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Von der Leyen im EU-Parlament
"Für welches Europa brennt sie?"

Die designierte EU-Kommissionschefin hat die FDP-Europapolitikerin Nicola Beer bei ihrer Werbetour durch die Fraktionen nicht überzeugt. Von der Leyen sei mehr in Andeutungen und im Vagen geblieben, sagte Beer im Dlf. Von der Leyen wolle es allen Parteien recht machen. Das funktioniere aber nicht.

Nicola Beer im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Ursula von der Leyen (CDU), Bundesverteidigungsministerin, in Brüssel
Ursula von der Leyen (CDU), ist nominiert für das Amt der EU-Kommisionspräsidentin (imago images / IPON)
Tobias Armbrüster: Wird sie es oder wird sie es nicht? Ursula von der Leyen soll zumindest neue Chefin der EU-Kommission werden. In der kommenden Woche könnte sie gewählt werden. Aber ob sie eine Mehrheit im EU-Parlament bekommt, das ist immer noch fraglich. Gestern hat sich Ursula von der Leyen mit mehreren Fraktionen im Parlament getroffen. Es war eine Art Selbstbewerbungstour.
Am Telefon ist jetzt die FDP-Politikerin Nicola Beer. Sie war bei der Europawahl die deutsche Spitzenkandidatin ihrer Partei und sie ist Vizepräsidentin im Europaparlament. Schönen guten Morgen!
Nicola Beer: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Frau Beer, strengt sich Ursula von der Leyen genügend an?
Beer: Es geht ja nicht um Anstrengung. Wir haben es durchaus begrüßt, dass sie zu uns in die Fraktion gekommen ist, dass wir auch fast zwei Stunden sehr engagiert diskutiert haben. Unser Problem ist eher: Sie ist mehr in Andeutungen und im Vagen geblieben. Sie ist nicht konkret geworden. Wir haben kein Bild davon bekommen, was das Europa ist, ganz konkret, wofür sie brennt, wofür sie kämpfen will.
Ich glaube, ihr Problem ist ein bisschen, dass sie von ganz rechts bis ganz links es allen recht machen möchte. Das funktioniert aber nicht, weil die Vorstellung da einfach zu unterschiedlich ist. Sie wird sich entscheiden müssen, welche Stimmen sie haben will, für welches Europa sie wirklich steht.
"Wir hätten gerne Margrethe Vestager gehabt"
Armbrüster: Kann man das denn überhaupt von ihr erwarten? Sie weiß ja wahrscheinlich selbst erst seit ein paar Tagen, dass sie für diesen Job vorgesehen ist.
Beer: Das muss man erwarten können von jemandem, der sich anschickt, an die Spitze einer so wichtigen europäischen Institution wie der Europäischen Kommission zu gehen. Das ist ja genau das, was den großen Nachteil ausmacht, dass man jetzt ein europapolitisch völlig unbeschriebenes Blatt auf dem Schild gehoben hat.
Wir hätten gerne Margrethe Vestager genau an dieser Stelle gesehen. Ich glaube, das wäre wirklich die geeignetste Kandidatin gewesen, die über alle Mitgliedsstaaten und alle Parteigrenzen hinweg hoch respektiert ist und ja auch in Europa ein bisschen wieder ein neues Gefühl, eine Emotion, eine Leidenschaft auslösen konnte. Das hat sich leider aufgrund der verschiedenen Blockaden durch EVP und die europäischen Sozialisten nicht ergeben. Jetzt müssen wir schauen, ob Frau von der Leyen in irgendeiner Weise diese Funktion ausfüllen kann.

Armbrüster: Frau Beer, Sie haben jetzt schon gesagt, dass für Sie Frau von der Leyen ein bisschen zu beliebig aufgetreten ist. Kann man denn von Frau von der Leyen überhaupt erwarten, dass sie sich jetzt schon auf irgendetwas festlegt? Sie wird ja, wenn sie diesen Posten bekommt, keine Alleinherrscherin sein.
