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Von der schlafenden Schönheit zum Fundament Europas

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist heute in 47 Staaten eine verbindliche Rechtsgrundlage. Doch der Weg dahin war lang, der Anfang von Rückschlägen geprägt. Die Autoren der Konvention selbst betrachteten ihre Geburt mit Enttäuschung.

Von Gudula Geuther |
    "Aus Verheißungen und Versprechungen werden Rechte. Rechte von Individuen. Individuen werden zu Akteuren, die die menschenrechtliche Entwicklung vorantreiben. Aus den Feststellungen eines internationalen Gerichts, dass ein Staat die Konvention verletzt hat, folgen öffentliche Aufmerksamkeit, nationale Debatte und im besten Fall Änderungen in Rechtsordnung und in Rechtspraxis."

    Für die frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Renate Jaeger, ist dies die größte Errungenschaft der Europäischen Menschenrechtskonvention: Aus allgemeinen Wertvorstellungen wurden Ansprüche Einzelner. Der Weg dahin war lang, der Anfang von Rückschlägen geprägt. Die Autoren der Konvention selbst betrachten ihre Geburt mit Enttäuschung. Am 3. September 1953 unterzeichnete Luxemburg als zehnter Staat den Pakt, am selben Tag trat er in Kraft.

    Heute, 60 Jahre später, ist die Europäische Menschenrechtskonvention in 47 Staaten eine verbindliche Rechtsgrundlage, eine Art kleiner Verfassung für die Mitgliedstaaten des Europarates, für ein europäisches Gebilde, das weit über den geografischen Kontinent hinausreicht - bis an die Ostgrenze Russlands. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hätte sich das kaum jemand träumen lassen - auch wenn die europäische Bewegung anfangs noch wirklich paneuropäisch dachte. Winston Churchill:

    "Dieser edle Kontinent, der alles in allem die schönsten und kultiviertesten Gegenden der Erde umfasst und ein gemäßigtes und ausgeglichenes Klima genießt, ist die Heimat aller großen Muttervölker der westlichen Welt. Hier sind die Quellen des christlichen Glaubens und der christlichen Ethik. Hier liegt der Ursprung der meisten Kulturen, Künste, philosophischen Lehren und Wissenschaften des Altertums und der Neuzeit."

    Churchills Vision gegen den Krieg
    Eineinhalb Jahre nach Kriegsende, im September 1946, setzt Winston Churchill den Gräuel des Nationalsozialismus und den Trümmern des Krieges eine Vision entgegen. In seiner Rede an die akademische Jugend in der Universität Zürich zeichnet Churchill zwischen zwei Amtszeiten als britischer Premierminister das Bild eines einigen Kontinents, der Vereinigten Staaten von Europa.

    "Würde Europa je vereint das gemeinsame Erbe antreten, wären das Glück, der Wohlstand und der Ruhm grenzenlos, die seine drei- oder vierhundert Millionen Einwohner genießen würden."

    Paneuropäische Ideen gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg. Nun aber schlossen sich private Initiativen zusammen. Im Mai 1948 versammeln sich in Den Haag mehr als 700 Vertreter aus fast 50 europäischen Staaten. Und der Gastgeber Winston Churchill eröffnet den Europakongress:

    "Dies ist keine Bewegung der Parteien, sondern der Völker. Wir können auf nichts Geringeres zielen als die Vereinigung Europas als Ganzem. Und wir blicken voll Zuversicht auf den Tag, an dem diese Einheit verwirklicht sein wird."

    Tatsächlich aber befinden sich Europa und die Welt längst im Kalten Krieg. Den Europarat werden zehn westeuropäische Staaten gründen. Er wird zwei Jahre später aus diesem Kongress hervorgehen. Und Deutschland, die Bundesrepublik Deutschland, wird 1950 als zweites Land nach der Türkei dem Bündnis beitreten dürfen - für diesen Teil Deutschlands ein erster Schritt zurück in die internationale Staatengemeinschaft, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Westbindung. Die gemeinsame politische Struktur ist aber 1948 für die 700 Mitglieder des Haager Kongresses nur der eine Teil des verfassten Europa. Den anderen sollen die Menschenrechte als Wertebasis, als moralisches Fundament des zukünftigen geeinten Europa bilden.

