litt, wollte er mit seiner Patientenverfügung der Intensivmedizin eine Grenze setzen.
"Ja, ich habe auch eine Patientenverfügung und auch mich immer wieder damit auseinandergesetzt, auch mit dem Hausarzt, und meine Verfügung habe ich auch mit ihm abgestimmt. Und er hat einen Stempel darunter gesetzt, wenn mir also unterwegs etwas passiert, kann man sich mit ihm in Verbindung setzen, und das finde ich sehr gut."
Die 84-Jährige ist zuversichtlich, dass auch sie eines Tages einen würdigen Tod sterben darf - die Garantie biete ihr der vorab schriftlich niedergelegte Wille. Die Patientenverfügung nimmt vielen Menschen die Furcht vor dem unnötig und quälerisch lange hinausgezögerten letzten Atemzug. Dieses Motiv kennt der palliativmedizinische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Michael Kauch aus seiner eigenen Familie:
"Als meine Großmutter, die jetzt 91 ist, mit Ende achtzig das erste Mal im Krankenhaus war, hat sie sich als Objekt gefühlt, und da hat sie eine Patientenverfügung getroffen, weil sie verhindern möchte, dass mit ihr Dinge gemacht werden, die sie in ihrem Alter nicht mehr möchte. Aber ob die Intensivmedizin für die Patienten Geschenk oder Qual ist, das kann nur jeder für sich entscheiden. "
Mit ihrer eigenen Endlichkeit schließlich tatsächlich selbst konfrontiert, relativieren allerdings Sterbende nicht selten ihren Begriff vom Leben und dem Lebensende in Würde.
"Ich habe noch in Erinnerung, wie eine Patientin gesagt hat, wenn man mir vor zehn Jahren gesagt hätte, welche Schmerzen ich jetzt erleiden muss, hätte ich damals gesagt, das würde ich niemals aushalten. Und jetzt möchte ich leben! - also so herum sind meine Erfahrungen eher. "
Kerstin Kurzke betreut selbst seit vielen Jahren Sterbende. Als Leiterin des Malteser Hospizdienstes in Berlin koordiniert sie die ehrenamtliche Arbeit von siebzig Sterbebegleitern - sorgsam ausgewählte und geschulte Personen, die auf Wunsch jeweils einen Sterbenden zu Hause oder im Hospiz besuchen und betreuen. Gemeinsam mit Verwandten, Pflegern und Ärzten kümmern sich die Sterbebegleiter um Menschen in der letzten Phase ihres Lebens.
"Meistens ist es auch so, dass die Patientenverfügung gar nicht groß rausgekramt wird. Denn wenn die Menschen wirklich krank sind und wissen, was auf sie zukommt, dann passt es oft nicht zu dem, was sie früher einmal, noch gesund, notiert haben. Dass sich kranke ältere Menschen wünschen, sie möchten noch zur Dialyse und von außen eher kam, das ist ja gar nicht notwendig, muss das denn sein, das ist doch ne Qual. Und die Tochter immer sagt, aber meine Mutter möchte das doch, und es geht doch um sie selber!"
Solange der Patient, der an einer irreversiblen und zum Tod führenden Krankheit leidet, sich selbst äußern kann, wird er mit seinen Angehörigen, den Ärzten und Sterbebegleitern einen Weg zu einem ihm angemessenen Lebensende suchen. Diese Freiheit ist bei Patienten auf der Intensivstation oft eingeschränkt, anders als bei Menschen, die daheim oder im Hospiz ihr Leben beschließen.
"In der konkreten Situation am Lebensende, wo der Patient kommunikationsfähig ist und wo ich mit ihm besprechen kann, wie die Dinge gestaltet werden sollen, ist das, was derjenige mir in so einer Situation sagt, das viel bindendere als das, was er vielleicht vor Jahren einmal schriftlich verfasst hat."
