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Von der Leyen-Nachfolge
"Sie hat eine faire Chance verdient"

Es sei mutig, dass Annegret Kramp-Karrenbauer das Amt der Verteidigungsministerin antrete, sagte Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen. Denn es sei nicht das einfachste Ressort. Es gehe mehr um Detailarbeit und weniger darum, auf internationaler Bühne zu strahlen.

Tobias Lindner im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Tobias Lindner steht am 21.11.2017 im Bundestag in Berlinam Rednerpult
Der Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen) (dpa / Silas Stein)
Kramp-Karrenbauer erbe ein Haus, in dem es eine Menge offener Baustellen gebe, sagte Lindner im Dlf. Er hoffe deshalb, dass sie keine lange Einarbeitung benötige. Die Bundeswehr sei ein besonderes Haus, da gehe es um eine Menge Geld. Viele Soldatinnen und Soldaten wünschten sich eine Ministerin, die Interesse am Amt habe und es nicht nur als Sprungbrett für andere Posten betrachten würde.
Es komme jetzt darauf an, was sie inhaltlich liefere: In Kürze würden die Haushaltsberatung anstehen. Hier müsse die neue Verteidigungsministerin zum Beispiel Abstriche von den bisherigen Planungen von der Leyens machen, fordert Lindner.
Der Wechsel ins Verteidigungsministerium sei mutig, dass erkenne er an. Es sei beileibe nicht das einfachste Ressort. Kamp-Karrenbauer habe eine faire Chance verdient. Es gehe dabei oftmals um die Detailarbeit; es sei kein Amt, bei dem man nur auf internationaler Bühne strahlen könne, sagte Lindner.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Stefan Heinlein: Wer gedacht hatte, der Wahlkrimi in Straßburg sei das beherrschende politische Thema für die kommenden Tage, wurde gestern am späten Abend eines Besseren belehrt. Es kam die Meldung: Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wird neue Bundesverteidigungsministerin. Sie wechselt damit entgegen ihrer bisherigen Ankündigung ins Kabinett – eine faustdicke Überraschung, über die ich jetzt mit dem verteidigungspolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Tobias Lindner, sprechen will.
- Guten Morgen, Herr Lindner!
Tobias Lindner: Guten Morgen!
Heinlein: Haben Sie mit dieser Entscheidung gerechnet?
Lindner: Nein, um ehrlich zu sein, ich war gestern Abend maximal überrascht. Ich hatte Frau Kramp-Karrenbauer nicht auf dem Zettel, zumal, Sie haben es ja erwähnt, ich habe sie auch immer so verstanden, dass sie nicht ins Kabinett wechseln möchte. Anscheinend habe ich sie entweder missverstanden oder sie hat ihre Meinung geändert.
Heinlein: Welches Motiv vermuten Sie jetzt hinter dieser Entscheidung, allein parteitaktische Motive?
Lindner: Also, das ist natürlich jetzt schwer, irgendwie in den Kopf von Frau Kramp-Karrenbauer oder von Frau Merkel reinzuschauen. Fakt ist, sie ist nun Ministerin, sie wird es in ein paar Stunden sein. Sie hat auch eine faire Chance in dem Amt verdient. Ich finde es ein bisschen unfair, wenn man noch vor dem Amtsantritt irgendwie einen Stab über sie bricht. Aber klar ist: Sie erbt ein Haus, das eine Menge offener Baustellen hat, das alles andere als gut bestellt ist. Und ich kann nur hoffen, dass Frau Kramp-Karrenbauer keine lange Einarbeitungszeit braucht, denn eine neue Verteidigungsministerin wird diesen Herbst noch wichtige Entscheidungen treffen müssen. Das ist ganz klar.
Heinlein: Und ist deshalb die Entscheidung, Herr Lindner, für eine fachfremde Ministerin ein Risiko für die Truppe, für die Bundeswehr?
Lindner: Also natürlich ist es ein Risiko. Man muss fairerweise sagen, es hätte für Jens Spahn genauso gegolten. Herr Spahn ist ja auch kein ausgemachter Verteidigungsexperte. Klar ist, die Bundeswehr, das ist ein besonderes Haus, da geht es um eine Menge Geld. Und ich glaube, viele Soldatinnen und Soldaten wünschen sich eine Ministerin oder einen Minister, der das Amt übernimmt, weil sie Interesse am Amt hat und das nicht irgendwie als Sprungbrett benutzen will für das nächsthöhere Amt, so wie wir das auch in der Vergangenheit ja durchaus erlebt haben.