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf der Digitalkonferenz im Juni 2019 in Paris
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (picture alliance / abaca / Henri Szwarc)
Beer: Das ist völlig richtig. Aber wir haben ja auch nicht danach gefragt, was nachher hundertprozentig sicher ist, sondern wir haben danach gefragt, was ihre konkreten Vorstellungen sind, wofür sie sich einsetzen will, und da ist ja nun die Position an der Spitze der Kommission nicht ganz unmaßgeblich.
Deswegen zum Beispiel für uns entscheidend: Steht sie wirklich dafür, dass wir das nächste Mal nach der nächsten Europawahl einen anderen Prozess bekommen, dass wir ein europäisches Wahlrecht bekommen, wo dann auch transparent und demokratischer geregelt ist, wer an die Spitze der Europäischen Kommission gelangen kann und wer nicht, dass wir ein Gesetzesinitiativrecht des Parlaments bekommen, damit wir als Parlament gestärkt werden und auf Augenhöhe kommen mit der Kommission, und auch, dass wir uns Rechtsstaatsprozesse stärken, so dass es zum Beispiel automatische Sanktionen bei der Feststellung von Defiziten gibt.
All das hat sie wohlwollend aufgenommen, aber man hatte doch das Gefühl, dass sie da mehr in Andeutungen agiert. Auch das Wort Vizepräsidentin ist ihr zum Beispiel im Zusammenhang mit Margrethe Vestager nicht über die Lippen gekommen – etwas, was ich nicht nachvollziehen kann.
Beer: Vestager kann von der Leyen helfen
Armbrüster: Das heißt, eine Personalie ist für Sie tatsächlich ganz wichtig?
Beer: Ich habe ja gerade sehr viele inhaltliche Fragen angesprochen. Aber für uns ist natürlich auch wichtig, wer neben ihr sonst mit welchem Instrumentarium diese Ziele dann bearbeitet und vorantreiben will. Dafür gehört nach der Absprache, die im Rat getroffen worden ist, dass Margrethe Vestager eine gleichberechtigte erste Vizepräsidentin neben Herrn Timmermans ist.
Ich glaube, dass nicht nur die Kompetenz, sondern vor allem die Anerkennung quer durch Europa von Margrethe Vestager auch dafür spricht, dass Ursula von der Leyen gut daran tut, Frau Vestager hier einzusetzen. Als absolute Kennerin der Materie kann das für sie als Neuling ja nur hilfreich sein.
Armbrüster: Aber, Frau Beer, ist das nicht genau das, was viele Leute an der EU so abschreckt, dieses Deal machen, ich stimme Deiner Linie zu und ich wähle Dich in diesen Posten, aber dann bringe Du bitte meine Kandidatin auch auf ihren Posten?
Beer: Schauen Sie, deswegen legen wir ja so viel Wert auf diese neue Konferenz zur Reform der Demokratie in Europa. Deswegen wollen wir ja klar, dass wir in fünf Jahren ein anderes Wahlrecht, dass wir andere Prozesse haben, die transparenter sind und wo dann auch aufgrund der Wahlergebnisse klar ist, dass jemand, der die Mehrheit errungen hat im Europäischen Parlament, dann an die Spitze hier auch aufgestellt wird. Aber das haben wir momentan noch nicht.
Also muss ich letztendlich mit der Situation in den europäischen Verträgen leben. Danach darf die Kommission entsprechende Vorschläge machen und wir haben als Parlament damit umzugehen. Für uns als Liberale ist es wichtig, dass Margrethe Vestager, die hoch anerkannt ist, dann auch die Möglichkeit hat, für die Inhalte zu stehen, für die wir, für die auch Margrethe Vestager im Wahlkampf gekämpft hat.
Nicola Beer, war FDP-Spitzenkandidatin im Europawahlkampf (dpa / Carsten Koall)
Armbrüster: Frau Beer, Sie haben schon das Stichwort Rechtsstaatlichkeit erwähnt. Darauf legen Sie als Liberale großen Wert, auch dass die künftige Kommissionspräsidentin, der Kommissionspräsident das genügend durchsetzt. Haben Sie da bei Frau von der Leyen irgendwelche Zweifel, dass die bei Ländern wie Polen oder Ungarn genau hinguckt?
