"Meine Herkunftsfamilie sieht so aus. Ich habe einen Vater, eine Mutter, einen Stiefvater, eine Stiefmutter. Ich habe insgesamt drei Geschwister. Wovon eine meine Schwester ist, mit der ich die Eltern teile. Also beide Elternteile gleich sind. Dann habe ich zwei Halbgeschwister. Einen Bruder, einen Halbbruder, väterlicherseits. Und eine Halbschwester, mütterlicherseits. Ja, das ist die Herkunftsfamilie. Ja."
Da kann man schon mal den Überblick verlieren - beinahe hätte der 35-jährige Nils aus Köln bei der Aufzählung seiner Patchworkfamilie nämlich noch einen Stiefbruder unterschlagen.
"Genau ich habe einen Stiefbruder, der Sohn meines Stiefvaters - ja den habe ich vergessen, das ist der Janis. Da der Janis kein Blutsverwandter von mir ist, schludere ich den immer so ein bisschen."
Nils war neun, als seine Eltern sich getrennt haben. Er wuchs vor allem bei seiner leiblichen Mutter auf. Keineswegs ein Einzelfall. Die traditionelle Familie mit Mutter, Vater, Kind wird zunehmend zur Ausnahme. Durch steigende Scheidungen, nicht eheliche Partnerschaften und nicht zuletzt die neuen Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung nehmen bunte bis kunterbunte Patchworkfamilien zu. Ein Phänomen, mit dem sich Sozialwissenschaftler schon länger beschäftigen. Der wissenschaftliche Fachbegriff lautet: Pluralisierung der Familienformen. Laszlo Vaskovics:
"Und in dieser Diskussion taucht neuerdings auch die Frage nach den Konsequenzen im Hinblick auf die Beschaffenheit, aber auch Wahrnehmung der so genannten - und dieser Begriff ist neu - gespaltenen Elternschaft auf."
Prof. Laszlo Vaskovics ist Soziologe an der Universität Bamberg mit dem Schwerpunkt Familienforschung. Für die Studie "Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft" haben die Wissenschaftler zunächst einmal die unterschiedlichen Familientypen untersucht. Ein Ergebnis:
"Ich stellte fest, dass eine gewisse abnehmende Bedeutung der Blutsverwandtschaft bei parallel zunehmenden Kenntnissen der eigenen Abstammung gibt, sowie eine immer stärker werdende Dominanz der Mutter-Kind-Beziehung als eine Konstante bei all diesen Veränderungen. Und daraus entstehen verschiedene Elternkonstellationen, die wir in unserer Arbeit und Untersuchung sehr genau beschrieben haben."
Außerdem haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass immer mehr Frauen und Männer Elternpflichten für Kinder übernehmen, die nicht ihre leiblichen Kinder sind. Auf der anderen Seite bestehen aber vielfach auch Elternpflichten gegenüber den eigenen biologischen Kindern, die längst de facto in ganz anderen Familien leben. Vaskovics:
"Und aus der Sicht der Kinder bedeutet dies, dass sie zur gleichen Zeit oder in ihrem Lebenslauf quasi hintereinander mehrere Väter, aber auch, wenn auch seltener, auch mehrere Mütter haben können. Zu denen entweder nur eine genetische, biologische oder eine soziale juristische Beziehung besteht."
Nils:
"Mit meinem Stiefvater hatte ich meine Probleme. Gerade so, als ich dann in die Pubertät kam. Das war ein bisschen schwierig."
Die Erfahrungen von Nils sind durchaus typisch. Das weiß auch Sabine Schmiesing, Rechtsanwältin aus Köln. Als Fachanwältin für Familienrecht hat sie bemerkt, dass in den letzten Jahren zum Beispiel die Anfechtungen von Vaterschaften deutlich zugenommen haben:
"Grundsätzlich kann man sagen, dass Kinder immer in einen Loyalitätskonflikt verwickelt werden. Wenn neben dem gesetzlichen Vater, wenn dann ein neuer Vater in das Leben eines Kindes tritt. Das Kind, je nachdem wie alt es ist, kann oft gar nicht unterscheiden: Was heißt denn mein biologischer Vater, was heißt mein gesetzlicher Vater? Und ich glaube, dass die Konflikte zunehmen, weil die Kinder die Unterscheidung nicht verstehen. Was ist gesetzlich, was ist der biologische Vater? Und weil natürlich oft der gesetzliche Vater sich aus seiner Rolle gedrängt fühlt."