    Und so fordert die Abschlusserklärung beides: einen Europarat als erste Struktur der Einigung und eine Menschenrechtserklärung, die jeden Mitgliedstaat binden sollte. Es bleibt nicht bei der Forderung. Der Kongress selbst setzt eine Kommission ein, die diese Erklärung erarbeiten soll. Sie entsteht nicht im luftleeren Raum. Auf anderer Ebene gibt es Vorläufer. Nach den Verbrechen der Nationalsozialisten und den Erfahrungen des Krieges hatten seit Januar 1947 schon 18 Fachleute an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen gearbeitet. Nach fast zwei Jahren Arbeit verkündet Eleanor Roosevelt das Ergebnis im Dezember 1948 in Paris.

    "Die Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die Allgemeine Menschenrechtserklärung, hat eine große Rolle gespielt."

    Sagt der Heidelberger Völkerrechtsexperte Jochen Frowein über den Einfluss der UN-Konvention auf die Europäische Erklärung. Jochen Frowein weiter:

    "Für ihre Formulierung war der Franzose René Cassin sehr wichtig, und der wurde später Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Hier kann man schon die Beziehung durchaus erkennen."

    Keine Einigung in der UN, aber in Europa
    Erste Entwürfe eines europäischen Kataloges verweisen sogar schlicht auf die UN-Erklärung. Sie ist dabei allerdings nicht nur Vorbild. Denn so weit ihre Bedeutung auch reicht - eine Einigung über die Durchsetzung in der Praxis, über die völkerrechtliche Verbindlichkeit, kam zwischen den zerstrittenen UN-Staaten nicht mehr zustande. Das sollte in Europa anders sein.

    "In Europa war eindeutig die Zielsetzung, dass man eben nicht nur eine allgemeine Erklärung haben wollte, sondern einen bindenden völkerrechtlichen Vertrag, der justiziabel ist."

    So Jochen Frowein, der selbst über Jahrzehnte die Konvention mitgeprägt hat. Justiziabel und einklagbar - so stellten sich zumindest die Autoren des Textes die Menschenrechtserklärung vor. Zwei Persönlichkeiten hatten hier großen Einfluss: der ehemalige Résistance-Kämpfer und Politiker Pierre-Henri Teitgen sowie der spätere britische Lordkanzler Sir David Maxwell Fyfe. Vor allem in den ersten Entwürfen wurde klar: Nicht nur Staaten, auch einzelnen Bürgern Europas sollte es möglich sein, sich gegen Verletzungen ihrer Menschenrechte zu wehren - und zwar vor einem eigenen Gericht, einem ständigen Gerichtshof.

    Der Plan ging manchen allerdings zu weit: Mitglieder von Kommissionen und Minister im Komitee des Europarates rangen um Kompromisse. Einige Staaten waren nicht bereit, so viel Souveränität abzugeben. Vor allem Großbritannien - obwohl es gerade Winston Churchill war, der die Bewegung wesentlich gefördert hatte, obwohl Sir Maxwell Fyfe zu den treibenden Kräften der Konvention gehörte.

    Das Ergebnis sollte dann für Jahrzehnte Bestand haben: Es sollte einen Gerichtshof geben, aber nur für die Staaten, die sich ihm unterwarfen. In jedem Fall musste zuerst eine Kommission angerufen werden - die Europäische Kommission für Menschenrechte mit Vertretern aller Mitgliedstaaten. Das war entscheidend, denn Einzelpersonen sollten sich nur an die Kommission wenden können, wenn sich ihre Staaten damit einverstanden erklärt hatten. Und nur die Kommission, nicht der Bürger, sollte dann den Gerichtshof anrufen können. Eine Konvention ohne das Klagerecht des Einzelnen sei das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben sei, beklagte einer der zuständigen irischen Minister, Séan MacBride. Vertreter der beratenden Versammlung des Europarats, die wesentlich am Text beteiligt waren, empörten sich. Andere sahen das Ergebnis weit weniger kritisch. Carlo Schmid etwa. Der SPD-Politiker war jahrelang Mitglied im Beratenden Ausschuss des Europarats. Zur deutschen Ratifizierung 1952 sagte er:

