Sammler, Kunstenthusiasten, Galeristinnen, Kunstwerke, Kuratorinnen fliegen Jahr für Jahr zu großen Kunstmessen oder Blockbusterausstellungen. Die mit erheblichem Aufwand verbundenen klimatischen Bedingungen in Museen, penibel festgelegt für den Leihverkehr von großen Ausstellungen, sorgen für erhebliche Klimabelastungen. Dies stellt Museen und den Kunstmarkt vor gravierende und folgenreiche Legitimationsfragen.
Dennoch war die Kunst in den sechziger und siebziger Jahren schon einmal auf dem Weg in eine ökologisch bewusste Zukunft. Etwa mit den so genannten Neo‑Waldprojekten von Friedensreich Hundertwasser in Frankreich, Italien oder Neuseeland in den 1950er und 1960er Jahren oder der Rheinwasseraufbereitungsanlage von Hans Haacke von 1972 bis hin zum 7000‑Eichen-Projekt von Joseph Beuys bei der Kasseler documenta 1982. Aber spätestens als der globale Neoliberalismus unendliche Geldmengen in das Kunstsystem pumpte, die Eventkultur auch die Kunst erreichte oder Aids die westlichen Gesellschaften erschütterte, waren ab Mitte der achtziger Jahre die ökologischen Fragen „wie weggeblasen“. Aber heute gibt es kaum eine zeitgenössische Biennale oder documenta, die um das Thema des Klimawandels herumkommt. Es ist Zeit, für die Kunst eine Klimabilanz zu ziehen.
Robert Fleck (geboren 1957 in Wien) ist Kunsthistoriker und kennt den Kunstbetrieb wie kaum ein anderer. Begonnen hat er als ein Mitarbeiter einer wichtigen österreichischen Galerie, arbeitete als freier Kurator, leitete als Direktor die Hamburger Deichtorhallen, war Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn. Derzeit lehrt er „Kunst und Öffentlichkeit“ an der Kunstakademie in Düsseldorf und ist Autor mehrerer Bücher, wie etwa „Was kann Kunst?“ (2014), „Art – Kunst im 21. Jahrhundert“ (2021) oder eben „Kunst und Ökologie“ (2023).
Von der Kunst, das Klima zu retten
Eines der markantesten Bilder in der Kunst der letzten Jahre ist ein Werk mit dem Titel „Kontrollraum“ von Thomas Demand aus dem Jahr 2011. Die Situation scheint vertraut. Eine fensterlose, von Bildschirmen und Reglerkonsolen bestimmte Halle in einem Kraftwerk, der Öffentlichkeit per se nicht zugänglich und ihr nur über streng kontrollierte Medienbilder vermittelt. Die entsprechenden Fotos kamen Ende der 1960er Jahre auf, in den damals tonangebenden Wochenmagazinen wie Stern und Spiegel und in den Anfängen des Farbfernsehens. Einblicke dieser Art in Kontrollräume von Kraftwerken – von Kernkraftwerken, deshalb der technologische Aufwand hier vor Ort – zählen zu den sprechendsten Bildern hoch entwickelter Industriegesellschaften, die vor einem halben Jahrhundert jene Form anzunehmen begannen, die wir heute kennen.
Was aber zeigt Demands Kontrollraum? Der menschenleere Steuerungsraum eines Atomkraftwerks weist Spuren der Zerstörung auf. Elemente der Zwischendecke sind heruntergebrochen. Der Raum war offensichtlich starken Erschütterungen ausgesetzt. Handelte es sich um einen „Super-GAU“? Auf Demands Foto haben die Ingenieure den Raum offensichtlich fluchtartig verlassen. Das Kraftwerk ist außer Kontrolle geraten, sogar in seinem Kontrollraum. Das hat niemand von uns je mit eigenen Augen gesehen, außer auf diesem Bild. Wir haben es aber alle seit mehreren Generationen geahnt. Dies ist ein zentrales Bild zur neuen Konstellation der Kunst, die sich mit diesem neuen Jahrhundert der Ökologie öffnet, da sich das Verhältnis zum Planeten als zentrale Frage erweist.