Denn der biologische und der rechtliche Vater müssen keineswegs identisch sein, etwa wenn der neue Partner der leiblichen Mutter das Kind adoptiert hat. Für Kinder ist es aber offenbar nicht so wichtig, welche offiziellen Funktionen ihre Eltern haben - für Kinder zählt vor allem, wer sich wirklich um sie kümmert. Das bestätigt auch der Soziologe Lazlo Vaskovics:
"In der gelebten Familie, auch in Patchworkfamilien, ist die soziale Elternschaft das Wichtigste. Sonst könnte diese soziale Einheit nicht funktionieren. Also hier wird die soziale Elternschaft sehr hoch bewertet durch die unmittelbar Betroffenen. Dies ist auch die Lösung, in Anführungszeichen gesagt für die unmittelbar Betroffenen."
Die unmittelbar Betroffenen sind vor allem die Kinder, die zum Beispiel mit mehrerer Vätern als sogenannte "Väterkinder" aufwachsen. Vaskovics:
"Die Wahrscheinlichkeit, dass Probleme entstehen, sind bei Patchworkfamilien höher. Aber es gibt auch sehr viele Patchworkfamilien, wo solche Probleme überhaupt nicht auftreten. Die Betroffenen finden eine Lösung, die sowohl für die Eltern als auch für die Kinder zufriedenstellend sind."
Das trifft offenbar auf Nils Familie zu. Seine Tochter Lea war fünf Jahre alt, als ihre Eltern sich getrennt haben. So richtig kann sie sich daran gar nicht mehr erinnern. Lea und ihre jüngere Schwester Paula leben seither zur einen Hälfte bei ihrem Vater und zur anderen Hälfte bei ihrer Mutter. Lea findet die Regelung gut:
"Also finde ich sogar besser, weil man dann quasi von beiden was hat. Zum Beispiel meine Freundin, die ist nur dienstags bei ihrem Vater, das fände ich doof."
Die 12-jährige Lea hat sich mit der Trennung ihrer Eltern abgefunden. Und sie weiß genau die unterschiedlichen Vor- und Nachteile ihrer getrennten Eltern zu schätzen:
"Ich kann zum Beispiel bei meinem Papa mehr fernsehen gucken."
Mit der Studie wollten die Wissenschaftler unter anderem auch herausfinden, ob die gültige Rechtsprechung der sozialen Wirklichkeit der modernen Patchworkfamilie überhaupt noch genügt. Für Prof. Laszlo Vaskovics ist die Antwort eindeutig:
"Insbesondere in Deutschland unterscheidet unser Rechtssystem zwischen sozialer, biologischer und rechtlicher Elternschaft nicht. Da gibt es nur eine rechtliche Elternschaft. Und natürlich, das kritisieren wir Sozialwissenschaftler, dass diese Weise der Realität ja, nicht gerecht wird. Wir Soziologen beobachten die Realität. Und dort stellen wir fest, dass eben diese Differenzierung der rechtlichen, sozialen, biologischen Aspekte vorliegt. Und wir sagen, das Rechtssystem sollte dieser Tatsache gerecht werden."
Das bestätigt auch, die auf Familienrecht spezialisierte Rechtsanwältin Sabine Schmiesing:
"Ich glaube, dass man schon sagen kann, dass die Ehen heutzutage alle viel kürzer dauern als früher. Zumindest in der Großstadt. Also wir leben hier in Köln. Und Köln ist eine bunte Stadt. Und, ja, da ist es einfach tatsächlich so, dass viele Paare sich früher trennen. Und ich glaube, dass man sagen kann, es muss sich noch etwas verändern. Es muss sich, ja, vieles muss sich leichter gestalten. Und vor allen Dingen im Sorge- und Umgangsrecht muss sich eine ganze Menge tun, damit es für die Kinder einfacher wird."