    "Die Konvention stellt gegenüber dem bisher geltenden Recht einen außerordentlichen Fortschritt dar. Sämtliche beteiligten Staaten beschließen, dass in ihrem Staatsgebiet sämtliche Menschen einen bestimmten Mindeststandard von Grundrechten genießen sollen. Und darüber hinaus wird die Garantie dieser Verpflichtung nicht ausschließlich den nationalen Gerichten anheim gegeben, sondern internationalen Instanzen."

    Es gab von Anfang an Staaten, die auch ihren Bürgern das Beschwerderecht einräumten. Damit wurde die Konvention trotz aller Einschränkungen ein Meilenstein des Völkerrechts. Denn einklagbare Menschenrechte gab es zwar in den einzelnen Staaten. International aber war das neu. Wer die Entscheidung über Menschenrechtsverletzungen aus der Hand gibt, der unterwirft sich dem Urteil anderer. Das kommt der Aufgabe eines Teils staatlicher Souveränität gleich. Jochen Frowein glaubt, das war gewollt - wenn auch nur zum Teil:

    "Ganz sicher war der Hauptausgangspunkt: Man wollte ein klares Zeichen setzen, gegen das was zwischen 1933 und 1945 passiert war und was im Osten eben erneut - Stalinismus - jetzt eine Bedrohung für Europa wurde. Aber dass das Ganze dazu führen musste, dass eben Grundrechte, so wie es in unserem innerdeutschen System ist - unmittelbar in der Rechtsprechung wirksam wurden, das war eben die klare Konsequenz. Auch wenn sie, davon bin ich überzeugt, etwa in London nicht gesehen worden ist."

    Konvention funktionierte im Griechenland-Fall
    Die Staaten selbst mussten sich also zur Aufgabe ihrer Souveränität entschließen. Und zumindest ein Teil von ihnen tat es im Glauben, nicht mehr zuzugestehen, als ein Frühwarnsystem gegen Totalitarismus und Diktatur. Auch das könne so eine Konvention leisten, glaubt Jochen Frowein. Und die Menschenrechtskonvention habe das 1967 auch getan. Jochen Frowein:

    "Dafür ist natürlich der berühmte Griechenland-Fall aus der ersten Phase ein gutes Beispiel. Als in Griechenland eindeutig totalitäre Entwicklungen sich zeigten und das System der Konvention dazu geführt hat, dass Griechenland zwar ausgetreten ist, die Konvention gekündigt hat, aber doch das Signal, dass in Griechenland hier durch das Obristen-Regime eine Verirrung erfolgte, europaweit und zum Teil weltweit aufgenommen wurde. Und das war ja dann auch relativ schnell wieder vorbei, und Griechenland ist wieder Mitglied geworden."

    Die Europäische Einigung entwickelte sich derweil auf anderer Ebene weiter. 1951 wurde die Montanunion geschlossen, 1957 die Römischen Verträge unterzeichnet, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entstand, der Vorläufer der viel später gegründeten EU. Aus Straßburg dagegen kam wenig, insbesondere kaum Entscheidungen. Adolf Süsterhenn, von 1954 bis 74 Froweins Vorgänger in der Kommission für Menschenrechte, listete 1963 Verfahren wie das deutsche KPD-Verbot auf. Es wurde nicht beanstandet. Typisch für die Wirkung der Konvention in der Anfangszeit war das Verfahren, das Griechenland gegen Großbritannien angestrengt hatte. Der britische Gouverneur im besetzten Zypern hatte teils drakonische Strafen ermöglicht.

    "In diesem Verfahren hat die Kommission dann an die britische Regierung die Frage gerichtet, wie sie glaube, derartige Vorschriften mit dem Inhalt der Konvention vereinbaren zu können. Diese Frage ist von der britischen Regierung niemals beantwortet worden. Dagegen hat der britische Kolonialminister vier Wochen später, nachdem wir diese Frage gestellt haben, im Unterhaus bekannt gemacht, dass diese beiden Ordonnanzen aufgehoben seien."