Der Berliner Palliativ-Mediziner Achim Rieger versorgt in seiner Praxis, aber auch an Sterbebetten daheim oder im Hospiz, seit zehn Jahren todkranke Patienten. Für ihn wie auch für die betreuenden Verwandten oder Pfleger ist es weitaus schwieriger, zum Wohl ihres Schützlings zu handeln, wenn dieser sich nicht selbst oder nicht mehr selbst äußern kann. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe schildert den Fall eines an schwerer Demenz erkrankten Angehörigen:
"Ich hab das in der eigenen Familie erlebt und eine Person damit glücklich gemacht, dass ich pro Tag etwa drei Stunden, nicht am Stück, aber verteilt, seine Lieblingsmusik aufgelegt habe. Da guckte er sehr glücklich und hatte überhaupt nicht vor zu sterben, das merkte man sehr deutlich."
Bei einer fortgeschrittenen Demenz, wenn der Patient zumeist im hohen Alter schleichend seine Kommunikationsfähigkeit verloren hat, wird der Rückgriff auf die Patientenverfügung für die Familie, die Betreuer und die Palliativmediziner relevant.
"Was natürlich die wesentliche Rolle spielt bei der Demenz, ist die Ernährungsfrage, das ist der Punkt, um den sich alles dreht. Die Frage also, ob Ernährungssonden gelegt werden sollen oder ob nicht. Da ist die PV manchmal auch noch nicht ausreichend bindend. Ich kenne den Fall, da sind Angehörige von Demenzkranken zu mir in die Praxis gekommen und entsetzt waren, dass der behandelnde Arzt nicht bereit war, eine Ernährung zu beenden, obwohl aus der Patientenverfügung oder Äußerungen, die den gleichen Wert hatten, dass das aber häufig keinen Wert hat in solchen Situationen. Das ist heikel, weil der Beginn einer solchen Maßnahme eigentlich den Beginn einer Behandlung darstellt und Behandlung der Einwilligung bedarf. Menschen, die entgegen ihrem erklärten Willen einer solchen Maßnahme ausgesetzt werden, werden eigentlich auch einer Körperverletzung ausgesetzt."
Welchen Wert haben diese Verfügungen, wie verbindlich sind sie? Wie passen der Lebensschutz einerseits und das Recht des Patienten auf freie Selbstbestimmung andererseits zusammen?
"Für mich ist die Patientenverfügung ein Instrument, das nach allen Richtungen offen ist."
Gitta Neumann vom Humanistischen Verband möchte, dass der Verfügten Willen uneingeschränkt gilt. Anders die Position des Präsidenten des Kirchenamts der Evangelischen Kirche, Hermann Barth, zugleich Mitglied im Nationalen Ethikrat.
"Ich halte es für eine Illusion zu glauben, man könne bis auf wenige einzelne Fälle die Situation im Vorhinein vorwegnehmen und auf eine Auslegung verzichten. "
Ist ein Mensch von einer irreversiblen, tödlich verlaufenden Krankheit befallen, hat er keine Chance auf eine Heilung und das Bewusstsein verloren, so gilt seine Patientenverfügung als Richtschnur für die Ermittlung seines mutmaßlichen Willens. Neben dem subjektiven, momentanen Wohl des Sterbenden allerdings verblasse die Patientenverfügung, so Andreas Lob-Hüdepohl, Rektor der Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen. Absolut dürfe die Verfügung am Patientenbett nicht gelten, sagt er als Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken.
"Da muss der Betreuer sehr sorgfältig, am bestem im Verbund mit den Angehörigen, mit den behandelnden Ärzten, den Pflegekräften ermitteln, was nicht nur dem objektiven, sondern auch dem subjektiven Wohl des betreuten Menschen angemessen ist. Und das ist im Betreuungsrecht vorgezeichnet, und hier kann man die Patientenverfügung in das Betreuungsrecht einbinden."