Literatur:
Lazlo A. Vaskovics, Dieter Schwab (Hrsg.) Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft, Familienrecht, - soziologie und - psychologie im Dialog, Buderich Verlag
Da kann man schon mal den Überblick verlieren - beinahe hätte der 35-jährige Nils aus Köln bei der Aufzählung seiner Patchworkfamilie nämlich noch einen Stiefbruder unterschlagen.
"Genau ich habe einen Stiefbruder, der Sohn meines Stiefvaters - ja den habe ich vergessen, das ist der Janis. Da der Janis kein Blutsverwandter von mir ist, schludere ich den immer so ein bisschen."
Nils war neun, als seine Eltern sich getrennt haben. Er wuchs vor allem bei seiner leiblichen Mutter auf. Keineswegs ein Einzelfall. Die traditionelle Familie mit Mutter, Vater, Kind wird zunehmend zur Ausnahme. Durch steigende Scheidungen, nicht eheliche Partnerschaften und nicht zuletzt die neuen Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung nehmen bunte bis kunterbunte Patchworkfamilien zu. Ein Phänomen, mit dem sich Sozialwissenschaftler schon länger beschäftigen. Der wissenschaftliche Fachbegriff lautet: Pluralisierung der Familienformen. Laszlo Vaskovics:
"Und in dieser Diskussion taucht neuerdings auch die Frage nach den Konsequenzen im Hinblick auf die Beschaffenheit, aber auch Wahrnehmung der so genannten - und dieser Begriff ist neu - gespaltenen Elternschaft auf."
Prof. Laszlo Vaskovics ist Soziologe an der Universität Bamberg mit dem Schwerpunkt Familienforschung. Für die Studie "Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft" haben die Wissenschaftler zunächst einmal die unterschiedlichen Familientypen untersucht. Ein Ergebnis:
"Ich stellte fest, dass eine gewisse abnehmende Bedeutung der Blutsverwandtschaft bei parallel zunehmenden Kenntnissen der eigenen Abstammung gibt, sowie eine immer stärker werdende Dominanz der Mutter-Kind-Beziehung als eine Konstante bei all diesen Veränderungen. Und daraus entstehen verschiedene Elternkonstellationen, die wir in unserer Arbeit und Untersuchung sehr genau beschrieben haben."
Außerdem haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass immer mehr Frauen und Männer Elternpflichten für Kinder übernehmen, die nicht ihre leiblichen Kinder sind. Auf der anderen Seite bestehen aber vielfach auch Elternpflichten gegenüber den eigenen biologischen Kindern, die längst de facto in ganz anderen Familien leben. Vaskovics:
"Und aus der Sicht der Kinder bedeutet dies, dass sie zur gleichen Zeit oder in ihrem Lebenslauf quasi hintereinander mehrere Väter, aber auch, wenn auch seltener, auch mehrere Mütter haben können. Zu denen entweder nur eine genetische, biologische oder eine soziale juristische Beziehung besteht."
Nils:
"Mit meinem Stiefvater hatte ich meine Probleme. Gerade so, als ich dann in die Pubertät kam. Das war ein bisschen schwierig."
Die Erfahrungen von Nils sind durchaus typisch. Das weiß auch Sabine Schmiesing, Rechtsanwältin aus Köln. Als Fachanwältin für Familienrecht hat sie bemerkt, dass in den letzten Jahren zum Beispiel die Anfechtungen von Vaterschaften deutlich zugenommen haben:
"Grundsätzlich kann man sagen, dass Kinder immer in einen Loyalitätskonflikt verwickelt werden. Wenn neben dem gesetzlichen Vater, wenn dann ein neuer Vater in das Leben eines Kindes tritt. Das Kind, je nachdem wie alt es ist, kann oft gar nicht unterscheiden: Was heißt denn mein biologischer Vater, was heißt mein gesetzlicher Vater? Und ich glaube, dass die Konflikte zunehmen, weil die Kinder die Unterscheidung nicht verstehen. Was ist gesetzlich, was ist der biologische Vater? Und weil natürlich oft der gesetzliche Vater sich aus seiner Rolle gedrängt fühlt."