Heinlein: Aber, Herr Lindner, viele Verteidigungsminister hatten vor ihrem Amtsantritt keine Erfahrung mit Militär und mit den Soldaten.
"Den einen oder anderen Skandal aufklären"
Lindner: Ja, das hatten viele, manchmal ging es gut, manchmal ging es weniger gut, wenn ich mir beispielsweise Herrn zu Guttenberg anschaue. Natürlich muss man sich auch immer die Situation überlegen. Es ist ja was anderes, wenn eine Koalition neu im Amt ist, eine ganze Bundesregierung irgendwie 100 Tage hat, reinzufinden. Frau Kramp-Karrenbauer tritt jetzt ihr Amt an, wo wir Haushaltsberatungen vor uns haben, wo sie vermutlich Abstriche von den Planungen von Frau von der Leyen machen muss, was ich im Übrigen richtig finde, weil Geld hat die Bundeswehr genug. Und wo sie natürlich den einen oder anderen Skandal aufklären muss. Da hoffe ich einfach, dass Frau Kramp-Karrenbauer in der Lage ist, sich schnell in die Materie einzuarbeiten. Das wird man dann sehen.
Heinlein: Und deshalb kann man es ja genau umgekehrt interpretieren: Eine CDU-Vorsitzende, die hat per se qua Amt schon mal ein starkes Mandat. Ist das dann, wenn sie jetzt Verteidigungsministerin wird, ab heute Morgen elf Uhr, ist das nicht vielleicht auch ein starkes Signal an die Truppe? So heißt es zumindest in einigen Kommentaren.
Lindner: Das ist natürlich jetzt die Lesart, die die Union dahinter hat, um die Entscheidung nach außen zu verkaufen. Das ist auch der CDU unbenommen. Ich glaube, bei der Truppe wird entscheidend sein, wie die Ministerin handelt und was Ankündigungen und was Taten sind. Und natürlich bin ich sehr gespannt – Sie haben es ja erwähnt, Frau Kramp-Karrenbauer ist CDU-Vorsitzende –, wie sie jetzt mit diesem Rollenwechsel zurechtkommt. Im Kabinett zu sitzen, in die Kabinettsdisziplin eingebunden zu sein und natürlich einerseits zu sagen, sie findet die zwei Prozent gut, andererseits aber auf [unverständlich, Anm. d. Redaktion] angewiesen zu sein – wie sie das Spannungsfeld managt, da können wir alle gespannt sein.
Heinlein: Wie mutig ist vor diesem Hintergrund die Entscheidung von Annegret Kramp-Karrenbauer, in den Bendlerblock zu wechseln?
"Mutig ist es durchaus"
Lindner: Also mutig ist es durchaus, das erkenne ich an. Ich meine, das Verteidigungsressort, das wissen wir aus der Vergangenheit, ist beileibe nicht das einfachste Ressort. Wie gesagt, sie hat eine faire Chance in dem Amt auch verdient und ich bin mal gespannt, wie sie darin agieren wird.
Heinlein: In der Tat, Sie sagen es, das Verteidigungsressort gilt als Schleudersitz. Wie groß ist die Gefahr, dass sie in den nächsten Monaten tatsächlich dann politisch enorm unter Druck gerät und dann vielleicht auch als Kanzlerkandidatin der Union ausfällt?
Lindner: Ich glaube, dass Frau Kramp-Karrenbauer sehr, sehr schnell begreifen wird, dass es im Verteidigungsministerium oftmals um Detailarbeit geht. Also es ist jetzt kein Amt, wo man nur auf der internationalen Bühne irgendwie strahlen kann oder sich in allgemeinen Sprachregelungen verstecken kann, sondern Frau Kramp-Karrenbauer wird jetzt sehr konkrete Fragen vor sich haben. So Stichworte, wie geht es weiter mit der Gorch Fock, diverse Beschaffungsvorhaben, sind eigentlich die Personalplanungen der Bundeswehr richtig, wie ist das Verhältnis zur Truppe, das ist alles tiefe Detailarbeit. Ich meine, sie hat Erfahrung als Ministerpräsidentin, sie hat Erfahrung als Landesministerin. Ich bin mal gespannt, wie sie jetzt da als Bundesministerin reinfindet und, ja, mit diesen Mühen der Ebenen dann auch umgeht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.