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Von der Leyen: Neue Hartz-IV-Sätze klar am Verbrauchsverhalten orientiert

Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen hat einen Gesetzentwurf zur Hartz-IV-Reform vorgelegt. Sie betont, dass die neuen Sätze politisch nicht motiviert seien, statt dessen habe man mit dem Statistischen Bundesamt genau erfasst, was die unteren Einkommensgruppen täglich ausgeben.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Bis Ende des Jahres muss sie in Kraft getreten sein, die Reform des Arbeitslosengeldes II, besser bekannt als Hartz IV. Das hat das Bundesverfassungsgericht zu Beginn des Jahres entschieden. Die Richter bemängelten zwar nicht, dass die Sätze der staatlichen Leistung zu niedrig, wohl aber, dass sie nicht transparent ermittelt, sondern mehr oder weniger willkürlich aus der Luft gegriffen worden seien. Besonders die Leistungen für Kinder müssten auf den Prüfstand, da notwendige Ausgaben etwa für Bildung überhaupt nicht berücksichtigt worden sind. Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen von der CDU hat am Montag einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der beinhaltet zwar noch keine Angaben über die Höhe der zukünftigen Sätze - darüber soll am Wochenende entschieden werden -, doch nicht nur aus diesem Grund hat die Ministerin heftige Kritik geerntet (von Seiten der Opposition, aber auch aus den Reihen der CSU).

    Am Telefon begrüße ich jetzt die Bundesarbeits- und -Sozialministerin Ursula von der Leyen von der CDU. Schönen guten Morgen!

    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Frau von der Leyen, kommen wir zunächst zur Höhe der künftigen Hartz IV-Sätze. Der Gesetzentwurf enthält ja bisher keine Angaben darüber. Darüber soll am Wochenende der Koalitionsausschuss entscheiden. Die Opposition nimmt das zum Anlass, Ihnen, der Regierung vorzuwerfen, diese Zahl politisch zu greifen, so wie bei der alten Regelung, die ja kassiert worden ist von Karlsruhe.

    von der Leyen: Ja, es ist zunächst einmal wichtig klarzustellen: Nein, der Koalitionsausschuss entscheidet nicht, sondern wir haben jetzt in den letzten Wochen und Monaten mit dem Statistischen Bundesamt sorgfältige Auswertungen der sogenannten Einkommens- und Verbrauchsstatistik gemacht, denn das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt, die Zahlen müssen transparent sein, sie müssen empirisch belegbar sein und sie müssen schlüssig begründet sein. Dieses Gitterwerk an Zahlen, dieser Datenpool, der ist erarbeitet worden. Man muss sich einfach vorstellen: das sind 60.000 Haushalte, die haben drei Monate lang in einem Haushaltsbuch Tag für Tag aufgeschrieben, was sie ausgeben für Waschpulver, für Lebensmittel, für Bekleidung.

    Dann ist ausgewertet worden vom Statistischen Bundesamt, was die unteren 20 Prozent der Einkommensgruppen tagtäglich ausgeben, und das sind die Leitplanken, die uns die Daten geben, was ist eigentlich das Existenzminimum im Land, das festgelegt werden kann und wo man ganz klar anhand der Daten eben auch sieht, das ist die Grenze, unter die ein Mensch nicht fallen darf, wenn er ausschließlich von Leistungen des Staates lebt.

    Heckmann: Das heißt, eine politische Zahl schließen Sie grundsätzlich aus?

    von der Leyen: Ja, denn das Bundesverfassungsgericht ist da ganz klar. Das ist gemessen daran, wie das Verbrauchsverhalten und das Ausgabeverhalten der Menschen ist, die ein ganz kleines Einkommen haben, also das untere Einkommensfünftel, und dann kann Politik einige wenige Wertentscheidungen fällen. Ich mache mal zwei Beispiele. Sie kann sagen, was ist heute dazu gekommen an Ausgaben, die früher nicht einberechnet waren. Für uns ist ein Beispiel die Praxisgebühr, die war vor fünf Jahren nicht drin, oder zum Beispiel der Internetanschluss, das ist heute Normalität, das war vor Jahren noch eher ungewöhnlich.

    Aber es sind auch Sachen, wo gesagt wird aus der Einkommens- und Verbrauchsstatistik, das wird rausgenommen, denn die Einkommens- und Verbrauchsstatistik mist alles, die misst zum Beispiel auch, was geben Leute aus für illegale Drogen, oder was geben Leute aus für Glücksspiel. Das sind politische Entscheidungen zu sagen, zum Existenzminimum braucht man nicht Mittel zum Glücksspiel, oder für illegale Drogen, das kommt dann zum Beispiel raus.