Es ist ein großformatiges Bild auf fotografischer Basis, an dem man sich nicht sattsehen kann. Sofort erkennt man, dass es sich nicht um einen konkreten Kontrollraum handelt, sondern um ein Großmodell aus Pappe, Papier und Farbe, in dem alles neu gebaut, bemalt und anschließend fotografiert wurde. Thomas Demands Werk geht davon aus, dass ein Foto im 21. Jahrhundert einen unbestrittenen Wirklichkeitseffekt hat. Er schafft verfremdete Bilder, die Nachdenken ermöglichen, indem er Wirklichkeit nicht fotografiert, sondern in reduzierter Weise nachbaut und als Doppelung neu vermittelt. Die von oben heruntergekippten Flächen der Zwischendecke verkörpern eine soeben stattfindende Katastrophe in einem Kraftwerk, in dem man die Energie nicht mehr unter Kontrolle hat, die es selbst erzeugt.
Die Fortschrittsgesellschaft ist nicht mehr optimistisch, sondern zweifelt. Wir erleben, dass in der Weltbevölkerung in vielen Bereichen der existenziellen Bedrohung die Bewusstheit zunimmt, dass sich die Wirtschaftsform, unser Umgang mit dem Planeten Erde radikal ändern muss, und das in wenigen Jahren, sonst gibt es keine Zukunftsperspektive. Wir sind in ein neues Zeitalter eingetreten, in dem das Verhältnis zur Natur und zum gesamten Planeten neu gedacht werden muss, wobei die Kunst eine große Rolle zu spielen hat und längst begonnen hat, sie einzunehmen.
Aber was kann bildende Kunst tun? Was soll sie tun? Stellen wir uns zunächst die Frage: Was sollte sie nicht tun? Obwohl dies derzeit eine stark spürbare Tendenz ist, sollte die Kunst in ihren Institutionen und in ihrer öffentlichen Meinung den Künstlerinnen und Künstlern nicht vorschreiben, was sie zu tun haben, mit welchen Themen und Materialien sie umzugehen haben, an welche Publikumskreise sie denken sollen und vor allem welche Themen und Materialien sie nicht mehr behandeln und verwenden dürfen. Das ist derzeit eine große Gefahr in der Kunstwelt. Mit der künstlerischen Freiheit und der Autonomie der Künstlerinnen und Künstler steht und fällt auch die Bedeutung der Kunst. Aus dem berechtigten Gefühl, dass nicht genug zur Abwendung der Klima- und Biokatastrophe getan wird, nehmen die Tendenzen zu, die Kunst auf eine ausdrückliche oder erkennbare Konformität zu klimagerechtem Handeln, Klimaschutz und entsprechenden Themen zu verpflichten. Konformität ist nie eine Lösung in der Kunst.
Kunst kann Bilder schaffen für Dinge und Prozesse, für die es noch keine oder bislang nur klischeehafte und flüchtige Bilder gibt, wie im Medienalltag. Das meint nicht Science-Fiction, wenngleich Antizipatorisches, eine imaginäre Zukunft vorwegnehmend, in vielen Beiträgen der Biennalen und anderer Großausstellungen bildender Kunst in den letzten Jahren eine große Rolle spielte. Es geht um Bilder, die stark und unabhängig genug sind, um zu überdauern, womit sie Teil des kollektiven Gedächtnisses werden. So ermöglichen sie eine Orientierung in Zeit und Raum, in der individuellen und kollektiven Geschichte.
Die Epoche, in der wir leben, erfordert es, Vorstellungen und Erfahrungen des Planeten und der Natur grundlegend zu revidieren. Beide erschienen in der technischen Zivilisation als unter Kontrolle gebrachte Bereiche, nachdem die Menschheit lange Zeit von den Naturkräften abhängig gewesen war. Heute erweisen sich beide als ein im Bestand gefährdetes Geflecht. Genau darin spielen die Künste insgesamt und die bildenden Künste im Besonderen eine vorrangige Rolle.