    Die Kommission wirkte also eher im Stillen. Erst 1961 entschied der Gerichtshof zum ersten Mal in der Sache. In dem Verfahren "Lawless gegen Irland" hatte der terrorverdächtige, mindestens frühere IRA-Kämpfer Lawless keinen Erfolg mit der Beschwerde gegen seine Inhaftierung ohne Gerichtsurteil. Die Straßburger Richter ließen den in Irland geltenden Ausnahmezustand als Rechtfertigung gelten.

    "In Straßburg war in der ersten Phase eine außerordentliche Zurückhaltung."

    Erinnert sich Jochen Frowein. Und weiter:

    "Als ich Mitglied der Kommission 1973 wurde, gab es wirklich noch wenig Bereiche, wo die Auslegung der Konvention für die Staaten schwierig geworden wäre."

    Frowein: System braucht Zeit
    Und das nicht etwa, weil es den Juristen an Gestaltungswillen gefehlt hätte. Der Heidelberger Völkerrechtsexperte erklärt im Nachhinein, dass auch strategische Überlegungen dahinter steckten:

    "Damals war es so, dass eine Sorge bestand, wenn wir die Staaten außerordentlich scharf kontrollieren, dann kommt das System in Schwierigkeiten, und möglicherweise erkennen die Staaten dann später beispielsweise die Individualbeschwerde nicht mehr an. Solche Diskussionen hat es immer wieder gegeben."

    Und möglicherweise, glaubt er, kann ein System wie das der Konvention nur langsam entstehen.

    "Solche Systeme brauchen eine Zeit, bis sich Regierungen, Staaten, daran gewöhnt haben, und auch bereit sind, die Vorteile zu erkennen."

    Bis Mitte der siebziger Jahre hatten sich alle Staaten des Europarats der Konvention unterworfen. Ein großer Teil davon hatte auch den Gerichtshof und die Individualbeschwerde akzeptiert, jeweils für begrenzte Zeit. Warum war das so? Die Gesellschaften hätten sich verändert, glaubt Jochen Frowein. Das Bedürfnis nach Rechtsschutzmöglichkeiten sei gestiegen. Die Kommission wurde selbstbewusster. Und schickte gerade deshalb mehr Fälle zum Gerichtshof. Frowein spricht vom Dornröschen, das da erst wachgeküsst wurde, von der "sleeping beauty", der schlafenden Schönheit. Kommission und auch Gerichtshof - sie wurden mutiger in der Interpretation der Konvention. Sei es, dass das Recht auf Zugang zu einem Anwalt mit hineingelesen wird in das Recht auf Verteidigung. Sei es, dass die Vereinigungsfreiheit für Gewerkschaften bedeutet, dass ihnen auch typische Gewerkschaftsrechte gegeben werden müssen. Straßburg begreift seine Konvention als "lebendes Instrument". Und nicht alle Staaten sind angetan, allen voran Großbritannien.

    Für Jochen Frowein allerdings ist klar, dass die Konvention - wie jeder Rechtstext - schon immer interpretiert werden musste. Das könne auch gar nicht anders sein, bestätigt der Schweizer Luzius Wildhaber, langjähriger Präsident des Straßburger Gerichtshofs. Gerichte, alle Gerichte, müssten Rechtstexte in die Zeit stellen können:

    "Wie soll man anhand eines Textes von 1900 oder sogar von 1950 beurteilen können, ob Pornografie im Internet verboten werden kann, oder ob eine In-vitro-Fertilisation einer eigenen Eizelle mit dem Samen eines Drittspenders zulässig sein soll? Wollen Sie jedes Mal auf eine formelle Änderung der europäischen Menschenrechtskonvention oder auch der nationalen Verfassungen warten?"