Denn der biologische und der rechtliche Vater müssen keineswegs identisch sein, etwa wenn der neue Partner der leiblichen Mutter das Kind adoptiert hat. Für Kinder ist es aber offenbar nicht so wichtig, welche offiziellen Funktionen ihre Eltern haben - für Kinder zählt vor allem, wer sich wirklich um sie kümmert. Das bestätigt auch der Soziologe Lazlo Vaskovics:
"In der gelebten Familie, auch in Patchworkfamilien, ist die soziale Elternschaft das Wichtigste. Sonst könnte diese soziale Einheit nicht funktionieren. Also hier wird die soziale Elternschaft sehr hoch bewertet durch die unmittelbar Betroffenen. Dies ist auch die Lösung, in Anführungszeichen gesagt für die unmittelbar Betroffenen."
Die unmittelbar Betroffenen sind vor allem die Kinder, die zum Beispiel mit mehrerer Vätern als sogenannte "Väterkinder" aufwachsen. Vaskovics:
"Die Wahrscheinlichkeit, dass Probleme entstehen, sind bei Patchworkfamilien höher. Aber es gibt auch sehr viele Patchworkfamilien, wo solche Probleme überhaupt nicht auftreten. Die Betroffenen finden eine Lösung, die sowohl für die Eltern als auch für die Kinder zufriedenstellend sind."
Das trifft offenbar auf Nils Familie zu. Seine Tochter Lea war fünf Jahre alt, als ihre Eltern sich getrennt haben. So richtig kann sie sich daran gar nicht mehr erinnern. Lea und ihre jüngere Schwester Paula leben seither zur einen Hälfte bei ihrem Vater und zur anderen Hälfte bei ihrer Mutter. Lea findet die Regelung gut:
"Also finde ich sogar besser, weil man dann quasi von beiden was hat. Zum Beispiel meine Freundin, die ist nur dienstags bei ihrem Vater, das fände ich doof."
Die 12-jährige Lea hat sich mit der Trennung ihrer Eltern abgefunden. Und sie weiß genau die unterschiedlichen Vor- und Nachteile ihrer getrennten Eltern zu schätzen:
"Ich kann zum Beispiel bei meinem Papa mehr fernsehen gucken."
Mit der Studie wollten die Wissenschaftler unter anderem auch herausfinden, ob die gültige Rechtsprechung der sozialen Wirklichkeit der modernen Patchworkfamilie überhaupt noch genügt. Für Prof. Laszlo Vaskovics ist die Antwort eindeutig:
"Insbesondere in Deutschland unterscheidet unser Rechtssystem zwischen sozialer, biologischer und rechtlicher Elternschaft nicht. Da gibt es nur eine rechtliche Elternschaft. Und natürlich, das kritisieren wir Sozialwissenschaftler, dass diese Weise der Realität ja, nicht gerecht wird. Wir Soziologen beobachten die Realität. Und dort stellen wir fest, dass eben diese Differenzierung der rechtlichen, sozialen, biologischen Aspekte vorliegt. Und wir sagen, das Rechtssystem sollte dieser Tatsache gerecht werden."
Das bestätigt auch, die auf Familienrecht spezialisierte Rechtsanwältin Sabine Schmiesing:
"Ich glaube, dass man schon sagen kann, dass die Ehen heutzutage alle viel kürzer dauern als früher. Zumindest in der Großstadt. Also wir leben hier in Köln. Und Köln ist eine bunte Stadt. Und, ja, da ist es einfach tatsächlich so, dass viele Paare sich früher trennen. Und ich glaube, dass man sagen kann, es muss sich noch etwas verändern. Es muss sich, ja, vieles muss sich leichter gestalten. Und vor allen Dingen im Sorge- und Umgangsrecht muss sich eine ganze Menge tun, damit es für die Kinder einfacher wird."
Literatur:
Lazlo A. Vaskovics, Dieter Schwab (Hrsg.) Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft, Familienrecht, - soziologie und - psychologie im Dialog, Buderich Verlag