Die Biennale von Venedig 1978 war dem Thema „Von der Natur zur Kunst, von der Kunst zur Natur“ gewidmet. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine breite Konjunktur ökologischer Fragen in der Kunst. Auch 1977 bei der documenta 6 spielten sie eine große Rolle. Nam June Paik, der Pionier der Videokunst, schuf seinen spektakulären „TV-Garden“, in dem Bildschirme mit futuristischen Montagen verzerrter Fernsehprogramme aus der ganzen Welt aus einer dicht bepflanzten Bodenfläche strahlten. Die Besucher gingen auf Stegen darin herum wie in einem Urwald. Ökologie und Kunst bestimmten auch die täglichen Vorträge und Diskussionen, die Joseph Beuys mit der Free International University in seiner Installation „Honigpumpe“ abhielt, die ökologische Kreisläufe darstellte. Auch der Vertikale Erdkilometer von Walter De Maria und der Rahmenbau von Haus-Rucker-Co über die Karlsaue definierten einen ökologischen Blick als die Zukunft der Kunst.
Um 1980 schwebte die Kunst mit diesen Themen also nicht in einem luftleeren Raum. Im gleichen Jahr legten mehrere Weltorganisationen im Auftrag der Vereinten Nationen eine „Weltstrategie für die Erhaltung der Natur“ vor. Das war ein großes Ereignis.
Aber spätestens 1982 war von ökologischen Fragen in der bildenden Kunst so gut wie nichts mehr zu sehen. Die entsprechenden Künstler fanden sich an den Rand gedrängt. Die ökologische Konjunktur war implodiert. Wie ist das zu erklären? Der Kunstmarkt hatte sich binnen weniger Monate grundlegend verwandelt. Mit dem Neoliberalismus der Ära Reagan und Thatcher drang massiv Kapital auch in den Markt für zeitgenössische Kunst ein. Hatte Geld in der aktuellen Kunst bisher so gut wie keine Rolle gespielt, erzielten nun selbst junge Künstler für ihre Arbeiten Preise im Bereich eines halben Jahresgehalts. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, mit der Mediensphäre, mit Aids und der beginnenden Digitalisierung ergab das Themenspektrum der Kunst der 1980er Jahre. Die ökologischen Fragen waren wie weggeblasen, der Faden war gerissen. Als vor einigen Jahren die gegenwärtige Konjunktur der Klimafrage wieder zu entstehen begann, musste die bildende Kunst alles mehr oder weniger neu erfinden.
Im Juni 2002 fuhr ich mit französischen Kollegen zur documenta 11 in Kassel. Nach der Ankunft im ICE-Bahnhof Wilhelmshöhe bestiegen wir ein Taxi. „Bitte zum Fridericianum.“ Es ist seit 1955 der Hauptaustragungsort der documenta, der „Weltausstellung zeitgenössischer Kunst“. Der Taxifahrer fragte, ohne sich umzudrehen: „Sie kommen wohl zur documenta?“ Als wir bejahten, sagte er: „Dann mache ich Ihnen die Beuys-Fahrt.“ Er schaltete den Taxameter aus, zeigte uns langsam fahrend sämtliche Alleen in Kassel, die aus der Aktion „7000 Eichen“ von Joseph Beuys von der documenta 7 im Jahr 1982 stammen. Er kommentierte nicht, wir sollten nur schauen. Meine französischen Kollegen waren sprachlos. Als der Taxifahrer schließlich zum Fridericianum einbog, fragte ich ihn, ob er etwas mit Kunst zu tun habe. Ob er etwa Kunst studiert habe oder selbst Kunst mache. Er antwortete, wiederum ohne sich umzudrehen: „Nö. Ich kenne nur den Beuys.“ Dass ein Künstler jenseits aller künstlerischen und musealen Institutionen eine solche Wirkung direkt auf einen Menschen und sein Leben ausübt, ist sehr selten, sagt aber viel aus über das Potenzial, das künstlerischem Tun innewohnt. Was wollte Joseph Beuys im Sommer 1982 mit seiner Aktion „7000 Eichen“ erreichen? Was gelang und was gelang nicht? Das Waldsterben in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie in Österreich und der Schweiz wurde der Bevölkerung damals erst langsam bewusst. Der Schadstoffausstoß der Chemieindustrie und darüber hinaus der gesamten Lebensweise führte zum massiven Absterben der Mittelgebirgswälder, die den Klimahaushalt in Mitteleuropa wesentlich bestimmen.