Beer: Es geht ja nicht nur ums Hingucken. Wir sehen momentan im Grunde genommen ein stumpfes Schwert mit dem Artikel-7-Verfahren. Wir haben keine permanente Evaluation in allen Mitgliedsstaaten. Aber wir haben insbesondere dann, wenn wir Missstände in einem unabhängigen rechtsstaatlichen Verfahren feststellen, auch keine automatischen Sanktionen.
Es wäre schön gewesen, sie wäre hier konkret geworden. Sie hat auch solche Rechtsstaatsverfahren angesprochen. Aber ich glaube, das Werben in den rechtsextremeren Fraktionen hat sie davon abgehalten, hier konkret zu werden, und da wird sie sich entscheiden müssen. Ist das etwas, was ihr am Herzen liegt, was wir wirklich gemeinsam vorantreiben wollen, oder setzt sie auf rechtsextreme Stimmen.
Reform des Spitzenkandidaten-Prinzips
Armbrüster: Aber können Sie das nicht als Politikerin gut verstehen, dass sich eine Kandidatin es nicht vorab verderben will mit solchen Ländern, die ja für ihre Wahl durchaus wichtig waren, mit Ländern wie Polen oder Ungarn?
Beer: Ja. Aber dann wird es schwierig, die Stimmen wie zum Beispiel die Stimmen der Liberalen zu gewinnen, die klar dafür stehen, dass diese Prozesse verbessert werden. Auch wir wollen Europa wieder zusammenführen, aber auf der Basis unserer gemeinsamen Werte und Prinzipien, und das bedeutet auch von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
Armbrüster: Mal angenommen, Ursula von der Leyen wird gewählt in der kommenden Woche, ist das Spitzenkandidaten-Prinzip dann am Ende?
Beer: Nein! Dann werden wir in der angesprochenen Konferenz für die Reform der Demokratie darüber diskutieren müssen, wie wir ein anderes europäisches Wahlrecht installieren, das es möglich macht, in allen Ländern dann auch wirklich die Spitzenkandidaten zu wählen, mit transnationalen Listen, das es möglich macht, dass wirklich, Schauen Sie, Herr Weber ist nur in Bayern gewesen, weil er nur auf einer bayerischen Liste stand.
Das ist ja nachher kein wirkliches Spitzenkandidaten-Modell, sondern hat das eher konterkariert. Wir wollen, dass quer durch Europa wirklich die Persönlichkeiten auch zur Wahl stehen, die sich für dieses Europa einsetzen.
Armbrüster: Woher wissen Sie, dass die Menschen das wollen, dass jemand in Portugal gerne möchte, dass da eine deutsche Politikerin auf seiner Liste steht, die er möglicherweise überhaupt nicht kennt?
Beer: Das erlebe ich in ganz vielen Reaktionen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen Mitgliedsstaaten, die eigentlich enttäuscht davon sind, dass es jetzt einen Wahlkampf gab und nachher diese Kandidatinnen, diese Kandidaten eigentlich nicht die entsprechende Rolle gespielt haben, sondern jemand aus dem Hut gezaubert wurde.
Ich glaube, dass wir diesen intransparenten Prozess das nächste Mal nicht wiederholen dürfen, wenn wir die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger in dieser Frage nicht noch einmal enttäuschen wollen.
Armbrüster: Noch ganz kurz zum Schluss, Frau Beer. Haben Sie sich denn inzwischen entschieden, wie Sie stimmen werden in der kommenden Woche? Oder vielmehr gefragt: Was muss passieren, damit Sie Ihre Stimme Frau von der Leyen geben?
Beer: Nein, wir sind uns gemeinsam einig, dass wir jetzt noch einmal einen Brief an Frau von der Leyen schreiben werden mit den Anliegen, die uns wichtig sind, damit sie diese konkretisieren kann, dass wir wirklich klare schriftliche Antworten von ihr haben, wie sie zu den einzelnen Punkten steht, damit wir dann auch vor der Abstimmung noch erneut zusammenkommen können und uns dann dazu verhalten werden. Das heißt, die Entscheidung trifft die Liberale Fraktion am kommenden Dienstag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.