    Heckmann: Frau von der Leyen, es geht ja auch um die Entwicklung der Hartz IV-Sätze, die jährliche Anpassung. Die möchten Sie koppeln an eine Kombination aus Lohn- und Preisentwicklung. Das wiederum könnte zur Folge haben, dass Hartz IV steigt, während die Renten stagnieren. Vizekanzler Guido Westerwelle soll intern schon das Signal ausgegeben haben, das kommt nicht in Frage, und auch CSU-Generalsekretär Dobrindt sagte, Hartz IV dürfe nicht zur Überholspur gegenüber den Rentnern werden. Müssen Sie da also noch nacharbeiten?

    von der Leyen: Das Bundesverfassungsgericht hat ganz deutlich in seinem Urteil gesagt, dass der Lebensunterhalt für die Langzeitarbeitslosen nicht mehr an die Rente gekoppelt werden darf. Das ist der Auslöser, das Urteil. Und zwar ist die Begründung auch sehr klar. Sie haben gesagt, das Existenzminimum eines Menschen darf nicht daran gekoppelt sein, wie die Altersentwicklung der Bevölkerung ist, denn die Renten sind einerseits an die Löhne gekoppelt und sie haben andererseits dämpfende Faktoren, die davon abhängen, wie der demographische Wandel ist, also die Altersentwicklung der Bevölkerung.

    Und die Richter haben gesagt, diese Altersentwicklung hat nichts mit dem Existenzminimum zu tun. Also mussten wir gucken, was gibt es sonst an plausiblen Faktoren, wo man die Entwicklung einer Gesellschaft abbilden kann, und das ist die Kombination aus Löhnen und Preisen, denn die zeigen am besten, was Menschen heute ausgeben können und wofür sie das ausgeben. Wir haben die Löhne und Preise als Übergangsform genommen für die nächsten drei Jahre. Dann, in drei Jahren, gibt es die sogenannte laufende Wirtschaftsrechnung – jedes Jahr – und diese laufende Wirtschaftsrechnung zeigt jedes Jahr in einer kleinen Stichprobe, wie ist das Ausgabeverhalten der unteren Einkommensgruppen. Dann haben wir jedes Jahr die Messung, was geben die Leute aus, wofür geben sie es aus, wie muss das Existenzminimum jedes Jahr angepasst werden.

    Heckmann: Also haben Guido Westerwelle und Alexander Dobrindt das Urteil nicht richtig verstanden?

    von der Leyen: Die Beurteilung überlasse ich jetzt Ihnen, aber die Richter sind sehr klar gewesen: keine Kopplung an die Renten mehr.

    Heckmann: Dann kommen wir mal zur Kritik der Opposition. Die stellvertretende SPD-Chefin Manuela Schwesig, die hält Ihren Entwurf für verfassungswidrig, denn Karlsruhe habe gesagt, die Kopplung an die Renten sei nicht richtig und so könne auch die Kopplung an die Löhne nicht richtig sein, denn die Renten folgen ja der Lohnentwicklung.

    von der Leyen: Das ist richtig, aber da hat Frau Schwesig eben auch die Begründung des Bundesverfassungsgerichtes nicht genau gelesen, denn die Richter haben gesagt, die Kopplung an die Rente darf nicht sein, weil die dämpfenden Faktoren durch die demographische Entwicklung der Fehler sind, nicht die Frage, ob die Renten mit den Löhnen zusammenhängen, und deshalb ist eben auch jetzt die Kopplung an Löhne und Preise bei der Entwicklung des Arbeitslosengeldes II vollständig in Ordnung.

    Man sieht an diesen drei Dingen, Rente, Löhne, Preise, Entwicklung des Existenzminimums, das ist ein Kreislauf, alles hängt mit allem zusammen, das ist auch wichtig zu sagen, wir haben schon ein gewisses Maß an Gerechtigkeit, dass man eben auch sieht, wie sich eine Bevölkerung entwickelt, dass alle Gruppen mitgenommen werden müssen und dass bei einer Steigerung des Lebensstandards zum Beispiel, oder bei schwierigen Entwicklungen wie der Krise im letzten Jahr alle Bevölkerungsgruppen diese Bewegung auch mitmachen können oder mitmachen müssen. Also ich finde es schon ganz wichtig, dass man diesen Gerechtigkeitskreislauf über Löhne, Preise doch wirklich auch ernst nimmt und miteinander koppelt.