Bei der Eröffnung der documenta 7 im Juni 1982 lagen vor dem Fridericianum 7.000 Basaltblöcke. Beuys’ Regel lautete, dass neben jeder gepflanzten Eiche einer dieser amorphen, bewusst in unregelmäßigen Konturen gebrochenen Stelen aufgestellt würde. Diese riesige steinerne Halde als vergängliche Skulptur am Eingang der documenta war eine anschauliche Darstellung des Waldsterbens ebenso wie ein Symbol für die Gefährdung des Planeten, und sie ging als Pressefoto um die Welt. Am Tag der Eröffnung pflanzte Beuys die ersten beiden Eichen vor dem Eingang des Fridericianums, wo sie bis heute mit ihrem jeweiligen „Begleiter“ stehen, durch eine Schrifttafel ausgewiesen als eines der ersten explizit ökologischen Denkmäler unserer Epoche.
Viel beeindruckender war, dass dieser Basalt-„Steinbruch“ noch während der 100 Tage der Ausstellung zunehmend kleiner wurde. In Kassel und Umgebung wurden entlang vieler Straßen Eichen gepflanzt, mit jeweils einem dieser Steine an der Seite. Fährt man heute durch die Stadt, sieht man, dass hier tatsächlich ein Künstler das Klima verändert hat. Durch ihre Lage an der damaligen innerdeutschen Grenze waren die Stadt und Nordhessen vom Waldsterben am stärksten betroffen. Die Baumpflanzungen aus Beuys’ Aktion beschränkten sich aber nicht auf die documenta-Stadt und das Jahr 1982, sondern fanden in der ganzen Bundesrepublik statt, auch wenn sie mit dem frühen Tod des Künstlers 1986 de facto endeten. In vielen deutschen Städten findet man seither Beuys’sche Eichen mit dem Basaltstein als eine Art Geschwister der Kasseler Aktion, wenn auch als vereinzelte Mahnmale mit jeweils nur wenigen Bäumen. Beuys gelang es mit „7000 Eichen“ tatsächlich, den Planeten zu reparieren, wenn auch nur an einer Stelle oder in einer Region. Nicht gelungen ist – Teil der Dialektik der Ökologie –, den Prozess des Waldsterbens insgesamt umzukehren, die makrobiologischen Vorgänge nachhaltig zu verändern beziehungsweise die politischen Entscheidungen maßgeblich zu beeinflussen. Das war das eigentliche Ziel von Beuys’ Aktion von 1982.
Er versuchte in den darauffolgenden Jahren, als Künstler auf die Machtverhältnisse zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sowie auf die politischen Entscheidungen hinsichtlich der sich abzeichnenden Überlebenskrise des Planeten direkt einzuwirken. Und er musste schließlich an sich selbst feststellen, dass man Kunst damit überschätzt. Bereits 1986 starb er mit 64 Jahren an Überanstrengung. Das führt zur allgemeinen Frage: Kann Kunst etwas Konkretes leisten, was über Symbolisches hinausgeht? Kann Kunst in Verläufe in der Biosphäre eingreifen, und – sei es auch nur punktuell oder in einem beschränkten Bereich – diese positiv beeinflussen?