Das reiche dann aus, meint der Theologe. Hier setzt die seit Jahren kontrovers geführte juristische Debatte über die Patientenverfügung ein: Wenn unsere Rechtsordnung die Autonomie des Menschen wirklich ernst nehme, so müsse sie dem Individuum auch angesichts seines nahenden Todes die Verfügungsgewalt über das Lebensende überlassen - so argumentieren Juristen, die das unbedingte Selbstbestimmungsrecht des Patienten und damit die unbedingte Gültigkeit seines festgeschriebenen Willens verfechten. Was ihren Kontrahenten, die den Lebensschutz verteidigen, als ewige Mahnung gilt, verbuchen sie als historische Hypothek:
"Es muss endlich Schluss damit sein, dass diejenigen, die sich für eine eng begrenzte Straffreiheit aktiver Sterbehilfe einsetzen, mit dem Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht werden."
Der Strafrechtler Torsten Verrel von der Universität Bonn beklagt, dass Mediziner heute vielfach aus Furcht vor strafrechtlichen Konsequenzen ihren Patienten eigentlich sinnlose medizinische Eingriffe zumuten und ihnen den Tod in Würde verwehren. Verrel plädierte vor dem Deutschen Juristentag im vergangenen Jahr dafür, das Strafrecht zu ändern. Auch Ärzte oder Angehörige, die den ausdrücklich gewünschten Suizid eines unheilbar Schwerstkranken befördern helfen, sollen straffrei bleiben, fordert Verrel. Bislang verbietet das Standesrecht der Mediziner ausnahmslos die ärztliche Beihilfe zum Freitod, Ärzte sind unbedingt zur Lebensrettung verpflichtet. Der Juristentag gab im Sinne Verrels Empfehlungen für die Neufassung der Patientenverfügung ab:
"Die in meinen Augen wichtigste Empfehlung betrifft die Schaffung einer Gesetzesnorm, die den Umfang der passiven Sterbehilfe klarstellt, auf den Begriff selbst verzichtet und für jedermann klarstellt und alle denkbaren Erscheinungsformen, das Unterlassen, Begrenzen oder Beenden lebenserhaltender Maßnahmen benennt. "
Wohl strebt auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries seit Jahren schon eine neue gesetzliche Regelung an, um Klarheit zu schaffen angesichts vieler spektakulärer und einander widersprechender Gerichtsurteile verschiedener Instanzen. Von einer Änderung des Strafrechts allerdings will die Sozialdemokratin nichts wissen. Sie möchte vor allem die Autonomie des Patienten bis zum Tod stärken
"Ich bin der Auffassung, dass jeder für sich selber entscheiden können muss, wie er sterben möchte, auch dann, wenn er nicht mehr entscheiden kann. Solange man reden kann, können wir ja sagen, was wir wollen, das ist unstreitig. Und deswegen meine ich, man kann prospektiv festlegen, wie man dann behandelt werden möchte. "
Einen eigenen Entwurf ihres Ministeriums zur Patientenverfügung hatte Frau Zypries in der vergangenen Legislaturperiode zurückziehen müssen. Nach langen Verhandlungen nähert sich nun das Parlament dem sensiblen Thema. In Rede stehen zwei Vorschläge, wie die Patientenverfügung gesetzlich zu verankern sein könnte: ein fraktionsübergreifender Entwurf sowie der Antrag des sozialdemokratischen Abgeordnete Joachim Stünker. Der vormalige Richter folgt im Wesentlichen den Vorstellungen der Ministerin, die seinem Entwurf ihrerseits auch zuneigt. Kerngedanke: Eins zu eins soll gelten, was der Betreffende schriftlich fixiert hat - unabhängig davon, wie die Familie, die Betreuer oder Ärzte die momentane Lage des Patienten beurteilen. Auch wenn ein medizinischer Eingriff möglicherweise noch lebensrettend wäre, soll der vorab verfügte Wille durchgesetzt werden. Andernfalls mache sich der Arzt einer Körperverletzung schuldig. Auf diesem Wege erlange man größtmögliche Rechtssicherheit, so der Jurist Stünker.