    Heckmann: Frau von der Leyen, kommen wir zu den Bildungskosten für die Kinder von Hartz IV-Empfängern, also die Kosten für die Teilnahme an Sport, Kultur, Musikangeboten oder auch der Nachhilfe. Die möchten Sie in Form von Gutscheinen beziehungsweise mittelfristig auch möglicherweise per Chipkarte anbieten. Da schießt die CSU quer. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer sagt, Gutscheine sind diskriminierend.

    von der Leyen: Ja, das ist ein Teil des Urteils, der ist ganz wichtig, denn er macht eine neue Tür auf. Bisher ist für die bedürftigen Kinder im Existenzminimum, also im sogenannten Regelsatz, kein Geld mit eingerechnet gewesen für die Möglichkeit, Lernförderung zu haben, oder für das warme Mittagessen in der Schule, oder für die Mitgliedschaft im Verein. Wir haben gesagt, das muss neu berechnet werden, das muss neu einbezogen werden.

    Jetzt hat man zwei Wege als Gesetzgeber. Man kann entweder sagen, okay, das kostet X Euro, wir überweisen das aufs Konto der Eltern und damit ist das Thema Bildungsförderung und soziale Teilhabe für uns als Gesetzgeber erledigt, Aufgabe gemacht, oder - das ist schwieriger, das gebe ich zu - man sagt, das sind Millionenbeträge, es werden 600 Millionen im Jahr sein für diese zwei Millionen Kinder, die wir ausgeben werden, lasst uns dieses Geld so sinnvoll einsetzen vor Ort in den Sportvereinen, beim warmen Mittagessen in der Schule, in der Lernförderung, beim Schulmaterial, dass diese Leistung auch tatsächlich organisiert wird und zum Kind kommt. Das nennt man eben Sach- und Dienstleistung. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, die Kinder brauchen den Zugang. Wir können es nicht dem Zufall überlassen, ob sie da hingehen, ob sie da mitmachen können.

    Heckmann: Aber der Vorwurf ist ja, dass diese Gutscheine diskriminierend seien.

    von der Leyen: Nein, die Diskriminierung findet ja heute statt. Also wenn man heute zum Beispiel in der Schule einen Schulausflug macht und das Kind, das nicht mit auf den Michel gehen kann in Hamburg, oder das zum Beispiel nicht mit ins schulbiologische Zentrum gehen kann, weil die Mittel nicht da sind und weil der Lehrer dann die Wahl hat, ob er den Eintritt selber bezahlt aus der eigenen Kasse, oder ob er einen Förderverein hat, oder das Kind draußen bleibt, das ist die Diskriminierung und Stigmatisierung, die heute stattfindet, oder wenn die Kinder eben nicht beim warmen Mittagessen teilnehmen, wenn sie nicht in den Vereinen und Verbänden sind, sondern auf der Straße rumlungern. Dem ein Ende zu machen, da sagen wir, lasst uns die Sach- und Dienstleistung organisieren, dass sie zum Kind kommen.

    Jetzt die zweite Frage: wie bezahlt man das. – Das kann man über Formulare machen, das kann man über Anträge machen, das kann man über Gutscheine machen. Das ist ein Übergang. Es ist übrigens etwas, diese Gutscheinform finden sie in ganz vielen deutschen Städten, das ist selbstverständlich, also Ermäßigungen, die gewährt werden, oder Zugangsmöglichkeiten, die gewährt werden. Und man kann natürlich eine sehr viel elegantere, moderne Form nehmen, indem man Chipkarten macht. Chipkarten kennt jeder, es gibt ganz viele dieser Plastikkarten, die in Umlauf sind. Sie sind bekannt, niemand sieht, wofür sie beladen sind, wie hoch sie beladen sind. Sie sind ein ganz modernes Abrechnungsmittel, und ich finde, moderne Abrechnungsmittel für eine gute Sache, nämlich dass Bildung zu den Kindern kommt. Das sollte uns schon die Arbeit wert sein.

    Heckmann: Über die geplante Hartz IV-Reform haben wir gesprochen mit Bundesarbeits- und –Sozialministerin Ursula von der Leyen von der CDU. Frau von der Leyen, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    von der Leyen: Danke Ihnen!