Eine vergleichbare Fähigkeit, mit Kunst den Planeten zu reparieren, wenn auch bewusst abseits der Öffentlichkeit und fern medialer Aufmerksamkeit, findet man bei Friedensreich Hundertwasser. Ab 1970 propagierte er unablässig die Notwendigkeit eines „Friedensvertrags mit der Natur“ mit den Grundsätzen, alles, was waagrecht unter freiem Himmel ist, gehöre der Natur, und wir müssen der Natur Territorien zurückgeben, die wir uns widerrechtlich angeeignet und verwüstet haben. Hundertwasser hat drei großflächige Biotope angelegt, die gemäß seiner testamentarischen Anweisung bis heute bewahrt werden. Den Giardino Eden auf der Giudecca in Venedig, wo er seit 1960 regelmäßig lebte, erwarb er, als er erfuhr, dass diese Grünfläche von 2,4 Hektar einem Immobilienprojekt zum Opfer fallen sollte. Es ist die zweite grüne Lunge in Venedig neben den Giardini, dem von Napoleon angelegten öffentlichen Park, der von der Biennale von Venedig als zentraler Ausstellungsort genützt wird.
Hundertwasser war davon überzeugt, dass eine solche selbstständig wachsende Grünfläche, die nicht von außen einsehbar und nicht öffentlich zugänglich ist, das lokale Klima nachdrücklich beeinflussen werde, insbesondere mit dem innigen Wechselspiel von Wasser, Grünflächen und Bäumen unmittelbar an der Lagune. Ein zweites Biotop befindet sich in Frankreich und seit 1973 lebte er teilweise in Neuseeland. Dort erwarb er an der Bay of Islands an der Nordspitze Neuseelands zwei Farmen von je 200 Hektar, die er weitgehend abgeholzt vorfand. Er pflanzte nach und nach insgesamt 100.000 Bäume in abgestimmten Biotopen aus Baumarten aller Kontinente. Dieser Neo-Urwald steht so dicht, dass er vor menschlichen Eindringlingen geschützt ist. Sich dort aufzuhalten, ist sehr beeindruckend, da man keinen Kontakt mit der Zivilisation hat. Es gibt kein mechanisches Geräusch und lediglich die selbstgenügsame Vegetation. Hundertwasser war nicht so naiv zu glauben, er könne mit Kaurinui Valley die globalen Prozesse als solche umkehren, doch eine bestimmte Reparatur des Planeten wird hier von Kunst erbracht. Wie kein anderer international bedeutender Künstler praktizierte er eine gänzliche Fusion von Kunst und Ökologie.
Wenn heute die Künstlerinnen und Künstler unter 35 Jahren zuerst überlegen, welche Materialien sie verwenden, um nicht die begrenzten Rohstoffe auf dem Planeten weiter auszubeuten, bevor sie entscheiden, wie sie ihre Kunst anlegen, ist das ein Epochenumbruch.
Aber die Kunstwelt besteht nicht nur aus Künstlerinnen und Künstlern. Betraten Sie je eine Kunstmesse oder Biennale zeitgenössischer Kunst mit weltweiter Beteiligung? Das Herz schlägt höher. Auf vergleichsweise wenigen Quadratmetern sieht man viel gute Kunst, bei den wichtigsten Kunstmessen nochmals bessere als bei den sehr zahlreich gewordenen Biennalen.
