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Robert Schneider: "Buch ohne Bedeutung"
Von der Kunst der Bedeutungslosigkeit

Vor 30 Jahren landete der Österreicher Robert Schneider mit „Schlafes Bruder“ einen internationalen Bestseller, konnte an diesen Erfolg aber nie wieder anknüpfen. Jetzt wagt er mit seinem „Buch ohne Bedeutung“ einen Neuanfang - mit Meinungsstücken eines Nostalgikers.

Von Cornelius Wüllenkemper |
Robert Schneider: "Buch ohne Bedeutung"
Zu sehen sind der Autor und das Buchcover
Robert Schneider: "Buch ohne Bedeutung" (Cover: Wallstein Verlag / Foto: Ursula Duenser)
„Den Brüdern. Blättert darin oder auch nicht“ – das Epigraph zu Beginn von Robert Schneiders „Buch ohne Bedeutung“ liest sich wie ein etwas trotziger Hinweis des Autors darauf, dass ihm die Aufmerksamkeit seines Publikums nicht wichtig ist. Schneider will augenscheinlich mit seiner Vergangenheit als Autor eines Roman-Bestsellers abschließen und legt eine Sammlung von Kurztexten vor: 101 kaum 40 Zeilen lange Kunstmärchen, Parabeln, Humoresken, Prosagedichte, historische Anekdoten und Selbstreflektionen. „Ich, Verschwender“, der erste Beitrag des Bandes, handelt von einem alternden Schriftsteller, dessen Verlegerin warnt, man werde ihn bald vergessen, während seine Frau fordert, er solle sich „beeilen zu leben“. Der Autor steht derweil sinnierend am Fenster.
„Seit vierzig Jahren vergeude ich meine Zeit. Ich erinnere mich gut. Als junger Mann, da die Zeit noch vor mir lag, fehlte sie mir. Nie wurde ich richtig fertig. Nie fing ich richtig an. Heute habe ich sie im Überfluss. Ich muss nicht mehr anfangen und auch nicht mehr fertig werden.“

Autobiografische Kindheitserinnerungen

Als Ausgangspunkt klingt diese etwas altersweise Gleichgültigkeit wenig einladend, dem Erzähler weiter zu folgen. Aus seinem Seelenleben machte Robert Schneider nie ein Geheimnis. Unlängst  beteuerte er, nach der, so wörtlich, „Hetzjagd der Kritiker“ sei er wie ein Kind gewesen, das um sich geschlagen und nach Anerkennung gerungen habe. Sein „Buch ohne Bedeutung“ kann man nicht anders als vor diesem sehr persönlich gefärbten Hintergrund lesen, zumal einige der Texte offen autobiografisch sind. Die früheste Erinnerung an seine Kindheit, erzählt Schneider, sei die Übergabe an seine Stiefeltern gewesen, bei der er eine leere Pillendose aus dem Kinderdorf umkrallt habe wie bei einem „Ringen um Leben und Tod.“
„Ich umklammerte diese Dose, aber die orange Frau bog mir die Finger einzeln auf, bis sie meines Schatzes habhaft geworden war. Alle Niederlagen meines späteren Lebens, meine unglücklichen Lieben, die Strafen für meine Anmaßungen, waren nichts im Vergleich zum Verlust dieser kleinen, wertlosen Plastikdose. Ich ahnte ja nicht, dass ich dafür ein behütetes Zuhause bekam. Ich rede offen: Müsste ich heute diese Kämpfe wieder kämpfen, ich würde mich für die Anmaßung entscheiden, die unerwiderten Lieben und die Plastikdose“

Harmlose Gegenwartskritik

Neben autobiografischen Beiträgen, die nicht immer frei sind von Selbststilisierung und Pathos, schaut Robert Schneider in seinem „Buch ohne Bedeutung“, das ironischerweise immer wieder tiefe Bedeutung suggerieren will, auch auf historische Begebenheiten und auf die „neue Zeit“ und einen ahnungslosen „Mann mit Hut“.
„Ein Mann mit Hut äußerte offen seine Meinung zur gegenwärtigen Situation. 'Alles halb so schlimm, finde ich. Die Medien übertreiben wirklich maßlos. Verdienen auch schließlich Geld damit.' 'Sie sollten sich etwas genauer informieren', fauchte ihn ein Mann ohne Hut an. 'Ein Ignorant sind Sie, ein Verschwörungstheoretiker.'
Der Mann mit Hut schwieg und sagte nichts mehr. 'Nach dem Regen kam noch immer Sonnenschein', suchte der Mann mit Hut die Sorge einer verängstigten Dame mit getöntem Haar zu zerstreuen. 'Wie kann man nur so naiv daherreden!', erzürnte sich die Getönte und blickte den Mann mit Hut aus feindseligen Augen an. Er verstummte."
Der bigotte Größenwahn katholischer Würdenträger, der wahre Reichtum jenseits des Geldes, die seelischen Abgründe erfolgreicher Manager und der Streit einer Schildkröte mit einem Philodendronblatt über den, Zitat, „Klimapopulismus“ – viele der Beiträge geben sich einen leichten, tänzerisch-humorvollen Anstrich und sind doch nichts weiter als mehr oder weniger kaschierte Meinungsstücke eines Nostalgikers, der oft verzweifelt auf eine Gegenwart blickt, in der Ehrlichkeit, Freiheit und Nächstenliebe zu bedrohten Werten geworden sind. Was der einstige Musikstudent und Organist Robert Schneider als Spiel mit musikalischen Sätzen verstanden wissen will, gleicht im Stil eher den Kolumnen einer Tageszeitung. In ihrer betulichen Einfachheit lesen sich Schneiders Sätze oft wie kindgerechte Lehrstücke über eine aus den Fugen geratene Welt.

Nur wenige Wunder

Tatsächlich findet sich in den 101 Texten auch Unterhaltsames, etwa Einkaufswagenchips, die über den Freiheitsbegriff diskutieren, eine politische Lagerdebatte zwischen einem linken und einem rechten Schuh, oder die Unterhaltung zwischen Schulden und Salden auf dem Server einer Bank. Dort, wo Schneider sich von altersweiser Parabelhaftigkeit und tiefschürfender Bedeutsamkeit löst, laden seine Texte zwischen Fiktion und Wirklichkeit dazu ein, sich die Welt nicht nur rational zu erklären, sondern Wunder, Widerspruch und Witz ihren Platz zu lassen.
Der Fluch des Debüterfolgs hat Robert Schneider derweil nicht verlassen. Sein „Buch ohne Bedeutung“ entlarvt seinen eigenen titelgebenden Anspruch immer wieder dann als blanke Koketterie, wenn der Autor zum großen Wurf ausholt.
Robert Schneider: „Buch ohne Bedeutung“
Wallstein Verlag, Göttingen.
212 Seiten, 24 Euro.