"Es geht schlicht darum, dass die Menschen, die bestimmte Behandlungen ablehnen, dass genau dieser Wille auch in den Zustand transferiert werden kann, in dem ich´s nicht mehr äußern kann und es in der Verfügung deshalb ja bestimmt habe. "
Die Reichweite einer Patientenverfügung ist nach seiner Argumentation nicht eingeschränkt: Die Behandlung soll auf Wunsch des Patienten abgebrochen werden können - gleich in welchem Stadium einer schweren Krankheit er sich befindet. René Röspel, gleichfalls SPD, verantwortet mit anderen Abgeordnetenkollegen verschiedener politischer Couleur den parlamentarischen Gegenentwurf. Dieser sieht vor, dass die Verfügung aus der Feder des Patienten erst wirksam wird, wenn absehbar ist, dass seine Krankheit unweigerlich in den Tod führen wird. Röspel und seine Kollegen setzen aber auch dann die Patientenverfügung nicht gleich mit dem aktuellen Willen des Patienten.
"Diese Gleichsetzung, die ja Kernbestandteil im Entwurf von Joachim Stünker ist, halte ich für ne Fiktion und für fragwürdig. Das ist auch ein juristischer Begriff. Das Problem ist und bleibt, wie herausfinden, wie der Mensch, der jetzt selbst nicht mehr entscheiden kann, entscheiden würde in so einer Situation. "
In seinem Entwurf, einem gemeinsamen Gruppenantrag aus den Fraktionen von Union, SPD, FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen wird zwar der niedergelegte Wunsch des Sterbenden anerkannt. Allerdings kommt auch dem Betreuer oder Bevollmächtigten eine hohe Verantwortung zu, wenn es um die Suche nach dem mutmaßlichen Willen des Betreffenden geht, erklärt der christdemokratische Abgeordnete Markus Grübel
"Die Pflege ist den ganzen Tag um den Kranken herum und kann einfühlsam abschätzen, ob der Betroffenen seine Meinung geändert hat, Lebenswillen oder keinen Lebenswillen mehr hat. Und auch nahe Angehörige können besser sagen, was der Wille eines Menschen ist oder seine Grundeinstellungen."
Die Unterzeichner des fraktionsübergreifenden Gruppenantrags wollen, dass Patientenwünsche eindeutig an den Grenzen des rechtlich Zulässigen haltmachen: Ihrer Meinung nach bleibt die Tötung auf Verlangen untersagt, und die Bitte nach Sterbehilfe darf nicht befolgt werden. Das Selbstbestimmungsrecht des Sterbenden wird nicht verabsolutiert, auch im Sterbefall und bei Patienten, die nicht selbst einwilligungsfähig sind, bleibt die Schutzpflicht des Staates für das Leben wirksam. Über die weitere Behandlung, ob also zum Beispiel eine Ernährungssonde gesetzt werden muss, das soll - diesem Vorschlag nach - ein Konzil von Betreuern, Ärzten und Pflegenden beraten, erläutert Grübel.
"Wir wollen eine vormundschaftliche Regelung, wenn es keinen Konsens gibt, zum Beispiel wenn da ein Angehöriger merkt, hier ist der Lebenswille da, und wenn wir das langanhaltende stabile Wachkoma haben, dann meinen wir, dass dann ein Vormundschaftsgericht immer nötig ist."
Dass auch laut Gruppenantrag eine Verfügung bei Dementen oder Patienten im Wachkoma wirksam würde und eine Behandlung tatsächlich anhand der früher verfassten Verfügung abgebrochen werden könnte, das erregt den Unmut von Andreas Lob-Hüdepohl vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken.
"Das halte ich für einen Skandal. Damit wird menschliches Leben und Würde an das Faktum des Bewusstseins geknüpft. Alles, was nicht unsere Form von Bewusstsein hat, ist damit nur noch eingeschränkt Mensch. Ist noch Mensch, aber eingeschränkt. Hat eine Würde, aber keine unantastbare Würde mehr, sondern eine antastbare Würde - das ist ein Rubikon. "
Wer diesen überschreite, der widerspricht dem christlichen Menschenbild, so Lob-Hödepohl. Namens der EKD befürchtet Herrmann Barth, hier könne langsam ein Einfallstor für die Tötung auf Verlangen aufgestoßen werden.