Doch betrachten wir einmal die Klimabilanz dieser Form von Präsentationen von Kunst. Jede Biennale ist ein temporäres Museum, das zahlreiche, mehrheitlich internationale Besucherinnen und Besucher anzieht, aber nach vier oder sechs Monaten abgebaut wird, ähnlich wie bei Schaustellerei. Bei Kunstmessen spielt sich das Ganze in einem noch viel kürzeren Zeitraum ab. In 48 Stunden ist im Grunde alles gelaufen: Konzeption des Messestands, Kontakt mit potenziellen Käufern per Internet, am Aufbautag und dem nachfolgenden VIP-Tag, wenn die wichtigen Sammler anwesend sind, möglichst viel verkaufen zu vergleichsweise hohen Preisen, jedenfalls im fünfstelligen Bereich pro Kunstwerk, in die Kosten kommen und die Ausstrahlung der Galerie bei internationalen Sammlern und Museumsverantwortlichen nochmals erhöhen. In den großen Galerien sind die Galeristen und die auf den Verkauf aktueller Kunst spezialisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits wieder abgereist. Dann erst wird die Messe für das allgemeine Publikum geöffnet. Wie sieht vor diesem Hintergrund die Klimabilanz einer führenden Messe moderner und zeitgenössischer Kunst aus? An jeder dieser Messen nehmen etwa 250 Galerien teil, davon ein Drittel oder mehr aus Übersee wie auch bei den internationalen Sammlern. Und obgleich diese Messen im Durchschnitt nur fünf Tage dauern, ziehen sie etwa 100.000 Besucher an, zur Hälfte international, aus anderen Ländern kommend, zu etwa zehn Prozent aus anderen Kontinenten. Überschlägt man den davon ausgelösten Reiseverkehr, beginnt man die ökologische Kehrseite des globalisierten Kunstbetriebs zu erahnen. Die 250 Galerien reisen jeweils mit einem Team von fünf bis 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Das ergibt mehr als 2.000 internationale Reisen für die Galeriemitarbeiter, 4.000 mit Hin- und Rückreise, zu 80 Prozent – auch innerhalb Europas – als Flugreise ausgeführt. Damit sind wir allein auf Galerienebene bei 3.200 Flugreisen. Sie mögen sagen, das ist nicht mehr als an einem mittelgroßen Flughafen in einigen Stunden. Doch dies wird klimarelevante Folgen haben, wenn man das gesamte System der Messen und Biennalen betrachtet und bedenkt, für welchen – etwas absurden – Endzweck das alles insbesondere bei den Kunstmessen stattfindet. Auf diesen Messen zeigen die Galerien die für Verkauf und Karriereaufbau ihrer Künstlerinnen und Künstler vielversprechendste Kunst, geschätzt pro Galerie 25 großformatige und entsprechend hochpreisige Arbeiten und zahlreiche kleinformatige. Das alles muss natürlich zur Kunstmesse transportiert und anschließend zu den Käufern beziehungsweise zur Galerie zurücktransportiert werden. Das ergibt bei den Großformaten, die Einzelkisten benötigen, 12.500 Transporte pro Messe. Für die Hälfte davon werden Holzkisten oder Aluboxen neu gebaut, die anderen sind aus dem Bestand oder werden gemietet. Etwa zwei Drittel der Transporte werden mit dem Flugzeug abgewickelt, was mehr als 8.000 Transporte großer Kunstwerke in schweren Kisten per Luftfracht ergibt. Auch hier stimmt auf den ersten Blick der Einwand, das sei nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein im globalisierten Transportwesen, wo Großraumflugzeuge täglich Früchte und Gemüse zum Verkauf in Supermärkten in Europa und Nordamerika flächendeckend einfliegen. Das bisher Gesagte betrifft jedoch nur eine einzige Messe zeitgenössischer Kunst. Wenn man bedenkt, dass es seit der Vervielfachung dieser Veröffentlichungsform von Kunst vor 30 Jahren eine stabile Anzahl von etwa 100 internationalen Kunstmessen dieser Art weltweit gibt, jeweils mit breiter internationaler Teilnahme, sind diese Zahlen mehrhundertfach zu multiplizieren. Allein bei den Lufttransporten von großformatigen Werken für Kunstmessen handelt es sich, knapp geschätzt, um 1,3 Millionen Lufttransporte jährlich. Diese Zahlen sind bereits klimarelevant.