    Die Konvention, so heißt es im Rückblick, wurde erwachsen. Und mit immer mehr Rechtsprechung und einem immer engeren Schutzsystem wurde sie von der schlafenden Schönheit tatsächlich zu einem Katalog europäischer Grundrechte. Gerade noch rechtzeitig. Jochen Frowein:

    "Es war wirklich ein Glücksfall, dass, als der Kommunismus in Osteuropa zusammenbrach, Westeuropa voll hinter der Konvention stand und alle Staaten die Individualbeschwerde anerkannt hatten - einige nur wenige Jahre vor diesem Wechsel. Und das bedeutete dann, dass für die Aufnahme in den Europarat von den osteuropäischen Staaten sofort verlangt werden konnte, dass sie die Konvention voll ratifizieren, und zwar mit dem Individualbeschwerderecht. Was ja dann auch relativ bald zu einer Automatik in der Konvention führte."

    Konvention gilt für 820 Millionen Menschen
    Beschlossen - schon ein Jahr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, 1990. Da waren die Staaten des Europarats bereits dabei, ihre Gemeinschaft rasant zu vergrößern. Für Finnland, das sich bis dahin nur durch die Sorge um Blockfreiheit hatte abhalten lassen, war der Beitritt noch 1989 eine Selbstverständlichkeit. Bis heute folgten vierundzwanzig weitere Staaten - mehr als dem Europarat vorher angehört hatten. Die Konvention galt damit nicht einfach in mehr als doppelt so vielen Staaten.

    Durch den Beitritt von bevölkerungsreichen Ländern wie Russland galt sie für noch viel mehr Menschen. Der Europarat spricht von 820 Millionen. Nur Weißrussland fehlt in diesem durchgehend europäischen Rechtsraum. Es wurde schließlich doch noch das Rechtsschutzsystem eingeführt, das sich die Gründerväter vorgestellt hatten. Seit dem 1. November 1998 entscheidet nicht mehr zunächst die Kommission. Der Gerichtshof tagt - anders als zuvor - ständig, die Richter arbeiten hauptamtlich, und das ist auch nötig. Denn seit der Reform explodiert die Zahl der Verfahren. Statt - ganz am Anfang - um die hundert Anträge in Straßburg insgesamt, statt noch 1999 8.000, waren es im vergangenen Jahr 65.000 Anträge. Luzius Wildhaber:

    "Aber die heutige Realität ist die - über mehrere Jahre gesehen -, dass etwa 70 Prozent aller Beschwerden aus Zentral- und Osteuropa kommen, etwa zehn Prozent aus der Türkei, weniger als 20 Prozent aus sämtlichen west-, nord-, südeuropäischen Ländern. Obwohl dabei auch Länder sind wie Italien und Griechenland, die den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchaus mit Beschwerden füttern."

    Der Gerichtshof ist zum Opfer seines eigenen Erfolges geworden, lautet die stehende Redewendung in Straßburg. Mehrmals haben die Mitgliedstaaten sich um Reformen bemüht, die Überlegungen dauern an. Welche Folgen der Beitritt der Europäischen Union zur Menschenrechtskonvention hat, wie viel Arbeit er mit sich bringen mag, kann derzeit niemand vorhersehen. Das Straßburger System stößt freilich noch an ganz andere Grenzen. Luzius Wildhaber beklagt, dass der Gerichtshof eben nach wie vor kein Verfassungsgericht ist. Viele Menschen erwarteten, dass die Richter entschieden und dass diese Entscheidungen dann auch befolgt würden:

    "Aber es ist im Großen und Ganzen eben nach wie vor das Gericht, das es 1949 war - in dem Sinn, dass es Feststellungs- und Schadenersatzurteile trifft und nicht mehr als das. Und insofern, als Sie unausweichlich auf die Mitwirkung der Staaten angewiesen sind. Und dass die Mitwirkung nicht immer bereitwillig erfolgt."

    Es gebe Mitgliedstaaten der Konvention, ergänzt die frühere deutsche Richterin in Straßburg, Renate Jaeger, von denen sie den Eindruck habe, dass dort Menschen kein Vertrauen in den Rechtsstaat haben könnten. Für sie die schlimmste Niederlage eines solchen Menschenrechtspaktes:

    "Denn dann helfen die Verbürgungen nichts - innerstaatlich. Sie können es nicht durchsetzen. Und das heißt: Ohne diese Basis ist alles nichts, sind es eben leere Versprechungen."