"Kann man wirklich das Niedergelegte für allgemein verbindlich festschreiben? Da kommt das Element der Fürsorge, dass man genau schaut, das kommt nicht genügend zur Geltung. "
Auch der Präsident der Bundesärztekammer kritisiert die vorliegenden Gesetzentwürfe. Nach seiner Erfahrung, so Jörg-Dietrich Hoppe, selbst Mediziner, sei der Wille des Menschen im Fluss, seine Vorstellungen vom Leben in Würde änderten sich mit fortschreitendem Alter oder auch unter dem Eindruck des Todes naher Verwandter.
"Wir wissen, dass je kränker oder je näher Menschen dem Tod kommen, umso weniger entscheidungsfreudig sind sie, sie überlassen lieber anderen, Vertrauten, die Entscheidung und vertrauen auf Hilfe. Und wenn die dann gebunden wären an vorher verfasste Verfügungen, dann wären die in Konflikten, insofern Patientenverfügungen fertigen, in gesunden Tagen, aber die akute Situation ist das wichtige."
Die Definition dessen, was lebenswertes Dasein oder würdiges Sterben ausmacht, ist nicht allgemeingültig - das wissen am besten jene, die mit dem Tod konfrontiert sind. Der Palliativ-Mediziner Rieger:
"Ich kann oft nicht reinen Herzens sagen, ob ich nicht in diesen Situationen doch noch viele Möglichkeiten ausschöpfen. Man kann auch krebskrank sein und sich ganz gesund fühlen. Ich bin nicht sicher, wie damit umzugehen und hab auch diesen Prozess für mich noch nicht abschließend beantwortet. "
Ärztekammerpräsident Hoppe verweist auf die Handreichungen seines Verbands zur Patientenverfügung. Wer eine solche ausfüllt, müsse sich geduldig und ausführlich damit beschäftigen. Vor allem gelte es, einen Betreuungsbevollmächtigten auszuwählen: eine nahestehende Person, so vertraut, dass sie eines Tages für einen selbst zu entscheiden vermag. Fachkundige Beratung - das sei das Wichtigste, befindet auch der Jurist Wolfram Höfling, Staatsrechtler aus Köln. Er hat für die Deutsche Hospizstiftung einen eigenen Gesetzentwurf verfasst - zum Schutz, wie er sagt, vor Fremdbestimmung. Die Reichweiten der Patientenverfügungen sollten nicht beschränkt werden. Höfling lehnt es ab, den Betreuern für die Entscheidung am Sterbebett mehr Kompetenz zuzusprechen.
"Die Bindungswirkung von Patientenverfügungen setzt eben viel voraus: Konkretheit, Schriftform, Informiertheit. Nur nach einer vernünftigen Beratung geht das überhaupt. Und es wäre realitätsfern zu glauben, dass die Mehrheit unserer Bevölkerung das wird realisieren können. "
Wohl streben alle mehr Rechtssicherheit und Transparenz für die Betreuenden an. Das verspricht sich auch der Jurist Ulf Kämpfer aus dem Sozialministerium Schleswig-Holstein. Er möchte die Selbstbestimmung des Patienten gestärkt wissen. Zugleich warnt er vor einer möglicherweise wachsenden Gefahr:
"Kämpfer Man darf sich nichts vormachen: Natürlich können allgemeine Wertvorstellungen zum Einfallstor werden für Manipulation und einer schlichten Kostennutzenrechnung werden. Das wäre die Gefahr, dass eines Tages gemeinwohlorientiertes Denken über Behandlungsabbrüche entscheidet, dass irgendwann Gesundheitsökonomen sagen, was das Vernünftige und zu Entscheidende in solchen Situationen ist. "