Hinzu kommt der wohl gewichtigste Einwand gegen diese aktuelle Szenerie. In den zehn bis fünfzehn führenden Messen liegen sämtliche Preise mittlerweile im fünfstelligen Bereich, meist über 50.000 Dollar pro Werk, sehr oft im sechsstelligen, wenn nicht siebenstelligen Bereich. Damit sind 99 Prozent der Weltbevölkerung von diesen Transaktionen ausgeschlossen, erleiden aber deren klimarelevante Folgen.
Der Kunstbetrieb wird sich in den kommenden Jahren vielen Fragen stellen müssen. Wie konnte das geschehen? Wie konnte just die zeitgenössische Kunst zu einem nicht zu vernachlässigenden Faktor in der Treibhausfrage werden? Wie schafft die Kunstwelt ihre Selbstbeschränkung? Welche marktführende Galerie publiziert als erste ihre Entscheidung, sich aus Verantwortung für die Zukunft auf ihr Galeriegeschäft zu beschränken, das notwendig, unersetzbar und per Internet ohnedies jeden Tag global ist, und nicht mehr diesen Messezirkus mitzumachen.
Auch im Museumsbereich ist der Themenwechsel radikal. Der Begriff „klimagerechtes Museum“ war noch vor zehn Jahren nur in marginalen Publikationen präsent. Heute ist es das Stichwort schlechthin in der Museumswelt, auch gegenüber den politischen Verantwortlichen und der Öffentlichkeit. Das klimagerechte Museum lässt sich jedoch nicht aus dem Ärmel zaubern. Alle großen und kleinen Häuser versuchen derzeit, so gut wie möglich mit einem Problem umzugehen, das fast niemand kommen sah. Das Problem ist umso schwieriger lösbar, als man es im Falle vieler Museen der letzten Jahrzehnte mit schwerfälligen Gebäuden zu tun hat, die nicht mit einem Handgriff zu verändern sind. Wer in Ausstellungshäusern und Museen gearbeitet hat, weiß, dass es sich um „große Tanker“ handelt – so die Wortwahl unter den Direktoren der führenden Institutionen. Deren Fahrtrichtung lässt sich nicht so leicht ändern, ähnlich wie bei den Supertankern auf den Weltmeeren. Erst in den letzten Jahren, mit der virulent werdenden Klimaproblematik, wurde durch entsprechende Ökobilanzen bewusst, dass die großen Museen der Gegenwart unglaubliche „Klimafresser“ sind, besonders diejenigen in Gebäuden aus den letzten 40 Jahren. Dieser Umstand hat eine tiefgehende Wirkung auf die Stellung der Kunst und der Museen in der Gesellschaft. Beide waren seit der Entstehung des Museumswesens um 1800 in Europa ein zeitüberdauernder Ruhepol, in dem die Zivilisation vor einem Spiegel ihrer selbst stand. Plötzlich zählen die Museen auch in den Augen der Öffentlichkeit selbst zu Institutionen, die, ähnlich wie Kraftwerke, dazu beitragen, dass wir – wie man so sagt – „den Planeten an die Wand fahren“. Versuchen wir einen historischen Rückblick, um diese Problematik zu verstehen. Als im Jahr 1781 ein Teil der habsburgischen Kunstsammlungen im Belvedere in Wien für den allgemeinen Besuch geöffnet wurde, war dies mit keinem Energieverbrauch verbunden. Die Räume waren nur bei Tageslicht geöffnet, in der kalten Jahreszeit deshalb nur kurz oder gar nicht. Ein wenig geheizt wurde nur in den Wintermonaten mittels Holzöfen, die im früheren Stadtschloss des Prinz Eugen in allen Räumen standen. Das war in allen frühen Kunstmuseen so, etwa dem Fridericianum in Kassel, heute alle fünf Jahre der Hauptort der documenta, oder im Louvre, seit 1793 das erste Nationalmuseum der bildenden Künste, dessen Werke sich im Eigentum des Volkes befinden und nicht der Herrscherfamilie.
Wer alt genug ist, um einige dieser ursprünglichen Museen noch erlebt zu haben, vermisst die Einfachheit dieser Museumslandschaft, die noch in den 1960er und zum Teil in den 1970er Jahren bestand. In Wien gab es seit 1962 das neue Museum des 20. Jahrhunderts unter Gründungsdirektor Werner Hofmann. Es hatte elektrisches Licht, doch an eine Klimaanlage dachte damals niemand. Diese Museen hatten einen heute längst vergessenen Charme. Sie gingen mit der Kunst aber nicht schlechter um als heutige „Museumsmaschinen“.
Seither entstand eine grundlegend andere Form, die gegenwärtig die meisten Museen weltweit prägt. Vorbildhaft ist das Centre Pompidou in Paris, 1977 mit der Zielsetzung eines transparenten, multimedialen und flexiblen Museums eröffnet. In den Folgejahren entstanden sehr viele Museumsneubauten in Form von nach außen abgeschlossenen, fensterlosen Kuben. Diese Architektur prägt die Museumslandschaft im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst heute weltweit. Sie geht von einem diametralen Konzept im Vergleich zum traditionellen Museum aus. Tageslicht wird so weit wie möglich ausgeschaltet oder durch komplexe Anlagen gefiltert. Der Eingang funktioniert bereits in der einen oder anderen Form als Klimaschleuse, ab der die Klimaanlage des Hauses die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur im gesamten Gebäude künstlich schafft und stabil hält, unabhängig von der Wetterlage im Außenraum. Das gehört heute zur Museumsnorm und bildet auch die Voraussetzung dafür, am internationalen Leihverkehr mit den wichtigsten Museen teilzunehmen, ohne den man keine publikumswirksamen Wechselausstellungen organisieren kann und keine Eintrittsgelder generiert, ohne die wiederum das Museum sich nicht finanzieren lässt. Es ist völlig absurd. Heute diskutieren die Museen untereinander, ob man nicht diesen so engen Klimakorridor der gegenseitigen Leihgaben von zwei auf acht Grad erweitern könne. Das würde schon einen beachtlichen Teil der Energiekosten für die Klimaanlagen sparen. Allerdings ist man selbst dabei längst nicht einig.
Heute sagt Frances Morris, seit 2016 Direktorin der Tate Modern, man werde keine Blockbuster-Ausstellungen mehr ausrichten, um nicht der Klimazerstörung durch weltweites Besucheraufkommen Vorschub zu leisten. Stattdessen werde man sich weit mehr dem Umgang mit dem eigenen, unschätzbar breiten Sammlungsbestand widmen. Wenn dies gelingt, kann eine unverhoffte Selbstheilung des Museumsbetriebs stattfinden. Doch wer setzt dies bei den politischen Aufsichtsgremien durch, die in den letzten Jahrzehnten ständig steigende Besucherzahlen verlangten, um die massive Unterstützung der Museen aus Steuergeldern gegenüber den Wählerinnen und Wählern vertreten zu können? Diese Gemengelage wird derzeit neu verhandelt. Das klimagerechte Museum ist eben auch eine prospektive Idee. Eine neue Generation von Architekten ist längst am Thema dran. Beispielhaft ist ein Entwurf für eine Neukonzeption für die Neue Nationalgalerie in Berlin von Jan Schweizer. Dank des systematischen Einsatzes von Vitrinen wird nicht mehr das Gesamtvolumen des Museums klimatisiert, sondern die einzelnen Werke, womit sich neun Zehntel des Energieverbrauchs sparen lassen, mehr noch, wenn man die gezeigten Werke nach ihren Materialien den jeweiligen Jahreszeiten angepasst auswählt. Zugleich würde das Museum zu einer offenen Piazza ohne abweisende Außenwände, auf der man frei flanieren kann. Das Museum bleibt eine positive Utopie.
Dieser Essay ist ein Auszug aus Robert Flecks Buch „Kunst und Ökologie“ (Edition Konturen).